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Veröffentlicht am 24.04.2018

Leben im Exil

Ich wollte nur Geschichten erzählen
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Mit bürgerlichem Namen heißt er Suheil Fadél, in Deutschland kennen wir den vielfach preisgekrönten Autor unter seinem Pseudonym Rafik Schami, was übersetzt „Damaszener Freund“ bedeutet. Die Liebe zu ...


Mit bürgerlichem Namen heißt er Suheil Fadél, in Deutschland kennen wir den vielfach preisgekrönten Autor unter seinem Pseudonym Rafik Schami, was übersetzt „Damaszener Freund“ bedeutet. Die Liebe zu seiner Geburtsstadt Damaskus ist in jedem seiner Werke deutlich wahrnehmbar; und so sind „Heimat“ und „Heimweh“ (unter anderen) Themen des vorliegenden Buches.
Bereits im Jahr 1971 emigrierte Rafik Schami, unterdrückt vom Assad-Regime, nach Deutschland, studierte Chemie und entschied sich nach Promotion und einigen Jahren Berufserfahrung dazu, sich hauptberuflich dem Schreiben und Erzählen zu widmen; denn schon als Kind hatte er den sehnlichen Wunsch: „Ich wollte nur Geschichten erzählen“.
Mosaik der Fremde lautet der Untertitel des Buches, und wie ein Mosaik trägt Rafik Schami Steinchen für Steinchen zu einer farbenfrohen Gesamtkomposition zusammen. In seinem unverwechselbaren Stil erzählt er von den eigenen Bemühungen, in Deutschland heimisch zu werden, akribisch die deutsche Sprache zu erlernen, seinen Hoffnungen und Ängsten. Er erklärt aber auch, was uns an seinem Heimatland Syrien fremd ist, die Bedeutung von Sippe, Gastfreundschaft und politischer Repression. Er schildert positive Erfahrungen, die er als Exilschriftsteller in Deutschland gemacht hat, und lässt auch negative Erlebnisse nicht aus. In den „Anmerkungen für Neugierige“ am Schluss des Büchleins finden sich weiterführende Hinweise und Erklärungen.
Rafik Schamis Darstellungen, in kurzen Kapiteln zusammengefasst, lassen den Optimismus und Humor des Schriftstellers deutlich spüren: „Ich bin ein erfahrener Angehöriger einer historischen Minderheit und habe Geduld mit der Mehrheit, in welchem Land auch immer.“
Ich wollte nur Geschichten erzählen ist eine lehrreiche und unterhaltsame Lektüre - eine schöne Ergänzung zu Rafik Schamis Romanen.

Veröffentlicht am 19.04.2018

Jeder Moment ist eine Ewigkeit

Wie man die Zeit anhält
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Wäre das nicht ein Traum? Mehrere Jahrhunderte zu erleben, ohne sichtbar zu altern? Tom Hazard ist einer jener „Albatrosse“, denen dieses (zweifelhafte) Glück beschieden ist. Er wurde im Jahr 1581 geboren ...

Wäre das nicht ein Traum? Mehrere Jahrhunderte zu erleben, ohne sichtbar zu altern? Tom Hazard ist einer jener „Albatrosse“, denen dieses (zweifelhafte) Glück beschieden ist. Er wurde im Jahr 1581 geboren und seit dem Beginn seiner Pubertät verlangsamte sich das Älterwerden so extrem, dass er in der heutigen Zeit zwar 439 Jahre alt ist, aber das Aussehen eines Vierzigjährigen hat. Doch was sich wie ein schöner Traum anhört, wird für Tom ein Albtraum. Seine Umwelt kann nicht verstehen, wie es ihm möglich ist, nicht in dem Maße zu altern wie alle um ihn herum und bezichtigen seine Mutter der Hexerei. Tom überlebt auch Rose, seine große Liebe, und ist verzweifelt. Die einzige, die ihm weiterhin Lebensmut verleiht, ist seine Tochter Marion, die ebenfalls das Gen der Anagerie geerbt hat. Doch sie ist verschwunden, und Tom reist durch Länder und Jahrhunderte, um sie zu finden, und begegnet dabei anderen Menschen, die wie er leben…
Matt Haigs frischer, unkomplizierter Schreibstil nimmt den Leser sofort mit auf eine turbulente Zeitreise. Wechselweise erleben wir Tom in seinem gegenwärtigen Dasein als Lehrer in London und erfahren Details aus seiner Vergangenheit in unterschiedlichen geschichtlichen Epochen. In seiner schlichten, klaren Sprache lässt der Autor in Toms Erinnerungen Historie lebendig werden. Unaufdringlich hinterfragt er dabei die Qualität eines Jahrhunderte währenden Lebens und führt den Leser einfühlsam an philosophische Überlegungen heran: wie sinnvoll ist mein Leben, wenn ich all meine Lieben jahrhundertelang überlebe? Wenn ich niemanden habe, mit dem ich Erinnerungen teilen kann? Wie erlebe ich die Gegenwart?
Aber ebenso wichtig ist es Haig, der Frage nachzugehen, ob Menschen aus Missständen und Fehlern der Vergangenheit lernen, ob wissenschaftlicher Fortschritt zu mehr Erkenntnis beiträgt - oder ob Ignoranz unsterblich ist.
Ein sehr unterhaltsamer und geistreicher Roman!

Veröffentlicht am 15.04.2018

Vielversprechendes Debüt

Krokodilwächter
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Der brutale Mord an der Studentin Julie und die bald darauf folgende dramatisch inszenierte Tötung eines jungen Mannes aus ihrem Freundeskreis schreckt nicht nur Esther de Laurenti, Wohnungsvermieterin ...

Der brutale Mord an der Studentin Julie und die bald darauf folgende dramatisch inszenierte Tötung eines jungen Mannes aus ihrem Freundeskreis schreckt nicht nur Esther de Laurenti, Wohnungsvermieterin der Ermordeten auf. Sie entdeckt beängstigende Parallelen der Tat zu dem Manuskript, das sie gerade zu einem Kriminalroman zu schreiben begonnen hat, und fühlt sich schuldig. Das Ermittlerduo der Kopenhagener Kripo, Anette Werner und Jeppe Kørner, nimmt engagiert die Spurensuche auf. Doch nicht jeder Weg, der zum Mörder führen könnte, erweist sich als erfolgreich; es gibt etliche Einbahnstraßen. Die Zeit drängt; denn jemand schreibt Esthers Manuskript weiter, es scheint eine Eigendynamik zu entwickeln…
Sicher ist sie nicht nicht neu, aber originell: Engbergs Idee, einem Mörder als Vorlage für seine Verbrechen ein Romanmanuskript dienen zu lassen, gibt ihr viel Spielraum für eine abwechslungsreiche Handlung und einen verwickelten, spannenden Plot. Sprachlich sehr ansprechend abgefasst, zieht der Krimi den Leser hinein in einen Strudel der Ereignisse,
während derer er sich mit diversen privaten und gesellschaftlichen Problemen konfrontiert sieht. Allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass neben den Komplikationen im Privatleben des Polizisten Jeppe der Täter und seine Motive zwar erläutert werden, aber in den Hintergrund geraten. Hier hätte ich gern ausführlichere Informationen gehabt!
Packend bis zum Schluss schildert Engberg die Geschichte, in der sich die Fäden erst nach und nach entwirren. Erst am Ende des Romans gibt es eine Antwort. Und auch die Frage nach dem ungewöhnlichen Buchtitel klärt sich schließlich: was macht ein Krokodilwächter - ein afrikanischer Vogel, der (in Symbiose mit Krokodilen lebend) in Hautfalten und Maul seines „Wirtes“ nach Nahrung suchen und diesen so von Parasiten befreien soll - ausgerechnet in Dänemark?
Trotz einiger Kritikpunkte meinerseits - Engberg ist hier ein vielversprechender Auftakt zu ihrer geplanten neuen Thriller-Serie geglückt!

Veröffentlicht am 06.04.2018

Mehr als nur Reisebericht

Couchsurfing in Russland
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Putin - ein Präsident von enormer Beliebtheit bei seinem Volk? Was steckt dahinter, was denken die Leute?
Information durch Medien ist gut, sagt sich Stephan Orth, aber sich selbst ein Bild machen ist ...

Putin - ein Präsident von enormer Beliebtheit bei seinem Volk? Was steckt dahinter, was denken die Leute?
Information durch Medien ist gut, sagt sich Stephan Orth, aber sich selbst ein Bild machen ist besser. Und so macht er sich auf den Weg in den Osten, um zehn Wochen lang durch das riesige Russland zu reisen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Als „Couchsurfer“ ist er unterwegs; er steigt nicht in Hotels ab, sondern ist zu Gast bei Leuten, die ihm für einige Tage eine Couch, ein Bett oder auch nur eine Matratze zum Übernachten anbieten. Auf diese Weise kommt er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen in Kontakt, die - mehr oder weniger hilfsbereit, doch stets aufgeschlossen - ihm Eindrücke in ihre Heimat vermitteln und Einsichten in ihre Lebensart und -ansichten gewähren. Auf einer Landkarte kann der Leser verfolgen, welche unglaubliche Strecke von mehr als 21.000 Kilometern Orth per Flugzeug, Bahn und Bus zurücklegt; von Moskau ausgehend über Tschetschenien und Sibirien gelangt er bis in den Fernen Osten des Landes und beendet seine Reise in Wladiwostock. Zahlreiche Fotos illustrieren seine Begegnungen und halten Landschaft und Stimmung fest.
Ohne eine gute Portion an Optimismus und Humor ist eine solch beschwerliche Reise kaum vorstellbar; denn ein Erholungsurlaub ist das wahrlich nicht. Und so ist Orths Reisebericht, den er in flottem Schreibstil verfasst, auch mit reichlich Humor und (Selbst-)Ironie gewürzt. Mit viel Empathie schildert er seine Gastgeber und ihre Eigenheiten. Es sind „normale“ wie auch recht skurrile Typen darunter; die meisten sind neugierig auf andere Länder und offen für neue Erkenntnisse. Doch es gibt auch Menschen wie Igor, der sich seine Meinung über die Welt vom Wohnzimmer aus „ergoogelt“ und auf die Berichterstattung der Medien verlässt - solche kann man in jedem Land der Erde finden. Vielleicht wäre es nicht die schlechteste Ide
e, wenn sich mehr Menschen auf der ganzen Welt aufmachten, um andere Nationen tatsächlich aus „erster Hand“ kennenzulernen und so Vorurteile abzubauen.
Eine informative, launig geschriebene Reiselektüre!

Veröffentlicht am 31.03.2018

Genial im Duett

Durch Nacht und Wind (Goethe und Schiller ermitteln)
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„Mag die Nachwelt uns verdammen - jedoch hätten wir erneut die Wahl, wir würden ein 2tes Mal genauso handeln.“ Ein kryptischer Satz, mit dem Friedrich Schiller sein Vorwort zu seiner im Jahr 1799 verfassten ...

„Mag die Nachwelt uns verdammen - jedoch hätten wir erneut die Wahl, wir würden ein 2tes Mal genauso handeln.“ Ein kryptischer Satz, mit dem Friedrich Schiller sein Vorwort zu seiner im Jahr 1799 verfassten Niederschrift beendet! Was mag wohl dahinter stecken?
Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe wird beauftragt, den äußerst mysteriösen Mord an Großherzog N., der sich mit seiner Familie im Schloss Belvedere nahe Weimar aufhält, zu klären. Sein Freund Schiller, der später die Ereignisse aufzeichnet, begleitet und unterstützt ihn bei den Nachforschungen. Dabei scheint ein kostbarer, jedoch mit einem schrecklichen Fluch beladener Ring eine entscheidende Rolle zu spielen.
In nostalgischer Aufmachung präsentiert sich Stefan Lehnbergs Buch über „die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe“ ; das Cover zeigt die Silhouetten des Ermittler-Duos, und der Titel ist in alter Frakturschrift wiedergegeben. Einen kleinen Touch Altertümlichkeit verleiht Lehnberg auch seinem Stil: In seinen flüssigen und gut verständlichen Schreibstil mischt er eine Andeutung an historische Schreibweise. Humorvoll-ironisch nähert sich Lehnberg den großen Literaten, holt sie von ihrem Dichterpodest und stellt sie mit ihren menschlichen Vorzügen und Schwächen dar. Schillers Kommentare, die kleinen Sticheleien und Zwistigkeiten zwischen den Poeten sowie die bunte Mixtur aus historischen und fiktiven Personen beleben den Kriminalfall und machen ihn „anders“. Und wer schon immer einmal wissen wollte, woher Goethes Roman „Hermann und Dorothea“ seinen Namen hat, erhält hier eine Erklärung.
Ein wirklich sehr unterhaltsames Büchlein!