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Veröffentlicht am 19.02.2021

Fesselnde Geschichte über vier Generationen

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Hannahs Großmutter Evelyn erhält von einer israelischen Anwaltskanzlei die Mitteilung, dass möglicherweise Kunstwerke existieren, auf die sie einen Rechtsanspruch haben könnte, und bietet an, dem nachzugehen. ...

Hannahs Großmutter Evelyn erhält von einer israelischen Anwaltskanzlei die Mitteilung, dass möglicherweise Kunstwerke existieren, auf die sie einen Rechtsanspruch haben könnte, und bietet an, dem nachzugehen. Während Evelyn davon wenig wissen will, ist Hannah fasziniert und lässt sich auf die Suche ein, die auch einiges bisher Unbekannte über ihre Familie zutage bringt.
Alena Schröder beginnt die Geschichte von vier Frauen aus vier Generationen in der Jetztzeit, wechselt dann in die 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts und stellt behutsam die Verbindung her. Wir dürfen Senta, Evelyns Mutter, in ihrer Entwicklung begleiten und ausgiebig kennen lernen, so wie später ihre Tochter, und erleben sie während der dramatischen Ereignisse in den Kriegsjahren.
Das Grauen dieser Jahre, insbesondere die Verbrechen an den Juden, bilden einen wesentlichen Hintergrund der Geschichte. Es wird weitgehend ohne Brutalität transportiert, vielmehr in kleinen, emotionalen Gesten, und immer sehr persönlich, was die Ungeheuerlichkeiten auch ohne Ausformulierungen sehr nahe bringt.
Der Schreibstil wirkt leicht, originelle Formulierungen sorgen für ein angenehmes Lesen. Ein wenig passt er sich den Zeiten an: Hannahs Gedanken drücken sich manchmal in heutiger Jugendsprache aus.
Hannah erfährt in dem Zeitraum ihrer Forschung eine Wandlung. Sie startet als an sich selbst zweifelnde Doktorandin, die sich in ihren Doktorvater verliebt und ansonsten an Kontakten spart. Die ihre Wohnung in ein aseptisches Weiß getaucht hat und darunter leidet, dass sie ihren Weg nicht erkennen kann. Doch auf der Suche nach den verschollenen Bildern findet sie nicht nur viel Wissenswertes über ihre Vorfahren, sondern ebenso über sich selbst heraus, was sie wachsen lässt und ihren Blick für die Zukunft öffnet.
Diesem Roman ist es gelungen, anhand der Provenienzforschung, über die übrigens einiges Interessante vermittelt wird, und der Menschen, die damit befasst sind, einen etwas anderen Blick in die deutsche Geschichte zu werfen.

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Veröffentlicht am 31.01.2021

Eine Geschichte wie ein Kaleidoskop

Das Verschwinden der Erde
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An der Küste Kamtschatkas lassen sich Aljona und Sofia an einem sonnigen Nachmittag von einem Fremden überreden, in sein Auto zu steigen. Seitdem fehlt von den Schwestern jede Spur.
Julia Phillips entführt ...

An der Küste Kamtschatkas lassen sich Aljona und Sofia an einem sonnigen Nachmittag von einem Fremden überreden, in sein Auto zu steigen. Seitdem fehlt von den Schwestern jede Spur.
Julia Phillips entführt ihre Leser in eines der entlegensten Gebiete der ehemaligen Sowjetunion. Ureinwohner und Russen versuchen ein Miteinander, in dem Misstrauen und Vorurteile viel zu viel Raum einnehmen. Sprachen und Gebräuche, auch die Herausforderungen der Natur bereichern beiläufig und doch prägend das gesamte Geschehen.
Ausgehend vom August wird für ein ganzes Jahr Monat um Monat eine andere Person in den Fokus gerückt. Ganz dicht gerät man an die Menschen heran und spürt gleichzeitig eine unüberbrückbare Distanz. Zu sezierend ist der Blick.
Zunächst sucht man im Laufe der Begegnungen vergeblich nach dem Kontext, überlässt sich schließlich den eindringlichen Schilderungen unterschiedlichster Lebenssituationen. Meist sind es Frauen, die im Mittelpunkt stehen. Die sich im Geflecht ihrer Beziehungen verhalten und erklären. Gegen ihre Verzweiflung und um ihre Träume kämpfen, Stärken und Schwächen offenbaren. Dann, nachdem sich die Perspektive wieder einmal verschoben hat, erscheinen bereits bekannte Figuren in anderen Kontexten und zeigen neue Facetten, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Hier dreht sich ein gigantisches Kaleidoskop von bunten Geschichten um dieselben Betroffenen und die durchgängige Frage nach dem Schicksal der Mädchen und verursacht von Seite zu Seite großartige und überraschende Bilder.
Das Cover ist so schön wie verunsichernd: Die hochaufgetürmten blauen Berge, in die sich die Schwestern zu verlieren drohen, erinnern an aufgewühltes Meer. Das ist so wenig zufällig wie der scheinbar rätselhafte Titel.
Am Ende fügt sich alles zusammen. Genial konzipiert, mit Genuss zu lesen. Ganz sicher ist der Roman eine literarische Kostbarkeit. Ein Thriller jedoch, wie auf im Zitat auf der Rückseite angegeben wird, ist er nicht. Leser*innen, die hier mit falschen Erwartungen einsteigen, werden möglicherweise enttäuscht sein.

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Veröffentlicht am 07.10.2022

Lebensfroh und sehr französisch

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens
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Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen ...

Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen Comte nichts ferner, als gut bezahlte Auftragsmorde zu begehen, wie seine Vorfahren es seit Jahrhunderten taten. Viel wohler fühlt er sich in seinem Feinschmeckerlokal Le Bouchon oder in charmanter Damengesellschaft.
Pierre Martin liefert hier den Auftakt zu einer neuen Krimireihe, die sich von anderen durchaus unterscheidet. Es gelingt ihm mühelos, ein federleichtes Wohlfühlklima zu erschaffen, in dem blutige Aktionen und spannende Momente nur insoweit zugelassen werden, wie das Genre es erfordert.
Viel mehr Aufmerksamkeit widmet er anderen Aspekten. Die Region um Nizza kennt er offensichtlich wie seine Westentasche und beschreibt Landschaft, Orte und kulturelle und historische Besonderheiten mit Hingabe. Wichtig ist ihm auch die Kulinarik. Oft werden besondere Gerichte erwähnt, zunächst in französischer Sprache, dann auch ins Deutsche übersetzt. So verfährt er übrigens auch mit den Dialogen: Immer wieder werden kurze französische Bemerkungen eingeflochten. Auf diese Weise lassen sich bei der Lektüre ganz nebenher Sprachkenntnisse auffrischen.
Die Hauptfiguren sind unglaublich sympathisch. Allen voran natürlich Lucien, der mit vielen Raffinessen versucht, seinen Auftrag zu töten mit seinem Vorsatz, eben dies nicht zu tun, in Einklang zu bringen. Warmherzig, loyal und ausgestattet mit gesundem Menschenverstand ist die schwerhörige Rosalie. Dann gibt es noch die überaus tüchtige und höchst attraktive Assistentin Francine. Die drei bilden beinahe eine funktionale Familie, in der sich alle respektieren, auch wenn fleißig geneckt wird. Und wenn es doch mal ernst wird, gibt es ja noch den Tresterschnaps.
Am Ende wird deutlich auf das Thema des Folgebands hingewiesen, allerdings völlig ohne Cliffhanger, so dass sich dieser Band wirklich abgeschlossen anfühlt.
Liebhaber französischer Lebensweise und leichter Lektüre werden hier vielleicht einen Suchteinstieg finden.

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Veröffentlicht am 26.02.2022

Harte Kerle in Louisiana

Eine Zelle für Clete
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Detective Dave Robicheaux und sein Freund Clete Purcel versuchen, Licht in das Dunkel um eine Mordserie an jungen Frauen zu bringen. Ausgerechnet mit einem der Hauptverdächtigen hat sich Daves Stieftochter ...

Detective Dave Robicheaux und sein Freund Clete Purcel versuchen, Licht in das Dunkel um eine Mordserie an jungen Frauen zu bringen. Ausgerechnet mit einem der Hauptverdächtigen hat sich Daves Stieftochter gerade angefreundet, was ihn in besondere Alarmbreitschaft versetzt.
James Lee Burke nimmt sich auch im 18. Band der Reihe die Zeit, als Grundlage eine intensive Südstaatenatmosphäre auszubreiten. Es gelingt ihm hervorragend, die besondere Stimmung der Region zu übermitteln. Die Historie der Bevölkerungsgruppe der Cajuns in Louisiana wirkt unaufdringlich präsent, Orts- und Naturbeschreibungen beschwören die Vorstellungskraft, politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse zeigen ihre Einflüsse. Die Vergangenheit atmet aus jeder Zeile, auf eine irgendwie trostlose Weise, und wirkt sich besonders in der Diskriminierung farbiger Menschen bis ins Heute aus.
Auf der Suche nach Wahrheit erweisen sich nicht nur die kriminellen Personen als äußerst gewaltbereit. Auch Dave und besonders Clete versuchen in vielen Situationen erst gar nicht, die Kontrolle über ihre testosterongesteuerten Handlungsweisen zu behalten. Ein echtes Kerlsgetue, rüpelnd und provozierend mischen sie alles auf, was sich in den Weg stellt. Bereits bei einfachen Dialogen sorgen ständige Sticheleien für Eskalation. Da geht es schnell hart und blutig zu und die Anzahl der Toten steigt gefühlt von Seite zu Seite. Fast aus keiner Begegnung findet der alkoholaffine Clete ohne nennenswerten Konflikt wieder heraus. Der wenig schmeichelhafte Nickname „Abrissbirne“ trifft daher genau ins Schwarze.
Da ist so gar nichts Feines, Subtiles. Sobald die beiden im Gegenüber einen Gegner wittern, wird Schuld vorausgesetzt und im Wespennest herumgestochert.
Bei all den Problemen, die sie magisch anziehen, ist es wunderbar und überlebenswichtig, dass sie sich hundertprozentig aufeinander verlassen können.
Manchmal wird Bezug genommen auf ehemalige Erlebnisse, aber der Roman lässt sich ohne Weiteres ohne Kenntnis der Vorgängerbände lesen.

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Veröffentlicht am 26.10.2021

Barcelona und viel Liebe zum Detail

Die Tränen der Welt
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1901, Barcelona: Obgleich der junge Dalmau Sala sich für seine Arbeit in der Fliesenfabrik Don Manuels begeistert, teilt er zumindest gedanklich die radikale Einstellung seiner Schwester und seiner Freundin ...

1901, Barcelona: Obgleich der junge Dalmau Sala sich für seine Arbeit in der Fliesenfabrik Don Manuels begeistert, teilt er zumindest gedanklich die radikale Einstellung seiner Schwester und seiner Freundin Emma. Die beiden Frauen engagieren sich mit vollem Einsatz bei den alltäglichen Protesten gegen Armut und Unterdrückung durch die Kirche und die Reichen der Stadt.
Ildefonso Falcones hat gründlich recherchiert. Er vermag eine Atmosphäre zu schaffen, aus der Personen und Umgebung heraustreten und wahr zu werden scheinen. Alles wirkt authentisch und zum Greifen nah.
Zwischen der neu entstehenden Architektur des Modernisme und den armseligen Behausungen des Stadtteils Barceloneta lässt er streikende Arbeiterinnen auf die Barrikaden steigen, um leidenschaftlich für kürzere Arbeitszeiten und bessere Löhne zu kämpfen. Das gerät so präsent, dass der eigentliche Handlungsstrang manchmal beinahe in den Hintergrund tritt.
Die Charaktere sind bunt gemischt. Da gibt es Dalmau, der den Künstler in sich erst noch entdecken muss, seinen reichen Arbeitgeber Don Manuel, der ihn zunächst wie ein Gönner unterstützt und fördert, die Mutter Josefa, die Nacht für Nacht an der Nähmaschine sitzt, um sich ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, natürlich die sinnliche, starke Emma, die nicht nur die ökonomische Ungerechtigkeit anprangert, sondern sich auch für Frauenrechte einsetzt. Aber auch zwei Straßenkinder, die durch das gesamte Buch irrlichtern und intrigant und meist boshaft dem Lauf der Dinge mehr als einmal eine Wendung geben, die alles aus den Fugen reißt und die Hauptpersonen ins Schlingern und Straucheln stürzt.
Das alles ist ein gutes Zusammenspiel, allerdings nehmen die Stilbeschreibungen viel Raum ein, selten erhalten einige der oft erwähnten Künstler und Architekten ein Gesicht und dürfen sich zumindest als Randfiguren in der Geschichte positionieren.
Störend wirken sich auch häufige Wiederholungen aus, die stark entschleunigen und so manche Leselänge verursachen.
Trotz dieser Mängel bleibt das Buch ein Leckerbissen für alle, die sich für die Stadt Barcelona, die politischen und sozialen Verhältnisse und/oder die Entwicklung der Künste in dieser Zeit interessieren.

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