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Veröffentlicht am 08.02.2022

Am Fleischerhaken alter Träume

Damenbart
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Dort hängen fast alle vereinsamten Protagonist*innen der intensiven Erzählungen aus „Damenbart“ von Sarah Pines – die etwas sperrigen Charaktere der in den USA lebenden Journalistin und Autorin blicken ...

Dort hängen fast alle vereinsamten Protagonist*innen der intensiven Erzählungen aus „Damenbart“ von Sarah Pines – die etwas sperrigen Charaktere der in den USA lebenden Journalistin und Autorin blicken mit Wehmut, Traurigkeit und Groll auf vergangene Zeiten. Wie die in die Jahre gekommenen Schauspielerinnen Blanca und Peg, die ihre Glanzzeiten im alten Hollywood hinter sich haben – während Blanca trotz Netflix und Alter noch Rollen erkämpft, stürzt sich Peg wie ihr reales Vorbild Entwistle tragisch und theatralisch im schönsten Kleid vom berühmten weißen Schriftzugs Hollywoods in den Tod. Meist haben die Frauen Liebhaber, denen sie abfällige Spitznamen geben und sie betrügen ihre Ehemänner. Es gibt auch die unerreichte Liebe, verzweifelte Sexgeschichten und mythologische Figuren, an denen sich die Charaktere an geografisch facettenreichen Orten erfolglos klammern. Fast alle stecken hinter unerreichbaren Masken, Selbstzweifeln am eigenen Körper und Rollen, die sie im Leben einnehmen, ohne ausbrechen zu können.

Pines entwirft in ihren eindringlichen 17 Geschichten, die von kleinen assoziativen Miniaturen bis zu längeren Erzählungen reichen, stets einen eigenen Kosmos von Einsamkeit, Verfall und Unzulänglichkeiten – die Schauspielerei, aber auch eine Bandbreite an sinnlichen Farben und dem eher unangenehmen Schweiß wiederholen sich im Erzählten. Pines ist eine versierte Meisterin der szenischen Details, was die Atmosphäre der Geschichten anbelangt wie in dem tristen amerikanischen Ort Buffalo, wo Shaina während der Trump-Wahl vergeblich auf ein besseres Leben hofft. Oder in „Krabbencocktail", in dem ein Junge sein stummes Elternhaus inmitten der Louisiana-Vegetation samt aufkommenden Weg in den Alkoholismus aufzeigt. Sowie das morbid-verfallene französische Schloss in „Schweiß“, in dem eine Herrin im von Schwammpilzen übersäten Stuhl auf den Mord zweier Kinder blickt. Und in „Wintersonne“ bringen Orangen einen betagten Mann zurück ins sehnsuchtsvolle Afrika vergangener Jugendtage.

Mit wenigen pointierten und sinnlichen Sätzen skizziert Pines außergewöhnliche Leben voller Enttäuschungen, Unschönem und „am Fleischerhaken alter Träume“, die gerade in den längeren Geschichten präzise und sehr atmosphärisch zur Geltung kommen. Die Short-Storys ermöglichen nur ein kleines Schlaglicht auf Charaktere und Umgebungen, die keinen näheren Blick zulassen und sich teilweise in zu vielen lakonisch-obszönen Aussprüchen, Selbsthass und offenen Enden verlieren. Trotzdem ein lesenswertes und vielschichtiges Debüt, das mit seinen melancholisch-poetischen Erzählungen zwar die Seele nicht aufheitert, aber auf weitere Veröffentlichungen der talentierten Autorin hoffen lässt.

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Veröffentlicht am 26.08.2021

Mit der Kraft von Legenden

Jeder Tag ist eine Schlacht, mein Herz
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Es sind einige Schlachten, die von der 21jährigen Zelda bestritten werden müssen. Sie leidet an der Fetalen Alkoholspektrumsstörung (FASD) und benötigt im Alltag Hilfe von
Ihrem Bruder Gert. Trotzdem kämpft ...

Es sind einige Schlachten, die von der 21jährigen Zelda bestritten werden müssen. Sie leidet an der Fetalen Alkoholspektrumsstörung (FASD) und benötigt im Alltag Hilfe von
Ihrem Bruder Gert. Trotzdem kämpft sie für Autonomie, Glück, erste Liebe und als sich Gert in kriminelle Machenschaften verstrickt, auch um ihn. Zelda hat ihre eigene Perspektive, ihre eigene Wahrnehmung ihrer Umwelt – mit Hilfe von Legenden, Wikingersagen und –übertragungen gibt sie sich Kraft, Struktur und Anhaltspunkte, was in schwierigen Situationen zu tun ist. Sei es, ihre geliebte „Sippe“ ist in Gefahr, der erste Sex oder wie man Unholde und zwielichtige Gestalten das Fürchten lernt. Doch nicht immer kann sie sich vor gewaltvollen Übergriffen schützen, was schmerzlich beim Lesen ist und doch der Realität entspricht. In der Bibliothek liest sie jedes Wikingerbuch, was sie in die Hände bekommt, schreibt sich Denkzettel, Handlungshilfen und altnordische Begriffe auf.

Andrew MacDonald erweckt in seinem unkonventionellen und tief menschlichen Debütroman eine kraftvolle Protagonistin zum Leben – mit einem taffen Sound, einem schier unendlichen Mut, für seine Bedürfnisse trotz kognitiver Einschränkung zu kämpfen und in dem es viel um Zusammenhalt geht. Zeldas naiv-kindliche und doch starke Perspektive hinterlässt Eindruck und einen bleibenden, berührenden Einblick in ihre Welt. Zahlreiche schlagfertige Dialoge und Gedanken wechseln mit keckem Humor, spannenden Einlagen und bewegenden Erlebnissen ab – insgesamt ist die Romanvorlage flüssig, filmreif und szenisch komponiert. Das Ende von Zeldas Coming-of-Age gleicht einem Nervenkitzel und verliert sich nicht in Rührseligkeit. Ein mitreißende Geschichte mit einer außergewöhnlichen Heldin und die das wichtige Thema Inklusion aufgreift.

„In den Wikingerlegenden ist der Held immer kleiner als der Unhold. Deswegen wird er zur Legende.“ S. 324

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Veröffentlicht am 23.06.2020

Dunkle Schatten & Geheimnisse

Im grausamen Licht der Sonne
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Die Pianistin Anahera kommt nach dem Tod ihres Ehemanns zurück in ihr neuseländisches Heimat-Küstenstädtchen Golden Clove. Doch so sonnig und golden wie es der Anschein erweckt, sieht es in den Seelen ...

Die Pianistin Anahera kommt nach dem Tod ihres Ehemanns zurück in ihr neuseländisches Heimat-Küstenstädtchen Golden Clove. Doch so sonnig und golden wie es der Anschein erweckt, sieht es in den Seelen der Bewohner nicht aus - viele bergen dunkle Geheimnisse und Schattenseiten in sich. Auch Anahera kommt hierher in ihr Elternhaus zurück, um den Dämonen und Verletzungen aus ihrer Vergangenheit zu entkommen und Frieden zu schließen. Doch so einfach wird es nicht werden: die junge, wunderschöne und lebenshungrige Miriama verschwindet spurlos beim Joggen - schnell werden schlimme Erinnerungen aus der Vegangenheit wach - es sind schon drei Wanderinnen in der wunderschönen, aber auch gefährlichen Gegend verschwunden. Hatten sie einen Unfall - oder gibt es einen Mörder in Golden Clove?

Zusammen mit dem einzigen und neu hierher versetzten Polizisten Will macht sich Anahera auf die Suche nach Miriama und wird duch die Anziehung zu Will mit ihrem Schmerz konfrontiert. Und auch Will hat einige Traumata aus der Vergangenheit, die er ihr anvertraut. So entsteht in dem spannenden Thrillergewebe noch eine kleine, zurückhaltende Romanze.

Leider kenne ich noch kein Buch der Bestsellerautorin Nalini Singh und ihr Schreibstil hat mir sehr gut gefallen - flüssig, szenisch, schöne Sprachbilder (die sich leider manchmal wiederholen), ein gutes Gefühl für subtile Wellen im Zwischenmenschlichen und die Gabe, dass man einfach weiterlesen möchte. Sie zeigt die Schönheit von Natur und Menschen, aber auch, wie rauh und gewalttätig beides sein kann. Obwohl die zwei Protagonisten Will und Ana eher Einzelgänger sind und etwas schroff, waren sie mir sympathisch.

Als einzigen Minuspunkt ziehe ich das Ende und die Auflösung des Falles ab - da ging es mir persönlich etwas zu schnell und die Mordsabsichten waren mir nicht ganz zu erschließen. Aber Singh macht auch hier deutlich, was hinter den schönen Fassaden lauern kann - und das in einem tollen, neuseeländischen Setting mit der Māori-Kultur.

Fazit: Ein unterhaltsamer Thriller in sehr schöner Sprache - leider für mich etwas mit Schwächen im Plot.

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Veröffentlicht am 04.06.2020

Tragikomischer Tanz des Pandas

Pandatage
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Danny ist das, was man heute leider als Loser bezeichnet: chronisch pleite, perspektivlos, ohne richtige Ausbildung und als ihm nach dem Jobverlust der Vermieter mit einem Hammer nach Geld droht, vor dem ...

Danny ist das, was man heute leider als Loser bezeichnet: chronisch pleite, perspektivlos, ohne richtige Ausbildung und als ihm nach dem Jobverlust der Vermieter mit einem Hammer nach Geld droht, vor dem Existenzverlust. Doch noch schlimmer knabbert an ihm das Verhältnis zu seinem elfjährigen Sohn Will - dieser ist nach dem Unfalltod seiner Mutter Liz traumatisiert und spricht kein einziges Wort mehr. Auch Ärzte können nicht weiterhelfen. Als Danny Straßenkünstler im Londoner Hyde Park sieht, kommt ihm eine Idee - er kauft sich ein ausrangiertes Pandakostüm und probiert als Tanzbär im Park Geld zu sammeln. Doch seine Tanzkünste sind miserabel - da trifft er die resolute und sehr freche Bartänzerin Krystal, die ihm Tanzunterricht gibt. Das zeigt Früchte, aber noch besser ist, dass Will anfängt, mit dem Panda zu reden - nichts ahnend, dass sein Vater unter dem Tierkostüm steckt. Schritt für Schritt nähern sich die beiden wieder an, bauen Brücken über Verletzungen und beide finden einigermaßen zurück ins Leben.

James Gould-Bourn lässt in seinem filmreifen Debüt "Pandatage" Tragik mit Komik, Trauer mit Humor tanzen und oftmals ist dies auch zu lachen und besonders die Vater-Sohn-Annäherung sind die emotional stärksten Stellen im Buch. Auch werden Werte wie Mut und vor allem Freundschaft groß geschrieben - Danny hat seinen ukrainischen Hünen Ivan mit großem Herz zur Seite und Will seinen Mo, der selbst eine Behinderung hat. Doch der Wert eines freundlichen Miteinanders fehlt an vielen Stellen - so gingen mir Krystals Sprüche oftmals zu weit und der schwarze britische Humor konnte mich nicht erreichen. Manche Figuren sind so plakativ geraten, dass sie für mich die Situationskomik nicht mehr ganz rund gemacht haben.

Das Hörbuch wird präzise, professionell und mit stimmlicher Variation sehr unterhaltsam von Hendrik Duryn gesprochen, was der Geschichte nochmal mehr Farbe und Unterhaltungswert verleiht. Fazit: Eine emotional mitreißende Geschichte, für mich leider mit kleinen Schwächen in Logik und Figurenzeichnung. Weniger Paukenschläge hätten an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch mehr Wirkung und Nähe erzeugt.

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Veröffentlicht am 09.07.2023

Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Flüchtige Freunde
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Die amerikanische Autorin Anna Caritj verwebt in ihrem atmosphärischen Debütroman „Flüchtige Freunde“ die mentale Entwicklung einer jungen, instabilen Frau mit einem mysteriösen Vermisstenfall an einem ...

Die amerikanische Autorin Anna Caritj verwebt in ihrem atmosphärischen Debütroman „Flüchtige Freunde“ die mentale Entwicklung einer jungen, instabilen Frau mit einem mysteriösen Vermisstenfall an einem Campus.

Leda ist an ihrer Universität in einer Schwesternschaft – nach dem Tod ihrer Mutter, den sie noch nicht verarbeitet hat und als Trauma in sich verkapselt trägt, verspricht sie sich dort Halt und Zugehörigkeit. Nach einer exzessiven Partynacht an Halloween, bei denen viele junge Männer und Frauen jegliche Hemmungen verlieren, wacht Leda ohne Erinnerung und einer blutigen Lippe auf. Sie fragt sich, ob sie in dieser Nacht Sexualverkehr mit ihrem Schwarm Ian hatte und ob dieser einvernehmlich war. Und gleichzeitig verschwindet nach dieser Party ihre flüchtige Bekannte im Schwanenkostüm Charlotte und ist nicht auffindbar. Wurde sie vergewaltigt und umgebracht?

Während am College-Campus großflächige Suchaktionen, Diskussionen und gesellschaftspolitische Events zu Charlotte stattfinden, verstrickt sich Leda in ihren Projektionen auf Charlotte immer mehr in ein verwirrendes Gedankenkarussell und in ein fast schon wahnhaftes Verhalten. Sie sucht Charlottes Haus auf, nimmt sich dort eine Reihe privater Postkarten mit und macht sich obsessiv auf die Suche nach Charlottes letzten Tagen und Verbleib. Dabei sucht Ian immer wieder Kontakt zu ihr – kann sie ihm vertrauen und was genau ist in der Halloween-Nacht passiert?

Packend und bewegend dringt Anna Caritj dabei in einer Art des ewigen Monologs tief in die Gedanken und Seele der Protagonistin ein – auch wenn sich vieles dabei wiederholt, sind die Erinnerungsfetzen an ihre Mutter gemischt mit ihrer Unsicherheit in Sachen Sex, Verbundenheit und Liebe sehr greifbar. Dabei nutzt die Autorin treffsicher-schöne Metaphern aus der Astronomie oder Tierwelt und nimmt erzählerisch jedes Detail in der Umwelt wahr. Filmisch und dicht schildert sie zudem das Campusleben und die anderen Handlungsorte wie Charlottes Haus oder Farm, in der sie das rabiate Herdenverhalten der Ziegen ausführlich beobachtet. Darüber hinaus spricht Caritj durch Ledas verworrene Wahrnehmung einige gesellschaftspolitische Themen an, allen voran selbstbestimmte Sexualität und Vergewaltigung. Aber auch Familie, Freundschaft, Trauer, Unsicherheit in Bindungen und die Suche nach Zugehörigkeit spiegeln sich vage im Roman, während so manche Hauptfigur wie Ian sehr blass in der Charakterzeichnung bleibt.

Doch leider stolpert das vielversprechende Debüt am Ende über das eigene Konstrukt – Leda versucht ihr verdrängtes Trauma und den After-Party-Blackout mit Charlottes Verschwinden zu verknüpfen und aufzulösen. Das schafft sie auch, aber nachdem in unzähligen, treibenden Kapiteln voller Zerrissenheit, Bedrohungen und drehender Bewegung mit repetitiven Fragen ein großer Spannungsanstieg konstruiert wurde, fällt die Auflösung und Heilung des Traumas psychologisch sehr knapp und unglaubwürdig aus. Auch die anfänglichen Bezüge zur Leda-und-Zeus-Mythologie (Originaltitel) verlaufen sich gnadenlos im Sande.

Trotzdem bleibt Anna Caritj eine sprachlich talentierte Autorin, von der gespannt erwartet werden darf, was noch von ihr erscheinen wird!

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