Unangenehmer Schreibstil, Geschichte tritt zu sehr auf der Stelle
Hotel WeitblickDer Klappentext des Buches verspricht: „ein bitterböser Roman über das Leistungsdenken“ und einen „entlarvenden Blick auf die erlernten Handlungsweisen unserer Gesellschaft“ und deren „zutiefst beunruhigende ...
Der Klappentext des Buches verspricht: „ein bitterböser Roman über das Leistungsdenken“ und einen „entlarvenden Blick auf die erlernten Handlungsweisen unserer Gesellschaft“ und deren „zutiefst beunruhigende Ursprünge“. Die Handlung beschreibt ein dreitägiges Assessment Center, auf dem ein Geschäftsführer für eine Werbeagentur gefunden werden soll. Dies sprach mich an, ungesunde Firmenkulturen und ihre zerstörerische Wirkung habe ich in meinen Jahren bei zwei der sog. „Big Four“ zu Genüge erlebt. Ich freute mich auf einen psychologisch raffinierten Blick hinter die Kulissen sowohl solcher Veranstaltungen und Firmen als auch der selbsternannten Leistungsträger.
Das Lesen fiel mir leider von Beginn an schwer, denn die Autorin tut alles, um ihren Text möglichst unübersichtlich zu machen. Lange, vor Kommata wimmelnde Sätze, der völlige Verzicht auf Anführungszeichen (ganz oben auf meiner Liste unerfreulicher Stilmittel) und häufig auch auf notwendige Fragezeichen. Dazu abrupte Perspektivwechsel und gleichlautende Erzählstimmen. Solche Stilmittel sind für mich bei Büchern eher ein Warnzeichen, weil sie auf mich den Eindruck machen, daß hier Unkonventionalität und Tiefgang suggeriert werden sollen, und der Textinhalt mich häufig enttäuscht. Es war nicht anregend oder erfreulich, sich durch diesen unübersichtlichen Text zu arbeiten und er lohnte die Mühe jedenfalls für mich nicht, auch wenn es zwischendurch gelungene und treffende Sätze gibt.
Wie bereits erwähnt, klingen die fünf Erzählstimmen völlig gleich. Während der Seminarleiter sich wenigstens inhaltlich ein wenig abhebt, versinken die vier Teilnehmer in einem Einheitsbrei, so daß ich sie – bzw. ihre Hintergrundgeschichten & Probleme – kaum auseinanderhalten konnte. Es wird sehr tief in die Klischeekiste gegriffen. Die einzige Frau der Runde ist natürlich auch diejenige, deren psychische Probleme dazu führen, daß sie im mittleren Alter plötzlich ein Kind möchte, als ob bei Frauen alles auf einen Kinderwunsch hinführt. Sie ist auch diejenige, die sich ihre zukünftige Führungstätigkeit vorwiegend so ausmalt, daß sie die Agentur hübsch kuschelig einrichten möchte, mit Pflanzen, gemütlichen Sesseln etc., außerdem ist ihre Designerhandtasche ein wichtiges Identifikationsobjekt für sie. Auch die Männer entsprechen den gängigen Klischees, die uns zudem innerhalb der ersten Seiten schon auf dem Silbertablett serviert werden. Ein Teilnehmer berichtet uns von seiner Freude über seine Familie und ich war gespannt, wie wir nun allmählich die Maske des begeisterten Familienvaters fallen sehen werden. Auf der nächsten Seite erklärt er uns schon, daß ihm seine Familie auf die Nerven geht. In dieser Manier ist eigentlich alles über das Innenleben der Protagonisten bereits gesagt, bevor es richtig losgeht. Die Hoffnung, daß sich Weiteres allmählich enthüllt, erfüllt sich nicht.
Das Buch tritt fast überwiegend auf der Stelle, wiederholt die bereits gemachten Punkte immer wieder, ob nun in zähen Unterhaltungen, langatmigen Gedankengängen in Bandwurmsätzen oder Träumen. Die Konflikt zwischen Teilnehmern und Seminarleiter, bzw. den einzelnen Teilnehmern ist vom Anfang da, wird schnell auf plumpe Art hochgeschraubt und richtet sich dann ebenfalls in der Endlosschleife ein.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind – das kann man ohne Spoilergefahr schreiben, denn auch das wird schon auf den ersten Seiten dargelegt – die NS-Erziehungsprinzipien, damals niedergelegt von Johanna Haarer und noch bis in die 1980er als Ratgeber erhältlich. Wenn man bedenkt, daß das Buch 2020 spielt und die Protagonisten in ihren 30ern/40ern sind, also zu einer Zeit aufwuchsen, in der sich die Erziehung extrem gewandelt hat, ist dieser Aufhänger für mich nicht realistisch. Hätte das Buch zwei Jahrzehnte zuvor gespielt, wäre es glaubhafter gewesen. So aber konnte ich nur ziemlich befremdet den Kopf schütteln. Es gibt im Buch ein paar psychologisch gut dargestellte Momente, aber größtenteils war es mir zu plump und klischeebeladen. So waren also leider weder der Stil, noch der Inhalt, noch die Protagonisten mein Fall.