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Veröffentlicht am 25.09.2020

Mittelalterliche Gestalten der besonderen Art

Der Halbbart
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Sebi, der Erzähler und maßgebliche Protagonist dieses Romans wächst in einem kleinen Dörfchen nahe Schwyz auf und lernt früh, dass das Leben hart ist. Er ist der jüngste von drei Brüdern, der Vater stirbt ...

Sebi, der Erzähler und maßgebliche Protagonist dieses Romans wächst in einem kleinen Dörfchen nahe Schwyz auf und lernt früh, dass das Leben hart ist. Er ist der jüngste von drei Brüdern, der Vater stirbt früh an einem Arbeitsunfall, Geni, der älteste Bruder, verliert bei einem ebensolchen sein Bein. Als auch noch die Mutter dahin scheidet, wird Sebi ins Kloster verbracht - das war sowieso eine Überlegung für seine Zukunft - aber nicht mehr. Und so fühlt er sich dort auch nicht wohl, da er den Glauben dort nicht als warm und behütend erlebt, sondern als Machtspiel. Als der Prior Unglaubliches von ihm verlangt, nimmt er Reißaus.

Sein Beschützer wird der Halbbart, ein Mann, der sich außerhalb des Ortes angesiedelt hatte und dessen Nähe Sebi bereits vorher gesucht hatte - als einer der Wenigen im Dorf, da der Halbbart als Ausgestoßener gilt: sein Gesicht ist nämlich halb verbrannt, weswegen sein Bart auch nur auf der Hälfte des Gesichts wächst. Dadurch hat er seinen Namen weg, den er auch selbst gern verwendet.

Er bringt Sebi zu einem Schmied ins Nachbardorf, der ihn als seinen Verwandten ausgibt und gewinnt seinerseits an Ansehen, als sich der einbeinige Geni, der im Dorf respektiert wird, für ihn stark macht.

Ein Roman, in dem dem Leser sowohl die Brutalitäten des Mittelalters vorgeführt als auch der Zusammenhalt und die Stärke von Menschen mit gemeinsamen Zielen dargelegt werden. Die leider auch schnell wieder brechen können aus dem ein oder anderen Grund.

Charles Lewinsky hat mit Sebi einen wachen Geist geschaffen, der hinterfragt, staunt, erschrickt - und "seine" Welt des frühen 14. Jahrhunderts in Frage stellt. Auf eine wunderbar anrührende Art und Weise, die sicher nicht typisch fürs Mittelalter ist, die es jedoch dem Leser ermöglicht, ihm aus der Gegenwart dorthin zu folgen.

Ein Roman mit starken Figuren, heftigen, aber auch warmherzigen Szenen, bei dessen Lektüre mir warm ums Herz wurde!

Veröffentlicht am 24.09.2020

Sippenhaft

Bis wir uns wiedersehen
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Können Sie sich das vorstellen? Ihr Vater begeht ein politisches Verbrechen, wird verhaftet - aber Sie ebenfalls. Und Ihre Kinder auch - obwohl keiner von Ihnen ein Verbrechen begangen hat. Nur der Vater ...

Können Sie sich das vorstellen? Ihr Vater begeht ein politisches Verbrechen, wird verhaftet - aber Sie ebenfalls. Und Ihre Kinder auch - obwohl keiner von Ihnen ein Verbrechen begangen hat. Nur der Vater - aus damaliger Sicht, nämlich im Sommer 1944 - er war involviert in Vorbereitung und Durchführung des Stauffenberg-Attentats gegen Hitler, das ja leider mißlang. Aus heutiger Sicht ist Ulrich von Hassell, denn um ihn handelt es sich, ein Held. Und zwar einer, der alles verlor, denn er musste, wie so viele seiner Mitstreiter, sein Leben lassen.

Ebenfalls verhaftet - und zwar wenige Tage später - wurde seine Tochter Fey von Hassell, die mit einem Italiener verheiratet war und zwei niedliche kleine Söhne hatte - die gleich mit verhaftet wurden. Wenige Tage später wurde sie von ihnen getrennt und auf eine wahre Odyssee geschickt, die sie unter anderem nach Buchenwald und andere Konzentrationslager verschlug und auf Capri endete - da war der Krieg schon vorbei. Was mit den Jungs geschehen ist, das wusste sie nicht.

Spannender als jede Fiktion ist diese real erzählte Familiengeschichte. Autorin Catherine Bailey schildert sie ebenso fesselnd wie fundiert - im Anhang befinden sich ausführliche Anmerkungen sowie ein Personenregister. Wer nicht vergessen und im Gegenteil mehr erfahren will über das Unrecht, das Nazideutschland über so viele Menschen brachte, der sollte dieses Buch lesen! Nein, verschlingen!

Veröffentlicht am 14.09.2020

Weiß - jedenfalls fast

Die verschwindende Hälfte
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Die Zwillingsschwestern Desiree und Stella wachsen gemeinsam in einem kleinen Ort, Mallard, im Staate Louisiana auf, wo sie nur "Die Zwillinge" genannt werden. Denn gemeinsam: das bedeutet bei ...

Die Zwillingsschwestern Desiree und Stella wachsen gemeinsam in einem kleinen Ort, Mallard, im Staate Louisiana auf, wo sie nur "Die Zwillinge" genannt werden. Denn gemeinsam: das bedeutet bei den beiden Mädchen - unzertrennlich.

Dass fast weiß dennoch schwarz ist, das lernen sie früh, als ihr Vater in ihrem Beisein zu Tode getreten wird. Einfach nur so. Denn wenn einer nur fast weiß ist, kann man es mit ihm ja machen.

Als späte Reaktion darauf verlassen die fast weißen, nun fast erwachsenen Schwestern ihr Kaff in Richtung New Orleans, wo sie eine Unterkunft finden und auch Arbeit - natürlich gemeinsam. Doch bald zeichnet sich ein unterschiedlicher Weg ab - während die kesse Desiree in der Wäscherei, in der sie beide starteten, bleibt, findet die wesentlich stillere Stella einen Job im Schreibbüro.

Und damit trennen sich irgendwann ihre Wege - Stella nämlich gilt im Büro nicht als fast, sondern als ganz Weiße und kehrt irgendwann einfach nicht mehr zu ihrer Schwester zurück, die eine gegensätzliche Richtung einschlägt: sie heiratet den dunkelhäutigsten Mann, dem sie begegnet und bekommt eine ebenso dunkle Tochter, mit der sie eine Dekade später zur Mutter in Mallard zurückkehrt - der Mann hat sich als Schläger entpuppt.

Ein wirklich fesselnder Roman, der gerade durch den klaren und gelegentlich distanziert erscheinenden, dann wieder emotional rüberkommenden Stil punktet. Ja, die junge Autorin Brit Bennett hat es wirklich drauf, ich muss nur bemängeln. dass einige Gewichtungen aus meiner Sicht hätten anders gesetzt sein sollen und die Zeit, in der der Roman spielt, nicht ganz klar ersichlich ist. Also rein subjektive Aspekte, die einem anderen Leser möglicherweise gerade besonders zusagen!

Insgesamt ist dies gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehenisse in den Vereinigten Staaten ein wichtiger und eindringlicher Roman über Abgrenzung, Anpassung und Loslösung. Und über vieles mehr. Finden Sie es heraus!

Veröffentlicht am 24.08.2020

Sie waren zu dritt

Kinder ihrer Zeit
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Die elfjährigen Zwillingstöchter Alice und Emma mit ihrer Mutter nämlich, die im letzten Kriegswinter, also zu Beginn des Jahres 1945, die beschwerliche Flucht aus Ostpreußen auf sich nahmen. Durch einen ...

Die elfjährigen Zwillingstöchter Alice und Emma mit ihrer Mutter nämlich, die im letzten Kriegswinter, also zu Beginn des Jahres 1945, die beschwerliche Flucht aus Ostpreußen auf sich nahmen. Durch einen tragischen Zufall wurde Alice von den beiden anderen getrennt.

Emma ist mit ihrer Mutter in Berlin gelandet und lebt dort im westlichen Teil - sie haben es nicht schlecht getroffen, auch wenn sie haushalten müssen und den Verlust von Alice nicht überwinden konnten.

Doch auch diese hat überlebt - wenn Emma und ihre Mutter nur wüßten...

Ein wundervoller Roman um eine überaus tragische Familiengeschichte vor der Kulisse des zweigeteilten Deutschland und des kalten Krieges. Autor Claire Winter hat akribisch recherchiert und schreibt unglaublich spannend, mitreißend, aber auch einfühlsam.

Sowohl sprachlich als auch inhaltlich stimmt hier absolut alles. Ein Buch, das man sich selbst kaufen, aber noch viel mehr verschenken sollte, an Menschen, mit denen man es besonders gut meint. Ich habe da schon eine Dame im Auge, die genau ein Jahr älter ist als die Zwillinge und ihrerseits die unzähligen Bombenangriffe auf Köln erleben und überleben musste bzw. durfte.

Claire Winter ist seit Jahren das Beste, was dem deutschen Literaturbetrieb in Bezug auf historische Romane über das 20. Jahrhundert passiert ist! Ich würde ihr, noch mehr aber dem internationalen Buchmarkt gönnen, dass "Kinder ihrer Zeit" in unzählige Sprachen übersetzt wird!

Veröffentlicht am 11.08.2020

Herbie Lemon erzählt Ungeheuerliches

Malamander - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea
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Herbie Lemon ist ein Junge mit einem verantwortungsvollen Job! Er ist Sachenfinder im Grand Nautilus Hotel in Eerie-on-Sea! Wo es ein Seeungeheuer namens Malamander geben soll - angeblich!

Ich glaube ...

Herbie Lemon ist ein Junge mit einem verantwortungsvollen Job! Er ist Sachenfinder im Grand Nautilus Hotel in Eerie-on-Sea! Wo es ein Seeungeheuer namens Malamander geben soll - angeblich!

Ich glaube an Malamander, lieber Herbie Lemon! Was sonst ist das, was Du da oben bei Lady Kraken in der Cameraluna gesehen hast?

Und wer sucht denn das Mädchen Violet - er scheint mir ein Dirty Old Man zu sein. Oder ein Spion?

Was für eine wundervolle süffige Geschichte - ich wollte dieses Hotel zu gern besuchen, es erinnerte mich doch sehr an das Grand Budapest Hotel aus dem gleichnamigen Wes-Anderson-Film - geheimnisvoll und vielversprechend! Und so war es auch, wenn auch in anderer Hinsicht als von mir erwartet - es ist deutlich bedrohlicher als sein filmischer Counterpart.

Wenngleich die Bedrohung nicht durch Lady Kraken, die uralte Besitzerin des Hotels ausgeht, sondern vom fiesen Hoteldirektor, der Herbie auf dem Kieker hat. Und bald auch das Mädchen Violet, das sich bei Herbie versteckt und ihre Eltern finden möchte, die kurz nach ihrer Geburt verschwanden.

Ein herrliches Buch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit vielen Überraschungen und tollen Ideen, wie bspw. die Bücher-Apotheke, wo die Bücher den Leser finden, die es gerade brauchen. Und vieles andere!

Frech, warmherzig und stimmig - und längst nicht so abgeschlossen wie ein klassisches Märchen - hier bleibt noch so einiges offen. Genau wie im wirklichen Leben. Aber wer sagt denn, dass dies hier kein wahres Leben ist? Ich jedenfalls möchte es zu gern glauben!