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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2018

Unterhaltsamer Roadtrip mit Schwächen

Blanca
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges Zuhause. Nach einem weiteren Streit mit ihrer impulsiven, schwierigen Mama reicht es Blanca endgültig. Sie nimmt sich kurzerhand das ersparte Geld und reißt aus. Ihre Reise führt das 15-jährige Mädchen nach Italien. Ihr Ziel: das Haus von Karl und Toni, wo sie in ihrer Kindheit ein wunderschönes Jahr verbracht hat. Doch was in ihrer Planung ein einfacher Trip von A nach B ist, gestaltet sich in der Realität viel schwieriger, Blanca muss Umwege nehmen und lernt dabei viele kuriose und interessante Persönlichkeiten kennen.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch / Roman
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 256
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält oder verletzt, aber eine Frau fängt eine Ente, um sie später zu töten. Blanca hingegen behandelt Tiere sehr gut, streichelt eine Katze und rettet sogar die Würmer aus ihren Kirschen.

Warum dieses Buch?

Für dieses Buch sprach die @Buchkolumne eine große Empfehlung aus, erst dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Gleich der erste, etwas verrückt klingende Satz mit seinem humorvollen Unterton hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn der Anfang aufgrund der Rückblenden wenig Tempo besaß, dauerte es nur ein paar Seiten, bis ich mich bereits mitten in der Geschichte befand und bereit war, mich mit Blanca auf ihren abenteuerlichen Roadtrip zu begeben.

„Hätte die Auflaufform mich getroffen, wäre alles anders gekommen. Aber ich sprang gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer und schlug die Tür hinter mir zu.“ Buchbeginn, E-Book, Position 44

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil von Mercedes Lauenstein ist flüssig und angenehm und schnell lesbar. Auch wenn das Buch eigentlich nicht offiziell als Jugendbuch eingeordnet ist (und es scheint sich tatsächlich irgendwo zwischen Jugendliteratur und Erwachsenenroman zu verorten), so wird die einfache Sprache jungen LeserInnen sicher gefallen. Mir gefielen sowohl Blancas treffende Beobachtungen als auch ihre intelligenten, unkonventionellen, manchmal von jugendlicher Verrücktheit geprägten Reflexionen und Gedanken. Die vielen Bandwurmsätze, meist mit Beistrich verbundene Hauptsätze (Parataxen), spiegeln Blancas Ruhelosigkeit, ihr Nirgends-Ankommen und Nirgendwo-zu-Hause-Sein sehr gut wider. Jedoch haben mich die vielen sprachlichen Wiederholungen, gleichen Satzanfänge und der fehlende Anspruch des Schreibstiles beim Lesen zunehmend gestört. Eine etwas feingeschliffenere Sprache hätte das Buch mit Sicherheit noch besser gemacht.

„Kurze Zeit später lag meine Mutter mit einer Grippe im Bett. Ich fragte sie, ob sie jetzt dran sei mit Sterben. ‚Kann sein‘, sagte sie, ‚es kann immer alles sein, Blanca, daran musst du dich gewöhnen.‘ Sie sah mich mit dramatischem Ernst an und strich mir über den Kopf.“ E-Book, Position 100

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Im Zentrum der Geschichte steht unter anderem Blancas komplizierte, von Hassliebe geprägte Beziehung zu ihrer impulsiven, intelligenten, nur 16 Jahre älteren Mutter, die sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwirft und stets erfolglos dem Glück nachjagt. Es ist eine Frau, die ihre Stimmungsschwankungen an ihrem Kind auslässt und immer wieder fragwürdige Erziehungsmethoden anwendet. Blancas Kindheit war schwierig, geprägt von ständigem Umziehen, teilweise litten Tochter und Mutter sogar Hunger. Eines wurde Blanca immer verwehrt: ein Zuhause. Deshalb begibt sich das Mädchen auch auf diese Reise mit dem Ziel, jenen Ort aufzusuchen, der für es am nächsten an eine Heimat herankommt.

Aber auch andere, für Roadtrip-Romane typische Elemente und Themen lassen sich in diesem Buch finden: Es geht um Unabhängigkeit, Erwachsenwerden, Freundschaft, Abenteuer, verrückte Bekanntschaften, verschiedene Lebensentwürfe und das verwegene Sich-alleine-Durchschlagen. Nicht alle Aspekte werden jedoch mit Tiefe behandelt. Auch vor empfindlichen Themen wie Alkohol- und Zigarettenmissbrauch und Beschreibungen von Blancas Liebesleben schreckt die Autorin nicht zurück, meist sind Blancas Partner fast oder sogar tatsächlich doppelt so alt wie sie. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich das Verhalten der Männer, die keine moralischen Bedenken haben, ein 15-jähriges Mädchen auszunutzen, echt angewidert hat.

Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, vieles werde ich aber leider sehr schnell wieder vergessen haben. Dafür bietet „Blanca“ einfach zu wenig Neues, Innovatives. Zudem hat die Geschichte erstaunlich wenig Handlung. Besonders im letzten Viertel hatte ich das Gefühl, dass ihr die Puste ausging. Mehr größere Höhepunkte, mehr Handlungsstränge und eine gerafftere, klarere Struktur hätten dem Buch mit Sicherheit gutgetan. Zum Schluss: Obwohl das Ende relativ offen ist, finde ich es passend – auch wenn ich gerne gewusst hätte, wie es mit Blanca weitergeht. Viele Fragen bleiben leider unbeantwortet.

Protagonistin (♥)

Blanca ist eine tolle Heldin, die ich schnell ins Herz geschlossen habe. Sie ist liebevoll und komplex gezeichnet, ihre Entwicklungen, Wünsche, Ängste und Träume sind glaubwürdig, ihr Verhalten stets nachvollziehbar. Ich fand es toll, wie mutig und frech sie ist, wie tiefgründig sie die Welt und die Menschen analysiert und wie empathisch sie oft handelt. Bei Rückschlägen habe ich mit ihr gelitten, ihre Hassliebe zur Mutter konnte ich sehr gut nachvollziehen. Oft hat Blanca mir, bei allen Gemeinheiten, die sie ertragen muss, auch sehr leidgetan. Interessant fand ich auch die teilweise synästhetischen Schilderungen – so haben für Blanca Geräusche zum Beispiel auch eine bestimmte Farbe und Form. Stellenweise hat mich Blanca mit ihren kleinen Verrücktheiten, ihren kindlichen Momenten und ihren davongaloppierenden Gedanken an June aus „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ erinnert – wer dieses wundervolle Buch übrigens noch nicht kennt, sollte dies unbedingt nachholen!

„Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.“ E-Book, Position 677

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Die Nebenfiguren hingegen sind nicht alle so gut gelungen. Manche (wie die Mutter) überzeugen mit einer starken Persönlichkeit, mit authentischen Schwächen und Stärken, andere bleiben – wohl auch aufgrund der winzigen Rollen, die sie im Buch spielen – sehr blass und farblos. Besonders gemerkt habe ich das, als sich Blanca an einer Stelle an all die Menschen erinnert, die sie auf ihrer Reise bereits getroffen hat – manche hatte ich schon wieder völlig vergessen.

„Meine Mutter sagt, das ist die große Traurigkeit. Ich hab sie mal gefragt: Welche Traurigkeit? Sie hat gesagt: die des Lebens. Einige haben die, andere nicht. Wenn man sie hat, entkommt man ihr nicht. Man fühlt nur dauernd diese unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das nicht zu bekommen ist, und weil diese Sehnsucht unauflösbar bleibt, sammelt sie sich als Traurigkeit im Bauch.“ E-Book, Position 316

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Vor allem die erste Hälfte habe ich, was Spannung und Atmosphäre betrifft, sehr stark gefunden. Ich habe sehr mit Blanca mitgefiebert und war gespannt auf ihr Abenteuer. Die Beschreibungen der italienischen Städte mit all ihren schönen und weniger schönen Seiten, mit ihren vielfältigen Gerüchen und verschiedenen Stadtteilen waren sehr anschaulich und gelungen. Vor allem im letzten Viertel des Buches trat die Geschichte dann leider etwas auf der Stelle, aufgrund der sich wiederholenden Begegnungen mit fremden Menschen erschien mir mancher Abschnitt etwas langatmig. Dieser Eindruck hängt sicher mit dem handlungsarmen Plot zusammen. Ein großer Pluspunkt ist jedoch, dass die Geschichte niemals vorhersehbar ist und so manche unerwartete Wendung bietet.

Feministischer Blickwinkel (+)

Was das Thema Geschlechterrollen betrifft, bin ich insgesamt mit diesem Buch sehr zufrieden. Auch wenn ihre Mutter Blanca hin und wieder unangemessene Tipps zum Umgang mit Männern (und generell Leuten) gibt und auch wenn es ein Beispiel von Slutshaming gibt, so ist Blanca doch eine unkonventionelle, starke, mutige Heldin, die sich nicht in gesellschaftlich verlangte Rollenbilder drängen lässt. Zudem gestaltet Blanca auch ihr Liebesleben selbstbestimmt so, wie es ihr gefällt, ohne sich jemals Vorwürfe dafür zu machen. Auch Blancas Mutter ist eine Rebellin, die für ihre Überzeugungen kämpft und zum Beispiel einfach von zu Hause ausriss, als ihre Ärzte-Eltern sie zu einer Abtreibung zwingen wollten. Das gefällt!

Mein Fazit

„Blanca“ ist ein verrückter Roadtrip, der viele gute Ansätze beinhaltet, der mich aber nicht ganz für sich gewinnen konnte. Der Schreibstil ist einfach, flüssig und angenehm lesbar, enthält interessante Reflexionen einer 15-Jährigen, gelungene Metaphern und anschauliche Beschreibungen der Schauplätze. Leider war mir die Sprache mit ihren vielen Parataxen oft zu einfach und zu wenig anspruchsvoll und enthielt mir zu viele Wiederholungen (z. B. gleiche Satzanfänge). Blanca ist eine liebevoll ausgearbeitete, starke, mutige Protagonistin, die ich sehr mochte, bei den Nebenfiguren blieben leider viele blass und austauschbar. Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, andere werde ich aber leider schnell wieder vergessen haben. Viel Neues, Außergewöhnliches bietet die Geschichte nämlich nicht. Insgesamt hätten dem Buch mehr Handlung, mehr Spannung, eine klarere Struktur und mehr Tempo gutgetan, auch wenn ich in manchen Momenten durchaus mitgefiebert habe. „Blanca“ hat mich insgesamt stellenweise wirklich gut unterhalten, konnte mich letzten Endes jedoch nicht ganz überzeugen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Worldbuilding: 3.5 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 26.08.2018

Nicht ganz überzeugt

Der Schatten
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Norah ist nach der Trennung von ihrem Freund Alex gerade nach Wien gezogen, um eine neue Stelle anzunehmen, als sie eines Tages eine mysteriöse Prophezeiung erhält: ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Norah ist nach der Trennung von ihrem Freund Alex gerade nach Wien gezogen, um eine neue Stelle anzunehmen, als sie eines Tages eine mysteriöse Prophezeiung erhält: Angeblich wird sie am 11. Februar einen Mann namens Arthur Grimm töten und zwar aus guten Gründen und absolut freiwillig. Norah tut die Prophezeiung zuerst als die Worte einer verwirrten Frau ab, doch schon bald muss sie sich fragen, ob sie tatsächlich einen Grund hat, Arthur Grimm zu hassen. Einmal davon abgesehen könnte Norah doch niemals jemanden töten. Oder?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: btb
Seitenzahl: 416
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum & Präsens
Perspektive: hauptsächlich aus weiblicher Perspektive, selten auch aus männlicher
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es werden ein Goldfisch und eine Katze getötet, Letztere mit Absicht. Es werden unzählige Vögel grundlos getötet, und Tierversuche werden ohne jeglichen kritischen Kommentar zitiert. Hier auch wieder meine Empfehlung: Wenn ihr ebenfalls gegen sinnlose, grausame Tierversuche seid, schaut bitte beim Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei, die schon jahrelang engagiert und teilweise sogar schon erfolgreich für Alternativen und für tierversuchsfreie Forschung kämpfen.

Warum dieses Buch?

Ich habe den Hype komplett verpasst und war eine der letzten Leserinnen, die noch nichts von der Autorin gelesen hatte. Als Thriller-Liebhaberin, die etwas auf sich hält, musste das natürlich geändert werden. Zudem klang der Klappentext herrlich unheimlich und rätselhaft.

Meine Meinung

Einstieg (-!)

Der Einsteig war für mich eine große Hürde und ist mir sehr schwer gefallen. Das lag vor allem am dialogarmen Beginn. Auch später gibt es über weite Strecken nur wenige Dialoge, da Norah meist alleine und mit sich selbst beschäftigt ist, jedoch gewöhnt man sich daran. Wer allerdings viel Wert auf Gespräche legt, wird mit diesem Buch nicht glücklich werden. Ich fürchte auch, dass die Geschichte, die nur relativ zäh in Schwung kommt, einige LeserInnen schon am Anfang verlieren wird. Dabei lohnt es sich durchaus, durchzuhalten.

„‘Du bringst den Tod‘, sagte die Frau.
Ihre Stimme klang ruhig und rau.
Stirnrunzelnd blickte Norah sie an.
‚Was haben Sie gerade zu mir gesagt?‘ […]
‚Blumen welken‘, sagte sie. ‚Uhren bleiben stehen. Die Vögel fallen tot vom Himmel.‘“ Seite 21

Schreibstil (♥)

Melanie Raabe hat einen außergewöhnlichen Schreibstil, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Er besteht oft aus kurzen Sinneseindrücken, die in Ellipsen und unvollständigen Sätzen geschildert werden und die uns einen Einblick in Norahs Welt geben. Bereits nach einigen Seiten lernte ich jedoch den flüssigen, routinierten, angenehmen Schreibstil, der sich durch angemessene Komplexität und teilweise lange Bandwurmsätze auszeichnet, zu schätzen. Auch gelingt es der Autorin spielend, sprachlich das Tempo anzuziehen, wenn dies notwendig ist. Melanie Raabes Wortschatz ist zwischendurch durchaus als etwas anspruchsvoller zu beschreiben, so manches Fremdwort kann man hier bestimmt noch dazulernen. Besonders toll fand ich die sehr bildhaften, kreativen und gelungenen Metaphern und Vergleiche, die die Autorin gekonnt in ihren Text einwebt. Manchmal hat man auch das Gefühl, dass zwischen den Zeilen immer wieder auch symbolische Bedeutung steckt.

„Doch dann drangen die Geschehnisse der letzten Tage an die Oberfläche, einzelne Gesichter und Szenen tauchten vor ihrem inneren Auge auf, in rascher Folge, wie die Aufnahme eines Karussells, das sich schneller und schneller drehte und seine Passagiere schließlich aus seinem Orbit schleuderte, mit verrenkten Gliedmaßen, wie Ballerinas im Sprung.“ Seite 203

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Die Autorin hat eine sehr spannende, vielversprechende Ausgangssituation voller Geheimnisse und Rätsel geschaffen, die man unbedingt ergründen und lösen möchte. Es handelt sich um eine wendungsreiche Geschichte, die immer wieder überraschen kann. Melanie Raabe nimmt sich viel Zeit, um Norahs Gedankengänge und Gefühle klar und detailliert auszuformulieren, behandelt Themen wie Schuld, Angst, Rache, Einsamkeit, Liebeskummer und Trauer sehr tiefgründig. Etwas schlecht kommt zwischenzeitlich Österreichs Hauptstadt Wien weg, in der sich hauptsächlich schwierige, tratschende, Pelz tragende, misogyne und transphobe Menschen zu tummeln scheinen, allerdings wird Norahs negative Weltsicht zumindest zu einem späteren Zeitpunkt noch revidiert.

Doch die Erwartungen waren sehr hoch (bei dem Hype kein Wunder!) und ein Problem hatte ich leider mit der Geschichte: Obwohl ich stellenweise wirklich gefesselt und gebannt auf die Auflösung gewartet habe, so konnte sie mich leider schlussendlich nicht überzeugen. Ich hätte mir hier irgendwie mehr erwartet, irgendetwas Größeres, Logischeres, einen Aha-Moment. Eigentlich bin ich immer ein Fan ungewöhnlicher Ausgänge, aber hier muss ich leider jenen enttäuschten LeserInnen zustimmen, die behaupten, die Geschichte wirke konstruiert und an den Haaren herbeigezogen.

„[…] und plötzlich war da ein Summen. Sie spürte den Ton mehr, als dass sie ihn hörte, irgendwo zwischen Zwerchfell und Brustbein. Nein, es war kein Ton. Es war ein Gefühl, und sie brauchte einen Moment, bis sie es benennen konnte, weil sie es in den letzten Jahren, in denen sie praktisch nie alleine gewesen war, beinahe vergessen hatte. Ihre Einsamkeit war ohrenbetäubend.“ Seite 24

Protagonistin (♥)

Norah ist eine sehr liebevoll ausgearbeitete, komplexe Protagonistin, die ich sehr mochte und die mir schnell ans Herz gewachsen ist. Mir fiel es sehr leicht, mit ihr mitzufühlen und mitzufiebern. Die Autorin nimmt sich Zeit für ihre Protagonistin, was ich sehr wichtig finde. Norah ist intelligent, hat einen großen Gerechtigkeitssinn und ist eine stolze Feministin, die tatsächlich auch im Alltag gegen Sexismus kämpft (und genau das ist so wichtig!). Sie hat mich teilweise ein bisschen an mich selbst erinnert, auch wenn Norah eine viel impulsivere, direktere, wütendere Weise hat, auf Ungerechtigkeiten zu reagieren (oft waren ihre Reaktionen jedoch so befriedigend, weil die Leute sie einfach verdient haben!). Auch Norahs "soziale Projekte" fand ich sehr sympathisch - mit ihrer Hilfsbereitschaft, ihrem gutem Herzen, ihrem Mut, tatsächlich etwas zu verändern, mit ihrem tollen Musikgeschmack, ihrer sozialen Kompetenz und mit all ihren Fehlern und Schwächen hat mich sofort für sich gewonnen und sehr beeindruckt. Die österreichische Künstlerin Soap&Skin, die auch im Buch immer wieder erwähnt wird, sei LiebhaberInnen guter Musik und melancholischer, düsterer Töne übrigens sehr ans Herz gelegt. Hört einmal rein – es lohnt sich!

Nebenfiguren (♥)

Auch die Nebenfiguren sind sehr gut ausgearbeitet, erscheinen wie plastische Menschen, die auch abseits des Rampenlichts ihre Leben weiterführen. Sogar Figuren, die nur selten vorkommen, erhalten ihre Fehler, sympathischen Seiten und ihre schwierige Vergangenheit. Hier gibt es also überhaupt nichts auszusetzen, im Gegenteil, ich bin sehr begeistert!

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Die Geschichte kommt (wie erwähnt) nur sehr schleppend in Gang, es dauerte relativ lang (zwischen 50 und 100 Seiten), bis ich wirklich von der Geschichte gefesselt war. Ab dann gelingen der Autorin Spannungsaufbau und -steigerung aber sehr gut. Norahs Situation ist so unerklärlich und rätselhaft, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Ständig versucht man, Antworten auf die vielen Fragen zu finden. Immer wieder gibt es unerwartete Wendungen, die mich unvorbereitet getroffen haben und gut unterhalten konnten. Besonders loben möchte ich an dieser Stelle auch die düstere, unheimliche Atmosphäre, die im Buch ständig mitschwingt. Die Autorin weiß ihr Setting, das winterliche Wien, sehr gut zu nutzen.

Ich mochte an sich die ruhige Erzählweise, dennoch gibt es leider immer wieder Spannungseinbrüche, manche Abschnitte wirken langatmig und zäh. An diesen Stellen hätte gekürzt werden können, denn dies hätte das Buch noch besser gemacht und ihm das nötige Tempo verliehen.

„Und die Bettler. Die Obdachlosen. Wie Geister kamen sie ihr vor. Ihre Rufe halten durch die Straßen, immer und immer wieder, wie die von Gespenstern. Hallo? Hallo? Und die Lebenden fröstelten, wenn sie ihre Stimmen vernahmen, und taten so, als hörten sie nichts.“ Seite 16

Geschlechterrollen (♥)

Norah ist eine sehr selbstbewusste, soziale, starke und mutige Frau, die erfolgreich im Beruf ist und die sich als überzeugte Feministin für Gleichberechtigung und gegen Misogynie und Transphobie/Homophobie stark macht. Dafür gibt es ein großes Lob! Erfrischend war für mich auch die Tatsache, dass die Autorin darauf achtet, ganz verschiedene Frauen und Männer zu porträtieren. In männlich dominierten Berufen stellt Melanie Raabe sicher, dass auch Frauen gezeigt werden, um Geschlechterstereotypen entgegenzuwirken. Zudem gibt es hier keine Lästereien über das Aussehen oder Liebesleben von anderen Frauen. Gerade das finde ich wirklich wichtig - dass Frauen zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen!

Mein Fazit

„Der Schatten“ von Melanie Raabe ist ein Thriller mit vielen Stärken, aber auch einigen Schwächen. Der angenehme, routinierte, bildhafte Schreibstil voller schöner Vergleiche und Metaphern konnte mich ebenso überzeugen wie die liebenswert ausgearbeitete, mutige, gutherzige, starke Heldin und die ebenfalls komplexen Nebenfiguren. Über weite Strecken kann die Autorin auch, was Spannung und Atmosphäre betrifft, punkten. Der Schauplatz, das winterliche, düstere Wien, wird sehr gut eingeflochten, es gibt einige überraschende Wendungen, viele Geheimnisse wollen von den LeserInnen entdeckt werden. Leider kommt es jedoch immer wieder zu Spannungseinbrüchen, manchmal ist die Geschichte langatmig und verläuft schleppend, und der Einstieg fiel mir aufgrund der wenigen Dialoge sehr schwer. Obwohl ich ihm entgegengefiebert habe, konnte mich das Ende nicht überzeugen, ich empfand es als zu konstruiert, hätte mir etwas anderes erwartet. Was moderne Geschlechterrollen betrifft, so punktet Melanie Raabe aber mit ihrer feministischen Protagonistin, die sich gegen Misogynie, Homophobie und andere Ungerechtigkeiten engagiert einsetzt. Insgesamt hat mich „Der Schatten“ also dennoch gut unterhalten, auch wenn er sein Potential nicht voll ausschöpfen konnte. Den Hype kann ich, was dieses Buch betrifft, aber leider nicht wirklich verstehen.

Mein letztes Buch der Autorin wird es definitiv nicht bleiben, weil ich die Figuren und den Schreibstil sehr mochte. „Die Falle“ habe ich bereits als Hörbuch bestellt.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Ende: 2,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4,5 Sterne
Geschlechterrollen: ♥
Tiefgründig!

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 03.08.2018

Ganz nett, mit Schwächen

Der Alphabetmörder (Ein Grall-und-Wyler-Thriller 1)
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

In einem Gehege im Tierpark wird eine verstümmelte Leiche gefunden. In ihre Haut wurde ein A tätowiert. Schon bald taucht eine zweite Leiche auf, sie trägt den Buchstaben ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

In einem Gehege im Tierpark wird eine verstümmelte Leiche gefunden. In ihre Haut wurde ein A tätowiert. Schon bald taucht eine zweite Leiche auf, sie trägt den Buchstaben B auf der Haut. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen Serienmörder handelt, der auf kranke Weise das Alphabet vollenden will. Jan und seine Kollegin Rabea sind Profiler und werden als Berater angefordert. Für Jan, der seine schmerzhafte Vergangenheit im Westerwald vor Jahren hinter sich gelassen hat, ist die Rückkehr besonders schwierig. Die Ermittlungen geraten bald zum Wettlauf mit der Zeit. Und auf einmal werden die Morde persönlich, denn der Alphabetmörder hat schon sein letztes Opfer, das Z, ausgewählt: Jan…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Verlag: Ullstein Taschenbuch Verlag
Seitenzahl: 384
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus verschiedenen männlichen und weiblichen Perspektiven
Kapitellänge: eher kurz
Tiere im Buch: - Ein hilfloses Tierbaby wird ermordet und vermutlich davor noch gequält, weil der Mörder daran das Töten „geübt“ hat. Es gibt eine Erwähnung, dass sich jemand EINE Katze hält, daher auch hier wieder mein Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten. Einen riesigen Pluspunkt gibt es zudem dafür, dass der Profiler vegan lebt!

Warum dieses Buch?

Als Thrillerfan bin ich immer auf der Suche nach neuem Lesestoff und wenn ein junger, vielversprechender deutscher Autor ein umjubeltes Debüt veröffentlicht, macht mich das natürlich neugierig. Aber auch der Klappentext klang spannend. An dieser Stelle ein großes Lob an den Verlag fürs geheimnisvolle, zurückhaltende Cover – das zieht mit Sicherheit im Buchhandel alle Blicke auf sich!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Den Einstieg fand ich sehr gelungen. Durch das kurze Kapitel aus der Sicht des Opfers und durch den gruseligen, brutalen Fund im Wildpark wird die Neugier sofort geschürt. Ich habe sehr leicht in die Geschichte gefunden und wollte sofort wissen, wie es weitergeht.

„In jedem Menschen steckt eine Bestie, dachte Jan. Es kam nur darauf an, ob sie geweckt wurde.“ E-Book, Position 520

Schreibstil (+/-)

Dem Schreibstil stehe ich zwiegespalten gegenüber. Einerseits ist er einfach und unauffällig, enthält treffende Vergleiche und lässt sich schnell lesen (Pageturner!), anderseits fand ich ihn besonders im ersten Viertel des Buches stellenweise holprig. Teilweise haben mich stilistische Formulierungen (zum Beispiel werden manchmal englische Redewendungen verwendet, die es im Deutschen aber nicht gibt wie „Hat sie jemanden gesehen?“ (von engl. „to see someone“ = daten)) und inhaltliche Wiederholungen gestört. Man merkt (vor allem am Buchbeginn) auch an den manchmal konstruiert und unnatürlich wirkenden Dialogen, dass es sich um ein Debüt handelt (das hat sich aber später verbessert). Auch waren mir die Beschreibungen stellenweise nicht detailliert und anschaulich genug. Hier hätte ich mir mehr Details gewünscht, damit das Kopfkino leichter anspringt.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Der Autor hat sich in seinem Buch einen interessanten Plot ausgedacht, der sowohl vorhersehbare als auch vollkommen unerwartete Wendungen beinhaltet und der definitiv gut unterhält. Um einige Stunden lang der drückenden Sommerhitze zu entgehen (so mancher Gänsehautmoment und das Setting mitten im Winter schaffen hier Abhilfe), eignet sich die kurzweilige Lektüre mit Sicherheit, aber wer einen genauen Einblick in den Alltag von Profilern haben möchte und einen Thriller mit Tiefe sucht, der wird mit diesem Buch nicht glücklich werden. Obwohl ich hier viele gute Ideen und viel Potenzial erkennen konnte, bleibt die Behandlung der durchaus ernsten Themen wie Verlust, Schuld, menschliche Abgründe und schwierige Vergangenheit leider häufig oberflächlich.

Die gelegentlichen Logikfehler im Verhalten mancher Figuren und im Plot kann ich großteils verzeihen (außer wenn sich mal wieder jemand vollkommen unvernünftig in große Gefahr begibt, denn das ist einfach nur dumm und ich bin es nach dem Lesen vieler Thriller langsam leid!). Das Ende, die Auflösung, hätte ich zwar niemals erraten, allerdings fand ich das Tatmotiv nicht gut genug ausgebaut und erklärt, es wirkte auf mich etwas konstruiert.

Protagonisten (+/-)

Man merkt, dass sich der Autor bei seinen Protagonisten Mühe gegeben hat. Sie haben Stärken und authentische Schwächen, machen Fehler. Auch die Vergangenheit wirkt immer noch auf sie ein. Besonders gefallen hat mir, dass Jan, der Chef-Profiler, nicht hart und cool sein muss, sondern dass er - im Gegenteil - ein sehr sensibler Mann mit gutem Herzen ist und sogar vegan lebt. Jene Menschen, die sich bewusst zu dieser Lebensweise entschieden haben und damit nicht nur unzähligen Tieren das Leben retten, sondern auch unserer Umwelt etwas Gutes tun, werden leider oft immer noch belächelt. Woher kommen dieser Hass und dieser Drang, Witze über Veganer zu machen? Ist es das eigene schlechte Gewissen, das an einem nagt? Darüber sollten einige Menschen vielleicht einmal nachdenken.

Obwohl es hier also viele gute Ansätze gibt und obwohl ich mit Rabea und Jan durchaus mitfühlen konnte, ist es mir dennoch über weite Strecken nicht gelungen, eine enge Verbindung zu den Hauptfiguren aufzubauen. Besonders Rabea erschien mir blass und austauschbar, in wenigen Wochen werde ich sie vermutlich vergessen haben. Das ist sehr schade.

„‘Das habe ich dir immer gesagt: Niemals in eine Idee verlieben. Du musst sie genauso schnell töten können, wie du sie erschaffen hast.‘“ E-Book, Position 1941

Nebenfiguren (+)

Die Nebenfiguren waren erstaunlich gut ausgearbeitet. Hier gibt es kaum Klischees, einige Figuren haben mich richtig begeistert und manches Mal konnte mich das Fallen einer Maske vollkommen überraschen. Körpersprache und Mimik werden zudem stets sehr gut beschrieben, das hat mir ebenfalls sehr gefallen.

Spannung & Atmosphäre (+)

Hier liegt meiner Meinung nach die größte Stärke des Buches. Durch die kurzen Kapitel, den einfachen Schreibstil und die atemlose, unheilvolle Spannung, die der Autor von Anfang an aufbaut (weil man für das Opfer hofft und bangt), fliegt man nur so durch die Seiten. Lars Schütz liefert gute Unterhaltung und einige gruselige Gänsehaut-Momente.

Geschlechterrollen (♥)

Hier erhält der Autor einen riesigen Pluspunkt: In dieser Geschichte gibt es keine Geschlechterstereotypen - im Gegenteil, eine breite Bandbreite von Frauen wird gezeigt und immer wieder wird mit Rollenklischees radikal gebrochen. Es gibt viele Frauen in Führungspositionen (Gerichtsmedizinerin, Leiterin der SOKO, Profilerin, Reporterin), die ihren Job sehr gut machen. Frauen dürfen zudem, auch was ihr Liebesleben betrifft, selbstbewusst und selbstbestimmt sein (ohne je von einem Mann dafür verurteilt zu werden – juhu, endlich!), sind gute Fußball- und Basketballspielerinnen und werden für ihren Fahrstil gelobt. Männer dürfen stark UND sensibel sein (und durchaus mal weinen), Frauen zeigen sich zeitweise hart und einschüchternd. Der Autor ist ohne Frage für das Thema Gleichberechtigung sensibilisiert und sich auch der Vorbildfunktion von Medien bewusst. Dafür ein großes Lob!

Mein Fazit

„Der Alphabetmörder“ ist ein spannender Thriller, der durch seinen einfachen Schreibstil und die atemlose, unheilvolle Spannung schnell zum Pageturner wird. Der Autor überzeugt mit einem unterhaltsamen Plot, mit gut ausgearbeiteten Nebenfiguren, mit unerwarteten Wendungen und mit einem modernen Frauen- und Männerbild, das mit Klischees und Rollenstereotypen bricht. Leider weist der Thriller auch einige Schwächen auf: Der Schreibstil war für mich teilweise holprig zu lesen, die Dialoge wirken stellenweise etwas konstruiert, viele Aspekte werden nur oberflächlich behandelt und die Hauptfiguren bleiben, obwohl sich der Autor Mühe gegeben hat, austauschbar. Sie konnten mich leider nicht wirklich erreichen. Insgesamt hat Lars Schütz aber ein kurzweiliges Debüt geschrieben, das sich durch so manchen Gänsehaut-Moment und durch das winterliche Setting perfekt als kühlende Sommerlektüre eignet!

Ob ich den zweiten Band lesen werde, ist noch nicht klar und wird wahrscheinlich vom Klappentext abhängen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonisten: 3 Sterne
Nebenfiguren: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 4,5 Sterne
Ende: 3,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Geschlechterrollen: ♥ (Modernes Frauen- und Männerbild, frei von Stereotypen – toll!)

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 21.06.2025

Schlecht war’s nicht – so richtig gut aber auch nicht.

Er will nicht gehen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Für die von Angstzuständen und Paranoia geplagte Lucy ist jede (leider notwendige) Hausbesichtigung ein Graus. Eines Tages verspätet sich auch noch die Maklerin und plötzlich ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Für die von Angstzuständen und Paranoia geplagte Lucy ist jede (leider notwendige) Hausbesichtigung ein Graus. Eines Tages verspätet sich auch noch die Maklerin und plötzlich muss sie alleine dem Interessenten ihr frisch renoviertes Haus zeigen. Lucy schafft es, die Nerven zu behalten – bis der fremde Mann in den von ihr gefürchteten Keller geht (um ihn sich anzuschauen) und einfach nicht mehr hochkommt… Was macht er da unten? Und warum reagiert er nicht auf ihre Rufe?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, personale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Inhaltswarnung: Stalking, Blut, psychische Krankheiten (z. B. Ängste, Demenz), Drogenmissbrauch, Freiheitsberaubung, Gewalt, Tod von Menschen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Tussi

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- Kammerspiele (wenige Figuren)
- psychische Krankheiten als zentrales Thema
- einfacher Schreibstil
- häusliches Setting

Lieblingszitate

„Die Paranoia pirscht sich an mich heran, sobald Sam das Haus verlässt und ich den Staubsauger anschalte. Es dauert nicht lange, und mich überkommt der panische Gedanke, ich wäre nicht allein.“ Seite 6

„Da war eine Verschiebung in der Luft. Die Raumtemperatur fiel schlagartig um einige Grad ab. Die feinen Härchen auf seinen Unterarmen richteten sich auf.“ Seite 68

Meine Rezension

An „Er will nicht gehen“ bin ich ausnahmsweise einmal völlig unvoreingenommen herangegangen, im Vorhinein habe ich nämlich keine Rezensionen gelesen. Hier haben mich beim Stöbern in der Online-Buchhandlung spontan der Titel und der Klappentext neugierig gemacht. Nun stellt sich natürlich die Frage: Hat sich der Spontan-Kauf als Glücksgriff oder eher doch als herbe Enttäuschung herausgestellt?

Tja… intensive negative oder positive Gefühle kann ich für das vorliegende Buch nicht aufbringen (leider!), stattdessen fand ich es lediglich „ganz okay“. Richtig überzeugen konnte es mich also nicht. Am besten hat mir hier noch der Anfang gefallen: Durch den einfachen, flüssigen Schreibstil findet man schnell in die Geschichte und gerade in den ersten Kapiteln gibt es ein paar herrlich unheimliche, atmosphärische Momente, bei denen man sich beim Lesen in der Nacht durchaus gruseln kann. Dafür gibt es einen Daumen nach oben! Überzeugt haben mich außerdem neben der gelungenen Grundidee (einfach, aber doch erfrischend und neu) auch der Fokus auf psychische Krankheiten und der Verzicht auf Se+ismus und Male Gaze – auch wenn das Buch zugegebenermaßen noch mehr weibliche Figuren vertragen hätte.

Enttäuschend fand ich hingegen vor allem die zweite Hälfte: Hier flacht die Spannungskurve immer mehr ab und die Geschichte beginnt, sich zu ziehen und im Kreis zu drehen. Außerdem fiel mir immer stärker auf, wie schlicht und oberflächlich der Schreibstil eigentlich wirklich ist. Dazu kamen noch der stellenweise sehr konstruiert wirkende Plot (ein Kritikpunkt, den ich schon häufiger bei Rezensionen zu Büchern des Autors gesehen habe – jetzt weiß ich auch warum) und das teilweise irrationale Verhalten der Protagonistin – und das liegt nicht an ihren psychischen Krankheiten, sondern schlicht an fehlendem Hausverstand. Schwer wiegt für mich auch Folgendes: Jetzt, vier Monate nach der Lektüre, habe ich schon wieder SO viel vergessen – das spricht ebenfalls nicht für diesen Thriller…

Mein Fazit

Dieses Buch könnte auch „Er will die Geschichte nicht beenden“ heißen – denn der Autor zieht diese nämlich lieber wie Kaugummi in die Länge. Der vorliegende Thriller lockt auf den ersten Seiten mit einem flüssigen Schreibstil und unheimlichen Szenen, nur um einen dann in der zweiten Hälfte zu langweilen. Schlecht war’s nicht – so richtig gut aber auch nicht. Wer mit niedrigen Erwartungen an diese Lektüre herangeht (das ist der Trick, Leute! 😉), kann auch nicht enttäuscht werden.

Bewertung (in Schulnoten)

Cover / Aufmachung (altes Cover): 2
Idee: 2
Inhalt, Themen, Botschaft: 3
Tiefe: 4
Umsetzung: 3
Worldbuilding: 3
Einstieg: 2
Ende: 2-3
Schreibstil: 3
Protagonistin: 2
Figuren: 3
Spannung: 3-4
Pacing/Tempo: 4
Wendungen: 3
Atmosphäre: 3
Emotionale Involviertheit: 3-4
Feministischer Blickwinkel: 2
Einzigartigkeit: 3

Insgesamt:

Note 3

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.10.2024

Nicht schlecht, aber habe mir deutlich mehr erhofft!

Kleine Monster
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Achtung, die Rezension enthält Spoiler, vor denen aber im Text noch einmal gewarnt wird!

Inhalt

Ihr siebenjähriger Sohn soll ein Mädchen belästigt haben, deshalb werden Pia und Jakob in die Schule ...

Achtung, die Rezension enthält Spoiler, vor denen aber im Text noch einmal gewarnt wird!

Inhalt

Ihr siebenjähriger Sohn soll ein Mädchen belästigt haben, deshalb werden Pia und Jakob in die Schule zitiert. Für Pia ändert das alles. Sie beginnt, Luca zu misstrauen, meint etwas Dunkles in ihrem Sohn zu erkennen. Sie hat immer mehr das Gefühl, dass er intelligenter ist, als man es einem Kind zutrauen würde, dazu noch berechnend und manipulativ. Wenn Luca wirklich ihre schlechten, dunklen Seiten (die sie sogar vor ihrem Partner verbirgt) geerbt hat, muss sie die anderen und ihn selbst unbedingt davor schützen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Inhaltswarnung: Tierquälerei, Tod, Gewalt gegen Kinder, Vernachlässigung von Kindern, männliche Gewalt, Mobbing, s+xualisierte Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- Rückblenden
- einfacher Schreibstil
- unheimliche Grundstimmung
- Themen: Kindheit, Schuld, Tod, Trauer, Elternschaft (besonders Mutterschaft) und Erziehung
- s+xualiserte Gewalt, Geschlechterrollen
- Gewalt gegen Kinder + Vernachlässigung
- Adoption, Geschwisterliebe
- Landleben

Lieblingszitate

„‘Wir wissen doch gar nicht, ob es wirklich so passiert ist. Ein Mädchen hat eine Geschichte erzählt und jetzt sind alle in heller Aufregung.‘
‚Glaubst du, sie hat es erfunden?‘“ Ebook, Position 64

„Wenn sich Luca erschreckt, wird er ganz still. Wenn wir schimpfen, zieht er die Schultern ein und senkt den Blick. Wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus verkriecht.“ E-Book, Position 79

„Aber manchmal komt es mir doch so vor, als hätten zwei Bäume miteinander den Platz getauscht, oder es kommt eine Biege, die ich ganz woanders hingetan hätte.“ E-Book, Position 162

„Die Liebe ist keine Selbstverständlichkeit für mich. Die Mutterhaut, die ich trage, passt nicht wie angegossen. Ich bin nicht Aschenputtel, ich bin eine ihrer Schwestern, die sich erst die Ferse abschneiden muss oder den großen Zeh.“ E-Book, Position 519

Meine Rezension

Bei „Kleine Monster“ haben mich Klappentext und Leseprobe (s+xualisierte Gewalt im Kindesalter, Umgang der Eltern und Schule damit) vollkommen in ihren Bann gezogen! Deshalb war mir schnell klar: Dieses Buch muss ich unbedingt lesen! Die Nominierung für den Österreichischen Buchpreis (mit der ich fest gerechnet hatte) und die vielen positiven Rezensionen sowohl im Feuilleton als auch von anderen Blogger:innen haben mich nur noch neugieriger gemacht…

So, meine Lieben, ich mache es kurz und schmerzlos: Es ist wieder einmal Zeit für eine „unpopular Opinion“! Denn auch wenn sich Leser:innen und Literaturexpert:innen noch so vor Lob überschlagen – ich sehe es nicht, tut mir leid! Den großen Hype um „Kleine Monster“ kann ich leider nicht wirklich verstehen. Natürlich fragt man sich in so einem Fall schon: Nanu, stimmt etwas nicht mit mir? So viele Leute können doch nicht irren, oder? Fest steht, dass ich mir auch dieses Mal selbst treu bleiben und euch meine ungeschönte Meinung besonders gut erklären muss – und damit fangen wir sofort an!

Was mir an „Kleine Monster“ gefallen hat: Ich fand den Titel und den Einstieg in den Roman genial! Man ist sofort mitten in der Geschichte, hat gefühlt 1000 Fragen (was ist genau passiert? Warum hat Luca das getan? Wie geht man mit Vorfällen dieser Art und in diesem Alter richtig um? Wie werden sich die Eltern nun verhalten? Wieso ist Pia direkt so misstrauisch?) und möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht!

Pluspunkte hat das Werk bei mir auch mit seiner (zumindest stellenweise) unheimlichen Grundstimmung (was weiß nie, was als Nächstes passieren wird, hat Angst, dass die Lage eskalieren könnte!) und dem sehr flüssig lesbaren Schreibstil gesammelt, ebenso mit seiner ehrlichen und ungeschönten Auseinandersetzung mit Themen wie s+xualisierte Gewalt, Tod, Schuld, weiblicher Wut, Mutterschaft und Gewalt in der Kindererziehung. Pias fast schon paranoides Misstrauen ihrem Sohn gegenüber wird sehr greifbar und eindringlich geschildert – ihre Gewaltausbrüche ihrem Kind gegenüber sind hierbei nicht immer leicht zu verdauen (Achtung, Inhaltswarnung!). Bei einer Lesung, die ich besucht habe, hat die Autorin (die übrigens eine unglaublich schöne Stimme und angenehme Art hat, sie sollte wirklich Hörbücher sprechen!) erklärt, dass sie in ihren Romanen jene negativen Muttergefühle wieder hervorholt und von allen Seiten ins Licht hält, die eigentlich nicht sein dürfen und die sie im Alltag sofort beiseiteschiebt – und von dieser Authentizität profitiert die Geschichte extrem, man spürt sie in jeder Zeile.

Positiv aufgefallen sind mir auch die vielen starken weiblichen Figuren, die gleichberechtigte Elternschaft zwischen Jakob und Pia und die Art, wie Rollenstereotype (besonders die der „aufopferungsvollen Mutter“ und des „natürlichen Mutterinstinkts“) immer wieder bewusst hinterfragt und gebrochen werden. Besonders Letzteres fand ich sehr erfrischend!

Was mir an „Kleine Monster“ nicht gefallen hat: Vielleicht bin ich durch die vielen positiven Bewertungen mit zu hohen Erwartungen an diese Geschichte, die viele Rückblenden enthält, herangegangen, jedenfalls ließ sie mich sehr unbefriedigt zurück und ich fragte mich am Ende ernüchtert: „Was? Das war’s schon?“ Wo andere die vielschichtige, tiefgründige Geschichte loben, sehe ich einen Schreibstil, der durch seine einfachen, kurzen Sätze und den Mangel an Details oberflächlich bleibt. Wo andere ein grandioses Buch sehen, nehme ich eine gute Idee wahr, aus der man aber so viel mehr hätte machen können.

Irgendwie hat mich das Buch auch nie richtig gefesselt (abgesehen von den ersten Seiten), zog sich und fühlte sich viel länger an, als es ist (es hat ja nur knapp 250 Seiten). Hier fehlte mir ein durchgehender Spannungsbogen. Außerdem bleiben für meinen Geschmack viel zu viele GRUNDLEGENDE Fragen offen! ACHTUNG, SPOILER ab hier: Warum quält Luca nun Tiere (leichte Inhaltswarnung!)? Was steckt dahinter? Wie werden Pia und Jakob damit und mit dem Vorfall in der Schule umgehen? Dass das Kind große Probleme mit Empathie hat, war doch keine Einbildung? Hat es wirklich mehrmals bewusst seine Eltern angelogen (Wasserglas)? Was ist am Todestag der Schwester wirklich passiert? Hat Romy wirklich alles getan, um Linda zu retten? Wird Romy wieder ein Teil von Pias Leben werden? Fragen über Fragen – und eine Geschichte, die sich nur auf den ersten Seiten um s+xualisierte Gewalt dreht, danach aber eine vollkommen andere Richtung einschlägt und das Thema zur Nebensächlichkeit verkommen lässt. An meiner Enttäuschung ist deshalb sicher auch der (bewusst?) irreführende Klappentext schuld…

Mein Fazit

„Kleine Monster“ ist sicher kein schlechtes Buch (versteht mich nicht falsch, es hat durchaus seine Stärken!), doch von Begeisterungsstürmen bin ich meilenweit entfernt. Ich bleibe nach der Lektüre ernüchtert und mit vielen Fragezeichen zurück – ich habe mir einfach deutlich mehr erhofft… Eine explizite Leseempfehlung gibt es deshalb von mir nicht.

Bewertung (in Schulnoten)

Cover / Aufmachung (altes Cover): 3
Idee: 2
Inhalt, Themen, Botschaft: 3
Tiefe: 3
Umsetzung: 3
Worldbuilding: 2
Einstieg: 1+ ♥
Ende: 2
Schreibstil: 3
Figuren: 3
Spannung: 3-4
Pacing/Tempo: 3-4
Wendungen: 3
Atmosphäre: 2
Emotionale Involviertheit: 3
Feministischer Blickwinkel: 1-2
Einzigartigkeit: 2

Insgesamt:

Note 3

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere