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Veröffentlicht am 15.11.2019

Ein herrliches Stück Literatur

Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier
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Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer ...

Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer Lanz, in üppiger Zahl.

Der Roman beginnt jedoch damit, dass ebendieser Lanz sich das Leben nehmen will. Zu langweilig ist es ihm geworden. Zu bedeutungslos. Doch just in dem Moment, wo er sich auf die Suche nach dem richtigen Ort für seinen Plan macht, verliert sein Leben seine Bedeutungslosigkeit und wird spannender als es sich Lanz wünschen könnte.

Was beginnt, ist ein großartiges Spiel mit dem Leser und dem literarischen Stoff. Gerhard Roth hat ein Verwirrspiel geschaffen, das ein Lesegenuss ist. Lanz beobachtet einen kaltblütigen Mord – und wird fortan zum Gejagten. Von wem, bleibt lange im Unklaren, ebenso die Frage, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Die Odyssee durch Venedig hält für Lanz viele Überraschungen parat. Er stürzt von einem Abenteuer ins andere, genauer: er plumpst hinein, ohne dass er etwas dagegen tun kann.

Zu guter letzt bleibt die Frage, ob das alles überhaupt real ist. Denn schließlich begann alles, als sich Lanz unter einen Holunderbusch zum Schlafen legte. Und wer den „Goldnen Topf“ des E.T.A. Hoffmann gelesen hat, der weiß, dass damit der Ausflug ins Reich der Phantasie beginnt.

Überhaupt die Anspielungen. Gerhard Roth liebt sie, die kleinen Seitenhiebe in die Literaturgeschichte. Allein der Titel seines Buches ist Shakespeares „Sturm“ entnommen. Dass es in Roths Venedig zu einem Sturm kommt – es kann nicht verwundern.

Überhaupt wirkt vieles so märchenhaft, dass es den Kriminalroman im Roman verunmöglicht. Zugleich aber ist der Kriminalroman so brutal in der Darstellung, dass er alles Märchenhafte mit einem Schuss wegwischt.

„Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Gelingt dies, kann man sich an einem herrlichen Stück Literatur erfreuen.

Veröffentlicht am 10.09.2019

Gut gemachtes Hörbuch für Kinder

Alles nur aus Zuckersand
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Fred und Jonas sind Freunde. Zumindest so lange, bis Jonas' Eltern einen Ausreiseantrag stellen. Denn in Freds Familie wird der "real existierende Sozialismus" der DDR nicht in Frage gestellt. Während ...

Fred und Jonas sind Freunde. Zumindest so lange, bis Jonas' Eltern einen Ausreiseantrag stellen. Denn in Freds Familie wird der "real existierende Sozialismus" der DDR nicht in Frage gestellt. Während das elterliche Kontaktverbot der Freundschaft nichts anhaben kann, droht doch die Ausreise die Freundschaft zu zerstören. Also schmieden sie einen Plan. Ein Plan, der mit "Zuckersand" zu tun hat, so viel sei verraten .

"Alles nur aus Zuckersand" von Dirk Kummer ist ein Hörbuch für Kinder, das nicht nur spannend ist, sondern auch das Leben in der DDR näher bringt. Dies gilt vor allem für das Alltagsleben, denn erzählt wird die Geschichte von dem jungen Fred. Charly Hübner liest den Text dabei so flüssig, dass man das Hörbuch am Stück hören könnte.

Wer Fred Kummers Film bereits kennt, wird vielleicht manches vermissen. Das Hörbuch ist deutlich kindgerechter als der Film.

Fazit: "Alles nur aus Zuckersand" ist ein gut gemachtes Hörbuch für Kinder, das auch für Erwachsene unterhaltsam ist.

Veröffentlicht am 21.07.2019

Und dazwischen tobt das Leben

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Es ist die Mischung aus Schlichtem, fast schon Banalem, und intellektuell Hochtrabendem, was Ocean Vuongs Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ausmacht – und an manchen Stellen schwer erträglich macht. ...

Es ist die Mischung aus Schlichtem, fast schon Banalem, und intellektuell Hochtrabendem, was Ocean Vuongs Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ausmacht – und an manchen Stellen schwer erträglich macht.

Hinführungen oder Überleitungen zwischen nüchterner Beschreibung und abstrakter Reflexion sucht man vergebens. Der Erzähler beobachtet einen Mann im Gebet, Stimme und Hände des Betenden werden beschrieben, und dann beobachtet der Erzähler plötzlich sich selbst: „Ich erglühte im Blut des Lichts.“

Dass in die Beschreibung eines intimsten Moments ein Zitat von Simone Weil über vollkommene Freude eingebettet ist, das dem Erzähler einfällt, gehört auch zu dem, womit man bei Ocean Vuong rechnen muss. Es gibt nichts, was nicht auf eine höhere Reflexionsstufe gestellt werden könnte.

Aber nicht nur, weil Bilder oft weiter ausgeweitet werden, ist das Buch nicht immer einfach zu lesen. Das Lesen wird auch nicht dadurch leichter, dass Schlaglichter erzählt werden und nicht der Versuch unternommen wird, eine Deutung im Sinne eines großen Narrativs herzustellen, wo biographische Elemente ins große Ganze eingefügt werden und so ihren Sinn erhalten.

Die Dinge sind wie sie sind, geschehen eben. Vuong beschreibt sie ungeschönt. Etwa die Schläge der Mutter, die Gewalt in der Familie. Die Schwierigkeiten der Mutter, die Kriegserlebnisse zu verarbeiten und sich nach der Flucht aus Vietnam in den USA zurechtzufinden. Die Drogenabhängigkeit seines Freundes Trevor. Der Tod von bereits sieben Freunden des Erzählers, der seinen Geburtstag deshalb nicht mehr feiert.

Als Form hat der Roman die eines Briefes. Ein Brief an die Mutter, der Ungesagtes zur Sprache bringen will. Ein Brief, der kein „Textkörper“ sein will, sondern die Körper im Text bewahren will. Ein Brief, von dem ganz und gar nicht klar ist, dass er überhaupt gelesen wird. Schließlich ist die Mutter Analphabetin.

So ist „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ein postmoderner Roman, der ganz bewusst fragmentarisch angelegt ist. Dadurch entzieht er sich einer einlinigen, biographisch angelegten Lebensdeutung. Zudem verlässt er immer wieder die Ebene der Beschreibung. Nicht nur dass hier mit Symbolen wie dem Monarchfalter, Büffeln, dem Kalb und Ähnlichem gearbeitet wird, zudem gibt es eine Fülle literarischer Anspielungen und intertextueller Verweise. Und dazwischen tobt das Leben.

Veröffentlicht am 26.05.2019

Leise Töne

Papaverweg 6
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Es sind die leisen Töne, die Margarita Kinstner in ihrem Buch „Papaverweg 6“ anschlägt. Das Leben geht seinen Gang in dem Mehrfamilienhaus in Wien, das im Papaverweg 6 gelegen ist. Papaver heißt nichts ...

Es sind die leisen Töne, die Margarita Kinstner in ihrem Buch „Papaverweg 6“ anschlägt. Das Leben geht seinen Gang in dem Mehrfamilienhaus in Wien, das im Papaverweg 6 gelegen ist. Papaver heißt nichts anderes als Mohn, und so steht der Papaverweg für einen vergleichsweise ruhigen Wohnort.

Zehn Wohnungen gibt es in diesem Haus, deren Bewohner man nach und nach kennenlernt. Ganz unterschiedliche Menschen wohnen in dem Haus: von der alleinerziehenden Mutter bis zur Weltreisenden, vom Sozialarbeiter bis zur Öko-Aktivistin. Und gegenüber wohnt Oskar. Oskar, der Alte, der am Fenster sitzt, hinüberschaut und beobachtet, was sich alles in dem Haus abspielt. Oskar, der Alte, der ein Buch führt mit den Namen der Mieter. Vielleicht weil er neugierig ist, vielleicht, weil er sich um seine Mitmenschen Gedanken macht, vielleicht, weil er vergesslich geworden ist.

Oskar ist die heimliche Hauptfigur des Romans. Nicht nur, dass sein Blick aus dem Küchenfenster immer wieder das Haus mit all seinen Bewohnern ins Zentrum rückt, auch sein Leben wird immer mehr entfaltet. Der schmerzliche Tod seiner Frau, die beginnende Demenz und ein Geheimnis, das in der Erde ruht – all das breitet Margarita Kinstner mit ihrem liebevollen Blick auf den Menschen aus.

Es ist nicht der voyeuristische Blick zum Nachbarn, der Thema ist. Dazu passiert im Papaverweg viel zu wenig, als dass das interessant sein könnte. Es ist der Alltag all dieser unterschiedlicher Menschen, den man als Leser irgendwann nicht mehr vermissen möchte. Gerade auch, weil jeden etwas ganz anderes umtreibt.

Margarita Kinstner erzählt unaufgeregt, langsam, präzise. Das ist es, was mir an dem Buch so gut gefallen hat.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sich öffnende Herzen

Alte Sorten
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Als ich das Buch „Alte Sorten“ von Ewald Arenz gelesen habe, musste ich unweigerlich an Muscheln denken. Sind sie geschlossen, so weiß man, dass sie leben. Nur ab und an öffnen sie sich langsam, um sich ...

Als ich das Buch „Alte Sorten“ von Ewald Arenz gelesen habe, musste ich unweigerlich an Muscheln denken. Sind sie geschlossen, so weiß man, dass sie leben. Nur ab und an öffnen sie sich langsam, um sich bald wieder zu verschließen.
So wirken auf mich auch Sally und Liss, die Hauptfiguren des Romans. Beide haben in ihrem Leben Verletzungen erfahren, obwohl sie in ganz unterschiedlichem Alter sind. Sally ist 17, dabei ihr Abitur zu machen, Liss ist an die 50, hält einen Bauernhof am Leben.
Beide haben sich nach ihren negativen Erfahrungen zurückgezogen, die Einsamkeit gesucht. Sich verschlossen. Und nun haut Sally aus der Klinik, in die sie ihre Eltern gesteckt haben ab, und trifft auf Liss, die sie ohne viel zu fragen aufnimmt. Die beiden reden zunächst kaum miteinander, Sally hilft ihr bei der Arbeit, lernt ihre Grenzen kennen, lernt Neues kennen.
Beide Frauen nehmen sich bedingungslos an, als sie aufeinandertreffen, ohne Vorurteile. Ewald Arenz gelingt es ganz meisterhaft zu beschreiben, wie nach und nach aus diesem ersten Sich-Verstehen eine Freundschaft wächst.
Zudem hat er ein Gespür für die Landschaft. Sie ist nicht idyllisch, sie ist rau und karg. Es ist harte Arbeit, die in der Natur, auf den Feldern, beim Beschneiden der Obstbäume verlangt wird. So wird die Natur der Ort der Selbstbehauptung und auch der Ort an dem die Heilung alter Wunden möglich scheint.
„Alte Sorten“ gehört zu den Büchern, die man mit Gewinn mehrmals lesen kann.

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