Profilbild von Buchpfote

Buchpfote

Lesejury Profi
offline

Buchpfote ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buchpfote über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.10.2020

Berührend und echt wie ich es von Danit Atkins mag, doch vorhersehbarer als gewohnt

Wohin der Himmel uns führt
0

Allgemein:

Emotional, tiefgründig und überraschend, dass sind Dani Atkins Romane. Ihr aktuelles Buch "Wohin der Himmel uns führt" ist im September 2020 bei Knaur erschienen, ebenso wie "Der Klang deines ...

Allgemein:

Emotional, tiefgründig und überraschend, dass sind Dani Atkins Romane. Ihr aktuelles Buch "Wohin der Himmel uns führt" ist im September 2020 bei Knaur erschienen, ebenso wie "Der Klang deines Lächelns" oder "Sag ihr, ich war bei den Sternen", um nur zwei weitere von den bisher erschienenen Titeln zu nennen. Worum gehts in der Geschichte? Wären sich Beth und Izzy vielleicht zu einem wahlloserem Zeitpunkt begegnet als diesen, hätten sie sich sogar angefreundet, so viel ist sicher. Doch der Grund ihrer Begegnung ist ein schrecklicher Fehler, der vor 8 Jahren gemacht wurde und beide zu "Gegnerinnen" werden lässt, die ihre Muttergefühle sprechen lassen. Und das, obwohl Izzy mit der Trennung von ihrem Ehemann Pete zurecht kommen muss und Beth ihre Hoffnung gerade erst wiedergefunden hatte.

Mein Bild:

Ihr glaubt gar nicht, wie ich auf dieses Buch gewartet habe, so hin gefiebert wie jedes Jahr, wenn es Herbst wird und Knaur mir um die 400 Seiten Emotionen im Klappenbroschur liefert. Meine Erwartungen bezüglich des Covers sind erfüllt. Es schmiegt sich vom Design sehr gut an seine Vorgänger und ruft auch irgendwie ein Gefühl der Erinnerung hervor, wenn man die dezent gemalte Situation des Bildes erfasst.

Ich möchte euch einen Tipp geben. Lasst euch bitte vom Inhalt überraschen, von dem eigentlichen Thema. Das ist, glaube ich, wichtig, um rein zukommen. Deswegen meine Bitte, lest nicht den Text innerhalb der Klappe oder die Inhaltsangabe aus dem Netz. Die Rückseite vom Buch reicht aus. Ansonsten spoilert man sich schon 90 Seiten zu früh. Ok, wer 1 und 1 zusammenzählt, so wie ich, ahnt vielleicht bereits nach 40 Seiten, was Sache ist. Doch Dani Atkins Bücher leben vor allem von einem Muster der Twists oder Überraschungen. Sie lenkt den Leser / die Leserin immer in eine Richtung, um eine Erwartungshaltung zu schüren und dann, ätsche bätsch, es ist anders, oft sehr anders ohne an Logik zu verlieren. Mich erwischte sie jedenfalls gleich zu Beginn, nur zur Abwechslung hielt das nicht lang an. Der Knackpunkt des Buches, das eigentliche moralische und absolut mörderisch emotionale Thema blieb für mich nicht so lange geheim wie ich gehofft hatte. Entweder bin ich inzwischen ein Atkins-Sherlock oder es war doch vorhersehbar. Allerdings blieb sehr lange offen, wie die Geschichte ausgeht und das auch in seinen parallel verlaufenden Handlungssträngen. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten im Leben und das macht es spannend, auch im Buch.

Ich werde euch bezüglich der Handlung nicht spoilern, weil ihr den Moment des "Klick machens" selbst erleben solltet und haltet den Gedanken gern fest, den ihr dabei habt. Es ist ungeheuerlich, ich hatte so ein Mitleid mit den Protagonistinnen, die beide ein Recht auf ihre Gefühle haben, in jeglicher Hinsicht. Ich war mindestens genauso hin und her gerissen wie sie. Dazu noch der moralische Aspekt. Die Frage, wie weit darf der Mensch eingreifen, Gott spielen, experimentieren und Verantwortung für Dritte übernehmen, wenn es nicht lebensnotwendig ist? Ich hab mir die Frage nie gestellt, wenn es eine Hilfe darstellt. Bis die Autorin die Möglichkeit eines gravierenden Fehlers aufgreift. Objektivität und Abstand ist hier tatsächlich fehl an Platz. Sensibilität, Emotionalität, Verantwortungsbewusstsein und Tragik schwingen in jedem Kapitel mit, genauso wie Hoffnung, sehr viel Liebe, Humor und Zärtlichkeit. Die Autorin arbeitet dabei mit zahlreichen bildlichen Vergleichen, Alltagssituationen, die man selbst kennt oder gut nachempfinden kann, genauso wie die Frauen in diesem Buch.

Ich mochte beide Protagonistinnen sehr gern, trotz oder gerade weil sie ihre Schwächen haben und in ihrer jeweiligen Ich-Perspektive zeigen. Izzy und Beth sind beide Anfang - Mitte dreißig und sind sich meines Erachtens schon ähnlich und irgendwie wieder nicht. Beide sind Kämpferinnen mit dem Herz am rechten Platz und zeigen ohne Probleme eine tiefe Empathie gegenüber anderen. Allerdings leben sie in unterschiedlichen Situationen, sozial wie auch materiell. Beth begegnete mir impulsiv, offen und manchmal naiv. Daher zog mich die aufkeimende Freundschaft mit dem Witwer Liam und seiner Jack Russell - Hündin Sally sehr in den Bann. Es war so schön zu lesen, dass ihre Nebenhandlung nicht, ja ich betone, nicht aus einer klassischen Liebesgeschichte besteht. Ich muss zwar zugeben, dass ich zwischen den vielen Möglichkeiten hin und her wankte, aber das ist eben typisch Dani Atkins.

Die liebe Izzy ist eine hingebungsvolle, aufopfernde und ja, helikoptermäßige Mutter für ihren achtjährigen Sohn Noah. Zu Noah sei nur gesagt: Er ist ein wahrer Goldschatz, ein tolles Kind. Wegen ihm habe ich oft gelächelt. Izzy macht sich das Leben nicht nur mit der Helikoptereigenschaft schwer, nein, sie schweigt viel zu oft. Ihre Gefühle beben innerlich und sie bekommt den Mund nicht auf. Ganz oft wollte ich sie schütteln und habe sie trotzdem verstanden. Sie reflektierte sich auch selbst. Bewundernswert, doch es hilft nicht, gerade bei der Situation mit ihrem Ehemann Pete (natürlich ebenso ein Bombentyp und ein toller Vater). Wie soll man so seine Ehe retten?

Kennt ihr das, wenn ihr einen emotionalen Ausbruch hinter euch habt, tief durchatmet und die Welt, beispielsweise nach einem Schlüsselmoment, wieder anders seht? Ich glaube, das durchlebte ich mit Beth und Izzy, und das knapp am Taschentuch vorbei. Egal, welche der möglichen Wege die beiden Frauen gegangen wären, ich wäre sie so oder so mitgegangen. Nichts fühlte sich für mich bezüglich ihrer Entscheidungen falsch an, sondern richtig bis zum Schluss. Das Ende verhielt sich wie ein Herzschlag nach einem Augenblick der Stille.

Fazit:

Ein Dani Atkins - Roman, wie er sein soll: Nahe an der Taschentücherbox und doch nie zu viel. Emotional, lebensecht, moralische Fragen aufgreifend und zwei Protagonistinnen, die vor allem eine Sache verbindet. An mancher Stelle der Handlung überraschend, doch da geht normalerweise mehr.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.09.2020

Einmal mit den Schubladendenken aufgeräumt, denn der Schein trügt oft!

Der Schein
0

Allgemein:

Ella Blix ist das Autorinnenduo um Antje Wagner und Tania Witte, die bereits zwei Jugendromane beim Arena-Verlag veröffentlichten. Darunter die im Jahr 2018 erschienene Geschichte der jungen ...

Allgemein:

Ella Blix ist das Autorinnenduo um Antje Wagner und Tania Witte, die bereits zwei Jugendromane beim Arena-Verlag veröffentlichten. Darunter die im Jahr 2018 erschienene Geschichte der jungen Alina. Von ihrem Vater auf die viel zu ruhige Ostseeinsel Griffiun geschickt, um 6 Monate das Internat Schloss Hoge Zand zu besuchen, reagiert sie alles andere als begeistert. Alina will nur eins, zurück nach Berlin. Doch es heißt es Augen zu und durch. Was sie allerdings nicht erwartet hat, sind die merkwürdigen Ereignisse und Regeln auf Griffiun. Warum darf man das Naturschutzgebiet nicht betreten? Was ist das für ein blitzewerfendes Schiff mitten in der Nacht? Was steckt hinter dem neuen Kioskbesitzer und der heimlich Camperin? Fragen, denen Alina mit den „Lonelies“, ihren neuen Mitschülern, auf den Grund gehen will.


Mein Bild:

„Der Schein“ lag über 2 Jahre auf meinem SUB, eine echte Schande, wenn ich bedenke, wie gut mir die Geschichte um Alina und vieles mehr gefallen hat. Doch erst einmal von vorn. 2018 hatte ich das Buch auf der LBM ergattert, natürlich nach einer Lesung der Autorinnen inklusive Signiermöglichkeit, ist ja wohl logisch. Irgendwie klang es spannend und der Klappentext wahrte eindeutig mehr den „Schein“ (haha, Wortspiel!) als das er viel preis gab. Dass ich zudem völlig in dieses Cover verliebt bin, brauch ich wohl nicht sagen. Gold auf schwarzem Untergrund geht immer und eh ich mitbekommen habe, dass dieser verschlungene Nebel ein Wort bildet...Meine Überraschung war groß.

Auf 470 Seiten erzählen Antje Wagner und Tania Witte mir, wie die bald 16-jährige Alina von ihrem „Pa“ auf die Ostseeinsel Griffiun geschickt wird und bereits die ersten Sätze verrieten, dass sie nicht viel davon hält. Generell habe ich wirklich herzlich geschmunzelt über manche Situation, die Alina erlebte. Der Schreibstil in Ich-Perspektive hatte genau den jugendlichen Slang, den es brauchte, um locker zu sein. Glücklicherweise nicht in einer dämlichen Art und Weise, sondern bildlich, emotional und glaubhaft. Was ich damit sagen sollte: Mein Herzchen fieberte mit und zauberte mir mit mancher Andeutung auf Game of Thrones oder Harry Potter ein Glitzern in die Augen.

Obwohl die Protagonistin es mir eingangs echt schwer machte. Ich mochte sie nicht. Alina kam rüber wie eine verwöhnte Göre, die jede Person, die sie sah in eine Klischee-Schublade schob. Dazu unnahbar, arrogant und für ein Mädel aus Berlin absolut nicht weltoffen. Für sie gab es nur wenige Menschen, die zählten, der Rest viel hinten runter. Sie war echt unfair, ließ den Menschen keine Chance an sie ran zu kommen. Jedoch war das ein guter Ansatz, um mich als Leserin selbst zu fragen, was ich in einer Situation gemacht hätte, in der ich nie landen wollte? Mit knapp 16! Ich muss daher echt zugeben, dass sie mich nicht nervte, ich wollte einfach wissen, wie sie sich im Verlauf veränderte. Denn das musste doch so kommen.

Und Griffiun? Eine Ostseeinsel mit knapp 600 Einwohnern, Solarautos, Naturschutzgebiet, Touristenkutschen und einem Internat in einem richtigen Schloss. Und wow, fand ich das Setting toll. Mal abgesehen davon, dass ich ein Ostsee-Freund bin, haben Ella Blix genau die richtige Atmosphäre geschaffen. Schon allein die Beschreibung des Schlosses, die Regeln dazu, so stellte ich es mir vor, ebenso wie die Nächte, die unvergleichlich dunkel und voller Sterne sind und einem Wind, den man nur von der See kennt. Ich als Großstadtkind konnte gut nachempfinden, wie Alina sich fühlte.

Die Handlung wurde durch viele Aspekte dominiert, wie unter anderem das bereits angesprochene Schubladendenken, ebenso wie Trauerbewältigung oder ganz besondere Mysterien der Insel. Ich glaube „Ausbrechen“ ist der richtige Ausdruck, um den weiteren Verlauf zu beschreiben. Hier kommt der Titel so oft ins Spiel: Man sollte den Schein nicht wahren, denn der Schein kann trügen. Mir wurde das Zusammenspiel aber erst viel später wirklich bewusst. Echt gut gemacht.

Dank der „Lonelies“ schwamm Alina bald in Gefilden, die die richtigen Vibes hatten. Denn die Gruppe von Jugendlichen sprühte nur so vor Vielfalt und Dynamik. Ich möchte nicht zu viel verraten, denn ihr solltet die Vier und auch die Nicht-Internatsschülerin Cara selbst kennenlernen. Sie geben der Geschichte nicht nur Vertrauen und Freundschaft, nein, mit einem weiteren Handlungsstrang werden sie zu wahrhaften Detektiven, deren einzelne Charaktereigenschaften sich entweder gar nicht für einen Fall oder erst recht dafür eignen. Im Übrigen gibt es am Anfang einen Aufhänger zum ersten Auftreten der Lonelies, der sich auf ihre vollen Namen und das Schubladendenken bezieht, bei dem ich mich im Endeffekt selbst erwischt habe, wie weit weg meine Erwartungen von dem wirklichen Bild der Personen waren. Touché!

Nichtsdestotrotz muss ich sagen, dass ich wahnsinnig viel vorausahnte, gedanklich schneller war als Alina und mich manchmal wirklich fragte, warum sie nicht einfach die Fakten zusammennahm. Lustigerweise gab es auch Dinge, die ich wieder verwarf aufgrund des einfachen Gedanken „Nee, das kann nicht sein“, um sie später wieder auszupacken. Denn der Plot ist mysteriös, geheimnisvoll und wirft viele Fragen auf. Ich meine, die Legende des dunklen Schiffs klingt nicht nur spannend, sie ist es auch. Außerdem arbeiteten die Autorinnen mit vielen Einschüben in Form von Alinas Tagebucheinträgen, die ihre Vergangenheit und die Trauer um ihre Mutter einwoben. Das ging schon ans Herz und es hing wirklich offensichtlich alles miteinander zusammen. Nur wie, das war die riesen Frage (die ich hier natürlich nicht beantworte).

Der Showdown, die ultimative Auflösung, die Antworten auf all meine und Alinas Fragen lief in eine Richtung, die ich mal wieder irgendwie ahnte, aber nicht wollte. Wie soll ich es am besten ausdrücken? Das Ende nimmt eine neue Möglichkeit in die Geschichte auf, an die vorher nicht zu denken war oder ich es nicht wollte. Ich bin zwiegespalten. Einerseits lösen sich so alle Stränge sauber auf ohne ein typisches Jugendbuchende zu haben. Andererseits ist mir der Cut bzw. Wechsel zu heftig gewesen, um mich darauf einzulassen. Das Schöne ist, Alina und ich fühlten dabei ähnlich. Das noch Schönere ist, dass wir Beide auf den letzten Seiten Zeit bekamen das Gefühl zu verarbeiten.

Fazit:

„Der Schein“ ist ein Jugendroman, der mehr beinhaltet als man ahnt. Es wird mysteriös, kriminalistisch, spaßig, gefühlvoll, vorausschauend und dann wieder überraschend. Folgt Alina und den Lonelies auf Griffiun – auch wenn ich mit Beginn und Ende warm werden musste.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.08.2020

Eine surreale Heldenreise mit Alice und Hatcher – Ich hätte nie gedacht, dass ich verstörend und magisch in einem Atemzug sagen würde

Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland
0

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Christina Henry sorgte mit ihren fantastisch-gruseligen Märchenadaptionen bereits im Englischen für Aufsehen. Random House Imprint Penhaligon veröffentlichte im Frühjahr ...

Allgemein:

Die amerikanische Autorin Christina Henry sorgte mit ihren fantastisch-gruseligen Märchenadaptionen bereits im Englischen für Aufsehen. Random House Imprint Penhaligon veröffentlichte im Frühjahr 2020 nun den 1. Band der „Dunklen Chroniken“ in Deutschland. Es beginnt mit den „Chroniken von Alice – Finsternis im Wunderland“: 10 Jahre sind vergangen seit Alice in einer psychiatrischen Anstalt gelandet ist. 10 Jahre, in denen sie von Alpträumen geplagt wird Sie erinnert sich nicht an die Geschehnisse, die sie dorthin brachten. Außer an den Mann mit den blaugrünen Augen und pelzigen langen Ohren. Doch was hat das zu bedeuten? Ihr einziger Vertrauter Hatcher kämpft selbst mit den dunklen Geistern, die ihm zum Axtmörder machten. Doch als ein Feuer ausbricht, fliehen Beide gemeinsam und erkennen, dass nicht nur sie entkommen sind, sondern auch eine dunkle, tödliche Macht, die aufgehalten werden muss.

Mein Bild:

Ich habe lange auf die deutsche Erscheinung dieser Bücher gewartet, hatte aber genauso Angst davor, sie zu beginnen. Die Rezensionen vieler BloggerInnen beinhalten Wörter wie brutal, blutig, grausam, ebenso wie nervenzerreißend und einmalige. Ich bestätige das hier und kritisiere stark, dass es keine Triggerwarnung seitens des Verlages gibt. Es reicht nicht, dass der Klappentext verspricht, dass es nichts für schwache Nerven ist. Daher gebe ich folgende persönliche Triggerwarnung vor Mord, geistigen und körperlichen Missbrauch, Verstümmelung, Körperverletzung und Prostitution. Es sind nicht die einzigen Dinge, die angesprochen werden, aber darauf möchte ich auf jeden Fall aufmerksam machen.
Denn wenn ich mir das verschnirkelte Hasenportrait - Hardcover mit diesem Hasenpfoten – verschönerten Buchschnitt anschaue, könnte man kurz davon abkommen, dass die knapp 350 Seiten weit mehr enthalten als eine neue, märchenhafte Nacherzählung von Alice im Wunderland.

Schon auf den ersten Seiten bekam ich schreckliche Bilder in den Kopf gesetzt. Christina Henry nutzt eine Bildsprache, die nicht bis ins kleinste Detail geht, aber bis kurz davor. Sprich, jegliche Situation oder Gedanke war gut genug geschrieben, um mich darin eintauchen zu lassen. Das mochte ich sehr, obwohl die Autorin vor gefühlt keiner Grausamkeit Halt macht. Ich muss sagen, ich habe mir das dazugehörige Kopfkino ähnlich wie bei dem Film „Sucker Punch“ vorgestellt. Nur Alice träumt sich hier nicht in eine Parallelwelt, sondern der Sprung durchs Kaninchenloch ist durch die Flucht aus einem brennende Hospital ersetzt wurden. Das Setting zeigt so viele reale wie auch surreale Möglichkeiten, mischt Märchen, Magie und lebensnahe Zustände, dass ich froh war, dass ich die Welt wie auf einer Heldenreise Stück für Stück kennenlernte. Die „alte“ Stadt, früher von Magie beherrscht ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Armut und Bandenkriminalität stehen an der Tagesordnung. Die Bosse der einzelnen Banden erinnern stark an Protagonisten der Ursprungsgeschichte, absolut Hammer. Am liebsten mochte ich tatsächlich die „Grinsekatze“, so gerissen, vorausschauend und mit jeder Faser interessant gestaltet.

Ebenso mochte ich das seltsame Gespann Alice und Hatcher, das ich die ganze Zeit begleitete, obgleich es nur aus Alice personaler Perspektive beschrieben wurde. Bei Beiden überkam mich schnell das Gefühl, sie zu kennen und zu verstehen, obwohl sie mich noch nicht komplett in ihre Seele schauen ließen. Wie auch? Beide haben kaum Erinnerungen an die Ursache für ihren Aufenthalt in dem Hospital. Mir war von Anfang an bewusst, dass ein Ziel der Story sein wird, all das Geschehene gemeinsam mit Alice und Hatcher aufzuarbeiten.

Alice Charakter forderte mich ziemlich heraus, weil sie psychisch arg vorbelastet ist und trotz, dass 10 Jahre vergangen waren, sie den Stand einer 16 Jährigen besitzt. Ihr fehlen 10 Jahre Erfahrungen, Emotionen, ja das komplette Erwachsenwerden wurde ihr genommen. Überlegt euch das bitte einmal! Sie bekam nie die Möglichkeiten eigene Entscheidungen zu fällen und ihr Gedächtnis weist riesige Lücken auf, die sie zu Beginn nur widerwillig füllt. Für sie brauchte ich Geduld und Verständnis, denn wie sie sich von Hatcher abhängig macht und eine sprunghafte Entwicklung (auch gern mal rückwärts) hinlegt, gefiel mir nicht. Nichtsdestotrotz nachvollziehbar mit dem Hintergrundwissen, das sich von Seite zu Seite aufbaut.

Ähnlich ging es mir mit Hatcher. Er machte mir anfänglich echt Angst. Seine „Stimmungswechsel“ kamen abrupt, einem Kurzschluss gleich und endeten verheerend. Ja, mir war ab und zu übel. Andererseits zeigte der Hühne einen lebensnotwendigen Beschützerinstinkt gegenüber Alice und seine Ehrlichkeit ist eine wichtige Eigenschaft, die sogar mit Feingefühl bestückt ist. Interessanterweise empfinde ich es so, dass er gute moralischen Ansichten vertritt, aber sie nicht ausleben kann. Wie sagt man so schön, das Leben hat ihm böse mitgespielt. Bei ihm war meine Geduld trotzdem öfter am Ende und ich dachte nur „Mensch Hatcher, das hätte jetzt nicht sein müssen“.

Geradeaus, ehrlich und vertrauensvoll scheinen optimale Voraussetzungen für eine angehende Liebesgeschichte zu sein. Nur die passt hier nicht so rein, zwischen Erinnerungslücken, Morden und der Suche nach dem „Bösen“, das vernichtet werden muss. Und ich muss sagen: Hatcher schien mir vom Alter her bereits um die 40 Jahre alt zu sein und bei Alice hatte ich immer das 16-Jährige Ich vor der Nase. Das Bild eines Liebespaares passte nicht in meinem Kopf. Zudem artete der Beschützerinstinkt in besitzergreifende Züge aus. Umso mehr genoss ich es, dass Alice seine Taten infrage stellte und anfängt ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Zudem verglich sie ihre Reise durch die Gangsterterritorien sogar mit einer Geschichte (beispielsweise, dass es ja klar ist, dass die Tür, die einmal geschlossen ist, sich nicht mehr öffnen lässt). Ihr seht schon, die Charakter zeigen abwechslungsreiche Facetten.

Die Quest der Storyline ebnete sich bereits früh, sodass mir bewusst war, worauf es hinauflaufen musste. Doch der Weg dahin versetzte mich in Erstaunen, entweder aus Faszination, Grusel oder unvorstellbarer Widerwärtigkeit. Es hat mir den Atem geraubt. Obwohl die Gründe kaltblütiger Natur waren. Gerade der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht zeigt, dass man die Story zeitlich dem 19./20. Jahrhundert gleichsetzen kann. Dann gab es wieder diese Momente, in denen Zauberei, Fabelwesen und die so toll umgesetzten Alice-Momente die Eycatcher waren. Das Ende war dagegen unspektakulär und ich habe gelernt, dass Alice und Hatchers Geschichte im 2. Band weiter gehen wird. Denn erst ab band 4 widmet sich Christina Henry einer anderen Figur eines Klassikers.

Fazit:

Definitiv fesselnd und eine gelungene (Grusel-)Adaption von „Alice im Wunderland“. Für LeserInnen mit einem starken Herzen, deren Nervenkonstrukt kaltblütige Machtstrukturen und Blut vertragen. Dafür bekommt man mit ein wenig Geduld tiefgreifende Geheimnisse gelüftet und magische Momente geschenkt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.07.2020

Wie Monika Peetz es schaffte, die Settings so umzudrehen, dass das allein schon ein unheimlicher Twist war

Das Herz der Zeit: Die vergessenen Geschichten
0

Allgemein:

Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Filmproduzentin und ein Fan von journalähnlichen Buchnotizen - das ist Monika Peetz. Ihre erste Jugendbuchreihe um die Zeitreisende Lena und deren Freunde ...

Allgemein:

Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Filmproduzentin und ein Fan von journalähnlichen Buchnotizen - das ist Monika Peetz. Ihre erste Jugendbuchreihe um die Zeitreisende Lena und deren Freunde Dante, Bobbie und Coco endet mit "Das Herz der Zeit - Vergessene Geschichten". Wunderlich, ein Imprint von Rowohlt, veröffentlichte das Buch im Juni 2020 und schickt die Protagonistin Lena auf ihr letztes Abenteuer. Sie muss nicht nur die Stadt der Unsichtbaren, die Heimat der Zeitreisenden, sondern nun die ganze Welt retten. Nachdem Desaster in der Nacht der Eulen, in der die nächste Generation der Zeitreisenden berufen werden sollte, ist nichts mehr wie es war. Der Zauberkönig hat die Stadt eingenommen und führt ein hartes Regime ein, das der Aufgabe der Agentur für Schicksalsschläge den Garaus macht. Lena und Bobbie flüchten ohne Vorwissen in das Jahr 2031. Doch wie sollen sie von dort aus den Unsichtbaren helfen? Können ihre Freunde sie unterstützen oder nur hilflos zusehen?

Mein Bild:

Endlich wieder eine Coverfarbe nach meinem Geschmack. Der seegrüne Untergrund passt viel besser zu den Blumen und dem goldenen Emblem der Reihe. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Band 2 rosa sein musste. Mit über 400 Seiten reiht sich der 3. und damit letzte Band der Zeitreise-Reihe um Lena und ihre Begleiter perfekt ein. Zwischen den Buchdeckeln verbergen sich nicht nur die Seiten aus Papier, sondern erneut eine Karte der unsichtbaren Stadt, sogar in ihrem aktuellen Zustand, und mit Hinweisen, dass sich ziemlich viel verändert hat. Kein gutes Omen für das bisherige Doing der Zeitreisenden, wie mir schien. Ich war echt gespannt.

Ich freute mich wieder über die hübsch geletterten Kapitelüberschriften, sowie abwechselnd aus Lenas und Dantes, später auch aus Bobbies, personaler Sicht der Storyline zu folgen. Ein Coup war allerdings, dass die Autorin zu Beginn eine Zusammenfassung der Ereignisse aus den beiden anderen Büchern hinlegte. Das fand ich cool, schließlich ist doch einige Zeit seitdem Erscheinen von Band 1 und 2 vergangen. Trotzdem hatte ich Probleme rein zu kommen. Das lag vor allem daran, dass ich bei Band 2 auf den letzten 100 Seiten den Faden verlor und nun nach "Was bisher geschah" genau an dem Cliffhangerpunkt von Band 2 wieder einstieg. Das ging einfach nicht. Was habe ich also gemacht? Genau, die letzten 100 Seiten von Band 2 nochmal gelesen. Danach klappte es besser.

Raus aus dem Chaos der unsichtbaren Stadt, rein in die Zukunft. Lena trifft die Zeitreise ins Jahr 2031 überraschend und sie merkt bereits auf dem Weg dorthin, dass es nicht natürlich ist nach vorne statt zurück zu reisen. Das fand ich ziemlich interessant und war der erste Akt für eine sich aufbauende Logik, warum die Unsichtbaren (also die Zeitreisenden) normalerweise nicht in die Zukunft reisen. Die Thematik an sich ist recht komplex und ich war froh, dass mich die Infos nicht mit voller Wucht erwischten.
Das Setting selbst beschäftigte mich dafür zu sehr. Die Autorin beschrieb sehr, wirklich sehr realitätsnah, wie unsere Welt irgendwann aussehen könnte. Da ich weiß, dass Monika Peetz gut recherchiert, habe ich keine Zweifel an diesem Bild. Stellt euch vor, ihr habt einen eingepflanzten Chip im Arm, der eure Körperwerte bestimmt, mit dem ihr bezahlt, den Alltag bestreitet, der euch überwacht und passend dazu noch Knöpfe im Ohr, die euch den ganzen Tag sagen, was ihr tun und lassen solltet, was gut und schlecht für euch ist usw.. Unmöglich? Nutzt ihr Fitnesstracker? Google? Smart Speaker? Fragt ihr euch manchmal, woher die Werbung weiß, was ihr mögt? Genau das! Positiv sehe ich dagegen den Weg eines autonomen Verkehrssystems. Wow, das hatte schon etwas Pionierhaftes an sich. Doch das wird die aufgezeigten Folgen des Klimawandels nicht mehr aufhalten. Wir sehen es ja bereits jetzt. Es ist zu trocken. Regen ist gefühlt nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Autorin macht im gesamten Buch darauf aufmerksam, dass es bereits 5 nach 12 ist und wer eine Zukunft für unsere Umwelt haben will, muss etwas dafür tun und ihr entsprechend Respekt erweisen.

Das bezieht sich genauso auf die Geschichte der Menschheit. Ich musste echt schlucken, als ich las, was passiert, wenn die Möglichkeit der Zeitreise in die falschen Hände gerät. Ich werde hier nicht spoilern, doch ich verstand die strenge Handhabe der bisherigen Chefin, der Zeitmeisterin, besser. Sie legte Wert darauf, dass sich an Regeln gehalten wird, dass die Bewohner der Stadt organisiert und spezialisiert waren, um den Menschen in der Vergangenheit zu helfen. Das war für Lena und mich eine bittere Erkenntnis. Denn bisher verstanden wir beide nicht, warum den Unsichtbaren nicht ein wenig mehr Freiheit geboten wird. So schnell kann eine Kehrtwendung erfolgen, die meisterlich umgesetzt wurde.

Ich folgte zwei Handlungssträngen und damit auch je 2 Charakteren. Das war nicht nur abwechslungsreich, sondern auch raffiniert gestrickt, weil sich beide Stränge später verbanden. Lena und Bobbie begleitete ich ins Jahr 2031: Lena als Protagonistin war für mich nicht der Star der Geschichte. Klar, sie entwickelt sich. Gerade bezüglich ihrer bisherigen Zeitreiseerfahrungen wirkt sie verantwortungsbewusst. Aber ich hätte sie oft genug schütteln können, weil sie der Wahrheit laaaanggeeee nicht ins Gesicht sieht. Das habe ich mir anders vorgestellt. Ihre beste Freundin Bobbie hingegen bleibt ein Liebling von mir. Sie sieht nach vorne, schenkt mir Momente des Lächelns, die ich nur ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit zu verdanken habe. Ihre Entwicklung zeigt nun mehr spontane, wie auch impulsive Züge. Kleine Katastrophen sind damit vorprogrammiert, die die Seiten nur so dahin fliegen ließen.

Im anderen Handlungsstrang folgte ich Dante und Coco. Und wow, ist Dante verknallt. Er, der Junge mit den zwei verschieden farbigen Augen, dem schwarzen langen Mantel, dem weißen Haar, der, der sich quasi unsichtbar machen kann - die rosarote Brille stand ihm nicht gut. Dante hätte ich also auch schütteln können, bis er wirklich wahrnahm, dass er mehr zu retten hatte als die Liebe, nämlich seine zuhause. So im Nachgang betrachtet, ist die Liebesgeschichte zwar ganz süß, aber unnötig. Eine Freundschaft zwischen den Beiden hätte mir ausgereicht. Doch nun zu meinem persönlichen Charakter-Highlight: Coco. Das asiatische Mädchen mit den violetten Strähnen brauchte bis zum 3. Band um mein Herz zu erobern. Ja, durch diverse Umstände ist sie absolut naiv und gutgläubig. Doch sie war die Hoffnung in Person und das mochte ich. Ich meine, alles versinkt im Chaos und sie war der Lichtblick. Danke dafür.

Das Ende fesselte mich auf jeden Fall. Bangen und hoffen sollte schließlich jeder Leser / jeder Leserin. Denn im Verlauf der Geschichte wurde klar, dass es nicht das ultimative Happy End sein könnte. Ich wusste tatsächlich nicht, ob es nun so kommt oder nicht, freundete mich aber mit dem tatsächlichen Kompromiss an. Wie sagt man so schön: Manchmal ist es gut, wenn man nochmal von vorn beginnt.

Fazit:

Das Finale der Zeitreisereihe hat meine Erwartungen erfüllt und überraschte mich mit der "Umkehrung" der Settings, einer facettenreichen Storyline und die Kontinuität der Message "seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen" und nicht nur zuzusehen oder gar weg zurennen. Lediglich die Protagonisten haben mich an mancher Stelle enttäuscht. Daher für Lesende, die mehr als nur ein Zeitreiseabenteuer im Sinn haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.06.2020

Kreative Mathematik, eine coole Clique und endlich mal kein Drama

Can you help me find you?
0

Allgemein:

Amy Noelle Parks ist Mathematikerin, Lehrerin und RomCom - Fan. Mit "The quantum weirdness of the almost-kiss" wurde sie auch zur Autorin. Der YA-Roman erschien 2020 in Deutschland unter dem ...

Allgemein:

Amy Noelle Parks ist Mathematikerin, Lehrerin und RomCom - Fan. Mit "The quantum weirdness of the almost-kiss" wurde sie auch zur Autorin. Der YA-Roman erschien 2020 in Deutschland unter dem Titel "Can you help me find you" bei Rowohlt. Inhaltlich verpackte die Autorin genau das, womit sie sich gern beschäftigt in eine Geschichte, denn es dreht sich um die siebzehnjährige Evie, die gemeinsam mit ihrem besten Freund Caleb die Newton Academy besucht. Sie, das Mathe-Genie, er, der Computer-Crack, kennen sich ihr ganzes Leben lang. Doch Evie merkte bisher nicht, dass Caleb mehr in ihr sieht als die beste Freundin. Gefühle dieser Art sind Evie fremd, Angstzustände und Panik dagegen allgegenwärtig, zumindest bis ihr Leo auffällt. Caleb beschließt, dass Evie sich nur in ihn verlieben kann, indem er sich für jemand anderen ausgibt. Wie gut, dass es anonyme Chats gibt.

Mein Bild:

Leute! Gleich zu Beginn, dieses Buch beinhaltet mehr als der äußere Schein her gibt. Ich finde es furchtbar schade, dass der Original-Titel nicht übernommen wurde, da dieser einfach besser gepasst hätte. Allerdings gebe ich zu, dass "Can you help me find you" tatsächlich eine Rolle innerhalb der Geschichte spielt, die sich nicht leugnen lässt. Trotzdem wirkt das rosafarbene Cover mit schörkeligen Buchstaben und auf das Smartphone starrende Jugendliche zu typisch und sagt zu wenig aus. Ich ahnte also nicht so sehr, was mich auf den 360 Seiten erwartet. Amy Noelle Parks machte es mir dennoch sehr einfach, mich in die Geschichte einzufinden. Es wird abwechselnd aus Calebs und Evies Ich-Perspektve erzählt. Beide sind super auseinander zu halten und haben ihre liebenswerten Eigenheiten.

Mit Evie musste ich zunächst warm werden. Sie sieht die Dinge objektiv und mit Abstand, hat Probleme sich in andere Menschen hineinzudenken, sprich sie zu deuten. Einerseits fand ich das befremdlich, andererseits ein wenig amüsant, weil ich sie schon verstehen kann. Gedanken kann man eben nicht immer lesen. Neben ihrer intelligenten und bedachten Art, die absichtlich zu Sarkasmus neigt, ihren Freunden und der High School, setzt sich Evie seit Jahren mit ihren situativen Angstzuständen auseinander. Die Autorin bewies ein feinfühliges Händchen bei diesem Thema - sie dramatisierte nichts, stellte die Krankheit nicht in den Mittelpunkt, zeigte dennoch, dass sie Evies ständiger Begleiter sein kann. Gerade zu Beginn des Buches war ich mir jedoch nicht sicher, wie gut Evie damit umgehen kann. Ich stellte mir die Frage, ob sie in einer massiven problematischen Situation steckt oder ob sie Dank ihrer wirklich genialen Therapeutin ihr Leben packt. Das wurde erst später klarer gezeichnet. Schade trotz des Feingefühls.

Sehr faszinierend fand ich, dass Caleb mir Evie näher gebracht hat. Ich glaube, seine lebenslange Übung darin, Evie zu lesen, half mir als Leserin sehr, sie besser zu verstehen. Ich bin auch definitiv Team Caleb. Wir sprechen hier nicht von einem Bad Boy, einem Helden oder Perfect Dreamboy, nein, wir sprechen hier von einem besten Freund, Bruder, Programmier-Junkie, einen kleinen Aufreißer, Sportler, den gutmütigen Kerl von nebenan, den spontanen Spaßvogel aus der letzten Reihe, der GUTE Sprüche in den Raum wirft. Das ist Caleb und noch viel mehr. Ich mag seine Offenheit und wie er mir sein Herz geöffnet hat. Caleb und Evie wirken wie zwei Hälften, die sich total symbiotisch miteinander verbinden. Das klingt schnulzig, ist es trotzdem nicht. Die Autorin zeigt diese tiefe, "nicht fleischliche" Beziehung so natürlich. Zwei Menschen, die sich in- und auswendig kennen. Wunderschön.

Um ehrlich zu sein, hätte ich die Dreiecksgeschichte mit dem tatsächlich sympathischen Leo nicht gebraucht. Klar, beim Lesen suchte ich mir mein Team, so ist das nun mal, und irgendwie sollte Evie die erste Liebe ja kennenlernen und bekam das auf undramatische Weise. Ich war überrascht. Keine Eifersüchteleien, die groß an den Pranger gestellt wurden, nur kleine Aussetzer, die ich gut nachvollziehen konnte. Eine Dreiecksgeschichte, die angenehm zu lesen ist? Ja, es ist wahr. Vielleicht liegt es daran, dass die Autorin weitere wichtige Punkte anspricht, die ohne die Dreiecksgeschichte ebenso funktioniert hätten.

Zum einen die naturwissenschaftliche Welt. Ich mochte Mathe nie. Physik war in Ordnung und Informatik... Sagen wir, es hörte bei HTML auf. Und jetzt kommts! In dieser Geschichte machte es mir Spaß darüber zu lesen. Theorien, die kreativ diskutiert werden, Skizzen und Zeichnungen, um Gleichungen darzustellen, Winks auf Matrix & Co. und die Message, dass die Protagonistin Mathematik so zeigen will, dass jeder normale Mensch sie versteht. Evie ist dafür definitiv ein Opener gewesen. Eingebettet wurde das Ganze nicht nur in Hausaufgaben, die übrigens nicht als nerviges Beiwerk, eher als Freizeitbeschäftigung und als Selbstverständlichkeit gesehen werden, sondern in einem hoch prämierten Wettbewerb, der mich mitfiebern ließ.

Zum anderen las ich leider auch die Kehrseite der Medaille. Frauen in der Wissenschaft, Frauen in der Mathematik, Frauen, die einfach nicht für voll genommen werden. Wow. Es hätte mich nicht überraschen dürfen. Doch, dass Lehrer, hochintelligente Wissenschaftler im 21. Jahrhundert so abwertend damit umgehen, ließ mich trotzdem stocken. Von Rassismus ganz zu schweigen. Ich denke, die Autorin steuerte damit ihre eigenen Erfahrungen bei. Ein Fingerzeig auf die altertümliche Denkweise einiger aus älteren Generationen. Umso mehr genoss ich die Reaktion der Jugendlichen darauf - Sie zeigen auf sehr smarte Weise, was in ihnen steckt und ich konnte nur denken "Tja, das haste jetzt davon".

Das ist nicht alles: Mobbing, falsche Entscheidungen (das ist nett ausgedrückt) innerhalb der Familie, seinen eigenen Weg finden, sich auf die Zukunft vorbereiten, Ängste zu überwinden und über sich hinauswachsen - irgendwie das, was man bei Young Adult erwartet. Schön fand ich, dass Nebencharaktere wie Evies beste Freundin Bex eine Geschichte bekamen, der ich folgen dürfte. So wurden die Probleme des Lebens nicht nur auf wenige Köpfe verteilt und Bex musste ich einfach lieben. Ich kenne kaum eine bessere Vermittlerin wie sie.

Ich genoss die meisten Zeilen der Geschichte. Wie kann man es nur schaffen easy zu schreiben und trotzdem so intelligente Anekdoten raus zu hauen? Der Schreibstil war dadurch angenehm. Dialoge, Gedankengänge und situationsnotwendige Beschreibungen sind das Ding der Autorin. Wer geblümte Malereien des ganzen Settings oder der Protagonisten sucht - Fehlanzeige. Das hat mich aber null gestört. Einzig und allein die Übersetzung besitzt ihre Schwächen. Ich sage nur, wir haben wieder das "Girlfriend/Boyfirend"-Problem. Im Deutschen klingt das einfach bescheiden.

Nichtsdestotrotz endet diese Geschichte so wie man es sich wünscht oder zumindest fast. Sie hat keinen Moment losgelassen und ich glaube, dass ich das Buch nicht so schnell vergessen werde.

Fazit:

Vielseitg gezeichnete Charaktere, Geisteswissenschaften modern und ansprechend, Gesellschaftskritik, die zum Umdenken anregt und eine locker, leichte Geschichte um die erste Liebe. "Can you help me find you" ist empfehlenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere