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Veröffentlicht am 25.02.2021

Einfühlsam und mit viel Leichtigkeit und Liebe erzählt

Der Blumenladen der guten Wünsche
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Inhalt:
Charlotte hat sich ihr Leben eigentlich anders vorgestellt und von Vernissagen an der Seite ihres Partners und einem Leben in der Grossstadt geträumt. Nun ist sie zurück in ihrer Heimat und steht ...

Inhalt:
Charlotte hat sich ihr Leben eigentlich anders vorgestellt und von Vernissagen an der Seite ihres Partners und einem Leben in der Grossstadt geträumt. Nun ist sie zurück in ihrer Heimat und steht vor dem Scherbenhaufen, den ihre Oma ihr hinterlassen hat. Der Blumenladen, den Charlotte bunt, duftend und einladend in Erinnerung hatte, ist komplett heruntergekommen, der Gärtner Knut wirkt abweisend und die Verkäuferin Sheela taucht gar nicht erst auf. Soll sich Charlotte wirklich in dieses Abenteuer stürzen und das Geschäft übernehmen oder doch lieber verkaufen? Zum Glück kann sie auf die Hilfe ihrer besten Freundin Sarah, auf alte Kontakte und die Bücher ihrer Grossmutter zählen. Darin finden sich wertvolle Hinweise zur Deutung der Sprache der Blumen, mit deren Hilfe Charlotte lernt, an sich selber zu glauben und spannende und romantische Verkaufskonzepte entwickelt.

Meine Meinung:
Gerade bin ich wieder sehr viel unterwegs und lese ziemlich anspruchsvolle Literatur, habe aber nicht immer den Kopf und die Energie dafür und wollte deshalb ein paar Frühlingsgefühle hier einziehen lassen. Auf das Buch "Der Blumenladen der guten Wünsche" bin ich bei Martina vom Blog Martinas Buchwelten entdeckt. Martina stellt für jeden Monat einen tollen und ausführlichen Neuerscheinungs-Post zusammen und ich stöbere so gerne bei ihr, lasse mich inspirieren und merke mir das eine oder andere Buch vor. "Der Blumenladen der guten Wünsche" hat mich von der ersten Seite an für sich eingenommen. Ich liebe Blumenläden und Bücher darüber (und Buchhandlungen und Bücher darüber) und tauche so gerne in die Welt einer Ladenbesitzerin ein, die sich ihr eigenes Geschäft/Geschäftsmodell aufgebaut hat. Charlotte war mir von Anfang an total sympathisch und es hat mich sehr gefreut, dass auch ihre Zweifel und Ängste stimmig eingebunden werden und dass ihre Freundin Sarah ihr so wundervoll zur Seite steht und dass das Auftauchen eines alten Bekannten für Schmetterlinge im Bauch sorgt...

Schreibstil:
Dieses Buch hat richtig Lust darauf gemacht, durch Frühlingswiesen zu streifen, zu gärtnern, in Blumenläden zu stöbern und mit lieben Freunden ein gutes Glas Wein zu geniessen. Es hat für Wärme, Sonne und ein wenig Romantik gesorgt und ich habe es innerhalb eines einzigen Tages verschlungen und mich anschliessend einen ganzen Vormittag lang meinen Balkongarten auf- und umräumen und putzen, meine Pflanzenplanung machen und ein paar Schützlinge umtopfen und vorziehen lassen. Der Frühling kann kommen und dieses Buch hat auch in mir für ein wenig Frühling gesorgt.
Für diese Gefühle ist der liebevoll erzählende, einfühlsame und auch sehr detaillierte Schreibstil verantwortlich. Es gelingt der Autorin Lena Hofmeister wissenswerte und spannende Details zu den beschriebenen Pflanzen und herzerwärmende, skurrile Begegnungen im Blumenladen mit Kundinnen und Kunden, sowie mit Sheela und Knut zu einer unterhaltsamen und leichten Geschichte zu verknüpfen und ich hätte gerne noch lange weitergelesen. Trotzdem schimmert auch durch, wie schwer Charlotte dieser Neuanfang fällt und wie sehr ihr ihre Oma fehlt.

Meine Empfehlung:
Ich empfehle "Der Blumenladen der guten Wünsche" sehr gerne an alle weiter, die auch ein wenig Leichtigkeit, Sonne und Frühling im Kopf und Herzen gebrauchen können und auf der Suche nach einer liebenswert und einfühlsam erzählten Geschichte mit Tiefgang sind.

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Veröffentlicht am 15.01.2021

Poetisch, kritisch und eine Liebeserklärung an die Literatur und das Erzählen

Balzac und die kleine chinesische Schneiderin
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Inhalt:
Zwei Freunde, Luo und der namenlose Ich-Erzähler, werden zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution zur "kulturellen Umerziehung" in die Berge geschickt, wo sie mit einfachen Bauern zusammenleben ...

Inhalt:
Zwei Freunde, Luo und der namenlose Ich-Erzähler, werden zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution zur "kulturellen Umerziehung" in die Berge geschickt, wo sie mit einfachen Bauern zusammenleben und schwerste Arbeit verrichten müssen. Es kommt aber, dass sie das Vertrauen des Laobans gewinnen können und dabei das Privileg erlangen, einmal im Monat in die nächste Stadt zu reisen, dort einen Film zu sehen und diesen dann der Dorfbevölkerung im Detail zu erzählen. Während ihren Ausflügen in die Stadt verliebt sich Luo in eine junge Schneiderin und gleichzeitig entdecken die beiden Freunde, dass der Brillenschang, der ebenfalls zur Umerziehung im Dorf ist, verbotene Bücher bei sich versteckt. Fortan sind es die Bücher, welche die beiden Freunde besitzen wollen. Mit ihnen - so hoffen sie - können sie die kleine Schneiderin für sich einnehmen und sich zudem Literatur erschliessen, die ihnen bis anhin verwehrt geblieben ist.

Meine Meinung:
Dai Sijie ist mir seit "Der kleine Trommler" ein Begriff und doch sind Jahre vergangen, bis ich zu einem weiteren Buch von ihm gegriffen habe. "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" habe ich erst gerade im Oktober im offenen Bücherschrank entdeckt, es lag also nur ganz kurz bei mir auf dem SuB, aber ich wollte es unbedingt sofort befreien und das war eine sehr, sehr gute Entscheidung. Das Buch hat mich gefesselt, mir enorm gut gefallen und mich mit seiner Geschichte, in der es um eine starke Liebe und eine noch stärkere Freundschaft geht in seinen Bann gezogen.

Handlung:
Luo beim Versuch zu beobachten, der jungen Schneidern, die keine schulische Bildung genossen hat, aber um so lebenstauglicher ist, die Werke der westlichen Literatur näherzubringen, hat bei mir immer wieder Erinnerungen an "Pygmalion" von George Bernhard Shaw heraufbeschwört (wer das Buch nicht kennt, vielleicht kennt ihr ja "My Fair Lady"). Auch dort nimmt sich ein gebildeter Mann einer weniger gebildeten Frau an, um sie - voller bester Absicht aber natürlich komplett sexistisch - in seine Klasse der Gesellschaft einzuführen und das "Experiment" verläuft anders als geplant, weil Pygmalion plötzlich beginnt, eigene Entscheidungen zu treffen.
In Dai Sijies Roman kommen aber noch zwei weitere Komponenten hinzu, welche diese Geschichte um so spannender und liebenswerter machen: erstens spielen die politische Situation, das Verbot gewisser Literatur und die um so grössere Sehnsucht nach Büchern, Bildung und Unabhängigkeit eine grosse Rolle und zweitens steht Luo nicht alleine da, sondern hat seinen besten Freund an seiner Seite. Dieser ich-Erzähler ist es auch, der Luo stets den Rücken frei hält und seine Geschichten so feinfühlig und aufmerksam, aber auch humorvoll und (selbst-)kritisch erzählt, dass man ihm gerne noch viel länger "zuhören" und ewig in diesem Buch lesen möchte.

Meine Empfehlung:
"Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" hat mich berührt und in eine ganz andere Zeit und an einen fernen Ort entführt. Gerade jetzt, wo grössere Reisen nicht möglich sind, habe ich diese Reise nach China enorm geschätzt. Dai Sijie hat mit diesem Werk einen Roman geschaffen, der nicht nur gesellschaftskritisch ist, sondern auch eine enorme Liebeserklärung an die Literatur und Kultur, das Lesen und Erzählen beinhaltet und zudem eine zarte Liebesgeschichte erzählt und eine starke Freundschaft thematisiert. Von mir gibt es dafür eine sehr herzliche Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 20.12.2020

Eine absolute Bereicherung

Kreativität
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Inhalt:
Alle Menschen sind kreativ, einige von uns stehen aber ihrer eigenen Kreativität im Weg. Melanie Raabe erzählt aus ihrer eigenen Perspektive vom Entwickeln von Routinen, vom Beginnen und Beenden. ...

Inhalt:
Alle Menschen sind kreativ, einige von uns stehen aber ihrer eigenen Kreativität im Weg. Melanie Raabe erzählt aus ihrer eigenen Perspektive vom Entwickeln von Routinen, vom Beginnen und Beenden. Sie teilt ihre Erfahrungen und ergänzt diese mit hilfreichen Ideen, Vorschlägen und Listen, welche dabei helfen können, eigene Routinen in den Alltag zu integrieren, immer mal wieder kreativ zu werden und so im Beruf und Privatleben neue Wege zu gehen.

Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich bei einigen tollen Blogerinnen (unter anderem bei Petzi von Die Liebe zu den Büchern) entdecken dürfen. Zu ihrer grandiosen Rezension kommt ihr HIER. Melanie Raabe war mir als Autorin schon länger ein Begriff, aber bisher habe ich keines ihrer Bücher gelesen, nun aber habe ich sie mir alle auf die Wunschliste gepackt. Sie erzählt nämlich in "Kreativität" unter anderem von ihrer eigenen Inspiration und von Erlebnissen, welche sie in ihre Bücher eingebaut hat. Damit hat sie meine Neugier geweckt. Der Einstieg in "Kreativität" ist mir sehr leicht gefallen und innerhalb von wenigen Seiten war ich komplett überzeugt: dieses Buch ist perfekt für mich.

Weshalb mich dieses Buch bereichert:
Melanie Raabe geht davon aus, dass alle Menschen kreativ sind/kreativ sein können. Kreativität ist in unserem Leben oft eine Problemlösungsstrategie, hilft uns aber auch, bei der Arbeit und im Privatleben neue Wege zu gehen und Projekte zu entwickeln. Mein Beruf ist kreativ und ich benötige eine grosse Menge an Kreativität und Durchhaltevermögen oft nicht nur beim Musizieren selber, sondern vor allem auch beim Planen von neuen Konzertreihen, beim Pflegen von Kontakten und Interagieren mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. Nun könnte man meinen, dass ich ein Buch, das sich mit Kreativität befasst, gar nicht mehr lesen müsste. Raabe hat es aber geschafft, mich noch einmal daran zu erinnern, was mich und meine Arbeit ausmacht, sie hat mir mit ihren überschaubaren Listen (und ich liebe Listen) eine Übersicht über ganz unterschiedliche Teilbereiche meiner kreativen Arbeit, aber auch über sinnvolle Herangehensweisen verschafft und immer wieder habe ich mir Zitate herausgeschrieben und Seiten im Buch zum Nachschlagen markiert. Denn auch wenn wir alle immer wieder kreativ sind, so hilft es doch, sich stets klar zu machen, was man genau erreichen will und auf welchem Weg man dies am liebsten versuchen möchte. Sobald etwas nicht klappt, gibt es dann immer noch zahlreiche Alternativen und Anpassungen, die uns trotzdem zum Ziel bringen können. Irgendwann einmal hat man sich aber genug Gedanken gemacht und es geht an den interessantesten (und manchmal auch schwierigsten) Teil des kreativen Arbeitens: das Machen, das Tun, das Beginnen und genau diese Hürde, die wir alle überwinden müssen, um kreativ und aktiv zu werden und vielleicht sogar in einen Flow-Zustand zu kommen, diese kann ich mit Melanie Raabes Tipps nun noch einfacher und konsequenter überwinden.

Meine Empfehlung:
Ganz besonders erwähnen möchte ich die zahlreichen und grandiosen Illustrationen von Inka Hagen (die in meinen Augen in diesem Buch viel zu wenig gewürdigt wird). Das Buch ist durchgehend zweifarbig und sehr aufwendig gestaltet. Es bietet wertvolle Tipps, bietet Anleitungen um die Gedanken zu sortieren und mit der kreativen Arbeit zu beginnen und ist so ein liebevoller literarischer A*tritt und hilft dabei, bei Durchhängern den inneren Schweinehund zu besiegen. Mir hat es für meine Arbeit bereits einige Male die Augen geöffnet und ich freue mich darauf, bald wieder darin zu blättern und ausserdem ist das umfangreiche Literaturverzeichnis eine grössere Stöberrunde wert. Von mir gibt es deshalb eine sehr herzliche Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 24.11.2020

Ein absolutes Muss

Generation haram
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Inhalt:
Melisa Erkurt schreibt über das Schulsystem in Wien, über ihren eigenen Weg bis hin zum Studium, Beruf als Lehrerin und Journalistin. Doch sie gilt als eine Ausnahme, als eine der wenigen "Vorzeigemigrantinnen", ...

Inhalt:
Melisa Erkurt schreibt über das Schulsystem in Wien, über ihren eigenen Weg bis hin zum Studium, Beruf als Lehrerin und Journalistin. Doch sie gilt als eine Ausnahme, als eine der wenigen "Vorzeigemigrantinnen", welche es in Österreich geschafft, die Sprache gelernt, Karriere gemacht und sich zum Vorbild für zahlreiche Kinder und Jugendliche hochgearbeitet haben. Aber es sind nicht die Eltern, welche ihre Kinder nicht unterstützen können, und nicht die Kultur, welche bei einigen ausländischen Kindern gelebt wird, welche den Kindern Steine in den Weg legen. Es sind auch nicht die Lehrpersonen, welche alleine die Schuld an dieser Misere tragen.
Es ist die Schulpolitik - respektive von bürgerlichen alten, weissen Männern gefällte Entscheide - welche gar nicht erst Spielraum lässt und vor allem für die Zusammensetzung der heute an vielen Orten anzutreffenden Schulklassen überhaupt nicht mehr zeitgemäss ist. Es sind die fehlenden Vorbilder und der gläserne Deckel, welche Kinder und Jugendliche gezielt in ihrem Werden beschneidet und genau dagegen schreibt Melisa Erkurt an. Sie zeigt Missstände auf, erzählt aber auch, welche Dinge und Menschen ihr geholfen haben, ihren Weg zu gehen.

Meine Meinung:
Zuerst einmal muss ich ehrlich sagen, dass ich schockiert bin von den Erlebnissen, die Melisa Erkurt aus ihrer eigenen Erinnerung als Schülerin und Lehrerin beschreibt, vom Rassismus und Sexismus, den sie am eigenen Leib erlebt hat und miterleben musste und auch vom Schulsystem, das wohl an einigen Orten in Wien anzutreffen ist. Auch haben mich die Schilderungen von Erkurts Familienleben sehr stark berührt. Ihr Vater erinnert mich an meinen Schwiegervater und einige der Kommentare und Vorurteile sind mir und meiner Schwiegerfamilie leider nur allzu vertraut, weshalb mich das Buch einige Male zum Weinen gebracht hat.
Was Erkurt an Rassismus - vor allem, aber nicht nur - gegen muslimische Kinder und Lehrpersonen schildert, ist harte Kost und wie gezielt sie auch auf die Sexismuskomponente eingeht (was fast noch verstörender zu lesen ist) und dafür plädiert, Mädchen und junge Frauen endlich zu stärken, ihnen eine Stimme zu geben und alle Jugendlichen - unabhängig von Geschlecht und Herkunft - besser und feministischer aufzuklären und auszubilden, hat mich so viele Ausrufezeichen in dieses Buch malen lassen.

Was lerne ich für meinen Beruf aus diesem Buch?
Es befällt mich eine Ohnmacht, wenn ich daran denke, dass ich auch Teil eines Schulsystems bin und in meinem so kleinen Bereich noch weniger erreichen kann, als Erkurt. Wer lernt ein Instrument an einer Musikschule? Kinder, deren Eltern es sich leisten können. Also in der Regel keine Flüchtlinge, schlecht Deutsch sprechende und nicht mit unserer Kultur vertrauten Kinder (obwohl der Instrumentalunterricht in der Schweiz für genau diese Kinder eigentlich bezahlt werden würde, aber es ist kaum möglich, deren Familien zu erreichen, weil sie oft so sehr beschäftigt damit sind, zu arbeiten und sich und ihre Kinder über Wasser zu halten). Gleichzeitig bin ich aber auch dankbar dafür, in einem eingiermassen stabilen Bildungssystem arbeiten zu dürfen und im Einzelunterricht noch gezielter und viel auführlicher auf jedes Kind eingehen zu können, als Lehrpersonen, welche komplett durchmischte Klassen mit viel zu vielen Kindern in viel zu engen Räumen unterrichten müssen, wie dies an einigen der Schulen geschieht, die Melisa Erkurt schildert.
Was lerne ich aber für mich und meinen Beruf aus dem Buch?
Es ist wichtig, noch sichtbarer zu sein, Eltern noch gezielter zu erreichen (gerade aktuell fast unmöglich) und sie auch auf die Stellen aufmerksam zu machen, welche ihren Kindern den Unterricht bezahlen, sofern er denn stattfinden kann. Ausserdem brauchen die Kinder und Familien Vorbilder und einmal mehr bin ich so froh, dass mein bosnischer Nachname bei Besuchstagen und Instrumentenparcours die Hemmschwelle bei Kindern und Eltern senkt und sie auf mich zukommen lässt.

Meine Empfehlung und Fazit:
Ich werde das Buch wohl noch vielen Menschen empfehlen, es wirft so wichtige Fragen auf und fasst schonungslos zusammen, was alles schief läuft, zeigt aber auch auf, wie dies verändert werden kann. Was wir alle lernen müssen: zu verstehen, dass multilinguale Menschen, die zudem vielleicht noch in mehreren Kulturen zu Hause sind und sich bereits sehr selbstständig um sich und ihre Ausbildung kümmern müssen, weil dies von ihren Betreuungspersonen nicht immer gewährleistet werden kann, in erster Linie eine Bereicherung sind. Nicht nur für unser Bildungssystem, sondern auch für unser alltägliches soziales Leben, unsere Politik und Kultur. Jungen Menschen eine Chance zu geben und an sie zu glauben kann aufreibend und mit vielen Hindernissen verbunden sein, aber nur weil eine Lehrerin ihr Vertrauen in Melisa Erkurt gehabt und sie permanent bestärkt hat, durfte ich dieses Buch lesen und haben so viele Menschen eine Stimme bekommen, die von dem System, in dem sie leben und ausgebildet werden zum Verstummen gebracht worden sind.

Veröffentlicht am 21.10.2020

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Ich bin Linus
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Inhalt:
Manchmal sind wir uns selber ein Gefängnis. Manchmal sehen wir nicht das in uns, was andere schon lange erkannt haben. Und manchmal wissen wir nicht, dass es möglich ist, unsere tiefsten Träume ...

Inhalt:
Manchmal sind wir uns selber ein Gefängnis. Manchmal sehen wir nicht das in uns, was andere schon lange erkannt haben. Und manchmal wissen wir nicht, dass es möglich ist, unsere tiefsten Träume und Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen und uns neu zu erschaffen. So ist es Linus ergangen. Linus, der - wie so viele von uns - von Geschlechterrollen geprägt ist. Mädchen können im Einkaufszenter zwischen Spielwaren und Kleidung in pink und lila wählen, Jungs bleiben grün und blau vorbehalten. Männer benehmen sich so, Frauen halt anders. Dass man diese Bilder aufbrechen kann, mit den Rollen und Attributen spielen darf und soll, das wird vielen von uns, die sich in ihrem - von Geburt an von der Aussenwelt zugeschriebenen - Geschlecht wohl fühlen und vielleicht sogar noch weiss und heterosexuell sind, gar nie klar. Und was es bedeutet, diesen Schritt zu wagen und sich auf die Suche nach sich selber und einem ganz neuen Frauen- oder Männerbild und den zahlreichen Kombinationen und Möglichkeiten dazwischen zu machen und dies darüber hinaus noch in die Öffentlichkeit zu tragen, können sich viele von uns nicht annähernd vorstellen. Aber Linus hat es getan. Linus ist der Mann geworden, der er schon immer war und durch die Dokumentation seines Weges in den sozialen Medien und nun auch in Buchform ist er nicht nur verletzlich und angreifbar, sondern gleichzeit und vielmehr genau das Vorbild für zahlreiche Menschen geworden, das er sich als Kind gwünscht hätte.

Über Linus:
Es freut mich sehr, dass ich Linus seit eingen Jahren von Instagram kenne und auch seinem Buchblog schon länger folgen darf. Seine Buchtipps sind Gold wert und blicken stets über den heteronormativen Tellerrand hinweg, was ich natürlich nicht nur als Pädagogin sondern einfach nur als Mensch als um so bereichernder empfinde. Sehr gerne wollte ich deshalb auch "Ich bin Linus" lesen und kann selber kaum glauben, dass ich das Buch - abgesehen von den letzten dreissig Seiten, die ich dann gestern noch gelesen habe - innerhalb eines (vollen) Arbeitstages verschlungen habe.

Meine Meinung:
"Ich bin Linus" ist ein positives Buch, das einen nicht ganz einfachen Weg zeigt, aber ermutigt, diesen Weg um jeden Preis zu gehen und sich dadurch selber zu befreien. Linus berichtet aber auch über unschöne Seiten seines Weges, beispielsweise über die Ablehnung, die er durch die Aussenwelt aber auch manchmal sich selber erfahren hat, die Hasskommentare, die Verfolgung und auch die Gewalt mit der trans Menschen immer noch begegnet wird. Dies hat mich tief berührt und sprachlos gemacht und bei den Seiten, in denen Linus über sein Datingverhalten spricht, wollte ich ihn einfach nur in den Arm nehmen und sagen "du bist gut, du bist genug, du hast alles Glück und alle Liebe der Welt verdient".
Sehr informativ werden ausserdem Behördengänge, medizinische Möglichkeiten und Tipps und Tricks für den Alltag beschrieben. Was sich an Regeln und Gesetzen so absurd und skurril liest, ist für zahlreiche Menschen, die sich mitten in ihrer körperlichen und/oder sozialen Transition befinden, bittere und alltägliche Realität. Diese Diskriminierung muss wirklich ein Ende haben. Ist es denn so schwierig, Menschen in ihrem eigenen Werden und Sein zu unterstützen? Linus macht es uns besonders einfach (was zusätzlich zum packenden Stil für diese Lektüre spricht): er liefert praktische Tipps, wie man sich sprachlich richtig ausdrücken, für trans Menschen einen sicheren Hafen schaffen und sie auf ihrem Weg unterstützen kann. Ausserdem finden sich im Anhang noch weiterführende Buchtipps.

Meine Empfehlung:
Dieses Buch zeigt auf, was es bedeutet, in Deutschland trans zu sein. Was es bedeutet, einen so grossen und wichtigen Schritt auf sich selber zuzugehen und wie sehr Intoleranz und Diskriminierung im sich selbt als fortschrittlich bezeichnenden Westeuropa immer noch unsere Sprache, eine medizinische Routinekontrolle, unsere öffentlichen Gebäude, unser Verhalten und unsere Denkmuster prägen. Abgesehen davon, dass Linus ein wundervoller Mensch ist und dass es sich lohnt, ihm zuzuhören (egal, über was er spricht), hilft dieses Buch auch, sich alltäglichen Denk- und Verhaltensmuster bewusst zu werden und diese aufzubrechen, um Raum für mehr Akzeptanz und Sicherheit zu schaffen.

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