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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.09.2021

Für die Fans

Glitterschnitter
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Sven Regeners neuer Roman schließt zeitlich an seinen Vorgänger "Wiener Straße" an. Aber auch wenn man (so wie ich) diesen noch nicht gelesen hat, kann man "Glitterschnitter" gut folgen. Erzählt wird von ...

Sven Regeners neuer Roman schließt zeitlich an seinen Vorgänger "Wiener Straße" an. Aber auch wenn man (so wie ich) diesen noch nicht gelesen hat, kann man "Glitterschnitter" gut folgen. Erzählt wird von ein paar wenigen Tagen in der Vorweihnachtszeit 1980. Allzu weihnachtlich bzw. besinnlich wird es allerdings nicht, denn die West-Berliner Kneipen- und Kunstszene, um die es hier wie so oft in Sven Regeners Romanen geht, dreht sich vorwiegend um sich selbst. Aus verschiedenen Blickwinkeln (leider nicht aus Karl Schmidts – sehr schade) wird von verschiedenen Projekten berichtet: einer Kaffeehauseröffnung, einem Konzert, einer Kunstausstellung.
Die Handlung ist eher übersichtlich, aber das ganze dennoch recht unterhaltsam und witzig. Die Unterhaltungen und Unternehmungen der Protagonisten sind größtenteils wieder einmal so absurd wie nur möglich. Gegen Ende zog es sich für mich dann aber etwas in die Länge – vielleicht fehlt hier dann doch eine etwas konkretere Handlung. An "Magical Mystery" oder "Herr Lehmann" kommt "Glitterschnitter" also leider nicht ran. Dennoch für Fans natürlich ein Muss. Neulingen würde ich aber die beiden genannten Klassiker als Start in das Sven-Regener-Universum empfehlen.

Veröffentlicht am 29.08.2021

Wichtiges Thema – nicht ganz überzeugend umgesetzt

Die Nachricht
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Interessant in Doris Knechts neuem Roman ist schon der Ansatz, dass eine Best-Ager-Frau von Cyber-Mobbing/-Stalking betroffen ist und keine Jugendliche. Aber schließlich passiert das auch erwachsenen Menschen, ...

Interessant in Doris Knechts neuem Roman ist schon der Ansatz, dass eine Best-Ager-Frau von Cyber-Mobbing/-Stalking betroffen ist und keine Jugendliche. Aber schließlich passiert das auch erwachsenen Menschen, was aber auch nur sehr selten thematisiert wird – umso wichtiger sind solche Bücher.
Aufgeteilt ist das Buch in oft sehr kurze Kapitel, die es mir anfangs etwas schwer machten, richtig in den Lesefluss zu kommen. Recht bald war ich dann aber drin und das Buch las sich insgesamt flüssig und gut.
Die Ich-Erzählerin Ruth ist noch damit beschäftigt, ihr Leben nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes neu zu ordnen, als sie anonyme Nachrichten über das Internet erreichen. Der Absender weiß viel über sie, beschimpft sie, droht ihr und ihrer Familie.
Ruth scheint eine durchaus komplexe Person zu sein, über die man aber nur Bruchstücke erfährt. Ihre Familiensituation, ihr Job, ihr Leben als Witwe in einem abweisenden Dorf, ihre Freunde – das alles hat viel Potential, wird aber oft nur gestreift. Sie bleibt schwer greifbar. Wie Ruth beschrieben wird, lässt sie oft unsympathisch erscheinen. Letzteres wohl ein Kniff der Autorin, um nicht Gefahr zu lassen, dass Ruth nur als Opfer oder gar hilflos erscheint – das passiert jedenfalls nicht. Vielleicht hätte man das aber auch anders lösen können.
Auch der Umgang der Protagonistin mit der Situation bleibt manchmal etwas oberflächlich. Mögliche Lösungen wie der Gang zur Polizei, zur Rechtsberatung, zu Hackern, das Blockieren von fremden Nachrichten werden nie wirklich in Betracht gezogen. Ich hatte nicht das Gefühl wirklich zu wissen, was die anonymen Nachrichten mit ihr machen. Das ist einerseits vielleicht realistisch, da viele Betroffene, eine solche Situation eher mit sich selbst ausmachen, aber in dieser fiktiven Umsetzung auch etwas schade.
Ganz konnte mich das Buch mit seinen guten, neuen Ansätzen also leider nicht überzeugen, dennoch ist der Autorin zu gute zu halten, dass sie ein wichtiges, wenig thematisiertes heißes Eisen anpackt.

Veröffentlicht am 06.08.2021

nicht ganz überzeugend

Junge mit schwarzem Hahn
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"Junge mit schwarzem Hahn" ist eine märchenhafte Geschichte vor historischer Kulisse. Der Junge Martin und sein altersloser Hahn leben in einer von Gewalt und Armut geprägten Zeit. Martin ist immer freundlich ...

"Junge mit schwarzem Hahn" ist eine märchenhafte Geschichte vor historischer Kulisse. Der Junge Martin und sein altersloser Hahn leben in einer von Gewalt und Armut geprägten Zeit. Martin ist immer freundlich und hilfsbereit, obwohl seine Mitmenschen das oft ausnutzen oder ihm zumindest misstrauisch begegnen. Zusammen mit dem Hahn begibt er sich auf Wanderschaft – eine Reise auch zu sich selbst.
Exakt greifbar sind weder der Handlungsort noch die Epoche (schätzungsweise Europa in der Frühen Neuzeit), was die märchenhafte Atmosphäre noch verstärkt. Insgesamt ist die Stimmung, die die Erstlingsautorin Stephanie vor Schulte in diesem Roman erzeugt, ist sehr gelungen.
Sprachlich öfters sehr ungewöhnlich – irgendwie einfach, dann aber auch wieder historisch wirkend und hin und wieder gewitzt. Das hat mir sehr gut gefallen.
Ansonsten muss ich aber sagen, dass das Buch mich inhaltlich leider nicht ganz gepackt hat. Vielleicht hab ich es auch einfach nicht richtig verstanden? Mir fehlte da jedenfalls irgendetwas.

Veröffentlicht am 20.07.2021

Geschichte über das Altern

Betrunkene Bäume
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Das Buch startet in Sibirien, schätzungsweise irgendwann in den 1960'er Jahren. Weiter geht es dann in Berlin im 21. Jahrhundert. Dort spielt sich die Handlung dann größtenteils ab – irgendwie hatte ich ...

Das Buch startet in Sibirien, schätzungsweise irgendwann in den 1960'er Jahren. Weiter geht es dann in Berlin im 21. Jahrhundert. Dort spielt sich die Handlung dann größtenteils ab – irgendwie hatte ich mehr Wechsel zwischen den Zeitebenen erwartet, vielleicht mein Fehler. Die beiden Zeitstränge sind durch Erich verbunden – einem Baumliebhaber und -forscher. Das Thema Bäume fand ich interessant behandelt. Das hätte gerne noch vertieft werden können, denn die Geschichte in der Gegenwart mit Katharina fand ich nicht so überzeugend. Auch die angekündigte Freundschaftsgeschichte zwischen Katharina und Erich wurde etwas kurz abgehandelt. Was das Buch aber schafft (soweit ich das beurteilen kann): das Altern ehrlich zu beschreiben.

Erzählt ist das Buch in einer sehr klaren, schnörkellosen Sprache. Vielleicht auch dadurch erinnerten mich die Passagen über Katharina manchmal an ein Jugendbuch (was nicht schlimm ist).

Auf garkeinen Fall ein schlechtes Buch, aber auch nicht herausragend. Vielleicht wurde hier einfach zu viel zusammen gemischt.

Veröffentlicht am 13.07.2021

Eindrückliche Stimmung, mittelmäßige Handlung

Treue Seelen
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34 Jahre vor Corona befand sich die Welt schon mal im Ausnahmezustand: nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Heute wie damals durchaus erwartbare, aber dann doch überraschende Katastrophen, die ...

34 Jahre vor Corona befand sich die Welt schon mal im Ausnahmezustand: nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Heute wie damals durchaus erwartbare, aber dann doch überraschende Katastrophen, die den Alltag der Menschen massiv beeinflussen und ihnen zeigen, dass ihre Allmacht über die Natur begrenzt ist und ihr Handeln sowie auch ihr Nichthandeln Konsequenzen hat.
In dieser Zeit von Tschernobyl also spielt „Treue Seelen“ und dazu auch noch in West-Berlin, was der Szenerie noch bedrückender macht. Allerdings ist das auch nichts Neues. Alles was ich hier über die Zeit nach Tschernobyl und das Leben in West-Berlin gelesen habe, habe ich so auch schon woanders gelesen oder gehört. Dennoch ist diese Stimmung so spürbar beschrieben, dass ich, als in meinem realen Leben Regen aufzog, kurz alarmiert war.
Leider ist die erzählte Liebesgeschichte eher unspektakulär – die Ost-West-Geschichte, die es auch noch gibt, wirkt konstruiert. Die Handlung dümpelt so vor sich hin, das Personal bleibt unscharf. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Erzählart mit ungewöhnlichen Sprüngen vor und zurück und einer manchmal etwas abgehackten Sprache. Ich kam mit beidem zurecht, einen Mehrwert hatte es für mich aber nicht.
Der Reiz des Buches ist für mich die eindringlich beschriebene Stimmung und der sich aufdrängende Vergleich, den die Lesenden zwischen der Zeit nach Tschernobyl und der Corona-Zeit ziehen können. Bei der Handlung bleibt es dafür leider eher mittelmäßig.