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Marielle_liest

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.04.2024

Der Gesang der Kalanderlerche

Nostalgia Siciliana
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Tita ist noch ein Kind, als ihr Papa Gianni stirbt und sie, ihr Bruder und ihre Mama allein in Berlin zurückbleiben. Erst 26 Jahre später, als auch Titas Onkel stirbt, beginnt ihre Reise zurück zu ihren ...

Tita ist noch ein Kind, als ihr Papa Gianni stirbt und sie, ihr Bruder und ihre Mama allein in Berlin zurückbleiben. Erst 26 Jahre später, als auch Titas Onkel stirbt, beginnt ihre Reise zurück zu ihren Wurzeln - nach Sizilien. In vielen verschiedenen Zeiten dürfen wir zurückblicken in Titas und auch in Giannis Vergangenheit. Wird sich Tita entscheiden zwischen Berlin und Sizilien und wird sie auf ihr Herz hören?

🍋🍋🍋

Ich hätte nie für möglich gehalten, bei einer Familiengeschichte so sehr mitzufiebern. Obwohl wir von Anfang an wissen, dass Gianni bereits als junger Vater gestorben ist, lässt die Autorin seine Geschichte so warm und voller Emotionen aufleben, dass ich Sizilien mit allen Sinnen nachfühlen kann.

Ebenso aufregend sind Titas Erlebnisse in Sizilien als erwachsene Frau, die sich auf Spurensuche begibt, um ihre Familiengeschichte zu erfahren, die Jahrzehnte lang im Verborgenen lag.

Die Autorin Patrizia Di Stefano erzählt Titas Leben, das ganz nah dran ist an ihrem eigenen - gespickt mit zahlreichen Ereignissen, die sich genauso zugetragen haben. Ihr lebendiger Schreibstil versprüht dabei die sizilianische Wärme, die Düfte und Geschmäcker und vor allem die Kontraste der Insel, die schönen Seiten und auch die hässlichen.

Ich habe diesen Roman unglaublich gern gelesen. Es war, als wäre ich dabei - auf Sizilien, in Giannis Vergangenheit und auf Titas Reise. Schmerz und Freude, Melancholie und Sehnsucht so dicht beieinander. Und beim Umblättern kann ich den einzigartigen Geruch riechen, wenn der erste Regen nach Monaten auf die staubige, trockene Erde fällt.

Riesige Leseempfehlung für eine Geschichte, die mir in Erinnerung bleiben wird. Sie bekommt dort ein Plätzchen unter dem alten Carrubo, auf dessen Ast die Kalanderlerche sitzt und ein süßes und ebenso bitteres Lied singt.

Veröffentlicht am 28.03.2024

So aktuell, so berührend, so wichtig!

Alles gut
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Zwei Menschen aus völlig verschiedenen Welten und mit ebenso verschiedenen Ansichten lernen sich in der Uni kennen. Einige Zeit später treffen sie sich bei ihrem ersten Job in der Finanzbranche in New ...

Zwei Menschen aus völlig verschiedenen Welten und mit ebenso verschiedenen Ansichten lernen sich in der Uni kennen. Einige Zeit später treffen sie sich bei ihrem ersten Job in der Finanzbranche in New York wieder und müssen zusammenarbeiten. Jess ist weiblich und schwarz und kämpft jeden Tag aufs Neue für ihre Rechte. Josh ist männlich und weiß und hat ein ziemlich konservatives Mindset. Trotzdem finden die beiden zueinander, beginnen zu sprechen und werden Freunde. Und dann wird die Anziehungskraft immer größer.

„Alles gut“ hat irgendetwas in mir ausgelöst, das ich bis heute nicht genau erklären kann. Es hat einen Nerv getroffen, es hat Themen aufgegriffen, die mir wichtig sind, es hat so sehr berührt und mich zum Weinen gebracht und es hat getröstet und versöhnt. Ich bin schockverliebt und habe ein Jahreshighlight für mich gefunden.

Eigentlich greife ich nicht zu Liebensromanen und trotzdem habe ich es bei diesem Buch getan. Jetzt weiß ich, dass dieses Buch von so viel mehr als Liebe handelt. Und trotzdem sagt es etwas über die Liebe aus, was mich tief bewegt hat: Wir müssen nicht gleich sein, um zu lieben, wir müssen nicht immer einer Meinung sein und manchmal dürfen wir uns sogar hassen. Auf welchem instabilen Fundament Jess und Josh ihre Beziehung aufbauen, ist erstaunlich. Und andauernd geraten die Wände ins Wanken, doch trotzdem ist da eine unsichtbare Kraft, die die beiden verbindet.

Ich bin fasziniert, wie es der Autorin gelingt, so wichtige Themen wie Rassismus, Gleichberechtigung und toxische Männlichkeit auf die Alltagsebene zu bringen – ganz genau dorthin, wo sie entsteht und wo wir immer wieder damit konfrontiert werden. Dieses Buch ist überall auf der Welt so wichtig und aktuell. Es schreit uns die Probleme schonungslos ins Gesicht und erzählt dabei eine Geschichte, die wir alle nachfühlen können. Dieses Buch müsste ein Pflichtbuch sein – ich bin sicher, es kann so vieles (aus-)lösen! Riesige Empfehlung aus tiefstem Herzen!

Veröffentlicht am 27.03.2024

Ich habe ein neues Lieblingsbuch! 💜

Die Welt vor den Fenstern
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Ein Haus mit Wänden, die Maia nicht überwinden kann. Es bleibt ihr nur der Blick aus den Fenstern, die nicht geöffnet werden dürfen. Dort sieht sie Wald und den Himmel, der für die Familie eine alles überspannende ...

Ein Haus mit Wänden, die Maia nicht überwinden kann. Es bleibt ihr nur der Blick aus den Fenstern, die nicht geöffnet werden dürfen. Dort sieht sie Wald und den Himmel, der für die Familie eine alles überspannende Bedeutung hat. Doch Maia ist klug, sie schaut hinter die Fassade, sie ist aufmerksam und sie hat Fragen, so viele Fragen…

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Was für ein Buch! Was für eine Stimmung! Was für eine Anziehungskraft! Was für eine Magie! Tatjana von der Beek nimmt mich mit in eine faszinierende Geschichte und ich hätte mir gewünscht, sie würde niemals enden.

Maias Welt ist vertraut und fremd zugleich. Denn obwohl sie zusammen mit ihrer Familie in einem scheinbar „normalen“ Haus lebt, halte ich während des Lesens immer wieder fassungslos inne. In diesem Haus geschehen seltsame Dinge, die keinesfalls übernatürlich sind, sondern ganz und gar menschengemacht. Und trotzdem so anders als alles, was ich mir bisher vorstellen konnte.

Mit ihrem fesselnden und bildhaften Schreibstil erzählt die Autorin Maias Geschichte und entwickelt damit einen Sog, aus dem ich mich nicht befreien kann. Ich tauche tief ein in das Haus, das so faszinierend und schockierend zugleich ist. Ich schleiche mich zusammen mit Maia nachts aus ihrem Zimmer und wir huschen barfuß über die knarrenden Holzplanken, um den Geheimnissen hinter den Wänden auf den Grund zu gehen.

Dieser Roman war für mich so intensiv, dass es das eigentliche Lesen überstieg. Es ist, als hätte ich selbst in diesem Haus gelebt. Wie die Autorin das geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Doch mit diesem unvergesslichen Buch werde ich immer eines meiner aufregendsten Leseerlebnisse verbinden.

Große Leseempfehlung! Glaube mir, du musst die mutige, intelligente und beeindruckende Maia kennenlernen, um das Haus aus ihren Augen zu sehen. Ich habe ein neues Lieblingsbuch und möchte bitte eine Fortsetzung lesen. 🫠

Veröffentlicht am 27.03.2024

Was folgt nach der Einsamkeit?

Nach den Fähren
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Ruhe ist eingekehrt im Sommerpalast, in der Bar, in der Bäckerei und an allen anderen Orten der einst so beliebten Ferieninsel. Wo sich vor einigen Jahren Tourist:innen dicht an dicht an den Stränden drängten, ...

Ruhe ist eingekehrt im Sommerpalast, in der Bar, in der Bäckerei und an allen anderen Orten der einst so beliebten Ferieninsel. Wo sich vor einigen Jahren Tourist:innen dicht an dicht an den Stränden drängten, spaziert heute nur noch die Doktorin entlang der schäumenden Wellen. Der Hausmeister des Sommerpalasts, die Frau des Generals, die Bäckerin und die anderen, die geblieben sind, müssen sich neue Aufgaben suchen, jetzt wo die Fähren nicht mehr kommen. Und dann ist da dieses Mädchen…

🐚⛴️🦚

Was für ein leiser Roman. Was für zarte Worte und dennoch reichen sie so tief. Sie wühlen auf und zerren ans Licht, was lange verborgen war. Von außen betrachtet, übernehmen Entschleunigung und Lethargie nun die kleine Insel. Doch im Inneren gerät alles in Bewegung – im Inneren der Menschen, die sich für ihre alte oder neue Heimat entschieden haben und geblieben sind.

Der Hausmeister, die Frau des Generals, die Bäckerin, der Barmann und die anderen müssen sich arrangieren mit Ruhe und Einsamkeit. Sie vermissen die Zeit, als die Fähren die Reisenden brachten. Und dann ist Ada da – ein Mädchen, das ebenso lautlos verschwindet wie es auftaucht. Doch sie bringt die Menschen zusammen. Auf einmal ist alles anders: Gespräche, Interaktion, Empathie, Beziehungen. Die, die geblieben sind, achten aufeinander, finden zueinander und zu sich selbst. Das Leben kehrt zurück, sie suchen nach der Vergangenheit und der Zukunft, sie entwickeln Wünsche und Pläne.

Die Autorin erzählt in sanftem und dennoch durchdringenden Stil die Geschichte dieser Insel – nach den Fähren. Ihre Sätze haben mich tief hineingeführt in die Atmosphäre, so als würde ich selbst zwischen den Pfauen gehen, das frisch gebackene Brot riechen und im Pool schwimmen. Ich hab die Insel gefühlt und ich habe die Menschen gefühlt.

Große Leseempfehlung für ein Buch, das zeigt, was Worte erschaffen können. Wie schön, dass Thea Mengeler diese Worte für uns niedergeschrieben hat. Das Lesen war so intensiv. 🩵🦚

Veröffentlicht am 14.03.2024

Zwei Welten

Der ehrliche Finder
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Im kleinen niederländischen Dorf Bovenmeer leben die beiden grundverschiedenen Jungs Jimmy und Tristan. Jimmy ist ein Außenseiter mit zerrütteter Familie und Tristan hat den schrecklichen Krieg im Kosovo ...

Im kleinen niederländischen Dorf Bovenmeer leben die beiden grundverschiedenen Jungs Jimmy und Tristan. Jimmy ist ein Außenseiter mit zerrütteter Familie und Tristan hat den schrecklichen Krieg im Kosovo erlebt und ist mit seinen Eltern und Geschwistern in die Niederlande geflohen. Die beiden Jungs verbindet eine tiefe Freundschaft, die eines Tages auf die Probe gestellt wird.

Ab der ersten Seite war ich gefesselt von diesem Buch. Wenn ich es jetzt wieder in die Hand nehme, kann ich nicht fassen, wie dünn es ist. Denn darin stecken zwei ganze Welten - die von Jimmy und die von Tristan. Wie es der Autorin in dieser Kürze gelungen ist, mit ihrem packenden und intensiven Schreibstil das Leben der beiden Jungs so detailliert und nahbar nachzuzeichnen, ist für mich ebenso faszinierend wie rätselhaft.

Die beiden gebrochenen Kinderseelen so eindringlich fühlen zu können, ist die große Kunst dieses Buchs. Mit der Zeit geriet für mich die Gegenseitigkeit der Freundschaft immer mehr ins Wanken. Und als die Verbindung zwischen Jimmy und Tristen im letzten Viertel des Buchs auf unglaubliche Weise geprüft wurde, wurde die Anspannung von bleierner Fassungslosigkeit überspült.

Zurück bleibt der große Wunsch, die beiden Kinder beschützen zu können von den völlig unterschiedlichen, aber in jedem Fall traumatischen Erlebnissen, die ihre ersten Lebensjahre auf so grausame Weise prägten. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sehr die Jungs einander brauchen und doch so verschiedene Bedürfnisse zu haben scheinen.

Ebenso beeindruckend ist es, wie greifbar Lize Spit von Krieg und Flucht erzählt - und wie groß die Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden für die Opfer ist. Das schonungslose Erleben dieses Buchs ist absolut einmalig.

Wenn du die Welt gerne noch einmal aus Kinderaugen sehen und in all ihren Facetten spüren möchtest, dann kann ich dir den Roman von Lize Spit unbedingt empfehlen.