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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.03.2017

Über den Syrien-Krieg

Gott ist nicht schüchtern
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Der Roman beginnt in Syrien im Jahr 2011 im Arabischen Frühling kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs und zeichnet die Schicksale zweier Flüchtlinge - Amal und Hammoudi, beide in den Zwanzigern - nach. Amal ...

Der Roman beginnt in Syrien im Jahr 2011 im Arabischen Frühling kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs und zeichnet die Schicksale zweier Flüchtlinge - Amal und Hammoudi, beide in den Zwanzigern - nach. Amal ist Schauspielerin. Wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen Präsident Assad gerät sie ins Visier des Geheimdienstes. Hammoudi ist Arzt in Paris und kehrt zurück, um seinen Pass zu verlängern. Die Wiederausreise wird ihm verweigert, er versorgt fortan in einem illegalen Lazarett verletzte Assad-Gegner. Beide begegnen sich kurz in Damaskus und dann einige Jahre später in Berlin, wohin sie flüchten.

Der Roman lässt einen betroffen zurück. Das Schicksal der Protagonisten, die beispielhaft für so viele Flüchtlinge stehen, ist furchtbar. Sie, die von einem besseren Leben träumen, sind Erniedrigungen, Demütigungen und Gewalt ausgesetzt und geraten immer weiter hinein in die für einen Außenstehenden undurchsichtigen Verhältnisse ihres Heimatlandes. Insoweit ist das gut recherchierte Buch sehr informativ. Real vorgekommene Massaker werden erwähnt, das Schlepperwesen, Fremdenfeindlichkeit. Für mich war es manchmal fast zu viel. Treffend ist der Buchtitel gewählt - mit dem nicht schüchternen Gott ist Assad gemeint.

Zu empfehlen für die am syrischen Bürgerkrieg Interessierten.

Veröffentlicht am 21.03.2017

Suche nach einem Neuanfang

Wenn ich jetzt nicht gehe
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Mexiko-Stadt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Der Spanier Mauro Larrea hat es im vergangenen Vierteljahrhundert als Bergmann im Silberminenabbau zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Eine geschäftliche ...

Mexiko-Stadt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Der Spanier Mauro Larrea hat es im vergangenen Vierteljahrhundert als Bergmann im Silberminenabbau zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Eine geschäftliche Fehlentscheidung führt zu seinem finanziellen Ruin. Um seine Schulden fristgemäß tilgen zu können und wieder auf die Beine zu kommen, sucht er nach neuen Geschäftsideen. Er begibt sich erst nach Havanna/Kuba, dann nach Jerez/Spanien, wo er ein nach einem gewonnenen Billardspiel übereignet erhaltenes Weingut verkaufen will. Sein Zusammentreffen mit der schönen, geheimnisumwobenen Soledad Montalvo, Nachfahrin des Winzers, bringt Mauro neue Probleme, die es im Zusammenwirken mit Soledad zu lösen gilt.

Der Einstieg in die Geschichte ist mir nicht leicht gefallen. Zu verwirrend waren anfänglich die vielen Romanfiguren mit ihren für meine Ohren fremd klingenden spanischen Namen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase waren diese Leseschwierigkeiten aber bald behoben. Die Hintergrundinformationen zu der mir nur wenig bekannten Geschichte Mexikos als spanischer Kolonie und dann als unabhängiger Staat mit seinen unterschiedlichen Bewohnergruppen (Indios, Mestizen, Kreolen …) fand ich sehr lehrreich und interessant. Gleiches gilt für Kuba, das damals immer noch spanisches Vizekönigreich war. Die erste Hälfte des Romans, deren Handlung in Südamerika angesiedelt ist, hat mich auch inhaltlich gefesselt. Das liegt vor allem an der Person des Self-made-Mannes Mauro und seinen schnellen Entscheidungen, die die Handlung vorangetrieben haben. Nachdem sich dann jedoch die Handlung nach Spanien verlagert hatte, begann sie zu schwächeln, wirkte konstruiert und kam von der bis dahin im Mittelpunkt stehenden Lösungssuche hinsichtlich der finanziellen Probleme Mauros ab. Stattdessen nahm die Familiengeschichte von Soledad mit ihren Geheimnissen viel Raum ein. Das führt für mich zu einer Bewertungsherabsetzung auf knappe vier von fünf Sternen. Empfehlen kann ich das Buch Lesern von historischen Romanen über andere Länder beiderlei Geschlechts.

Veröffentlicht am 16.03.2017

Eine gestörte Mutter-Tochter-Beziehung aufgrund eines Geheimnisses in der Vergangenheit

Sturmherz
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Seit ihrem 11. Lebensjahr fühlt sich die Enddreißigerin Alexa von ihrer Mutter Conny ungeliebt und zurückgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mutter aus heiterem Himmel ihre Familie für drei Monate verlassen ...

Seit ihrem 11. Lebensjahr fühlt sich die Enddreißigerin Alexa von ihrer Mutter Conny ungeliebt und zurückgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mutter aus heiterem Himmel ihre Familie für drei Monate verlassen und ist verändert zurückgekommen, ohne jemals ihr Verhalten zu erklären. Nach einem Schlaganfall soll Alexa die Betreuung für die hilflose Conny übernehmen. Aufgefundene Unterlagen und Besucher aus Amerika lassen für Alexa allmählich deutlich werden, was es mit dem früheren Verschwinden ihrer Mutter auf sich hat. Das Ganze führt zurück in die Jahre 1961/2, als sich Conny in einen amerikanischen Austauschstudenten verliebte, ihr Glück jedoch der Hamburger Sturmflut zum Opfer fiel.

Angetan bin ich von der Idee, einmal die schlimme Naturkatastrophe von Hamburg aus 1962 zum Thema eines Romans zu machen. Um den Jahrestag herum berichten die Medien ja regelmäßig von der Sturmflut. Doch eine mit ihr im Zusammenhang stehende Familiengeschichte berührt weitaus mehr als sachliche Berichterstattung. Die Geschichte liest sich sehr flüssig und dank vieler Puzzleteile, die es für Alexa erst noch zusammenzusetzen gilt und die sie aus verschiedenen Unterlagen und Erzählungen entnimmt, bleibt die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten. Als etwas melodramatisch empfinde ich die Liebesgeschichte von Conny als junger Frau mit einem Austauschstudenten, die aufgrund einer Lebenslüge kein gutes Ende findet und Nachwirkungen über Jahrzehnte hinweg hat, schon. Aber das ist eben in einem Unterhaltungsroman so. In den Mittelpunkt wird die Aufarbeitung einer völlig verkorksten Mutter-Tochter-Beziehung gestellt. Dabei vermisse ich eine wirklich nachvollziehbare Erklärung für die Connys plötzliche totale Lieblosigkeit Alexa gegenüber nach ihrer Rückkehr zur Familie. Für die Liebe zum eigenen Kind muss doch auch Raum bleiben, wenn ein Mann unbedingt geliebt wird.

Alles in allem hatte ich angenehme Lesestunden mit dem Buch.

Veröffentlicht am 16.02.2017

Kriminalgeschichte im Berlin der 20er Jahre

Noble Gesellschaft
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Ein passionierter Krimileser bin ich nicht. Doch denke ich mit Fug und Recht sagen zu können, dass wir es hier mit einem eher untypischen, anspruchsvollen Kriminalroman zu tun haben. Ungewöhnlich ist schon ...

Ein passionierter Krimileser bin ich nicht. Doch denke ich mit Fug und Recht sagen zu können, dass wir es hier mit einem eher untypischen, anspruchsvollen Kriminalroman zu tun haben. Ungewöhnlich ist schon der lokale und zeitliche Hintergrund, in den die Geschichte eingebettet ist. Sie spielt im Berlin der 20er Jahre, das sich als recht dekadent präsentiert. Die gesellschaftlichen Schichten werden von der Autorin (im vorangestellten, angesichts der vielen Romanfiguren unentbehrlichen) Personenregister unterteilt in vier Stück: die Ermittler, die noble Gesellschaft, die nicht ganz so noble Gesellschaft und die überhaupt nicht noble Gesellschaft. Durch alle Schichten hindurch ziehen sich Übel wie außereheliche Verhältnisse, Drogenkonsum, Schmuggel und auch Mord. Oder war es doch Selbstmord, den der Patensohn des Reichspräsidenten begangen hat? Der Aufklärung widmen sich der Starschauspieler und Hobbydetektiv von Bäumer und dessen Lebensgefährte, der Kommissar Paul Genzer. Von Bäumer erinnert ein wenig an Sherlock Holmes. Überrascht hat mich, dass im Berlin der besagten Zeit so offen mit dem Thema Homosexualität umgegangen und sie offenbar toleriert wurde trotz des geltenden Unzuchtsparagraphen. Wissen sollte man noch, dass es einen Vorgängerband gibt („Feine Leute“).

Veröffentlicht am 17.01.2017

Die Eroberung des Himmels

Der Jahrhunderttraum (Jahrhundertsturm-Serie 2)
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Unverkennbar handelt es sich um einen historischen Roman aus der Hand eines männlichen Autors. Sehr viel Raum wird der Darstellung technischer Vorgänge rund um die Herstellung erster Zeppeline, Heißluftballons, ...

Unverkennbar handelt es sich um einen historischen Roman aus der Hand eines männlichen Autors. Sehr viel Raum wird der Darstellung technischer Vorgänge rund um die Herstellung erster Zeppeline, Heißluftballons, Segelflieger und Flugmaschinen in Deutschland und mit Ausblick auch auf das Ausland Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts gegeben. Diesem Thema verschrieben haben sich vor allem die männlichen Protagonisten (die Brüder Otto und Levin von Briest). Mir persönlich sind die diesbezüglichen Erörterungen manchmal fast zu viel des Guten und ich kann sie mangels Sachverstands auch nicht immer gut nachvollziehen. Aber flug- und fliegerbegeisterte Leser werden sicherlich alles mit großem Interesse lesen, zumal es sehr gut recherchiert ist. Für mich interessanter sind die Einzelheiten zur Frauenrechtsbewegung im vorgenannten Zeitraum, dargestellt anhand der fast schon in diesem Thema verbissenen Mutter von Briest. Das Faszinierende ist die Verknüpfung zwischen historischem Handlungsstrang, Liebesroman (soweit es um Otto von Briest und seine der Arbeiterschicht entstammende Hermine und sogar - man staune - um die lesbische Beziehung zwischen seiner Schwester Amalie und ihrer sog. Gefährtin Emma geht) und Krimieinschüben (Sabotageakte des fanatischen Antisemiten Otto Glock, detektivische Ermittlungen Otto von Briests). Sehr gut gefallen hat mir, mit welcher Liebe zum Detail der Autor die Geschichte verfasst hat. So erwähnt er etwa die erste Kaffeefiltriermaschine, die Pompadourfrisur und spielt auf die Zeitung Berliner Morgenpost an, die dem Ullstein-(also seinem) Verlag zugehört. Sprachlich lässt sich der Text gut lesen. Hervorheben möchte ich noch, dass viele Dialoge im authentisch klingenden Berlinerisch gehalten sind. Bleibt noch zu erwähnen, dass diesen zweiten Teil der Trilogie unproblematisch auch derjenige lesen kann, der wie ich den ersten Band („Der Jahrhundertsturm“) nicht kennt.