Am Fleischerhaken alter Träume
DamenbartDort hängen fast alle vereinsamten Protagonist*innen der intensiven Erzählungen aus „Damenbart“ von Sarah Pines – die etwas sperrigen Charaktere der in den USA lebenden Journalistin und Autorin blicken ...
Dort hängen fast alle vereinsamten Protagonist*innen der intensiven Erzählungen aus „Damenbart“ von Sarah Pines – die etwas sperrigen Charaktere der in den USA lebenden Journalistin und Autorin blicken mit Wehmut, Traurigkeit und Groll auf vergangene Zeiten. Wie die in die Jahre gekommenen Schauspielerinnen Blanca und Peg, die ihre Glanzzeiten im alten Hollywood hinter sich haben – während Blanca trotz Netflix und Alter noch Rollen erkämpft, stürzt sich Peg wie ihr reales Vorbild Entwistle tragisch und theatralisch im schönsten Kleid vom berühmten weißen Schriftzugs Hollywoods in den Tod. Meist haben die Frauen Liebhaber, denen sie abfällige Spitznamen geben und sie betrügen ihre Ehemänner. Es gibt auch die unerreichte Liebe, verzweifelte Sexgeschichten und mythologische Figuren, an denen sich die Charaktere an geografisch facettenreichen Orten erfolglos klammern. Fast alle stecken hinter unerreichbaren Masken, Selbstzweifeln am eigenen Körper und Rollen, die sie im Leben einnehmen, ohne ausbrechen zu können.
Pines entwirft in ihren eindringlichen 17 Geschichten, die von kleinen assoziativen Miniaturen bis zu längeren Erzählungen reichen, stets einen eigenen Kosmos von Einsamkeit, Verfall und Unzulänglichkeiten – die Schauspielerei, aber auch eine Bandbreite an sinnlichen Farben und dem eher unangenehmen Schweiß wiederholen sich im Erzählten. Pines ist eine versierte Meisterin der szenischen Details, was die Atmosphäre der Geschichten anbelangt wie in dem tristen amerikanischen Ort Buffalo, wo Shaina während der Trump-Wahl vergeblich auf ein besseres Leben hofft. Oder in „Krabbencocktail", in dem ein Junge sein stummes Elternhaus inmitten der Louisiana-Vegetation samt aufkommenden Weg in den Alkoholismus aufzeigt. Sowie das morbid-verfallene französische Schloss in „Schweiß“, in dem eine Herrin im von Schwammpilzen übersäten Stuhl auf den Mord zweier Kinder blickt. Und in „Wintersonne“ bringen Orangen einen betagten Mann zurück ins sehnsuchtsvolle Afrika vergangener Jugendtage.
Mit wenigen pointierten und sinnlichen Sätzen skizziert Pines außergewöhnliche Leben voller Enttäuschungen, Unschönem und „am Fleischerhaken alter Träume“, die gerade in den längeren Geschichten präzise und sehr atmosphärisch zur Geltung kommen. Die Short-Storys ermöglichen nur ein kleines Schlaglicht auf Charaktere und Umgebungen, die keinen näheren Blick zulassen und sich teilweise in zu vielen lakonisch-obszönen Aussprüchen, Selbsthass und offenen Enden verlieren. Trotzdem ein lesenswertes und vielschichtiges Debüt, das mit seinen melancholisch-poetischen Erzählungen zwar die Seele nicht aufheitert, aber auf weitere Veröffentlichungen der talentierten Autorin hoffen lässt.