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Veröffentlicht am 20.06.2020

Geschichtlich äußerst interessant

Ich bleibe hier
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Für Touristen ist er ein beliebtes Fotomotiv, der halb im Reschensee in Südtirol befindliche Kirchturm, der auch das Covermotiv darstellt. Doch wissen sie um die Geschichtsträchtigkeit der Gegend? Von ...

Für Touristen ist er ein beliebtes Fotomotiv, der halb im Reschensee in Südtirol befindliche Kirchturm, der auch das Covermotiv darstellt. Doch wissen sie um die Geschichtsträchtigkeit der Gegend? Von mir muss ich eingestehen, dass mir über Südtirol bislang eigentlich nur bekannt war, dass dort deutsch gesprochen wird. Dank dieses wunderbaren, wirklich lesenswerten Romans verfüge ich jetzt aber über weitaus fundiertere Kenntnisse.
In dem Buch lässt der Autor die fiktive Trina aus dem Bergdorf Graun in einem Notizbuch an ihre verloren geglaubte Tochter ihr Leben seit Anfang der 1920er bis hin zu Anfang der 1950er Jahre schildern. Sachlich, emotionslos, dem harten Leben der Bergbauern angepasst spannt Trina den Bogen von den wenigen Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs, als sie noch hoffen durfte, später als Lehrerin arbeiten zu können, über die Zeit nach der Machtergreifung Mussolinis, in der alles Deutsche in Südtirol unerwünscht war, sowie die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs, als sich die Leute für eine Auswanderung ins Deutsche Reich oder ihren rechtlosen Verbleib in Italien entscheiden mussten, bis hin zur Realisierung eines gewaltigen Staudammprojekts nach dem Krieg, das Graun und andere Dörfer dem Boden gleich machte. Trina und ihr späterer Ehemann sind heimatverbunden und vorbildlich in ihrem Widerstand gegen alle Repressalien. Doch gelingt es ihnen, sich immer durchzusetzen gegen die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft? Wir werden es erfahren. Offen bleibt hingegen, was aus der Tochter geworden ist, die als Kind heimlich (oder unfreiwillig?) mit Verwandten ins Reich ausgewandert ist. Insoweit hätte ich gerne noch mehr erfahren.

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Veröffentlicht am 20.06.2020

Us Söl'ring Lön/Unser Sylter Land

Ozelot und Friesennerz
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In diesem wirklich lesenswerten Roman zeigt die Autorin auf, dass die vorgenannte Sylter Inselhymne mit dem so schön klingenden friesischen Titel schon lange nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, da ...

In diesem wirklich lesenswerten Roman zeigt die Autorin auf, dass die vorgenannte Sylter Inselhymne mit dem so schön klingenden friesischen Titel schon lange nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, da die Insel längst nicht mehr den dort geborenen Insulanern gehört, sondern den reichen Stars, Politikern, Industriellen, Investoren und Immobilienspekulanten, die jedes Haus und jeden freien Grund aufkaufen. Die Anfänge liegen eigentlich bereits in den Jahren des Wirtschaftswunders der 1960er und 1970er Jahren. Und exakt in diesem Zeitraum ist die Geschichte angesiedelt. Die 1963 geborene Autorin erzählt über ihre Kindheit auf Sylt. Die reichen und namhaften Touristen begannen auf der Insel einzufallen und der Tourismus wurde für die Insulaner zum auch sie in den Wohlstand führenden Lebensinhalt, dem sich das Familienleben unterzuordnen hatte. Typisch war, dass die Insulaner ein Unternehmen/einen Betriebe hatten (Susannes Eltern führten ein florierendes Pelzgeschäft) und nebenher noch Fremdenzimmer vermieteten, Touristen in der Hauptsaison sogar in den eigenen Ehebetten unterbrachten, und die Kinder nicht stören durften. Durchaus humorig wird uns die damalige Zeit auf Sylt geschildert und die eine oder andere Anekdote über namhafte Personen zum Besten gegeben. Die Insel als solche wird sehr bildhaft beschrieben und so mancher Einwohner wird als uriges Original dargestellt. Das Schöne ist, dass ich fast zur selben Zeit wie die Autorin geboren wurde und mir Vieles aus eigener Erinnerung bekannt ist. Sogar von dem Cover-Foto kann ich sagen – ja, exakt so waren die Menschen (und ich) damals angezogen. In Prolog und Epilog hält die Autorin nicht mit berechtigter Kritik an den Ursachen der heutigen unbefriedigenden Situation auf der Insel zurück.

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Veröffentlicht am 18.05.2020

Zum Nachdenken anregende Rechtsfälle

Strafe
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Der Autor ist ausgebildeter Strafverteidiger. Mit diesem Buch knüpft er an die früheren Erzählungsbände „Verbrechen“ und „Schuld“ an. Erneut erzählt er auch hier in zwölf kurzen, unabhängig voneinander ...

Der Autor ist ausgebildeter Strafverteidiger. Mit diesem Buch knüpft er an die früheren Erzählungsbände „Verbrechen“ und „Schuld“ an. Erneut erzählt er auch hier in zwölf kurzen, unabhängig voneinander lesbaren Rechtsfällen über menschliche Schicksale, zu denen ihn wohl sein früherer Berufsalltag inspiriert hat. In ihnen spielen oft einsame Menschen, Außenseiter eine wichtige Rolle. Alle Geschichten hat das Leben geschrieben, weshalb man einen guten Bezug zu ihnen bekommt. Sie regen zum Nachdenken an. Die zugleich sachlich und gefühlvoll gehaltene Schreibweise verschafft die notwendige Objektivität bei der eigenen Beurteilung der Sachverhalte. Juristische Fachbegriffe spielen keine große Rolle.
Sehr zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Über ein politisch wichtiges Thema

Gehen, ging, gegangen
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Dieses im Jahr 2015 erschienene Buch war gerade damals angesichts der Flüchtlingsströme nach Deutschland brandaktuell, ist es aber noch nach wie vor.

Der Protagonist dieser Geschichte ist der gerade emeritierte ...

Dieses im Jahr 2015 erschienene Buch war gerade damals angesichts der Flüchtlingsströme nach Deutschland brandaktuell, ist es aber noch nach wie vor.

Der Protagonist dieser Geschichte ist der gerade emeritierte Professor für Alte Sprachen Richard aus einem Berliner Vorort. Um seine Zeit zu füllen, nimmt er ein neues Projekt in Angriff, zu dem er sich durch eine Gruppe Asylsuchender animieren lässt, die schon geraume Zeit auf dem Oranienplatz campieren und eigentlich nichts lieber tun würden als in Deutschland zu arbeiten. In Befragungen lässt er sich von ihnen ihre ergreifenden Schicksale erzählen und erhält so Einblick in die konfuse Rechtslage von Flüchtlingen, die sich in den Maschen von Dublin II verfangen. Richard kniet sich immer mehr in die Sache hinein und wird zum Wohltäter für eine Reihe von Afrikanern. Das macht er nicht ungern, da er Parallelen zu seinem eigenen Leben sieht, der als Ostdeutscher nach der Wiedervereinigung heimatlos geworden ist. Seine Sichtweise auf sein Leben beginnt sich zu verändern.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr besonders. Auffällig sind verschachtelte Sätze im Gegensatz zu dann wieder sehr kurzen und stetige Wiederholungen. Angesichts des Themas ist das Buch sehr interessant für jene mit Interesse an Asyl- und Flüchtlingspolitik, außerdem auch für jene mit Interesse an der Zeit der DDR.

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Veröffentlicht am 10.05.2020

Märchenhaft schön

Die Geschichtensammlerin
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Solch eine gelungene Vermischung von Märchen und Schilderung wahrer Begebenheiten habe ich selten gelesen. Lob verdient dieser schöne Debütroman der Autorin über die Zeit des Ceausescu-Regimes in Rumänien ...

Solch eine gelungene Vermischung von Märchen und Schilderung wahrer Begebenheiten habe ich selten gelesen. Lob verdient dieser schöne Debütroman der Autorin über die Zeit des Ceausescu-Regimes in Rumänien im Jahre 1989 umso mehr, als die amerikanische Autorin ausweislich ihres Nachwortes praktisch nichts über das Land wusste und erst durch rumänische Kolleginnen an einer internationalen Schule Einzelheiten über Rumänien hörte, die sie dann zu diesem Roman verarbeitete.
Schon dass die Geschichte aus der Sicht der zehnjährigen Ileana erzählt wird, ruft bei mir Begeisterung hervor. Denn das Mädchen ist einfach nur liebenswert und sympathisch. Sie verfügt über eine enorme Fantasie, die sich darin äußert, dass sie eine wirklich gute Geschichtenerzählerin ist, als die sie sich selbst auch ansieht. Schon von klein auf sammelt sie selbst erdachte und ihr erzählte Geschichten in einem immer dicker werdenden Pappschnellhefter. Das Talent dazu stammt aus der väterlichen Linie, denn ihr Vater ist Professor für Literatur in Bukarest und ihr Onkel Dichter. Dessen Regimekritik wird dann aber zu einer Gefahr für die ganze Familie, weshalb die Eltern Ileana weit weg in ein Bergdorf zu den ihr bis dahin unbekannten Großeltern schicken. Leider spürt die Geheimpolizei den sich ebenfalls dorthin geflüchteten Onkel und damit einhergehend Ileana dort auf und ist auf einmal das gesamte Dorf in tödlicher Gefahr. Ileana und ein ihr zur Freundin gewordenes Mädchen aus dem Dorf ersinnen eine verwegene Rettungsaktion, bei der Ileanas Geschichten eine Rolle spielen. Werden sie Erfolg haben?
Durch das Buch habe ich so viel über die blutige Revolution in Rumänien 1989 und die vorausgehende Schreckensherrschaft Ceausescus mit seiner berüchtigten Geheimpolizei Securitate anschaulich erfahren, wodurch ich auch mehr Verständnis für die Bevölkerung heute erlangt habe. Denn diese litt wahrhaft unter dem sog. Conducator, was sich in wirtschaftlichem Mangel auf jeglichem Gebiet und Bespitzelungen äußerte. In schönem Gegensatz zu dieser bedrückenden Situation stehen die immer wieder in die Geschichte eingeflochtenen Volksmärchen, die von Ileana in immer wieder neuen Varianten erzählt werden und zeigen, wie sich Ileana selbst sieht.
Das Buch zählt zu den schönsten Büchern, die ich dieses Jahr gelesen habe.

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