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Veröffentlicht am 26.07.2020

Im Sog der Villa

Das Gartenzimmer
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Andreas Schäfer spannt in „Das Gartenzimmer“ einen zeitlich weiten und fiktiven Bogen um die 1909 von Max Taubert entworfene „Villa Rosen“. Architektonisch ein kleines neoklassizistisches Meisterwerk in ...

Andreas Schäfer spannt in „Das Gartenzimmer“ einen zeitlich weiten und fiktiven Bogen um die 1909 von Max Taubert entworfene „Villa Rosen“. Architektonisch ein kleines neoklassizistisches Meisterwerk in Berlin-Dahlem, bewohnten es zuerst der Professor Adam und seine Frau Elsa Rosen. Viel später ziehen Frieder und Hannah Lekebusch mit ihrem Sohn Luis in das denkmalgeschützte und renovierungsbedürftige Kleinod ein. Kostenaufwändig in den Originalzustand versetzt, lernt der Leser die Familie Anfang der 2000er-Jahre in der Villa kennen. Das Haus scheint einen sirenenhaften Sog zu besitzen, denn schon zu Zeiten der Rosens gingen hohe Persönlichkeiten ein und aus, was die spätere Gästeliste beweist.

Doch neben den detailreichen und sehr bildhaften architektonischen und landschaftlichen Beschreibungen legt Schäfer den Augenmerk auf die Schicksale der Bewohner dieser divenhaften Villa. Adam und Elsa haben ihren jugendlichen Sohn bei einem Schwimmunfall verloren – Elsa ist seitdem traumatisiert von uniformten Männern, haben damals Polizisten ihren toten Sohn auch noch malträtiert. Frieder und Hannah kämpfen mit Eheproblemen – während sie perfektionistisch das Haus vermarktet, Ausstellungen darin organisiert und Hausführungen durchführt, malt er lieber Bäume und wird später eine andere, jüngere Frau heiraten und das Haus bewohnen. Sohn Luis ist die Villa suspekt, er hat Ängste und spürt unterschwellig Böses in den Räumen. Er wird mit der hübschen Tochter der Haushälterin eine Beziehung eingehen und außerhalb der Villa sein Leben als Antiquitätenverkäufer meistern. Bis ihn die Trennung von Ana mit seinen Urängsten konfrontiert. Und er scheint unterschwellig die feinste Ader zu besitzen, denn im Gartenzimmer der Villa wurden im Zweiten Weltkrieg Räume beschlagnahmt und von Nationalsozialisten zu abscheulichen „Rassebestimmungen“ und Menschenexperimenten an Kindern zweckentfremdet.

Nach und nach legt Andreas Schäfer in Zeitsprüngen die Geschehnisse in der Villa dar –Tragödien, aber auch subtile, zwischenmenschliche Schwingungen, Liebschaften, Sehnsüchte und Verhaltensweisen in unterschiedlichen, geschichtlichen Zeiten. Elsa Rosen hatte im Krieg unter Bombenbeschuss und Hausbesetzung ganz andere Probleme als die Familie Lekebusch und trotzdem verbindet sie die Zeit in dem Haus und später aufgefundene Briefe. Der Architekt Max Taubert sollte später noch zu Ruhm gelangen, nach seiner Planung der Villa ereilen aber auch ihn berufliche und private Probleme.

Auflösen werden sich diese Probleme und Tragödien am Ende des Buches nicht – doch der Leser war Teil einer Bewohnerschaft zu unterschiedlichen Zeiten, die sich dem „Fluch und dem Segen“ dieser traumhaften, fast schwebenden Villa nicht entziehen konnten und ihren Anteil zu lernen hatten. Das alles schafft Schäfer mit viel feinfühligem Gespür für Atmosphäre und Ausschweifendes für Nebengeschichten. Hier hat mir am besten gegen Ende des Romans die Geschichte von Luis und Ana gefallen – zart und poetisch beschreibt Schäfer das Scheitern der Beziehung, aber auch das Wiederannähern von Vater und Sohn.

Ein sehr schön und flüssig geschriebener Roman und fast schon voyeuristischer Einblick hinter die Mauern einer Diva, in das Leben anderer und in gut recherchierte Zeitgeschichte, Politik und Kultur. Am liebsten würde ich weiterlesen und weiterhin zuschauen.

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Veröffentlicht am 13.07.2020

Goldene Klassiker, pfiffige Neuheiten

Vegan! Das Goldene von GU
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„Das Goldene von GU“ bietet auf 400 Seiten eine große Vielfältigkeit über veganes Essen und stellt über 300 vegane Rezepte vor - sehr strukturiert und optisch hochwertig aufbereitet.
Nach einem kleinen ...

„Das Goldene von GU“ bietet auf 400 Seiten eine große Vielfältigkeit über veganes Essen und stellt über 300 vegane Rezepte vor - sehr strukturiert und optisch hochwertig aufbereitet.
Nach einem kleinen Workshop, wie man vegane Basics wie Nussmilch, Hafersahne, Cashewjoghurt und Co. selbst herstellen kann, geht es los mit klassischen (Porridge) und recht außergewöhnlichen (Haferbirnensuppe) Frühstücksideen. Auf Anhieb ein Augenfang neben den großen, sehr gut in Szene gestellten Bildern sind die treffsicheren und lustigen Beschreibungen der Gerichte nach dem Titel wie "Morning-Aufpepper in Quietschgrün" oder "Unverwüstliche Kindheitserinnerung".

Im Folgkapitel „To go und Zwischendurch“ gibt es viele nützliche Tipps, um gesund und vegan durch die Mittagspause oder unterwegs zu kommen - mit Salaten, Snacks und Fingerfood. Insgesamt ein starker Abschnitt mit tollen Salaten, Dressings und anderen Köstlichkeiten wie vegane vietnamesische Sommerrollen und Sushi sowie Wraps, Aufstriche und Falafel.

Auch das folgende Kapitel „One-Pot-Seelenfutter“ mit vielen Suppen, Eintöpfen und Currys hat mich überzeugt, denn das ist die Ernährung mit viel Gemüse, die ich schätze und täglich koche. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich alles recht unkompliziert und ohne große Zutatensuche nachkochen lässt. Bei „Hauptgerichte für jeden Tag“ gibt es auch viel Gemüse und dazu Pasta, Pizza und Hülsenfrüchte, Ofengemüse, Gemüsepuffer und Co.

Einzig und alleine der recht großzügige Abschnitt mit "Tut so wie Fleisch"-Rezepte bei den veganen Küchenklassikern war nicht so ganz mein Geschmack - zuviel Tofu und und ähnlicher „Fleischersatz“ . Aber das ist Geschmackssache.

Sehr gut gelöst wird nach dem umfangreichen und sehr ansprechenden Teil über Süßspeisen das Inhaltsregister, denn es wird auch nach Zutaten sortiert - so kann man die vielen übrigen Möhren bestimmt schnell in ein passendes Rezept integrieren.

Ein insgesamt sehr ansprechendes Kochbuch und besser als erwartet - mit goldenen, bodenständigen Klassikern wie Wirsingtopf und Röstkartoffeln sowie pfiffigen Rezepten aus indischer oder asiatischer Küche. Ein gut gelungenes, buntes Potpourri an veganen Köstlichkeiten, gespickt mit Küchenpraxis-Infos, aus dem man immer wieder aufs Neue schöpfen kann.

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Veröffentlicht am 30.05.2020

Fingerabdrücke im Leben

Der restliche Sommer
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„Der Fingerabdruck eines Paares liegt in einer Sprache, die nur ein anderer Mensch auf der Welt wirklich vollkommen richtig entschlüsseln konnte.“ (S. 196)

Vier sehr unterschiedliche Menschen sind miteinander ...

„Der Fingerabdruck eines Paares liegt in einer Sprache, die nur ein anderer Mensch auf der Welt wirklich vollkommen richtig entschlüsseln konnte.“ (S. 196)

Vier sehr unterschiedliche Menschen sind miteinander verwoben und reflektieren in einem Sommer ihr Leben, ihre Vergangenheit und Zukunft - in der Liebe, der Gesundheit und im Beruf. Paul ist Zeitungskolumnist über Stil- und Benimmregeln, der langsam von seinem Arbeitgeber aufs Abstellgleis rangiert wird - er verbringt mit Künstlerin Sara einen längeren Urlaub in Portugal. Zwölf Jahre lang war Paul vorher mit der Paartherapeutin Sonja verheiratet. Sara war mit dem ruhigen Programmierer und Social Media-Spezialist Tin zusammen. Als Ereignisse das Leben der Menschen auf den Kopf stellen, kommen Veränderungen, Selbszweifel und viel Hinterfragen der eigenen Lebenslinien ins Spiel - spiele ich nur eine Rolle, geknüpft an bestimmte Erwartungshaltungen und komme ich da nochmal raus? Doch viel leichter tun sich die Protagonisten mit dem Prokrastinieren von eigenen Entscheidungen, denn der Sommer ist ja noch lang.

Max Scharnigg ist selbst Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, hat schon Romane, Reiseführer und ein Buch veröffentlicht. In seinem neuem Roman „Der restliche Sommer“ lässt er abwechselnd verträumte, sonderbare und teils auch witzige Charaktere von ihrem Leben erzählen. Dabei wird die Handlung nie ktischig, der Grundtenor ist eher ernst mit verspielten Elementen. Lebensklug, gesellschaftskritisch, aber auch mal gerne ausschweifend mit fantasievollen, kleinen Nebensächlichkeiten aus dem Alltag, die er zeitgeistig scharf beobachtet. Mit einem überraschenden Setting, das in der nahen Zukunft spielen könnte, verblüfft er den Leser: So sind terroristische Anschläge an der Tagesordnung und die Menschen haben viele neue soziologische Vorlieben. Max Scharnigg hat einen außergewöhnlichen, versierten und abwechslungsreichen Schreibstil, der länger nachhallt, auch wenn die eigentliche Geschichte schon in Vergessenheit gerät.

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Veröffentlicht am 19.05.2020

Kleine, intuitive Schritte zur Gesundheit

Flow flow flow mit Ayurveda
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Vicky (Vata), Pia (Pitta) und Karla (Kapha) sind Freundinnen und die Stellvertreter für die verschiedenen Doshas in der indischen Heilkunst Ayurveda. Auf spielerische, authentische und humorvolle Weise ...

Vicky (Vata), Pia (Pitta) und Karla (Kapha) sind Freundinnen und die Stellvertreter für die verschiedenen Doshas in der indischen Heilkunst Ayurveda. Auf spielerische, authentische und humorvolle Weise führen sie durch ihr Leben, ihre Gewohnheiten und wie sie mit Ayurveda viel besser für ihre Gesundheit sorgen können. Dabei harmonieren die leicht verständliche und doch mit viel Wissen angereicherte Sprache von Lisa Fenger mit den wunderschönen und liebevoll warmen Illustrationen von Mareike Engelke. Die Autorin schreibt schon seit Jahren einen sehr gut besuchten Blog über Ayurveda.

Das Aufteilen der Doshas in drei bebilderte Persönlichkeiten bringt Nähe, Lebendigkeit und spielerisches Interesse, das man im Alltag integrieren kann. Nach einem aufschlussreichen Dosha-Test erfährt der Leser sehr viel über seinen Rhythmus in Sachen Jahres- und Tageszeiten, mit welchen Mahlzeiten und Lebensmittel er sein Dosha harmonisieren kann und welchen Einfluss die morgendliche Zungenhygiene, eine Ölmassage und ein warmes Zitronenwasser hat.

In der zweiten Hälfte dreht es sich um Selbstfürsorge, besseren Schlaf und entspannte Wochenenden zur Regeneration. Abgerundet wird es mit einem schön aufbereiteten Ayurveda-Bingo und Raum für eigene Notizen.

Das Buch liegt mit der Größe und dem festem Papier sehr gut in der Hand - eine sehr schöne Haptik und Optik. Ermutigend fand ich die stressfreie und spielerische Aufforderung, kleine Schritte im Ayurveda zu gehen, um die eigene Intuition wieder zum Erwachen zu bringen. So dass jeder in seinen eigenen, entspannten Ayurveda-Flow finden kann.

Ein toller und etwas anderer Einstieg in die Heilkunst - locker, frisch, bunt, humorvoll & viele kleine Schritte zur Gesundheit.

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Veröffentlicht am 11.05.2020

Jäger und Gejagte

Das wirkliche Leben
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Das wirkliche Leben der namenlosen, 10jährigen Ich-Erzählerin ist kaum zu ertragen. Der sadistische Vater und Großwildjäger misshandelt die Mutter psychisch und physisch, trinkt und guckt Fernsehen. Die ...

Das wirkliche Leben der namenlosen, 10jährigen Ich-Erzählerin ist kaum zu ertragen. Der sadistische Vater und Großwildjäger misshandelt die Mutter psychisch und physisch, trinkt und guckt Fernsehen. Die Mutter gleicht einer Amöbe, hält sich so gut es geht aus allem raus und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Ziegen, während im Keller im Kadaverzimmer die ausgestopften Tiere des Vaters hängen.

Wie in einem Pulverfass nehmen die erschreckenden, brutalen und quälenden Ereignisse in einer sich konstant aufbauenden Thriller- und Angststimmung ihren Lauf. Bei einem schrecklichen Unfall müssen die Protagonistin und ihr vier Jahre jüngere Bruder Gilles mitansehen, wie der Eismann ihres Viertels in seinem Wagen explodiert. Die beiden sind schwer traumatisiert und erhalten zuhause keine Hilfe - im Gegenteil. Gilles verliert sein Lächeln und fängt an, Tiere bestialisch zu quälen, während der Vater immer mehr die Kinder als Zielscheibe seiner Misshandlung entdeckt. Das fantasievolle, empfindsame und von Schuldgefühlen geplagte Mädchen hegt von nun an den Wunsch, eine Zeitmaschine zu bauen, um wieder in die Vergangenheit vor den Unfall zu reisen. Sie beginnt sich bei einem alten Professor in Physik unterrichten zu lassen, kommt in die Pubertät und schwärmt für einen älteren Nachbarn. Je mehr ihre weiblichen Formen zunehmen, desto rasender wird der Vater, der sie eines Nachts als Beute für seine Treibjagd benutzen wird. Doch die unbändige Widerstandskraft des Mädchens ist nicht zu bremsen und erwacht da erst recht zum vollen Leben.

Adeline Dieudonné ist mit ihrem Debütroman ein faszinierender und ambivalenter Wurf gelungen - Grobheit trifft auf Zartheit, Beklemmung und Angst auf Lebensmut. Mit einer präzisen, filmischen Sprache, die trotz Gewalt und Blut mit poetischen, außergewöhnlichen Sprachbildern glänzt, katapultiert sie den Leser direkt in das scheinbar aussichtslose Leben des Mädchens und ihrem unbändigen Willen, sich daraus zu befreien, um keine Beute mehr zu sein. Und sie gibt den Leser erst wieder frei, wenn er die Geschichte zu Ende gelesen hat - abgeschreckt aufgerüttelt, hypnotisiert durchgeschüttelt und die brachialen Schläge noch im Nacken, die der Vater verteilt hat. Das entsetzt, wirkt lange nach und muss verdaut werden.

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