Im Sog der Villa
Das GartenzimmerAndreas Schäfer spannt in „Das Gartenzimmer“ einen zeitlich weiten und fiktiven Bogen um die 1909 von Max Taubert entworfene „Villa Rosen“. Architektonisch ein kleines neoklassizistisches Meisterwerk in ...
Andreas Schäfer spannt in „Das Gartenzimmer“ einen zeitlich weiten und fiktiven Bogen um die 1909 von Max Taubert entworfene „Villa Rosen“. Architektonisch ein kleines neoklassizistisches Meisterwerk in Berlin-Dahlem, bewohnten es zuerst der Professor Adam und seine Frau Elsa Rosen. Viel später ziehen Frieder und Hannah Lekebusch mit ihrem Sohn Luis in das denkmalgeschützte und renovierungsbedürftige Kleinod ein. Kostenaufwändig in den Originalzustand versetzt, lernt der Leser die Familie Anfang der 2000er-Jahre in der Villa kennen. Das Haus scheint einen sirenenhaften Sog zu besitzen, denn schon zu Zeiten der Rosens gingen hohe Persönlichkeiten ein und aus, was die spätere Gästeliste beweist.
Doch neben den detailreichen und sehr bildhaften architektonischen und landschaftlichen Beschreibungen legt Schäfer den Augenmerk auf die Schicksale der Bewohner dieser divenhaften Villa. Adam und Elsa haben ihren jugendlichen Sohn bei einem Schwimmunfall verloren – Elsa ist seitdem traumatisiert von uniformten Männern, haben damals Polizisten ihren toten Sohn auch noch malträtiert. Frieder und Hannah kämpfen mit Eheproblemen – während sie perfektionistisch das Haus vermarktet, Ausstellungen darin organisiert und Hausführungen durchführt, malt er lieber Bäume und wird später eine andere, jüngere Frau heiraten und das Haus bewohnen. Sohn Luis ist die Villa suspekt, er hat Ängste und spürt unterschwellig Böses in den Räumen. Er wird mit der hübschen Tochter der Haushälterin eine Beziehung eingehen und außerhalb der Villa sein Leben als Antiquitätenverkäufer meistern. Bis ihn die Trennung von Ana mit seinen Urängsten konfrontiert. Und er scheint unterschwellig die feinste Ader zu besitzen, denn im Gartenzimmer der Villa wurden im Zweiten Weltkrieg Räume beschlagnahmt und von Nationalsozialisten zu abscheulichen „Rassebestimmungen“ und Menschenexperimenten an Kindern zweckentfremdet.
Nach und nach legt Andreas Schäfer in Zeitsprüngen die Geschehnisse in der Villa dar –Tragödien, aber auch subtile, zwischenmenschliche Schwingungen, Liebschaften, Sehnsüchte und Verhaltensweisen in unterschiedlichen, geschichtlichen Zeiten. Elsa Rosen hatte im Krieg unter Bombenbeschuss und Hausbesetzung ganz andere Probleme als die Familie Lekebusch und trotzdem verbindet sie die Zeit in dem Haus und später aufgefundene Briefe. Der Architekt Max Taubert sollte später noch zu Ruhm gelangen, nach seiner Planung der Villa ereilen aber auch ihn berufliche und private Probleme.
Auflösen werden sich diese Probleme und Tragödien am Ende des Buches nicht – doch der Leser war Teil einer Bewohnerschaft zu unterschiedlichen Zeiten, die sich dem „Fluch und dem Segen“ dieser traumhaften, fast schwebenden Villa nicht entziehen konnten und ihren Anteil zu lernen hatten. Das alles schafft Schäfer mit viel feinfühligem Gespür für Atmosphäre und Ausschweifendes für Nebengeschichten. Hier hat mir am besten gegen Ende des Romans die Geschichte von Luis und Ana gefallen – zart und poetisch beschreibt Schäfer das Scheitern der Beziehung, aber auch das Wiederannähern von Vater und Sohn.
Ein sehr schön und flüssig geschriebener Roman und fast schon voyeuristischer Einblick hinter die Mauern einer Diva, in das Leben anderer und in gut recherchierte Zeitgeschichte, Politik und Kultur. Am liebsten würde ich weiterlesen und weiterhin zuschauen.