Profilbild von Babajaga

Babajaga

Lesejury Star
offline

Babajaga ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Babajaga über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.02.2020

Selbstmordgefährdeter Kapitän ermittelt in Glückstadt

Fortunas Schatten
0

Das Buch:
Nachdem ich als erstes den 4. Teil „Tod in der Speicherstadt“ dieser Reihe gelesen hatte und restlos überzeugt war, musste ich ganz unbedingt von vorn anfangen um heraus zu finden, wie Hauke ...

Das Buch:
Nachdem ich als erstes den 4. Teil „Tod in der Speicherstadt“ dieser Reihe gelesen hatte und restlos überzeugt war, musste ich ganz unbedingt von vorn anfangen um heraus zu finden, wie Hauke Sötje zum Inspektor der Kieler Kriminalpolizei werden konnte und was genau ihn immer noch so belastet. Da das Print-Exemplar nicht mehr im Handel verfügbar ist, bedanke ich mich umso mehr bei der Autorin, die mir eines der wenigen Restexemplare zur Verfügung stellte. Ganz herzlichen Dank, liebe Anja, für dieses Lesevergnügen!

Die Kapitel des Buches sind mit Originalnachrichten aus der „Glückstädter Fortuna“ von 1894 – eben dem Jahr, in dem die Geschichte spielt – überschrieben und haben in gewisser Weise einen Bezug zum jeweiligen Kapitel. Dadurch hat der Leser das Gefühl, sich nicht in einer fiktiven Geschichte sondern vielmehr in der ganz realen Welt von 1894 in Glückstadt zu befinden. Mir gefallen diese Schmankerl aus einer längst vergangenen Zeit.

Worum geht’s?
Hauke Sötje – Kapitän und tendenziell selbstmordgefährdet – heuert auf dem Ewer „Alte Möwe“ an um mit harter Arbeit seine Überfahrt nach Glückstadt zu finanzieren. Der alte Kapitän Jenssen des Ewers – ständig betrunken und bekannt dafür, seine Mannschaft um ihre wohlverdiente Heuer zu betrügen – versucht es auch dieses Mal, woraufhin es üble Schlägerei gibt, in dessen Nachgang sich Hauke im örtlichen Gefängnis wiederfindet.
Ausgerechnet Graf von Lahn – Haukes Verteidiger in England, nachdem sein Schiff „Revenge“ mit Mann und Maus untergegangen war – sorgt dafür, dass Hauke umgehend aus dem Gefängnis entlassen wird und hält auch ansonsten schützend seine Hand über ihn. Aber warum? Ehe Hauke sich versieht, ist er als Ermittler im Dienste des Grafen unterwegs und findet nicht nur heraus, was in der Glückstädter Heringsfischerei AG schief läuft.

Charaktere:
Hauke Sötje und Sophie Struwe tun offenbar das, was man als „gegen den Strom schwimmen“ bezeichnen könnte. Sophie, die Tochter des Glückstädter Möbelfabrikanten Hermann Struwe, soll von ihrer Tante Dora verheiratet werden. Allerdings ist Sophie nicht die klassische junge Dame, die still und blöd an der Seite eines gut situierten Bürgers stehen will. Sie denkt lieber selbst und hat nicht viel für die Sittlichkeit besagter Damen übrig – sie fällt ja nicht einmal in Ohnmacht! Sehr zum Unmut ihrer Tante, der langsam die Geduld mit Sophie ausgeht. Mir war Sophie damit überaus sympathisch. Ich habe mehr als einmal geschmunzelt, wenn sie sich wieder einmal aufgelehnt hat und schlagfertig reagierte, womit sie ihre Zuhörer gern in Erstaunen und manchmal auch Widerwillen versetzte.

Hauke mag eben diese Art an Sophie. Und ich mag Hauke! Ich fand seine Gedankengänge dahingehend, dass er dann wohl seinen ehrenhaften Tod noch etwas nach hinten verschieben müsse, um die Aufgabe, die Graf von Lahn ihm auferlegte, zu erfüllen, irgendwie amüsant, wenngleich der Grund hinter seinem Todeswunsch alles andere als das war. Jedoch zeigt dies einen gewissen (schwarzen) Humor. Hauke ist überdies – genau wie Sophie übrigens – sehr klug. Beide können logische Zusammenhänge erkennen, schauen genau hin und haben auch keine Scheu, die Wahrheit auszusprechen. Dies trifft natürlich nicht immer auf die Zustimmung der Bürger der Stadt. Und auch das macht mir die beiden so überaus sympathisch.

Anton Rübcke, der Reviervorsteher der Stadt, war mir auf Anhieb unsympathisch. Ich kann nicht einmal genau sagen, worin das begründet ist. Immerhin tut er ja nur seinen Job. Aber da er so wenig bereit ist, auch nur einmal genauer hinzusehen – es könnte ja schließlich Arbeit bedeuten und überhaupt will er kein Sozialistenpack in seiner Stadt haben – ist er irgendwie abstoßend. Darüber hinaus kann er überhaupt nicht nachvollziehen, warum nun ausgerechnet Hauke Sötje von Werner von Lahn „beschützt“ wird. Schließlich ist Hauke eine Schande für das deutsche Kaiserreich. Vielleicht sind es einfach die Vorurteile und dieses „das war schon immer so“, das meine Antipathie begründet.

All ihren Charakteren haucht Anja Marschall authentisch Leben ein. Als Leser kann man sich gut in sie hineinversetzen, sie sich vorstellen. Es fällt so unglaublich leicht, eine Figur zu mögen oder eben auch nicht und es macht viel Spaß mit Hauke und Sophie mit und gegen die Anderen zu ermitteln. Wirklich gut gefallen hat mir Hinnerk. Er ist Haukes Freund und auch wenn er nur eine Nebenrolle spielte, so ist er mir ans Herz gewachsen – tatkräftig, ehrlich und eben einfach liebenswert, gerade auch mit seiner Eigenart Priem zu kauen und Platt zu schnacken. Zudem vertraut er Hauke zu 100%. Solche Freunde braucht man!

Der Kriminalfall:
Der Kriminalfall an sich bleibt spannend bis zum Schluss. Die Autorin nötigt dem Leser das Miträtseln einfach ab. Zumindest ich habe versucht heraus zu finden, was genau gespielt wird. Zwar hatte ich meinen Verdacht und zumindest der Mittäter war mir auch von Anfang an recht suspekt, dennoch wurde der Täter tatsächlich erst sehr spät entlarvt. Das gefiel mir ausgesprochen gut. Immer wieder gab es Wendungen, mit denen der Leser nicht unbedingt rechnen konnte und das Puzzle setzt sich langsam Stück für Stück zusammen.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Anja Marschall ist locker und flüssig zu lesen. Sie schreibt immer mit dieser Prise Humor, die den Kriminalfall nicht ganz so streng und die Charaktere nicht so bierernst erscheinen lässt. Ich mag diese Art zu erzählen sehr. Es finden sich keine Längen und es geht flott voran. Der Leser kann das Buch kaum zur Seite legen, wenn er bemerkt, dass er schon mitten in den Ermittlungen steckt.

Historischer Hintergrund:
Ich habe lange Zeit selbst in Glückstadt gelebt und hatte den Eindruck, dass sich diese beschauliche kleine Stadt seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht so sehr verändert haben kann. Während des Lesens fand ich mich immer wieder, wie ich durch die Straßen schlenderte, am Hafen und am Fleet unterwegs war. Anja Marschall verleiht dem historischen Glückstadt noch einmal Leben und jeder der einmal dort war, wird es in diesem Buch wiederfinden. Sie hat sehr gut recherchiert und gibt dem Leser in einem ausführlichen Anhang viele Informationen über ihre Recherchen weiter. Neben dem Personenregister, in dem sie reale historische Personen markierte, gefiel mir die Übersetzung des Plattdeutschen besonders gut. Denn eben diese Sprache macht den Roman besonders authentisch, ist aber nicht jedem Leser geläufig.

Besonders spannend fand ich überdies, dass Anja Marschall Einblick in die Ermittlungsarbeit dieser Zeit gewährt. Als Hauke in der Leichenhalle steht und sich von Dr. Halling erklären lässt, was dieser heraus gefunden hat, erklärt sie damit auch mir, wie weit die damaligen Erkenntnisse bei der Aufklärung waren. Das fand ich nicht nur unterhaltsam sondern überaus interessant.

Fazit:
Ein spannender Auftaktroman mit zwei überaus sympathischen Protagonisten, die man einfach mögen muss, weil sie sich von ihren Schicksalen nicht unterkriegen lassen. Eine Geschichte mit Humor erzählt, in einer lebendigen Stadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Großartig! 5 von 5 Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.02.2020

Zeugnis einer dramatischen Zeit

Bürgerin aller Zeiten
0

Das Buch:
Nachdem ich von Heike Wolf bereits den ersten Teil ihrer großartigen Allender-Trilogie gelesen hatte, war ich absolut gespannt auf den ersten Teil der Schönau-Dilogie. Meine Erwartungen waren ...

Das Buch:
Nachdem ich von Heike Wolf bereits den ersten Teil ihrer großartigen Allender-Trilogie gelesen hatte, war ich absolut gespannt auf den ersten Teil der Schönau-Dilogie. Meine Erwartungen waren extrem hoch, da mich die Allenders so unglaublich beeindruckt hatten. Ich wurde nicht enttäuscht!
Das Cover ziert ein authentisches Familienfoto der 3 Schönau Geschwister, womit es aus den heutigen Standard-Covers für historische Romane hervorsticht und belegt, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht. Ein Umstand, der die Geschichte in meinen Augen noch einmal emotionaler macht.
Die Geschichte wird auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen erzählt – einerseits die recht knappen Passagen in 1989 und andererseits die Passagen, die dieses Buch ausmachen, in der Zeit von 1913 bis 1933. Die einzelnen Kapitel sind mit den entsprechenden Jahreszahlen – in 1989 sogar mit kompletten Daten – überschrieben, sodass der Leser stets den Überblick behält, in welcher Zeit er sich gerade befindet.

Worum geht’s:
Am 09.11.1989 wird Charlotte 80 Jahre alt werden. Am 30.09.1989 hört sie in den Nachrichten von den ersten DDR-Flüchtlingen, die offiziell in die BRD ausreisen dürfen und erinnert sich in diesem Zusammenhang an ihre eigene Kindheit in Leipzig.
Charlotte wird 1909 als Älteste von 3 Geschwistern der Familie Schönau in eine ruhige Zeit in Deutschland und in ein liebevolles, gebildetes Elternhaus – der Vater Anwalt und Goethe-Verehrer, die Mutter eine zarte Frau – hineingeboren. Doch nur 5 Jahre später muss Vater Wilhelm in den ersten Weltkrieg ziehen. Die jüngere Schwester Dorothea ist gerade 3 Jahre alt, Bruder Heinrich eben erst geboren. Es bricht eine schlimme, eine überaus schwere Zeit für die Schönaus an, die sie u.a. mithilfe der tatkräftigen, robusten und überaus fürsorglichen Mathilde überstehen. Nach dem Krieg muss die Familie zunächst erst einmal wieder zusammen wachsen, sieht sich jedoch bereits den nächsten Schwierigkeiten gegenüber. Gerade als es aussieht, als würde Deutschland wieder auf die Beine kommen, sich wieder in der Welt etablieren, wird es von den Nazis überrollt.

Charaktere:
Ihre Charaktere schreibt Heike Wolf absolut gekonnt, vielschichtig und so authentisch, dass man als Leser nur allzu oft das Gefühl hat, genau neben einer Figur zu stehen, ihr wie ein Schatten zu folgen und in die beschriebene Situation einzutauchen.
So konnte ich mich stets in die 3 Schönau Kinder – Lotte, Dorchen und Heinrich – hineinversetzen. Ich verstand ihre Sorgen und Nöte, ihre Verhaltensweisen. Es war für mich z.B. überaus nachvollziehbar, dass Lotte, die sehr an ihrem Vater Wilhelm hängt, diesem stürmisch in die Arme läuft, als er auf Fronturlaub nach Hause kommt, während Dorchen und Heinrich sich benehmen als stünden sie einem Fremden gegenüber. Tun sie ja auch! Eine solche Situation zu beschreiben, sodass ich als Leser zwar die Traurigkeit Wilhelms fühlen und absolut verstehen kann, aber mich gleichzeitig auch in die beiden Kinder hineindenken kann, ist großartig. Und so füllt Heike Wolf all ihre Figuren mit Leben, mit Charakter. Jede Figur – unabhängig davon, ob es eine Hauptfigur wie Charlotte ist oder ein Nebencharakter – ist ein Unikat, hat ihre ganz eigenen Züge und lebt vor dem inneren Auge des Lesers. So ist es möglich, sie zu lieben und sie zu verabscheuen, mit ihnen zu leiden, sich zu freuen oder zu weinen, so wie die Figuren im Buch es tun. Die Autorin schafft es immer wieder, dass man als Leser glaubt, es mit Freunden zu tun zu haben.

Im Fall der Augusta – Charlottes Oma – ist es sogar passiert, dass ich sie zunächst überhaupt nicht ausstehen konnte, später sehr viel Sympathie für sie empfand und am Ende nicht mehr wusste, ob ich sie nun mag oder nicht. Ich fand ihre antisemitischen Äußerungen bereits weit vor dem ersten Weltkrieg abstoßend und ich konnte nicht verstehen, warum sie ihre Familie nicht mehr unterstützt. Sie erschien mir egoistisch und kalt. Im Krieg hat sie jedoch bewiesen, dass ihre Entscheidungen vielleicht kalt erscheinen mögen, aber auf jeden Fall sinnvoll und der Situation angepasst waren. Ich konnte sie so gut verstehen, als sie versuchte, ihre Tochter Amalie – Charlottes Tante – zum Arbeiten anzuhalten um den Unterhalt für ihre Familie zu verdienen, da auch deren Mann im Krieg war. Dann wieder traf sie Entscheidungen über die Köpfe vieler anderer hinweg, die ich nicht nachvollziehen konnte und die mich den Kopf schütteln ließen. Als sie starb, war ich traurig. Sie fehlte mir in der Familie.

Ganz anders ist Mathilde, Haushälterin und Kindermädchen der Familie. Sie ist burschikos und rustikal, muss bisweilen auch schwere Entscheidungen treffen, aber sie ist klug und liebevoll. Bei ihr steht stets das Wohl der Familie im Vordergrund. Als die Schönaus kein Geld mehr haben, arbeitet sie sogar ohne Lohn. Sie hat mich überaus beeindruckt und mit ihrem schrägen Dialekt, den die Autorin so herrlich geschrieben hat, ist sie mir fast sofort ans Herz gewachsen – und dass, obwohl ich diesen Dialekt gar nicht mag. Ich hörte sie jedoch förmlich im Ohr, wann immer sie etwas sagte. Von Mathilde hatte ich ein sehr klares Bild vor Augen.

Charlotte ist schon ein recht besonnenes Kind, das ihre jüngere Schwester Dorchen hin und wieder bremsen muss, denn Dorchen ist demgegenüber ein Wirbelwind, fast draufgängerisch. Das ändert sich auch nicht, als aus den Kindern junge Mädchen und später junge Frauen werden. Auch hier gibt es wieder eine Situation, die so nachvollziehbar und herzerweichend war, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Eines Nachts vergriffen sich Dorchen und Charlotte an den Wintervorräten um sich einmal satt zu essen. Ich konnte es so gut verstehen, hatten sie doch immer Hunger. Hier war Dorchen die treibende Kraft und Charlotte wollte sie davon abhalten, aber der Hunger war stärker. Am nächsten Morgen hatten sie ein schlechtes Gewissen, doch weder Mathilde noch Luise haben sie dafür bestraft. Es war so unglaublich emotional und hallt so tief nach, dass ich selbst am Gemüseregal beim örtlichen Kaufmann an sie denken musste, weil Steckrüben – die von allen gehasst wurden, weil es das Einzige war, was es zu essen gab – gerade im Angebot waren.

Diese Charaktere können nur als Beispiele dienen. Man muss das Buch lesen um jeden von ihnen kennenzulernen. Und es ist ganz klar, den einen mag man, den anderen nicht. Dazu verändern sich die Charaktere im Laufe der Zeit zum Teil drastisch vor dem Hintergrund des persönlichen Schicksals und der politischen Lage. Manche Veränderung ist überaus angenehm, andere sind erschreckend. Und eben diese Veränderungen machen die Geschichte lebendig, lassen den Leser Verständnis, Widerwillen, vielleicht auch Zuneigung fühlen – ja fühlen! Die Charaktere berühren einen unweigerlich!

Schreibstil:
Heike Wolfs Schreibstil ist brillant! Sie schreibt bildgewaltig ohne sich in Details zu verlieren, sie lässt das Leipzig (und alle anderen Orte) Anfang des 20. Jahrhunderts glaubhaft vor dem inneren Auge auferstehen; sie zeigt es dem Leser und spricht nicht nur darüber. Den Ausspruch „Don’t say, show it!“ befüllt die Autorin mit Leben!

Wenn ich einen Roman lese, in dem ich Dinge finde, die zu einem bestimmten Landstrich gehören, finde ich das überaus charmant. Auch Heike Wolf hat solche Schmankerl genutzt. So nennt Wilhelm Charlotte liebevoll „mein Modschekiebschn“ (mein Marienkäfer). Es drückt so viel mehr aus als herkömmliche Sätze.
Wilhelms Liebe zu Goethe verpackt die Autorin geschickt in Dialogen, in denen er sich gern bestimmter Goethe-Zitate bedient und in liebevollen Neckereien in der Familie, wenn er es nicht tut. Und der Familienhund heißt sicherlich auch nicht umsonst Mephisto.

Einen Zeitsprung von 1918 nach 1922 schreibt Heike Wolf sehr geschickt, indem sie die Trennung der Ereignisse durch eine Passage in 1989 herbeiführt, in der die fast 80jährige Charlotte ihrer Großnichte aus dieser Zeit berichtet. So bleibt nichts auf der Strecke und dennoch kann diese Geschichte gekonnt unterbrochen und an anderer Stelle weiter geführt werden.

Der Leser des ersten Teils muss sich darauf gefasst machen, dass er den zweiten Teil unbedingt lesen will. Es bleiben nämlich Fragen offen, deren Antwort man nicht ohne weiteres selbst herleiten kann. Heike Wolf macht neugierig auf mehr und das auf eine sehr charmante Art und Weise – mit kleinen Andeutungen, die eben die Lust auf Teil 2 wecken.

Historischer Hintergrund:
Ich weiß, dass die Autorin stets gründlich recherchiert. Insofern ist der historische Hintergrund nachvollziehbar und belegt. Dennoch steht dieser nicht im Vordergrund, sondern ist stets die Kulisse für die Geschichte, die die Autorin erzählt. Fakten werden nicht oberlehrerhaft präsentiert sondern vielmehr in die Geschichte verwoben – ganz so, als sind sie ein Teil von ihr. Es macht auf diese Art und Weise viel Spaß nicht nur die Geschichte der Familie Schönau zu lesen sondern ganz nebenbei auch noch etwas zu lernen.

Fazit:
Ein großartiges Buch, das mich als Leser alle Emotionen, derer ein Mensch fähig ist, durchleben ließ. Es hat mich zu Tränen gerührt und mit einer Wärme für einige Charaktere erfüllt, die unglaublich ist. Der zweite Teil ist Pflichtlektüre, denn es bleiben einige Fragen für diesen zweiten Teil übrig – gekonnt offen gelassen! Must read – nicht nur für Fans von historischen Romanen! 5 von 5 Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2020

Hm… was soviel heißt wie „großartig“

Snöfrid aus dem Wiesental (1). Die ganz und gar unglaubliche Rettung von Nordland
0

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um das Erste über den etwas grummeligen, auf jeden Fall aber sprechfaulen Snöfrid aus dem Wiesental, der eigentlich am liebsten seine Ruhe hat. Fakt ist, dass ...

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um das Erste über den etwas grummeligen, auf jeden Fall aber sprechfaulen Snöfrid aus dem Wiesental, der eigentlich am liebsten seine Ruhe hat. Fakt ist, dass man alle Bücher unabhängig voneinander lesen kann. Wer jedoch den Snöfrid noch nicht kennt, fängt wohl besser mit diesem Teil an… Der kleine Kerl, der das Cover ziert, hat mein Herz quasi im Sturm erobert und mit ziemlicher Sicherheit hätte ich im Buchladen zugegriffen und nach dem Studium des Klappentextes und der ersten Seiten das Buch mitgenommen.
Das Buch besteht aus 30 relativ kurzen Kapiteln, von denen jedes mit einer zusammenfassenden Überschrift überschrieben ist. Es kann in einem Rutsch oder auch kapitelweise gelesen werden und ist geeignet z.B. als Gute-Nacht-Lektüre gelesen zu werden.

Worum geht’s?
Der Snöfrid rettet mehr zufällig einem Feenmännchen das Leben und fortan stehen beste Sahne für seinen Haferbrei und Brennholz für seinen Ofen bereit, wann immer der Snöfrid seine Höhle verlässt. Zunächst hält er dies für einen Zufall, bis es eines Tages an seiner Tür klopft – und das auch noch bei Dunkelheit. Snöfride lieben ihre Ruhe, sie gehen bei Dunkelheit schlafen und sie reden überhaupt nicht gern. Aber hier macht der Snöfrid, aus ihm selbst unerfindlichen Gründen, eine Ausnahme und findet sich kurze Zeit später in einem überhaupt nicht ruhigen Abenteuer wieder, in dem ihm viele seltsame Gestalten begegnen, er eine Prinzessin und eigentlich ein ganzes Land retten muss und einen Freund findet…

Charaktere:
Ich liebe Snöfrid! Eigentlich ist er ja ein ganz ruhiger Geselle, der es überhaupt nicht leiden kann, wenn etwas oder jemand seine Ruhe stört. Da er nicht gern spricht, ist sein meist gebrauchter Satz „Hm“… Gut, dass der Erzähler der Geschichte meistens weiß, was das genau bedeutet. Und so hmt sich Snöfrid auf direktem Weg in das Herz seiner kleinen und großen Leser. Darüber hinaus ist ein Snöfrid alles andere als dumm und so ist er der genau richtige Held und Abenteurer für eine Geschichte wie diese. Man muss ihn einfach mögen, mit ihm mitfiebern und bangen und sich die ganze Zeit fragen, ob er am Ende das Nordland retten kann.

Auch alle anderen Figuren sind liebevoll geschrieben mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten und Eigenarten. Das Schöne an diesen Figuren ist, dass es dem Autor gelingt dem Leser das Gefühl zu geben, dass keine dieser Figuren fehlen darf. Jede ist ebenso wichtig wie die Andere – egal wie groß oder klein sie ist.

Schreibstil:
Andreas H. Schmachtl bedient sich eines ganz eigenen Schreibstils – er erzählt! Und zwar so, als würde der Leser ihm gerade in diesem Moment gegenüber sitzen und ihm zuhören. Er spricht seine Leserschaft direkt an und er erzählt seine Geschichte so, als hätte er sie vor kurzem gerade selbst erlebt. Oder anders gesagt, sie wurde ihm erzählt, von jenen, die dabei waren bzw. es wissen müssen, wie es wirklich war und er erzählt sie nun weiter. Ich finde diese Art der Erzählung großartig, sie macht diese Geschichte überaus lebendig und man fühlt sich selbst mittendrin.
Überdies hat er Wortkreationen entwickelt, die möglicherweise von einem Kind stammen können. Dummerdings ist so ein Wort, das man im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht als alltäglich empfindet. Auch nutzt er die Verneinung. Etwas ist eben NICHT so… Darüber hinaus bringt der Autor kleine Details, über die er früher im Buch erzählte, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Erinnerung, womit er es schafft den Leser in der Geschichte zu halten, denn auch hier spricht er den Leser direkt an z.B. mit Formulierungen „… wie wir ja bereits wissen“ oder er kündigt etwas an mit Formulierungen wie „… aber darauf kommen wir später zurück.“
Seine Geschichte erzählt er spannend und nimmt sich auch die Zeit, Dinge zu erklären, ohne dass es oberlehrerhaft wirkt. So lernt der Leser z.B. warum Rentiere im Schnee gut laufen können, wohingegen der Snöfrid so seine Probleme damit hat.

Am Ende des Buches hatte ich ein bisschen das Gefühl, dass sowohl „Der Herr der Ringe“ als auch „Harry Potter“ als Inspiration für diese Geschichte gedient haben können. Es gibt einige Parallelen, die diesen Schluss zulassen. Aber trotz dieser Parallelen ist und bleibt Snöfrid eine Kindergeschichte, die überhaupt nichts Gruseliges an sich hat, dafür aber jede Menge Abenteuer und Heldentum.

Illustrationen:
Die Illustrationen sind liebevoll gezeichnet. Sie nehmen keinen furchtbar großen Raum im Buch ein, aber sie sind so platziert und gestaltet, dass sich der kleine wie der große Leser eine Vorstellung davon machen kann, was sich der Autor dabei gedacht hat. Durch z.B. große, runde Nasen werden Figuren niedlich und damit liebenswert. Selbst die schrecklichen Trolle sind in der Illustration nicht angsteinflößend. Mir gefallen die Bilder und oft genug musste ich sie mir etwas genauer anschauen, während ich die Geschichte las. Auf den oberen 1 bis 2cm einer jeden Seite wiederholt sich ein Bild vermutlich von Wiesental – das Zuhause des Snöfrid. Damit erscheinen die Seiten bunt, kindgerecht, aber nicht überfrachtet mit Bildern. Der Text überwiegt, was mir sehr gefällt.

Eignung für Kinder:
Die Geschichte ist perfekt geeignet – sowohl für jene, die sie sich vorlesen lassen, als auch jene, die bereits selbst lesen können. Der Umfang des Buches könnte für jüngere Leser noch etwas einschüchternd sein, sodass sich ein gemeinsames Lesen anbietet, aber ich denke spätestens am dem 3. Lesejahr sollte diese Geschichte auch allein gelesen werden können. Das gemeinsame Lesen könnte jedoch den Spaß an der Geschichte deutlich erhöhen.

Fazit:
Eine tolle Geschichte mit Parallelen in die Welt vom „Herrn der Ringe“ und „Harry Potter“, eine Geschichte voller Abenteuer und Heldentum und ganz viel Spaß beim Lesen und Vorlesen. Eine Kindergeschichte, die einfach gut ist! 5 von 5 Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.01.2020

Eine wundervolle Geschichte zwischen Fiktion und historischer Realität.

Ferne Wolken
0

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um den ersten Teil der dreiteiligen Familiensaga um die Familie Allender, das die Jahre 1831 bis 1861 umfasst. Insgesamt wird die Saga über 100 Jahre berichten. ...

Das Buch:
Es handelt sich bei diesem Buch um den ersten Teil der dreiteiligen Familiensaga um die Familie Allender, das die Jahre 1831 bis 1861 umfasst. Insgesamt wird die Saga über 100 Jahre berichten. Das Cover des Buches hebt sich von denen der heute gängigen für historische Romane wunderbar ab. Ein Grund, weshalb ich im Buchladen mit Sicherheit zugegriffen hätte um mir den Klappentext durchzulesen. Ich bedanke mich bei Heike Wolf für die Möglichkeit, dass ich dieses Buch in einer überaus lebhaften und informativen Leserunde lesen durfte.

Worum geht’s?
Frances und Alistair Allender haben sich in Carlyle ein florierendes Handelsgeschäft aufgebaut und insgesamt 5 Kinder großgezogen, welche aus unterschiedlichen Gründen über die Vereinigten Staaten verteilt leben. Während Malcolm gemeinsam mit seiner unverheirateten Schwester Aileen in Philadelphia lebt, führt Hamish in Mississippi eine große Baumwollplantage und Duncan, der seine Freiheit und das einfache Leben über alles liebt, lebt in Texas. Nur Graham blieb in Carlyle und übernimmt das Geschäft der Familie und führt damit die Familientradition fort. Während eines Familienfestes lernt er Natalya, die Tochter russischer Einwanderer, kennen und verliebt sich in sie. Aus der Ehe der beiden, die Natalya nicht wollte, gehen die Kinder Maurice, Stuart und Claire hervor.

Während der Erstgeborene Maurice alle Liebe, derer seine Mutter fähig ist, genießt, ist Stuart das ewig ungewollte Kind, welches von seiner Mutter stets kritisiert, geschlagen und abgeschoben wird. Trotz aller Schwierigkeiten zwischen Natalya und Stuart entwickelt er sich großartig zu einem stattlichen, intelligenten jungen Mann, der viele gute Eigenschaften seiner Familie in sich vereint.

Charaktere:
Im Mittelpunkt dieses Auftaktromans stehen Natalya und Stuart. Beide Charaktere sind brillant geschrieben und der Leser kommt nicht umhin Natalya in weiten Teilen zu verabscheuen und unbändige Sympathie und Mitgefühl für Stuart zu entwickeln, der von Anfang an von Natalya einfach gar keine Chance bekam. Oftmals habe ich mich gefragt, wie ein Mensch so grausam sein kann, so ungerecht und berechnend wie es Natalya ist. Darüber hinaus ist Graham kein guter Vater. Nicht nur, dass er seine Kinder nicht vor ihrer Mutter beschützt, er beachtet sie gar nicht und so ist Stuart besser aufgehoben, wenn er nicht zu Hause lebt. Und er lebt eigentlich nie zu Hause – oder immer nur für kurze Zeit. Was zunächst aussieht wie ein Nachteil in seinem Leben, stellt sich zum Ende des Buches jedoch wie DER Vorteil dar. Stuart hat in sehr jungen Jahren bereits vieles von der Welt gesehen, hat unter dem Einfluss unterschiedlichster Menschen, die ihm zumeist wohlgesonnen waren, gelebt und konnte so seine Fähigkeiten entwickeln. Allerdings ist auch klar, dass er zumindest in seinen Kinder- und Jugendjahren Schwierigkeiten mit Autorität hat. Wie sich dies im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelt, bleibt abzuwarten, denn immerhin bricht 1861 der Sezessionskrieg aus, in den auch Stuart ziehen muss.

Alle anderen Charaktere – selbst Nebenfiguren – sind ebenso vielschichtig geschrieben. Der Autorin gelingt es dem Leser das Gefühl zu geben, die Figuren zu kennen, bei manchen sogar ein Gefühl der Freundschaft zu entwickeln. Jedenfalls ging es mir so. Da sie jeweils nicht zu viele Schauplätze gleichzeitig wählt, ist es möglich, sich auf die Figuren, die gerade agieren, einzulassen, sich mitreißen zu lassen von ihren Schicksalen, Freude, Wut oder auch Mitleid zu empfinden. Nicht nur einmal konnte mich Heike Wolf derartig emotional packen, dass ich mich fühlte, als wäre ich selbst mitten drin im Geschehen.

Neben Stuart und Natalya ist mir Duncan besonders ans Herz gewachsen. Ihn muss man einfach mögen. Er ist der Onkel, den sich jeder wünscht, der einen so sein lässt, wie man eben ist – mit allen positiven und negativen Eigenschaften. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und lässt jedem seine eigenen Entscheidungen. Er hat seine Meinung, tut diese auch kund, respektiert aber dennoch stets sein Gegenüber.

Historische Fakten:
Der historische Hintergrund dieser wunderbaren Geschichte ist belegt. Die Fakten kann der Leser im Internet nachlesen. Allerdings ist es deutlich spannender, bunter und nachhaltiger, den Roman zu lesen, in dem die kalten Fakten mit Leben gefüllt werden. So ist es deutlich emotionaler, wenn Frauen über ihren Verlust in Kriegen berichten, als wenn man im Internet liest, dass ein Krieg stattgefunden hat. Darüber hinaus hat Heike Wolf auf ihrem eigenen Blog die eine oder andere zusätzliche Erklärung eingestellt – so z.B. wie sich das Gesicht von Philadelphia während der von ihr gewählten Zeit verändert. Diese Veränderung greift sie in ihrem Roman ebenso auf wie das Zustandekommen des Sezessionskrieges und viele andere Informationen, die wir aus der Geschichte der Vereinigten Staaten heute kennen.
Die Historie verarbeitet sie so geschickt z.B. in Dialogen der Figuren, dass der Leser zu keiner Zeit das Gefühl hat, eine Abhandlung über die Zeit zu lesen, sondern stets mitten im Geschehen ist und so entsteht eine Verschmelzung von Fiktion und historischer Realität.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und sehr angenehm zu lesen. Ich dachte einmal, sie schreibt echt mit Stil. Damit meine ich, dass sie ihre Formulierungen der Tatsache anpasst, dass die Familie Allender zur gehobenen Gesellschaft dieser Zeit gehört. Nicht nur ihre Figuren sprechen so, nein auch ihre Erzählung über die Familie ist ebenso formuliert. Allein dieser Umstand versetzt den Leser in die passende Gesellschaftsklasse und die historische Zeit. Zwar weiß ich nicht, wie zur damaligen Zeit – im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten – gesprochen wurde, aber die eigene Vorstellung ist geprägt von Filmen und anderen Büchern. Dorthinein passt der Schreibstil aus meiner Sicht perfekt. Auch dass Figuren aus der unteren Gesellschaftsschicht anders sprechen als aus der gehobenen Klasse, unterstreicht dieses Indiz.

Die Geschichte ist zu jeder Zeit spannend, hält den Leser im Geschehen. Es gibt keine Längen, keine langweiligen Zeiten. Darüber hinaus weiß der Leser zu jeder Zeit, wann die Geschichte wo erzählt. Gerade in großen Familiengeschichten, die über lange Zeiträume und an vielen Orten spielen, ist es schwierig den Überblick zu behalten, wer wie alt ist, in welchem Jahr wir uns befinden und an welchem Ort. Dies hat die Autorin großartig gelöst, indem sie diese Informationen unauffällig immer wieder einstreut und so die ständige Orientierung gegeben ist.

Die Beschreibungen der unterschiedlichen Örtlichkeiten, Zeiten, Personen gelingt der Autorin durch die exzellente Auswahl von Adjektiven, die dazu führen, dass sich während des Lesens Bilder im Kopf aufbauen können. So habe ich mir z.B. Natalya als eine bildschöne Frau vorgestellt, die dennoch eine unnahbare und kalte Ausstrahlung hat.

Fazit:
Als ich die letzte Seite gelesen hatte, kam es mir vor als müsste ich Abschied von lieb gewonnenen Freunden nehmen und von einer furchtbaren Giftspritze, ohne die das Buch aber gar nicht auskäme. Ich werde die Allenders vermissen... bis es im Frühjahr weiter geht. Wer „Fackeln im Sturm“ oder „Vom Winde verweht“ mochte, wird dieses Buch lieben! 6 (wenn ich könnte) von 5 Sternen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.12.2019

Japanische Geschichte trifft Hamburger Drogenmilieu

Inspektor Takeda und der leise Tod
0

Das Buch:
Dies ist der zweite Teil der Reihe um den japanischen Inspektor Kenjiro Takeda, der, bedingt durch ein Austauschprogramm der Hamburger und der Tokioter Polizei, in Hamburg ermittelt. Dieser ...

Das Buch:
Dies ist der zweite Teil der Reihe um den japanischen Inspektor Kenjiro Takeda, der, bedingt durch ein Austauschprogramm der Hamburger und der Tokioter Polizei, in Hamburg ermittelt. Dieser Roman kann unabhängig von seinem Vorgänger gelesen werden. Ich war vom ersten Teil äußerst angetan und entsprechend hoch waren meine Erwartungen. Sie wurden nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil, Henrik Siebold hat in Sachen japanische Tradition und Geschichte noch einen drauf gepackt.

Worum geht’s?
Claudia Harms und Kenjiro Takeda werden zu einem Fall von Kindsmord im Osdorfer Born, einem eher ärmlichen Viertel in Hamburg, gerufen. Am Fuße eines Hochhauses liegt ein kleiner Junge – tot. Die hinzugerufene Gerichtsmedizinerin kann den Kleinen sofort identifizieren – er war zu Lebzeiten bei ihr, da der Verdacht auf Kindesmisshandlung bestand. Wie es aussieht, ist der Fall schnell geklärt. Aber ist er das wirklich?
Kurz darauf stirbt Markus Sassnitz, ein Geschäftsmann aus der HafenCity, dem hochmodernen neuen Hamburger Viertel. Er wird von einem Auto überfahren, entkleidet und nackt auf der Straße liegen gelassen. Dieser Fall ist deutlich undurchsichtiger und vor allem, was hat er mit dem anderen Fall zu tun?
Claudia und Ken entdecken bei ihren Ermittlungen einen Drogensumpf, tauchen ein in windige Geschäfte und blicken in hoffnungslose Seelen.

Charaktere:
Wer den ersten Teil gelesen hat, wird Claudia und Ken bereits in sein Herz geschlossen haben. Wer in diesen Teil einsteigt, wird sie sicher bald mögen. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, haben sie viele Gemeinsamkeiten. Sie lassen sich gern auf den jeweils anderen ein (Ken mag deutsche Frauen und lernt von Claudia z.B. zu fluchen und seine Obrigkeitshörigkeit zu minimieren), trinken gern mal ein Glas zu viel, schlagen sich die Nächte um die Ohren – sowohl mit der Arbeit als auch privat, mal getrennt voneinander, mal gemeinsam – und nehmen es nicht so genau mit ihren Affären.

Letzteres wird Ken diesmal beinahe zum Verhängnis, weil er ausgerechnet eine Affäre mit Frau Sassnitz – der Ehefrau des Opfers – beginnt. Dies erscheint nicht nur makaber sondern auch tatsächlich überaus unprofessionell – was völlig untypisch für Ken ist. Vor sich selbst rechtfertigt er diese Affäre damit, dass ER ja weiß, dass sie nicht die Mörderin war. Ob Claudia das auch so sieht?

Die beiden Protagonisten sind vielschichtig beschrieben. Je länger man in die Geschichte eintaucht, desto plastischer erscheinen sie. In meinem Kopf sind sie inzwischen beinahe so lebendig, dass sie eigene Stimmen bekommen haben. Die Dialoge der beiden sind einerseits tiefgründig und authentisch, andererseits oftmals gefärbt von einer ordentlichen Prise Humor – insbesondere dann, wenn sie wieder einmal auf Handlungsweisen des jeweils Anderen treffen, die für sie selbst so wenig nachvollziehbar sind.

Claudia und Ken unterscheiden sich extrem in ihrer persönlichen Ruhe. Während Ken stets in sich zu ruhen scheint, ist Claudia eher der laute Typ, der niemals wirklich still sein wird. Wenn Ken die Verdächtigen verhört, wird Claudia irre, weil es ihr viel zu lange dauert. Sie hingegen ist gerade heraus und will möglichst jedes Ergebnis sofort. Beide haben Erfolg mit ihren Methoden – es hängt nur vom Verdächtigen ab. Gerade deshalb ergänzen sie sich so großartig.

Auch alle anderen Charaktere sind sehr authentisch gezeichnet und absolut verschieden – eben so individuell wie im wahren Leben. Dem Autor gelingt es, jeden seiner Charaktere in einem Kopfbild auferstehen zu lassen.

Schreibstil:
Der Schreibstil ist gewohnt flüssig und lässt es zu, sich auf die Geschichte zu konzentrieren. Erklärungen sind in die Geschichte verwoben und fallen somit kaum auf – es scheint, als gehören sie in die Geschichte hinein wie jede andere Beschreibung auch.

Örtlichkeiten und Situationen stellt Siebold so dar, dass man sich die Dinge gut vorstellen kann, ohne dass er dabei all zu detailverliebt daher kommt. Sogar Gerüche und Geräusche kann man beim Lesen beinahe wahrnehmen. Er beherrscht dieses „Don’t say, show!“ absolut großartig.

Die beiden Kriminalfälle sind eher unblutiger Natur, fast könnte man sagen, es handle sich hierbei um einen Cosy Crime, da der Werdegang des Krimis eher gemächlich ist – aber eben nur fast, es bleibt ein handfester Krimi. Die beiden Fälle sind großartig konstruiert, mit vielen falschen Fährten und erst ganz zum Schluss wird der wahre Täter bekannt. Die Fälle leben von Wendungen, die man als Leser nicht erwartet und lange Zeit war ich auf einer völlig falschen Spur. Ich hatte ernstlich geglaubt, den Täter entdeckt zu haben… Was für ein Irrtum. Die Auflösung wird letztlich in einem Dialog präsentiert, der durchaus so oder so ähnlich passieren könnte, denke ich.

Siebold schreibt aus zwei Perspektiven – Claudias und Kens – da die beiden häufiger unabhängig voneinander ermitteln. Somit entstehen – eben durch die Unterschiedlichkeit der beiden – recht verschiedenartige Blickwinkel auf den Fall, die Stadt, die Verdächtigen. Während es Claudia oftmals nur mit Logik versucht, lässt Ken durchaus auch seine Erfahrung und sein Bauchgefühl einfließen. So kann es passieren, dass Verdächtige auf beide Protagonisten völlig unterschiedlich reagieren und auch der Leser einen sehr differenzierten Eindruck bekommt.

Tradition / Historie / Fakten:
Mithilfe seiner Protagonisten vermittelt Henrik Siebold seinem Leser ein großes Maß an Information, ohne dass dieses wirkt, als würde er seinen Leser belehren wollen. So wird z.B. die japanische Teezeremonie immer wieder in die Handlung einbezogen; Claudia lernt sogar ein paar Brocken Japanisch um dieser auch würdig beiwohnen zu können. Die Erklärung erfolgt nicht oberlehrerhaft sondern erklärt sich aus der Handlung selbst.

Dieser Kriminalfall ist u.a. im Hamburger Drogenmilieu angesiedelt – im Speziellen geht es um Chrystal Meth. Der Urvater dieser Droge ist ein Japaner. Auch diese Information ist geschickt und etwas ausführlicher in der Geschichte verwoben. Um ihre Echtheit zu „prüfen“, habe ich im Internet gesucht und tatsächlich wurde dieses Faktum bestätigt. Es gibt ein gutes Gefühl, wenn man als Leser bemerkt, dass die angeführten Fakten der Wahrheit entsprechen. So fällt es leicht auch alles andere zu glauben.

Die Fakten über Hamburg sind in gleicher Art recherchierbar. So beschreibt Siebold die völlig konträren Stadteile Hamburgs mit einer Präzision und unter Einsatz treffender Adjektive. Natürlich kenne ich als Hamburger diese Stadtteile, dennoch glaube ich, dass sich auch jeder andere den armen Osdorfer Born und das reiche Nienstedten vorstellen kann.
Was mir besonders daran gefällt, ist der Umstand, dass Siebold diese Stadtteile vorurteilsfrei beschreibt. Er lässt seinen Figuren zwar den Raum sich selbst zu sagen, dass sie dort nicht wohnen wollen würden, aber er überlässt es dem Leser sich ein eigenes Bild zu machen. Wie oben schon gesagt: Der Autor zeigt dem Leser, was er meint und präsentiert keine vorgefertigte Meinung.

Mir gefällt es ausgesprochen gut, in einem Kriminalfall solch interessante und vor allem reale Fakten zu finden. Sie machen den Fall selbst um einiges authentischer. Darüber hinaus liegt es vielleicht auch im Lebenslauf des Autors begründet, dass sein Ken so realitätsnah daher kommt. Immerhin lebte Siebold selbst in Japan.

Fazit:
Ein gelungener Hamburg-Krimi, der dem Leser nicht nur Spannung sondern auch eine gehörige Portion Geschichte und Tradition zeigt. Eigenwillige Protagonisten und klug konstruierte Fälle, deren Auflösung sich erst am Ende zeigt, sorgen für Lesespaß bis zur letzten Seite. Ein must read für Fans von Regionalkrimis.
5 von 5 Sternen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere