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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.03.2024

Eiertanz

Kosakenberg
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Eine Frau hat es geschafft - aus dem Dorf ihrer Kindheit nach London, wo sie nun lebt und arbeitet. Die Besuche in der mecklenburgischen Provinz zeugen vom harten Kontrast zwischen Landleben und Weltstadt.
Unaufgeregt ...

Eine Frau hat es geschafft - aus dem Dorf ihrer Kindheit nach London, wo sie nun lebt und arbeitet. Die Besuche in der mecklenburgischen Provinz zeugen vom harten Kontrast zwischen Landleben und Weltstadt.
Unaufgeregt berichtet die Ich-Erzählerin, wie viele weggingen - die einzig logische Konsequenz, wenn man etwas werden wollte. Die Zurückgebliebenen arbeiten an der Tankstelle oder verkaufen Eier. Letzteren wird ein ganzes Kapitel gewidmet, in dem, mal bezeichnend, mal leicht übertrieben, die Bedeutung dieses Naturprodukts hervorgehoben wird. „Zehn Eier steckten in der Packung. Sie hatten die weite Reise von Kosakenberg nach London, tausend Kilometer, überstanden.“
Ich kann gut verstehen, dass sich die Protagonistin für ihre Entscheidung, den Ort zu verlassen, nicht verurteilen lassen will. Doch ihre Art, wie sie Selbiges mit ihren Freunden von damals tut, weil sie noch dort sind, hat etwas Herablassendes, was sie nicht sympathisch erscheinen lässt.
Gut gefallen haben mir die Rückblicke in die DDR-Vergangenheit und in das Familienleben, die sehr gut die Wehmut widerspiegeln, die mit einer Heimkehr verbunden ist. Denn auch wenn wir uns abgewandt haben, können wir unsere Herkunft nicht verleugnen.

Veröffentlicht am 03.02.2024

Wilde Zeiten in der DDR

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
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Heinz Labensky verlässt das „Feierabendheim“ in Erfurt und begibt sich auf die Reise an die Ostsee, von wo ihn ein mysteriöser Brief erreicht hatte. Unterwegs im Flixbus erzählt er Mitreisenden von seiner ...

Heinz Labensky verlässt das „Feierabendheim“ in Erfurt und begibt sich auf die Reise an die Ostsee, von wo ihn ein mysteriöser Brief erreicht hatte. Unterwegs im Flixbus erzählt er Mitreisenden von seiner aufregenden Vergangenheit im Osten Deutschlands.
Es wirkt, als habe das Autorenduo die Mission verfolgt, den „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ nach Deutschland zu verlegen. Der Protagonist hat mit seinen 79 Jahren, trotz der territorialen Begrenzung der DDR, Unglaubliches erlebt. So stehen etwa Begegnungen mit der RAF und der Stasi auf dem Programm oder die Suche nach dem Bernsteinzimmer in einem alten Nazibunker.
Da unser Heinz selbst nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, werden Abkürzungen und Hintergründe ausführlich erklärt, denn sie sind dem Erzähler manchmal selbst nicht so klar, wie sie es den Lesern sein sollen. Ich habe dies stellenweise als übertrieben empfunden, zumal für die Beschreibungen meist blumige Vergleiche im Stile von „Jetzt schwitzte er blödsinnig wie ein Pudding beim Picknick.“ herangezogen werden, die ich auf Dauer als nervig empfand.
Die Unterhaltsamkeit möchte ich dem Buch aber nicht absprechen. Es wurde tief in die Mottenkiste gegriffen, um ein DDR-Abenteuer zu erschaffen, das keineswegs Langeweile aufkommen lässt. Die Hauptfigur ist stets bemüht, das Richtige zu tun, und erweckt mit ihrer Redseligkeit eine gewisse Sympathie. Die Auflösung lässt schließlich selbst dieser Kerze ein Licht aufgehen.

Veröffentlicht am 18.12.2023

Fehler im System

Glitsch
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Léon begibt sich mit seiner Freundin auf eine Kreuzfahrt. Als Kathrin verschwindet, häufen sich seltsame Ereignisse, die den Protagonisten während seiner Suche nach ihr beschäftigen.
Die Zeit, in der ...

Léon begibt sich mit seiner Freundin auf eine Kreuzfahrt. Als Kathrin verschwindet, häufen sich seltsame Ereignisse, die den Protagonisten während seiner Suche nach ihr beschäftigen.
Die Zeit, in der diese Geschichte angesiedelt ist, liegt wohl ein paar Jahre in der Zukunft, denn die Figuren sind sich der Zerstörung des Klimas bewusst, zu den Mahlzeiten wird zuvor Tierisches als Analog-Variante gereicht. Die detailreiche Darstellung lässt das Schiffsleben lebendig erscheinen; der Blick hinter die Kulissen offenbart ein fragwürdiges Mehrklassensystem, das Gäste jeglicher Couleur anziehen soll.
Mir gefällt, mit welchen sprachlichen Bildern der Autor Atmosphäre erzeugt. „Entweder hing alles zusammen wie die Bestandteile einer perfekt schnurrenden Maschine - oder die Welt zerfiel in lauter disparate Einzelteile, in Zahnräder, die nicht ineinandergriffen, einen widersprüchlichen Programmiercode, der immer dieselbe Schlaufen erzeugte.“
Das entstandene Rätsel zog mich in seinen Bann und hat mich mitfiebern lassen. Gerade die Analogie zu einem Fehler in einem Computerspiel hätte verschiedene Auflösungen zugelassen. Doch an diesem Punkt wurden meine Erwartungen nicht erfüllt, das Ende war für mich unbefriedigend.

Veröffentlicht am 03.12.2023

Vom Leben und Verlust

Die Schuhe meines Vaters
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Andreas Schäfer schreibt über seinen Vater, über ihre letzte Begegnung, dessen Leben und den Verlust, den er nach seinem Tod empfindet.
Der autobiografische Text ist in drei Teile eingeteilt. Zu Beginn ...

Andreas Schäfer schreibt über seinen Vater, über ihre letzte Begegnung, dessen Leben und den Verlust, den er nach seinem Tod empfindet.
Der autobiografische Text ist in drei Teile eingeteilt. Zu Beginn erleben wir die beiden gemeinsam, wie sie Rituale abspulen und über die bereits prekäre gesundheitliche Situation fast kein Wort verlieren. Schließlich landet der Vater im Krankenhaus, und der Sohn muss die schwere Entscheidung treffen, ob die Maschinen abgestellt werden sollen. Nach dem Tod setzt er sich mit dem Leben des Vaters auseinander, analytisch die Stationen abgehend, die ihn ausgemacht haben. Und schließlich begibt sich der Sohn selbst auf eine Reise, um auf den Spuren des Vaters zu wandeln.
„Kein Sohn will die Achtung vor dem eigenen Vater verlieren, und natürlich ist mit diesem Buch auch die sprachmagische Hoffnung verbunden, mithilfe neutraler Sätze die (falls noch vorhandenen) letzten Spuren der frühen Verächtlichkeit ihm gegenüber zu tilgen und ins rechte Sohnes-Verhältnis zurückzufinden.“ Im Vergleich mit anderen vergleichbaren Werken habe ich Schäfers Art eher als kühle, distanzierte Berichterstattung empfunden, die weniger seine Gefühle offenbart. Seine Sprache und Einteilung habe ich als ansprechend empfunden.

Veröffentlicht am 22.11.2023

Ein Lied von Hygge

Lieder aller Lebenslagen
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„Meine Nerven verkraften es nicht, wenn Zwangshygge und Konkurrenzkampf miteinander kollidieren.“ In der als Genossenschaft organisierten Wohneinheit soll alles harmonisch geregelt werden, doch manchmal ...

„Meine Nerven verkraften es nicht, wenn Zwangshygge und Konkurrenzkampf miteinander kollidieren.“ In der als Genossenschaft organisierten Wohneinheit soll alles harmonisch geregelt werden, doch manchmal brodelt es eben unter der Oberfläche.
„Lieder aller Lebenslagen“ ist nichtsdestotrotz ein hyggeliges Buch, so wie es das Zusammenleben der Bewohner schildert, die vielleicht mal sticheln, aber niemals wirklich bösartig agieren. Auch wenn ihnen der Zusammenhalt von ihrer „Anführerin“ vorgelebt wird, ergibt sich Gemeinschaft schließlich irgendwie von selbst.
Die Besonderheit ist, typisch für die Autorin, dass in den Handlungsfluss andere Texte eingebaut werden, in diesem Fall Horoskope und Lieder. Diese bilden eine schöne Abwechslung und spiegeln doch die Grundstimmung des Romans wider. Auch wenn die episodenhafte Beleuchtung der Figuren mich eher von oben auf das Geschehen blicken ließ, als mich mit ihnen mitzufiebern, habe ich mich doch gerne von der lyrischen Art der Darstellung verzaubern lassen.