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Veröffentlicht am 18.02.2021

So viele Leben, so viele Denkanstöße

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
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Der britische Man Booker Prize wird seit 1969 verliehen, und Bernadine Evaristo war die erste schwarze Autorin, die ihn 2019 erhalten hat. Allerdings musste sie ihn sich mit Margaret Atwood teilen. Bereits ...

Der britische Man Booker Prize wird seit 1969 verliehen, und Bernadine Evaristo war die erste schwarze Autorin, die ihn 2019 erhalten hat. Allerdings musste sie ihn sich mit Margaret Atwood teilen. Bereits das zeigt, wie wichtig ihr Roman „Mädchen, Frau etc.“, in welchem sie die Lebenswirklichkeit schwarzer Frauen in der britischen Gesellschaft beschreibt.

Auf über 500 Seiten kommen 12 Frauen zwischen 19 und 93 zu Wort und erzählen ihre Geschichten. Sie kennen sich, ihre Leben sind miteinander verknüpft, sie haben Ziele, Wünsche, Träume. Suchen nach Orientierung, nach Akzeptanz und Liebe, wollen Selbstbestimmung, Gender und Feminismus leben, Rassismus und Unterdrückung hinter sich lassen. Sie sind so verschieden wie ihre Lebensentwürfe. Aber sie haben eines gemeinsam, und das ist ihre Hautfarbe und daraus resultierend die kollektiven Erfahrungen, die sie unabhängig von Herkunft, Bildung, persönlichem und gesellschaftspolitischem Hintergrund während ihres Lebens gemacht haben. Dennoch ist diese Sammlung nicht exemplarisch, bildet keinen Querschnitt ab, sondern zeigt nur einen kleinen Ausschnitt des variantenreichen Lebens schwarzer Frauen in Großbritannien.

Der Stil ist locker, leicht lesbar, die Geschichten fließen ineinander, sind nur durch Absätze getrennt. Satzzeichen werden nur spärlich eingesetzt, Zeilenumbrüche ersetzen den Punkt, den es nur am Ende des jeweiligen Kapitels gibt. Man könnte vermuten, dass das auf Kosten der Lesbarkeit geht, aber dem ist nicht so. Es wird nie unübersichtlich, im Gegenteil, dadurch nehmen die Schilderungen Tempo auf, zwingen förmlich zum Weiterlesen, aber auch zum Zurückblättern, wenn ein Name auftaucht, den man schon einmal in anderem Zusammenhang gelesen hat.

Ich bin ein Fan von Episodenromanen, mag die verschiedenen Stimmen, die Vielfältigkeit und die daraus resultierende Abwechslung, die geboten wird. Und wenn mich dann noch eine Autorin an die Hand nimmt und in diverse Lebenswirklichkeiten hineinschnuppern lässt, ist das umso besser. So viele Leben, so viele Denkanstöße. Lesen!

Veröffentlicht am 11.02.2021

Ein Frauenleben

Kim Jiyoung, geboren 1982
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„Kim Jiyoung, geboren 1982“ der Autorin Nam-Joo Cho ist zwar vom Umfang her ein schmales Büchlein, aber inhaltlich ein Werk von enormer Brisanz. Die 200 Seiten kommen zwar als Roman daher, sind aber vielmehr ...

„Kim Jiyoung, geboren 1982“ der Autorin Nam-Joo Cho ist zwar vom Umfang her ein schmales Büchlein, aber inhaltlich ein Werk von enormer Brisanz. Die 200 Seiten kommen zwar als Roman daher, sind aber vielmehr als das. Sie sind eine Bestandsaufnahme eines Frauenlebens nicht nur in asiatischen Gesellschaften, aber in diesem speziellen Fall geht es um Südkorea. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die in den Roman integrierten kommentierenden Passagen, die anhand offizieller Publikationen die Aussagen der Autorin untermauern. Zusätzlich sind zahlreiche Fußnoten mit Bezug zu den Inhalten zu finden.

Das Leben von Kim Jiyoung - der Name ist dem vergleichbar, den wir als Jane Doe aus dem englischen Sprachraum kennen - steht stellvertretend für das aller koreanischen Frauen, unterscheidet sich nicht von dem anderer Mädchen, Töchter, Ehefrauen und Mütter des ostasiatischen Landes. Ein Leben im Korsett der tradierten Moralvorstellungen, der männlichen Erwartungshaltungen, der gesellschaftlichen Vorgaben, die allesamt durch strukturellen Sexismus geprägt sind und sich über die Jahrzehnte kaum verändert haben.

Jiyoung, 33 Jahre alt, verheiratet, seit einem Jahr Mutter, fällt bei einem Familienfest buchstäblich aus der Rolle, nimmt die Persönlichkeit ihrer Mutter an, spricht mit deren Intonation. Sie kann es nicht steuern, und es ist keine, wie ihr späterer Psychiater feststellen wird, dissoziative Persönlichkeitsstörung. Es ist eine psychische Erkrankung, geschieht unbewusst und gibt den Druck und die Diskriminierungen, denen sie ihr gesamtes bisheriges Leben lang ausgesetzt war, auf diese Weise nach außen ab. Ganz gleich, ob in der Familie, der Schule, der Universität oder im Berufsleben, es gibt immer einen Verhaltenskodex, an den sich Frauen aus Sicht der Männer zu halten haben. Und Bildung macht dabei absolut keinen Unterschied. Was bedeutet nun diese Krankheit für Jiyoun? Sie ist „verrückt“, und dies ermöglicht ihr erstmals den Ausstieg aus der Rolle, die ihr die Gesellschaft zugewiesen hat, auch wenn das auf den ersten Blick keine gravierende Veränderung ihrer Lebensumstände bewirkt. Aber die Hoffnung bleibt, dass sich für die nachfolgende Generation das Leben verändern wird.

Auch wenn dieser Roman in Südkorea verortet ist, zeigt er doch ebenfalls mit dem Finger auf westliche Gesellschaften. Lohndumping, keine Frauen in Führungspositionen, die Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung, all das findet sich auch bei uns. Zwar gibt es erste positive Ansätze zur Veränderung, aber noch immer ist viel zu tun. Ein wichtiges Buch, das jede Menge Zündstoff bietet und die Sinne für die Alltagsmisogynie und den systemischen Sexismus sensibilisiert. Lesen!

Veröffentlicht am 10.02.2021

Eine empfehlenswerte Nachhilfestunde in deutscher Nachkriegsgeschichte

Die Experten
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Im Nahen Osten brodelt es. Präsident Nasser möchte Ägypten die Vormachtstellung sichern, betreibt in den sechziger Jahren im großen Stil die Aufrüstung gegen Israel. Um die Raketen- und Flugzeugproduktion ...

Im Nahen Osten brodelt es. Präsident Nasser möchte Ägypten die Vormachtstellung sichern, betreibt in den sechziger Jahren im großen Stil die Aufrüstung gegen Israel. Um die Raketen- und Flugzeugproduktion anzukurbeln, ist er allerdings auf das Know how westlicher Experten angewiesen, die er im großen Stil dafür anwirbt. Auch die Familie des Flugzeugingenieurs Hellberg folgt dem Ruf und übersiedelt nach Ägypten, wobei deren Tochter Rita allerdings erst später nachkommt. Sie ist fasziniert von den Möglichkeiten, die dieses Land im Umbruch bietet und stürzt sich voller Elan in dieses Leben, das so anders als gewohnt ist. Sie arbeitet als Sekretärin für einen Kollegen ihres Vaters und dringt so allmählich in den inneren Zirkel der Experten vor. Erst als sie nach und nach Einzelheiten über deren Vergangenheit, über deren Verflechtungen mit dem NS-Regime erfährt, wird sie hellhörig, sensibilisiert für das, was um sie herum passiert. Zumal sowohl BND als auch Mossad plötzlich Interesse an ihr zeigen. Erkennt, dass die Täter von gestern im Begriff sind, die Täter von heute zu werden, und sie erkennt, dass auch sie eine Entscheidung darüber treffen muss, auf welcher Seite sie stehen will.

Merle Krögers neuer Roman „Die Experten“, auf dem Cover fälschlicherweise als Thriller bezeichnet, verbindet eine Familiengeschichte mit historischen Ereignissen, garniert mit Spannungselementen. In dem ausführlichen Nachwort nennt sie es selbst einen dokumentarischen Roman zwischen historischer Untersuchung und politischem Thriller. Und dass die Autorin unglaublich akribisch recherchiert hat, lässt sich an dem umfangreichen Quellenverzeichnis am Ende des Buches nachvollziehen. Sie stellt die Frage nach dem „cui bono“ historischer Wahrheiten, deren Entstehung, Akzeptanz und Verschwinden. Dabei stützt sie sich auf Dokumente aus der Familiengeschichte von Stefanie Schulte Strathaus, Enkelin eine Flugzeugingenieurs, und verarbeitet diese höchst interessant in einem weitgehend vergessenen Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Lesen!

Veröffentlicht am 02.02.2021

Für Anfänger und erfahrene Hobbybäcker gleichermaßen geeignet

Dein bestes Brot
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Brötchen aus Teiglingen und Brot mit einer Unzahl von dubiosen Zusatzstoffen sind mittlerweile in vielen Bäckereien gang und gäbe. Da die Anzahl der Bäcker, die noch mit Herz und Hand backen ständig abnimmt ...

Brötchen aus Teiglingen und Brot mit einer Unzahl von dubiosen Zusatzstoffen sind mittlerweile in vielen Bäckereien gang und gäbe. Da die Anzahl der Bäcker, die noch mit Herz und Hand backen ständig abnimmt und Biobäcker eher in Großstädten und weniger in ländlichen Gegenden zu finden sind, gibt es für all diejenigen, die den Geschmack von gutem Brot und Brötchen schätzen, dennoch eine praktikable Alternative: Selber backen. Aber bitte nicht mit den Backmischungen aus dem Supermarktregal.

Für Anfänger (aber auch für erfahrene Hobbybäcker) bietet „Dein bestes Brot“ von Judith Erdin hier nicht nur den idealen Einstieg, sondern enthält auch wertvolle Tipps, die das Brotbacken zu einem Kinderspiel machen. Die Autorin ist ausgebildete Bäckerin-Konditorin und weiß, dass zum einen zuhause üblicherweise nicht das Profi-Equipment der professionellen Bäckereien, wie beispielsweise Hochleistungsöfen, zur Verfügung steht, zum anderen es üblicherweise gerade anfangs an dem entsprechenden Know how fehlt. Deshalb widmet sie letzterem Punkt in einem ausführlichen Theorieteil besondere Aufmerksamkeit. Sie beschreibt das benötige Backwerkzeug, die Zutaten sowie die Zubereitung samt der unterschiedlichen Prozesse wie Kneten, Teiggare, Formen, Backen und Aufbewahrung.

Der Rezeptteil lässt keine Wünsche offen. Vom klassischen Misch-, Weiß-, Dinkel- und Vollkornbrot bis hin zu Foccacia, Wurzelbrot, Hefezopf und dem diversen Kleingebäck wie verschiedene Brötchensorten oder Laugenbrezeln ist für jeden etwas dabei.

Dabei gibt es aber eine Besonderheit, die dieses Backbuch von anderen Publikationen unterscheidet. Erdin stellt 14 Grundrezepte vor, die sie variiert und so aus jedem Ausgangsteig mit einem besonderen Kniff 3 komplett unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Die Zubereitung ist im Detail mit jedem Schritt beschrieben, ruft nochmals ins Gedächtnis, was es zu beachten gilt und sorgt so im Endergebnis für Resultate, die Profiqualität haben.

Zu Beginn des Buches gibt es eine bebilderte, zweiseitige Rezeptübersicht, die die Grundteige samt Variationen auflistet. Ich hätte mir zusätzlich ein alphabetisches Gesamtverzeichnis am Ende des Buches gewünscht, damit man nicht erst die Bilder durchgehen muss um auf die Schnelle ein Rezept wiederzufinden.

Veröffentlicht am 25.01.2021

Ein Kochbuch, das mehr bietet als Rezepte

Asma's Indische Küche
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Ich mag Kochbücher, die Geschichten erzählen, die mehr sind als bloße Rezeptsammlungen sondern uns etwas über die Köche/Köchinnen verraten. Die so sind wie Asma Khans „Indische Küche“.

Zum ersten Mal ...

Ich mag Kochbücher, die Geschichten erzählen, die mehr sind als bloße Rezeptsammlungen sondern uns etwas über die Köche/Köchinnen verraten. Die so sind wie Asma Khans „Indische Küche“.

Zum ersten Mal ist mir Asma Khan in einer Doku-Reihe aufgefallen, die den Werdegang außergewöhnlicher Küchenchefs/-chefinnen beschreibt. Was treibt eine junge Frau dazu, das Leben am heißen Herd der Karriere als Juristin vorzuziehen? In ihrem Fall war es das unbestimmte Gefühl des Fremdseins, der Einsamkeit im Land der ehemaligen Kolonialherren. Sie hat keine Freunde, ist unglücklich, sehnt sich nach ihrer indischen Heimat, nach deren Aromen, den gemeinsamen Festessen.

So beginnt sie zu kochen, obwohl sie es nie gelernt hat, und lädt Menschen ins heimische Wohnzimmer ein, bekocht sie und genießt die große Tafel. Es folgt ein Supper Club in einem Pub und schließlich die Eröffnung ihres Restaurants „Darjeeling Express“, das sie ausschließlich mit indischen Frauen betreibt, deren Erfahrungen in diesem Metier sich auf die häusliche Küche beschränken. Und dennoch, oder gerade deshalb, wird es ein unglaublicher Erfolg.

Dabei verliert sie jedoch nie ein Ziel aus den Augen, das sie antreibt und aus ihrer persönlichen Geschichte resultiert. Sie möchte Frauen, speziell den zweitgeborenen Töchtern, die in der indischen Gesellschaft als Belastung ohne Wert angesehen werden, eine Perspektive bieten, ihre Entwicklung fördern, weshalb sie zu diesem Zweck eine Stiftung gründet hat. Sie unterstützt Projekte, die diese Frauen ermutigen aus dem Schatten zu treten und ihren eigenen Weg zu gehen.

Asma Khan kommt aus einer adligen Familie und ihre Rezepte orientiert sich im Wesentlichen an der bengalischen Mogul-Küche sowie den typischen Gerichten aus Hyderabad, ergänzt durch indisches Streetfood. Viele davon sind Familienrezepte, die sich sehr gut für eine große Gästeschar eignen, was man bereits an der Gliederung sehen kann: Für Zwei, Für die Familie, Mit Freunden, Festliche Mahlzeiten. Aber natürlich kann man die Zutatenlisten problemlos auch auf den kleinen Haushalt herunterbrechen.

Die Auswahl ist gelungen, Gerichte mit Fleisch und Vegetarisches hält sich die Waage. Vieles wirkt auf den ersten Blick eher reduziert, wird aber durch den gezielten Einsatz der unterschiedlichen Gewürze zu einer wahren Geschmacksexplosion, die nicht durch extreme Schärfe (was für viele indische Gerichte leider zutrifft) überlagert wird. Die Zutaten sind in der Regel leicht zu beschaffen und nicht besonders kostenintensiv. Manches kann man ersetzen (Ghee durch Butterschmalz) oder selbst herstellen (Paneer). Problematischer wird es bei den Gewürzen, nach Cassia-Zimt und indischem Lorbeer habe ich vergeblich Ausschau gehalten, dafür musste ich auf meine „normalen“ Vorräte zurückgreifen.

Ein empfehlenswertes Kochbuch, das nicht nur mit indischen Kochtraditionen vertraut macht, sondern auch dem kulturellen Erbe der Autorin huldigt und uns die Vielfalt dieses Landes näherbringt.