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Veröffentlicht am 09.05.2020

Geschichten zum Nachdenken

Wenn man vom Teufel spricht
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„Wenn man vom Teufel spricht“: Heinz Rudolf Kunze spricht in seinem neuen Buch über Politik, Heimat, die Liebe, das Altern und – den Teufel. Und das auf ganz unterschiedliche Weise.

Heinz Rudolf Kunze ...

„Wenn man vom Teufel spricht“: Heinz Rudolf Kunze spricht in seinem neuen Buch über Politik, Heimat, die Liebe, das Altern und – den Teufel. Und das auf ganz unterschiedliche Weise.

Heinz Rudolf Kunze ist ein Vielschreiber. Fast täglich entsteht ein neuer Text. Viele seiner Texte aus den vergangenen Jahren hat er nun in seinem neuen Buch „Wenn man vom Teufel spricht“ veröffentlicht. Die Texte sind nach dem Entstehen gegliedert, sodass man bei jedem Text neu überrascht wird, welches Thema angesprochen wird.

Politisierende Texte wechseln sich ab mit grotesk anmutenden, alberne Geschichten mit anklagenden Statements, Kurzgeschichten mit überraschenden Pointen mit lyrischen Texten. Mal sind Kunzes Texte gefühlvoll, mal ironisch-distanziert. Heinz Rudolf Kunze erweist sich als kritischer Denker, der Spaß daran hat, seinen Leser auch mal in die Irre zu schicken. „Man möchte doch auch ein bißchen rotieren, wo doch gerade alle durchdrehen“, heißt es in einer seiner Geschichten.

Neben dem Blick in die Welt blickt Kunze immer wieder auch auf sich selbst, thematisiert den Umgang mit seinem Erfolgshit „Dein ist mein ganzes Herz“, vor allem aber: die Liebe. Die Liebe, schreibt Kunze, sei wie ein Pianist, der einem einzigen angeschlagenen Ton nachhört, „sein Ohr an den Körper des Konzertflügels hält und diesem Ton nachlauscht“. Und das für immer.

Als weiteres Lebensthema Kunzes erweist sich das Altern. Wehmütig blickt er auf das Vorrecht der Jugend zurück, „alte Fehler zu begehen“. Wehmütig und voll Neid. Glaubt man ihm, wenn er schreibt, im Alter lächle man über die „Irrtümer der eigenen Vorzeit“? Vielleicht ein bisschen. Schließlich weiß man, dass Kunzes Brille keine Gläser hat.

Um die Musik geht es Kunze selten. Und wenn, dann nur mit Seitenhieben: „Musiker auf Partys sind echt das Letzte“ heißt es in einem seiner Texte.

Kunzes Mischung zweihundert kurzer Texte – die meisten sind nicht länger als gut eine Seite – lädt dazu ein, als Gutenachtlektüre immer mal wieder drin zu schmökern.

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Veröffentlicht am 26.03.2020

Lyrik 1942-1967

Liebe: Dunkler Erdteil
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Ingeborg Bachmanns Gedichte erschließen sich nicht leicht. Man muss Zeit mitbringen, will man sie lesen. Daher ist es kein Fehler, nicht gleich zur Werkausgabe zu greifen, sondern zu den kleineren Teilbänden, ...

Ingeborg Bachmanns Gedichte erschließen sich nicht leicht. Man muss Zeit mitbringen, will man sie lesen. Daher ist es kein Fehler, nicht gleich zur Werkausgabe zu greifen, sondern zu den kleineren Teilbänden, die der Piper-Verlag herausgegeben hat. „Die gestundete Zeit“, „Anrufung des Großen Bären“ und „Liebe: Dunkler Erdteil“ sind die Titel dieser Ausgaben. Die Gedichte basieren – mit den Anmerkungen – auf den Werkausgaben. Nimmt man die Teilbände zur Hand, hat man beim Lesen der Gedichte nicht so sehr den Eindruck, so gar nicht voranzukommen.

„Liebe: Dunkler Erdteil“ beinhaltet Gedichte der österreichischen Schriftstellerin aus den Jahren 1942-1967. Die Gedichte des Bandes sind zeitlich geordnet, sodass man den Versuch machen kann, eine Entwicklung zu erkennen. Mir ist das allerdings nicht gelungen. Vielleicht geht es in den Jugendgedichten mehr um die Selbstfindung durch Befreiung und den eigenen Ort in der Welt, in den Gedichten von 1948-1953 stärker um die eigene, menschliche Identität, später dann mehr um die Natur, während es in ihren letzten Gedichten von 1964 bis 1967 vorwiegend um das Schreiben als solches und um die Heimat geht – auch um die Heimat in Worten.

Unabhängigkeit und Ungebundenheit gehören zu den Themen der ersten Gedichte. „Sklaverei ertrag ich nicht“ heißt es in Bachmanns frühem Gedicht „Ich.“. „Eine einzige Stunde frei sein“ ist die Forderung in „Nach grauen Tagen“. Überhaupt ist Bitterkeit ein immer wiederkehrendes Motiv der frühen Gedichte. Nur selten verwandelt es sich wie in „Aufblickend“, wo das lyrische Ich „in sich greift“ und sich als „wert“ bezeichnet, weil es dem Strom gleich sich auf den Weg macht zum Meer. Zumeist ist nur die Hoffnung nach „Licht“ sichtbar.

Hoffnungsfroh geht es auch in den Gedichten zwischen 1948 und 1953 nicht zu. Was allein Hoffnung macht ist die Erkenntnis: „wir sind nicht zum Bleiben gezwungen“. Die Menschen sind untereinander entfremdet, die Welt alles andere als harmonisch. Später entsteht als Gegenbild das der Natur. Ob in „Freies Geleit“ oder in „Liebe: Dunkler Erdteil“: Bachmanns Gedichte werden immer mehr auch zu Lobgesängen auf die Natur.

Niederdrückend, ja geradezu erdrückend wirken die letzten Gedichte Bachmanns. Zwar ist das Thema des Todes, des „Mörders Zeit“, zwischen den Zeilen überall bei Bachmann präsent und damit verbunden auch eine ihr eigene Religiosität, doch in ihren letzten Gedichten stellt Bachmann immer stärker Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit in den Vordergrund. Zu schreiben? Vergeblich. „Mein Teil, es soll verloren gehen“, so endet Bachmanns Gedicht „Keine Delikatessen“.

Vielleicht gibt es sie tatsächlich, die Entwicklung in Ingeborg Bachmanns Werk. Eher aber sehe ich Themen, die immer wieder kommen. Deshalb lassen sich die Gedichte gut miteinander in Beziehung setzen. Wenn in dem Gedicht „Nach grauen Tagen“ „von der Bitterkeit langer Nächte“ die Rede ist und dies in den Wunsch mündet „Eine einzige Stunde Licht schauen“, so sagt das lyrische Ich in dem Gedicht „Aufblickend“ von sich, es sei „erniedrigt, bitter und lichtlos“.

Überhaupt die Metaphern. Man muss sich in sie hineinfinden. Sie sind zunächst so fremd wie etwa der Wunsch, Licht zu trinken. „Am Kaminfeuer […] hatte mein Haar seine äußerste Farbe“ – das ist keine Metapher, die man einfach so runterliest. Sie sind es vor allem, die die Gedichte Bachmanns, die mit 47 Jahren 1973 in Rom verstarb, so hermetisch machen. Man braucht Zeit, den „Mörder Zeit“, für Bachmanns Gedichte.

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Veröffentlicht am 08.03.2020

Der Aal - ein rätselhaftes Wesen

Das Evangelium der Aale
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Aale sind nicht nur faszinierende, sondern auch zutiefst geheimnisvolle Tiere. Davon kann man sich überzeugen, wenn man Patrik Svenssons Buch „Das Evangelium der Aale“ liest.

Es ist ein Buch, das sich ...

Aale sind nicht nur faszinierende, sondern auch zutiefst geheimnisvolle Tiere. Davon kann man sich überzeugen, wenn man Patrik Svenssons Buch „Das Evangelium der Aale“ liest.

Es ist ein Buch, das sich auf zwei Ebenen abspielt: Einmal erzählt der Erzähler aus seiner Kindheit, wie er mit seinem Vater Aale fing. Dazwischen sind immer Kapitel eingeflochten, die Sachbuch-Charakter haben und – chronologisch – die wissenschaftliche Erkundung des Aals beleuchten. Svenssons Stil lässt sich am ehesten als essayistisch beschreiben.

Etwas hölzern wirkt der Stil nur dann, wenn Svensson sich bemüht, beide Ebenen miteinander zu verknüpfen. Wenn etwa bei Freud von der Sexualität der Aale auf Freuds Sexualität Bezug genommen ist, dann wirkt das zutiefst gewollt. Unfreiwillig komisch ist dies, wenn bei Johannes Schmidt, ein dänischer Forscher, der als erster den Laichplatz der Aale bestimmte, Svensson fast schon enttäuscht wirkt, dass Schmidt wohl einfach nur wissenschaftlichen Ehrgeiz hatte und die Suche nach dem Laichplatz nicht mit Schmidts Suche nach dem eigenen Ursprung in Verbindung gebracht werden kann.

Überwiegend aber ergänzt sich Theorie (also Wissenschaft) und Praxis (also Erzählung). Es ist nicht weniger interessant, wenn in der Erzählung die Fangmethoden beschrieben werden oder wenn in der Theorie die umfassende Expedition zur Suche nach dem Laichplatz der Aale beschrieben wird. Auch Exkursionen wie die, ob man als Mensch überhaupt das Leben von Tieren beschreiben kann, ergänzen die wissenschaftliche Sicht.

Überhaupt ist es überraschend, wie spannend es sein kann, darüber zu reden, was man alles nicht weiß vom Aal, diesem rätselhaften Tier. Man weiß weder den genauen Laichplatz, noch wie er sich fortpflanzt. Man weiß nicht, wie er den Weg in die Sargassosee findet, noch, warum er sich nur dort fortpflanzt. Unbekannt ist, warum sich Aale in Gefangenschaft nicht fortpflanzen. Ebenso unbekannt ist, warum Aale sich in verschiedenen Metamorphosen weiterentwickeln – von der Larve zum Glasaal, vom Glasaal zum Gelbaal, vom Gelbaal zum Blankaal. Wie alt Aale werden ist ebensowenig umfassend erforscht.

Patrik Svensson beendet sein Buch mit der Hypothese, dass dieses Nichtwissen dem Aal heute zum Verhängnis werden könnte. Man wisse zu wenig vom Aal, um ihn schützen zu können. Die Population sei – vermutlich – bereits um über die Hälfte zurückgegangen. Patrik Svensson gelingt es, mit seinem essayistisch angelegten Buch, den Blick auf dieses gefährdete Tier zu lenken.

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Veröffentlicht am 29.01.2020

Ein Buch zum Blättern...

Ausgestorben - Das Buch der verschwundenen Tiere
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Nikola Kucharskas Buch „Ausgestorben. Das Buch der verschwundenen Tiere“ ist ein Buch zum Anschauen. Durch die Erdgeschichte hindurch zeigt das Buch die Vielfalt an Tieren, die es auf der Erde gab. Fast ...

Nikola Kucharskas Buch „Ausgestorben. Das Buch der verschwundenen Tiere“ ist ein Buch zum Anschauen. Durch die Erdgeschichte hindurch zeigt das Buch die Vielfalt an Tieren, die es auf der Erde gab. Fast schon ähnelt es einem Wimmelbild.
Neben großen Übersichtsseiten, die zumeist mehreren Tierarten gewidmet sind, gibt es auch Seiten, auf denen einzelne Tierarten wie etwa Dinosaurier in ihren unterschiedlichen Unterarten dargestellt sind. Angenehm ist, dass zu jedem Tier ein Satz zu einem besonderen Merkmal steht, so dass man nicht mit Wissen überfrachtet wird.
Besonders gefallen haben mir die allgemeineren Übersichtskarten, allen voran die „Fossile Weltkarte“, bei der die verschiedenen Fossilienfunde von Dinosauriern eingezeichnet sind. Auch die unterschiedlichen Theorien, weshalb die Dinosaurier ausgestorben sind, sind fr Kinder sehr ansprechend mit Bildern auf einer Seite zusammengefasst. Zwischendurch werden auch einzelne Tiere näher beschrieben, so ist etwa dem Auerochsen eine Seite gewidmet.
Das Buch eignet sich keinesfalls dafür, es einfach durchzulesen. Man sollte es vielmehr immer wieder in die Hand nehmen, darin blättern und sich faszinieren lassen von der Vielfalt der Arten.

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Veröffentlicht am 04.01.2020

Gut lesbare Luther-Biographie

Luther
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Eric Metaxas hat mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ eine Luther-Biographie geschrieben, die zu lesen lohnt.

Natürlich hat Metaxas das Rad nicht neu erfunden. Mit neuen Erkenntnissen wartet ...

Eric Metaxas hat mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ eine Luther-Biographie geschrieben, die zu lesen lohnt.

Natürlich hat Metaxas das Rad nicht neu erfunden. Mit neuen Erkenntnissen wartet der amerikanische Journalist nicht auf. Das muss er aber auch nicht. Denn Metaxas gelingt das, was mancher Kirchenhistoriker nicht vermag: er kann erzählen.

Überall, wo Metaxas Luthers Biographie ausführlich darstellt, beginnt er irgendwann zu erzählen, oft auch, indem er sich in die Personen hineinversetzt. So hat der Leser bei Metaxas ein klares Bild vor Augen, wie ein Reichstag ablief – inklusive vieler sozialgeschichtlicher Hintergründe.

Im Vordergrund von Metaxas‘ Lutherbiographie steht die These Metaxas‘, dass Luther alle Auseinandersetzungen und Anfechtungen nur aufgrund seines Gottvertrauens überstanden habe, dass das Vertrauen in Gott Luther zugleich geprägt und gestärkt habe. Im Hintergrund von Metaxas‘ Lutherbiographie steht die Frage, was Luther angestoßen hat, was er Neues in die Welt gebracht hat.

So wundert es nicht, dass Metaxas in seiner Biographie den Schwerpunkt auf die Jahre zwischen dem Thesenanschlag und dem Wormser Reichstag legt. Hier scheut sich Metaxas auch nicht – und das gehört zu den Stärken des Buches! – längere Original-Zitate abzudrucken, so finden sich unter anderem alle 95 Thesen im Wortlaut.

Zwar führt die Darstellung des Kampfes zwischen einfachem Mönch und Papsttum zu einer gewissen Heroisierung Luthers, dennoch unterschlägt Metaxas aber nicht die negativen Seiten Luthers. So wundert er sich über Luthers Selbstsicherheit und führt dieses auf sein hohes Gottvertrauen zurück, das ihm die Sicherheit gegeben habe, in all seinen Disputen auf der richtigen Seite zu stehen – und ihm auch die Erlaubnis gab, in der Wortwahl mehr als etwas derb zu werden. Irritiert zeigt sich Metaxas allerdings davon, dass Luther seine Gegner auch schonmal als vom Teufel geleitet sieht, etwa Zwingli beim Augsburger Religionsfrieden. Da stellt Metaxas, dem man übertriebene Kritik nicht vorwerfen kann, sich am Schluss dann doch die Frage, ob Luther nicht ein „unerträglicher, scheußlicher Dick- und Querkopf“ gewesen sei, der nicht in der Lage war, Kompromisse zu schließen. Bei Metaxas bleibt es allerdings bei der Frage.

An anderer Stelle hat Metaxas keine Probleme, sich Luthers engstirniger, kompromissloser Sicht der Dinge anzuschließen und sein dualistisches Denken von Gut (Glaube, Gott) und Böse (Unglaube, Teufel) zu übernehmen. So überrascht es sehr, wie deutlich sich Metaxas bei der Bewertung des Bauernaufstands auf die Seite Luthers schlägt. Das Argument, dass ansonsten Chaos in Deutschland ausgebrochen wäre, genügt ihm. Auch bei der Beurteilung anderer reformatorischer Strömungen spricht Metaxas ganz im Duktus Luthers von Dämonen, denen mit der Reformation die Tür geöffnet worden sei. Nur gut, dass 2019 der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann ein Buch über die Täufer veröffentlichte, das hier eine deutliche Korrektur der negativen Wahrnehmung, die Metaxas kolportiert, vornimmt.

Positiv ist Metaxas aber zugutezuhalten, dass er einer Verklärung Luthers nicht anheimfällt. Vor negativen Zitaten scheut er nicht zurück, etwa bei Luthers Urteil zum Bauernkrieg, wo Luther rechtfertigt, man habe den Bauern „die Ohren mit Geschossen aufknöpfen“ müssen, „dass die Köpfe in die Luft sprangen“. So wird auch bei Metaxas in Luther der Mann des Mittelalters sichtbar, der er war. Auch auf Luthers Schrift gegen die Juden geht Metaxas ein – heute, schreibt Metaxas, stehen wir rat- und fassungslos davor. Was Luther hier geritten hat: für Metaxas ist es unverständlich.

Somit ist Eric Metaxas mit „Luther. Der Mann, der Gott neu entdeckte“ ein Buch gelungen, das einerseits Luthers Kampf für die gerechte Sache in den Vordergrund stellt, dabei aber negative Begleiterscheinungen nicht unter den Teppich kehrt. Hervorzuheben ist auch die schöne Aufmachung des Buches. Es wirkt sehr hochwertig, die Schrift ist elegant und gut lesbar. Nur an einzelnen Stellen ist Metaxas‘ Sprache etwas zu pathetisch geraten, ansonsten gelingt es ihm, überzeugend zu erzählen, ohne die Quellen zu vernachlässigen.

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