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Veröffentlicht am 17.06.2022

Einzelgängerinnen in einem sehr abgelegenen Land

Das ganze Leben da draußen
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Einzelgängerinnen in einem sehr abgelegenen Land, nämlich in Island, das sind Elín und ihre junge Lehrerin Alfa, deren Wege sich nicht nur in der Schule kreuzen. Aber ihre Leben sind nicht nur über Kreuz, ...

Einzelgängerinnen in einem sehr abgelegenen Land, nämlich in Island, das sind Elín und ihre junge Lehrerin Alfa, deren Wege sich nicht nur in der Schule kreuzen. Aber ihre Leben sind nicht nur über Kreuz, sondern auch jedes für sich von Belang, es sind Oasen, in denen Vergänglichkeit wie auch Beständigkeit wichtige Themen sind, ebenso wie Verlust und Ersatz. Und immer wieder Einsamkeit, Gemeinsamkeit und der eigene Weg.

Die junge Lehrerin Alfa hat gerade ihren Großvater Magnús, zu dem sie ein sehr enges Verhältnis hatte, verloren, genauer gesagt, hatte er sich selbst, nämlich durch Demenz verloren, bevor er ihr und dem Rest der Welt verloren ging.

Und Elín? Hat sie sich selbst überhaupt schon gefunden? Die Frage bei ihr und für sie ist, ob man tatsächlich dieselben Werte wie die anderen, die Altersgenossen, haben muss - Gleichaltrige sind doch nicht unbedingt Gleichgesinnte? Andererseits - wenn es ihnen zu unheimlich wird, dann stellen sie sich dagegen, machen Witze und verhöhnen den anderen.

Gibt es andere Wege, andere Lösungen, andere Menschen, die verständnisvoller sind? Diese Frage stellt sich sowohl Elín als auch Alfa, jeder auf die ihr eigene Art.

Ein Buch, das so ganz anders ist als der Erstling der Autorin Nina Sahm, nämlich "Das letzte Polaroid", ein Buch über Ungarn im politischen Aufruhr parallel zur Protagonistin im inneren Umbruch - ein Buch, das aufgrund seines Themas viel mehr im Fokus steht. Und nicht so abseits wie dieser Island-Roman. Dennoch gibt es Ähnlichkeiten und Parallelen: auch dies ein Buch, das Widersprüche weckt, überlegen lässt, wie man selbst in der ein oder anderen Situation handeln würde. Ein Buch über Freundschaft, Neid und Verrat, falsch verstandener Treue - das war es für mich. Und auf jeden Fall ein Roman mit interessanten und ungewöhnlichen Figuren, einer, der vielleicht nicht im Einzelnen im Gedächtnis bleibt, aber doch das ein oder andere zurücklässt. Mich hat er nicht so abtauchen lassen wie der erste Roman der Autorin, er erschien mir als Leserin um einiges sperriger und auch schwerer zu erschließen.

Dennoch ein ungewöhnliches Buch, das sich lohnen mag. Ich selbst habe aufgrund meiner Erfahrungen mit der Autorin zugegebenermaßen eine Steigerung erwartet und aus meiner Sicht eine Senkung meiner Erwartungen hinnehmen müssen, doch es muss nicht jedem so gehen. Es wird sicher Leser geben, die sich auf Alfa und Elín einlassen und mehr von der Lektüre haben werden als ich, wenn ich mich auch recht gut unterhalten fühlte.

Veröffentlicht am 17.06.2022

"Geschichte machen" auf Russisch

Das Haus zur besonderen Verwendung
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Georgi blickt zurück: der ehemalige Leibwächter des letzten russischen Zaren lebt mit seiner Frau Soja im Exil in London, wo er bis zum Ruhestand lange Jahre in der Bibliothek des British Museum tätig ...

Georgi blickt zurück: der ehemalige Leibwächter des letzten russischen Zaren lebt mit seiner Frau Soja im Exil in London, wo er bis zum Ruhestand lange Jahre in der Bibliothek des British Museum tätig war. Ein langes, erfülltes Leben und eine lange, glückliche Ehe, die nun mit dem Tod seiner Frau endet.

Das Ehepaar hat sich dem Leben auf der britischen Insel angepasst, mit der einzigen Tochter englisch gesprochen und jahrelang zurückgezogen gelebt, doch es rankt sich ein Geheimnis um sie: sie stammen aus Russland, Georgi aus einem kleinen Dorf - und Soja... nun, sie stammt von ganz anderen Kreisen ab.

Georgi durfte zur Belohnung dafür, dass er einem Mitglied der Zarenfamilie das Leben gerettet hat, mit den zaristischen Truppen nach St. Petersburg ziehen, um Leibwächter des Zarewitsch zu werden - zu der Zeit eine unglaubliche Entwicklung, die man sich nicht mal im Traum vorstellen konnte und natürlich eine Riesenchance für ihn, dem engen und ärmlichen Dorfleben zu entkommen. Dort lernt der nicht nur den Zarewitsch Alexej kennen, sondern auch seine Eltern und die vier Schwestern - und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Das &

34;Haus zur besonderen Verwendung&

34; steht in Jekaterinburg und wird zum Ort des Schicksals für Georgi und für seine spätere Frau.

Zu viel soll an dieser Stelle vom Inhalt nicht vorausgenommen werden, doch fügt sich dieser Roman in den Kreis derer ein, die Geschichte neu, bzw. umschreiben wie es bspw. Stephen Fry in &

34;Geschichte machen&

34; und Eric Emmanuel Schmitt in &

34;Adolf H.: zwei Leben&

34; in bezug auf das dritte Reich getan haben. Hier greift Boyne das Anastasia-Mythos - die immer wiederkehrende Legende des 20. Jahrhunderts, dass die jüngste Zarentochter die Ermordung der Zarenfamilie überlebt hat, auf und fügt seine Version in die historische Realität ein.

Der Autor versteht es, Spannung aufzubauen und den Leser nach dem weiteren Verlauf der Handlung gieren zu lassen. So fällt es nicht schwer, den Roman in wenigen Tagen zu lesen. Doch der eigentliche Kracher, das absolute Aha-Erlebnis wie im &

34;Pyjama&

34;, in dem Boyne die Geschichte zwar nicht umformuliert, wohl aber virtuos mit ihr spielt und gar ins Fabelhafte abdriftet, bleibt hier aus. Das eigentliche Geheimnis ist vorhersehbar, der Roman entwickelt sich wenig spektakulär.

In seinem Erstlingswerk &

34;Der Junge im gestreifen Pyjama&

34; thematisierte Boyne auf eindringliche Weise einen der relevantesten historischen Einschnitte des vorigen Jahrhunderts - die Judenverfolgungen der Nazizeit, indem er sie in eine irreale, ja fabelartige Geschichte einbaute - eine spannende, sehr starke und ungeheuer eindrucksvolle Erzählung von großer Tragweite, die dem Leser eine völlig neue Sichtweise und unerwartete Dimensionen offenbarte. Vom &

34;Haus zur besonderen Verwendung&

34; habe ich nach der vielversprechenden, sprachlich ansprechenden Leseprobe Ähnliches erwartet und wurde in dieser Beziehung leider enttäuscht. Nicht enttäuscht jedoch hat mich die Sprachgewalt und das ungeheure Faktenwissen des Autors, das auch die Lektüre dieses Romans zum Lesevergnügen werden lässt - ungeachtet der kleinen Enttäuschung bezüglich des fehlenden Aha-Erlebnisses. Diesem Buch fehlt die Einmaligkeit des Vorgängers - doch aufgrund des erläuterten Potentials lässt es auf weitere literarische Meilensteine des Autors John Boyne auf dem Niveau von "Der Junge im gestreifen Pyjama" hoffen.

Veröffentlicht am 17.06.2022

Retten schweißt zusammen

Die Freundinnen vom Strandbad (Die Müggelsee-Saga 1)
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Zumindest läuft es so bei Clara, Betty und Martha. Die drei Mädels, die sich bisher nur aus der Schule kannten, retten im Strandbad einem alten Herrn das Leben und halten ab da fest zusammen. Obwohl ...



Zumindest läuft es so bei Clara, Betty und Martha. Die drei Mädels, die sich bisher nur aus der Schule kannten, retten im Strandbad einem alten Herrn das Leben und halten ab da fest zusammen. Obwohl sie vollkommen unterschiedlich sind. Oder vielleicht gerade deswegen?

Ihr Leben ist reglementierter als das gleichaltriger Teenager einige Kilometer weiter westlich, denn sie leben in Ostberlin: die gemeinsame Rettungsaktion erfolgt 1956, danach begleiten wir die Mädchen durch die Jahre 1960/61.

Natürlich sind Jungs ein großes Thema und während Martha und Clara mit etwa Gleichaltrigen liebäugeln bzw. von ihnen umschwärmt werden, hat die reifere, sehr anziehende Betty, die zudem von ihrem Onkel, einem Modeschöpfer des Ostens, stets mit eleganten Kleidern versorgt wird, ganz andere Verehrer: Auch einen recht bekannten Regisseur, was ihr sehr zupass kommt, träumt sie doch von einer Karriere beim Film.

Eine interessante und packende Geschichte, die teilweise fast zu viel Spannung beinhaltete: ab und zu driftete die Handlung fast in Richtung Räuberpistole ab und auch der Stil war nicht durchgehend eindringlich bzw. gefällig. Die Autorin erlaubte sich so manch logischen Fehler, der leider vom Lektorat nicht redigiert wurde, zudem ging sie zu wenig auf die einzelnen Figuren ein: es fehlt ein klarer Wiedererkennungswert.

Dennoch bin ich neugierig, wie es mit Clara, Betty und Martha weitergeht und freue mich auf die Fortsetzung, die bereits Ende Juli 2022 erscheinen wird.

Veröffentlicht am 26.05.2022

Ein wenig glatt und trotzdem umständlich

Du bist das Licht in meiner Welt
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Ich hatte mich so darauf gefreut, nach langer Zeit mal wieder einen Campus-Roman zu lesen, in der das Uni-Leben, das bei mir schon vor 32 Jahren zu Ende ging, eine große Rolle spielt.

Enna begibt sich ...

Ich hatte mich so darauf gefreut, nach langer Zeit mal wieder einen Campus-Roman zu lesen, in der das Uni-Leben, das bei mir schon vor 32 Jahren zu Ende ging, eine große Rolle spielt.

Enna begibt sich für ihr Studium in die idyllische Kleinstadt Starfall und freut sich sehr auf ihr neues Leben. Gleichzeitig jedoch hat sie davor Angst, weil sie ihr Trauma, den Unfalltod ihrer Mutter vor fünf Jahren, längst noch nicht überwunden hat.

Und es wird noch schlimmer - schon bald trifft sie Finn, ihren ehemals besten Freund wieder, der sich seit diesem Ereignis nicht mehr bei ihr gemeldet hat, obwohl sie ihr gerade da dringend gebraucht hätte.

Leider läuft alles sehr glatt, EMMA findet SOFORT neue Freunde, durch die auch die Wiederbegegnung mit Finn erfolgt. Vieles, leider vor allem die Sprache der Autorin, aber auch die Handlung, wirkt auf mich sehr klischeehaft - es gibt kaum Brüche, wenig Unerwartetes.

Auch wenn die Freundschaften der Studenten untereinander sehr warmherzig und beschrieben werden und der Wert solcher Verbindungen gekonnt vermittelt wird, ist mir das zu wenig, um das Buch insgesamt genießen zu können. Ich hoffe sehr, dass dieser schöne und starke Aspekt im zweiten Teil mehr zum Tragen kommt!

Veröffentlicht am 19.05.2022

Schweigen in schweren Zeiten

Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Anne Frank
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Damit man nämlich nicht erwischt wird. Schweigen kann man meist nur, wenn man sich allem entzieht und so versteckte sich Annes Franks Familie über zwei Jahre lang in einem winzigen und engen ...

Damit man nämlich nicht erwischt wird. Schweigen kann man meist nur, wenn man sich allem entzieht und so versteckte sich Annes Franks Familie über zwei Jahre lang in einem winzigen und engen Hinterhaus in Amsterdam.

Bis sie leider doch gefunden wurden von den Nazis und/oder ihren Handlangern und in ein KZ gebracht wurden. Die wenigsten überlebten - auch Anne leider nicht.

Aber es blieb etwas von ihr, das unglaublich viele Menschen kennen, nämlich ihr Tagebuch, das gerade durch seine Beschreibung des Alltäglichen so erschüttert. Fast alle kennen es, die meisten haben es sogar gelesen. Oft auch die, die sonst eher keine Bücherwürmer sind.

Deswegen ist es eine tolle Idee, dieses so wichtige Thema auch für jüngere Kinder zugänglich zu machen. Hier ist es in Form einer Graphic Novel vom Aufbau und vom Design her wirklich sehr gelungen.

Doch mangelt es aus meiner Sicht inhaltlich an dem, was Kinder brauchen. Kinder tun sich schwer mit Andeutungen, mit vagen Phrasen. Sie brauchen Konkretes: wenn Schlimmes geschehen ist, sollte man einen Weg finden, es so auszusprechen, dass das Kind es versteht, aber trotzdem ertragen kann. Hier gibt es am Ende Floskeln, die sehr unkonkret formuliert sind. Ich bin schon lange kein Kind mehr, aber wenn ich die Geschichte der Familie Frank nicht aus dem FF kennen würde, hätte ich auch meine Schwierigkeiten damit.

Also damit, die konkreten Ereignisse nachzuvollziehen. Und das empfinde ich leider als wenig hilfreich. Denn es ist wichtig, in schweren Zeiten zu manchen Gelegenheiten - eher zu ziemlich vielen - zu schweigen. Danach jedoch sollte darüber geredet werden, um sie nicht zu vergessen. Und man sollte es den (kleinen) Menschen nicht zu schmerzhaft präsentieren - aber doch so, dass sie es genau verstehen!