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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.11.2018

Trau schau wem

Der Mann am Grund
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Mal was anderes: Prag als Schauplatz eines Kriminalromans ist eine Novität, die Astrologie in die Ermittlungsarbeit einzubeziehen, ebenso ein Novum.
Im Grunde vervielfältigt sich die Zahl der Handlungsstränge ...

Mal was anderes: Prag als Schauplatz eines Kriminalromans ist eine Novität, die Astrologie in die Ermittlungsarbeit einzubeziehen, ebenso ein Novum.
Im Grunde vervielfältigt sich die Zahl der Handlungsstränge im Verlauf des Romans immer weiter. Überaus gekonnt, wie die Autorin alle Details miteinander verknüpft und verzahnt, so dass keine losen Enden den Leser verärgern.
Ein privates Familienunglück, den Tod des kleinen Marek zum Ausgangspunkt des kriminellen Geschehens zu machen, stellt einen raffinierten Kunstgriff der Autorin dar. Sehr geschickt, wie sie ein Geflecht aus Schicksal und Schuld um diesen Todesfall entwirft. Der kleine Kerl selbst ist sich eigentlich bewusst, dass seine Furcht unbegründet ist - und gibt ihr dennoch Raum. Die drei Menschen jedoch, die ihm am nächsten stehen, verstricken sich in Lüge und Verrat: statt zu seiner Familie heimzukehren, gibt der Vater dem Impuls zum schnellen Sex mit einer Angestellten nach; statt im Hause auf die ihr anvertrauten Kinder zu achten, versucht die Stiefmutter Einsamkeit und Heimweh bei einem Spaziergang mit einem Nachbarn zu bekämpfen; statt sofort Alarm zu schlagen, sucht die ältere Schwester den Unfall zu ignorieren.
Im Gefolge dieser privaten Tragödie entfaltet sich die ganze Perfidie des titelgebenden Mannes am Grund. Die Zwangsläufigkeit, mit der das Schicksal an allen beteiligten Personen ein Exempel statuiert, präsentiert sich geradezu mit antiker Wucht, und das Motiv der Astrologie dient nur dazu, diese Unausweichlichkeit des Geschehens zu verdeutlichen.

Veröffentlicht am 05.11.2018

Zeitkritisch

Lenz (Ein Kommissar-Eschenbach-Krimi 6)
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Der Fokus in Michael Theurillats Roman ‚Lenz‘ liegt weniger auf der Krimihandlung, vielmehr sucht der Autor einen philosophisch-zeitkritischen Akzent zu setzen. In den Zeiten der vielbeschworenen Fake ...

Der Fokus in Michael Theurillats Roman ‚Lenz‘ liegt weniger auf der Krimihandlung, vielmehr sucht der Autor einen philosophisch-zeitkritischen Akzent zu setzen. In den Zeiten der vielbeschworenen Fake News problematisiert der Autor die Fragilität der Wahrheit, in allen Bereichen, in denen sie entweder zum Tragen kommt oder aber ignoriert, wenn nicht gar mit Füßen getreten wird. Da geht es einmal um die persönlichsten Beziehungen, in Freundschaft oder Liebe, wo es nicht länger absolute Gewissheiten gibt. Das gleiche gilt auch für berufliche Belange, in deren Kontext Verlässlichkeiten nicht mehr existent sind. Aber gemäß der gegenwärtigen Erfahrungen im öffentlichen Leben, in Politik und Wirtschaft, im umfassenden Bereich der Medien, tritt die Erosion in diesem ganz dezidiert politisch akzentuierten Text am deutlichsten zu Tage. Wie bedauerlich, dass der Handlungsstrang, der sich mit dem Syrien-Engagement einer der Hauptfiguren beschäftigt, so aufgepfropft daherkommt, so überhaupt nicht organisch mit der Romanhandlung verwoben. Insgesamt werden die Angelpunkte, an denen Theurillat seine Handlung vertäut, allzu deutlich: die mit dem Nobelpreis gewürdigte Entdeckung der DNS mitsamt der Jahre später einsetzenden Kritik an dem ausgezeichneten Wissenschaftler und seiner in Konsequenz eintretenden Geldnot, das für jegliche Manipulation anfällige Internet, die unterschiedlichen globalen Interessen, die im Nahen Osten zum Tragen kommen. Inmitten dieses Konglomerats von ‚issues‘ geht manchmal unter, worin die eigentliche Stärke dieses Romans besteht: die menschliche Angreifbarkeit seiner Protagonisten.

Veröffentlicht am 26.10.2018

Familien-Labyrinth

Sieben Tage Wir
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Der Weihnachtsroman bildet ja durchaus eine eigene Gattung, alle Jahre wieder in zahlreichen Beispielen in den Buchhandlungen repräsentiert. Wie erfreulich, in ‚Sieben Tage wir’ einmal ein gelungenes Exemplar ...

Der Weihnachtsroman bildet ja durchaus eine eigene Gattung, alle Jahre wieder in zahlreichen Beispielen in den Buchhandlungen repräsentiert. Wie erfreulich, in ‚Sieben Tage wir’ einmal ein gelungenes Exemplar dieses Genres vorzufinden: In dieser Familie hat jeder seine eigene Leiche im Keller: Mutter Emma mit ihrem frisch diagnostizierten Krebs, den sie geheimzuhalten sucht, Papa Andrew mit seinem aus dem Nichts aufgetauchten Sohn, Tochter Phoebe, dunkel ahnend, dass eine Twitter-Facebook-Instagram-kompatible Verlobung möglicherweise doch nicht der Schlüssel zum Glück ist, und Olivia, als katastrophen-erfahrene Ärztin eher unsicher, wie sie ihren Gefühlshaushalt handhaben soll. Einem Weihnachtsfest, dessen Stressfaktor alle Rekorde brechen dürfte, steht also nichts mehr im Wege! Einerseits jongliert der Roman voller Freude mit allen erwartbaren Verwicklungen, andererseits aber zeigt er keine Berührungsängste gegenüber echten Emotionen.

Veröffentlicht am 12.10.2018

Portrait einer Ära

Queen Victoria
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Die Verfasserin dieser Biographie, Julia Baird, füllt einen sprichwörtlich gewordenen Begriff mit Inhalt. In unzähligen Facetten entwirft sie ein umfassendes und detailliertes Bild der Monarchin, die wesentlich ...

Die Verfasserin dieser Biographie, Julia Baird, füllt einen sprichwörtlich gewordenen Begriff mit Inhalt. In unzähligen Facetten entwirft sie ein umfassendes und detailliertes Bild der Monarchin, die wesentlich auch unser Bild von Großbritannien prägt. Das Entstehen einer Weltmacht, das Wachsen des Empire erschließt sich dem Leser ebenso nachdrücklich wie die Charakterzeichnung einer Frau, die mit ungeheurer Härte sich selbst gegenüber sich in den Dienst ihrer Nation gestellt hat. Die Autorin versteht es, auch durch eher skurile Einzelheiten ihrem Bildnis der Herrscherin prägnante Züge zu verleihen, aber im Zentrum stehen immer die politischen Verhältnisse, die historischen Entwicklungen, denen diese Herrscherin ihr unauslöschliches Siegel aufgedrückt hat. Mit dieser Darstellung eines „kühnen Lebens einer außergewöhnlichen Frau“ gelingt Baird das Portrait einer Ära.

Veröffentlicht am 25.09.2018

Pavane des Abschieds

Der Narr und seine Maschine
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Der Duktus des nicht einmal einhundertfünfzig Seiten langen Textes suggeriert dem Leser unmissverständlich, dass er den letzten Roman um den in sich gekehrten und wortkargen Ermittler Tabor Süden in Händen ...

Der Duktus des nicht einmal einhundertfünfzig Seiten langen Textes suggeriert dem Leser unmissverständlich, dass er den letzten Roman um den in sich gekehrten und wortkargen Ermittler Tabor Süden in Händen hält. Knapp beschrieben findet sich der Protagonist an dem Ort, der Inbegriff des Abschieds ist, am Bahnhof, doch allzu deutlich wird, dass es kein Ziel gibt.
Nur drei Seiten weiter findet sich geradezu gespiegelt eine ähnliche Szene vor einer Verkehrsampel, ein anderer Mann, aber ebenso regungslos an einen Ort gebannt. Tabor Süden wird von seiner Chefin überzeugt, den Fall eines verschwundenen Kriminalschriftstellers zu übernehmen, und so bewegen sich die beiden Männer in verschlungenen Figuren aufeinander zu, bis die Pavane in einer schäbigen Bar endet. Die Synchronität der beiden Lebensläufe tritt zutage, und zum Schluss ist es nur noch Süden, der gemessen erneut sich an den Ort des Abschieds begibt, diesmal aber lässt er sich nicht zurückhalten.
Ein Krimi ist das nicht. Aber das erhofft sich vermutlich jeder Autor: dass seine Leser ihn zweifelsfrei durch die Sprache identifizieren, die lakonisch und lässig daherkommt und einen Sog entfaltet, dem widerstehen zu wollen zwecklos ist.