Profilbild von Svanvithe

Svanvithe

Lesejury Star
offline

Svanvithe ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Svanvithe über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Leben voller Möglichkeiten

Im Land der goldenen Sonne
0

Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten ...

Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, zu entkommen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich erscheint...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise gehen, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Die Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser begreifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, auszuweichen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich wird...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Denn Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Alle Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil der Autorin sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei im Mittelpunkt stehenden weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser greifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Armut und Unterdrückung der ägyptischen Bevölkerung begegnet. Sie handelt, entdeckt ihre eigenen, beträchtlichen Fähigkeiten und emanzipiert sich, breitet die Flügel aus, bekommt Ausstrahlung und Souveränität und lebt eine Toleranz im Glauben, die bewundernswert ist.

Nachvollziehbar wird auch der Wandel von Harriet geschildert. Anfangs ist sie in London eine sterbenskranke, schwache junge Frau. In Ägypten lernt sie mit der Zeit das Atmen, gewinnt Kraft, Zuversicht und Unabhängigkeit. Dabei ist die Entwicklung langsam, kommt nicht als Wunder einer plötzlichen Heilung daher und weist zudem Rückschläge auf.

Harriet und damit auch dem Leser wird bewusst, dass die Welt ungeheuer schön und voller Möglichkeiten und Abenteuer sein kann. Dass sich die Leben der Menschen nicht nur in ihrer Länge unterscheiden, sondern vor allem in ihrer Intensität, im ungleichen Grad an Schönheit, Freude und Genuss. Dass es wichtig ist, sich nicht einfach nur ein langes Leben zu wünschen, sondern eines, das Belang hat, ein Leben (und eines Tages auch einen Tod) nach eigenen Vorstellungen.

Veröffentlicht am 22.06.2025

Venezianisches Geheimnis

Venezianisches Geheimnis
0

Venedig im Februar. Klirrende Kälte hält die Bewohner der Lagunenstadt in ihren Häusern. Nur wer es unbedingt muss, traut sich dick angezogen aus dem Haus.

Dies ist jedoch nicht das einzige Problem. ...

Venedig im Februar. Klirrende Kälte hält die Bewohner der Lagunenstadt in ihren Häusern. Nur wer es unbedingt muss, traut sich dick angezogen aus dem Haus.

Dies ist jedoch nicht das einzige Problem. Die Gassen von Venedig sind nicht mehr sicher. Mehrere Überfälle haben sich zugetragen, bei denen vorzugsweise ältere Menschen ausgeraubt werden.

Deshalb warnen die Stadtoberen, sich in den Abend- und Nachtstunden allein nach Draußen zu begeben. Allerdings lässt sich das oftmals nicht vermeiden. Und so wird auch die Nachbarin von Commissario Luca Brassoni, Signora Vasconi, niedergerannt. Sie kommt allerdings mit dem Schrecken und leichten Verletzungen davon. Hingegen hat eine gute Freundin von ihr, Signora Donata, eine wohlhabende, immer perfekt gekleidete Dame, die in einem der schönsten Palazzi der Stadt wohnt und stets großzügig für notleidende Tiere und Menschen spendet, nicht so viel Glück, für sie gibt es keine Hilfe mehr. Ob dies daran liegt, dass Donata ihren teuren Schmuck – Diamantohrringe und Perlenkette – offen getragen hat?

Luca ist nach seiner Elternzeit seit zwei Tagen wieder in der Questura. Noch hält sich sein Arbeitseifer in Grenzen, er hat die Zeit mit seiner drei Monate alten Tochter Valentina sehr genossen. Aber aus seinem Ansinnen, es erst einmal ruhig anzugehen, wird nichts.

Der Tod von Signora Donata wirft Fragen auf. Denn nicht nur, dass es ein Einzeltäter gewesen ist, sondern auch die Brutalität des Vorgehens verwundert. Sie ist mittels eines gezielten Messerstiches ins Herz ums Leben getötet worden. Das passt nicht zur bisherigen Vorgehensweise der Straßenräuber.

Und wäre das nicht genug, bittet Signora Vice Questore Silvia Bertuzzi ihn, vertretungsweise die Leitung der Dienststelle zu übernehmen, weil sie sich wegen einer Erkrankung einer längeren Behandlung unterziehen muss.

Bald gerät Signora Donatas Neffe Paolo Conti ins Visier der Ermittler. Der Tierarzt hat Schulden und benötigt dringend Geld, um seine marode Praxis zu sanieren. Indes hatte seine Tante mit Enterbung gedroht ...


Luca Brassoni und seine Mannschaft lösen in “Venezianische Geheimnisse” bereits ihren zehnten Fall. Erneut schafft es Daniela Gesing nicht nur, das atmosphärische Venedig als Ort der Ereignisse in ihre Geschichte einzubinden, die einen mit ihrem freundlichen Erzählton für sich einnimmt und geschickt konstruiert ist. Wie es sich für einen Krimi gehört, verfügt sie auch über entsprechende Spannungsmomente und Wendungen, die durchaus überraschen und zu einer nachvollziehbaren Lösung des Falles führen. Ein weiteres Stilmittel der Autorin sind die verwendeten italienischen Bezeichnungen, an die ich mich ein weiteres Mal gewöhnen musste. Außerdem gestattet sie auch in diesem Band wieder kurze Einblicke in die Gedanken des Mörders.

"Venezianische Geheimnisse" bietet ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Personen, mit denen mitgefühlt werden kann, weil sie sich alltäglichen Problemen in Beruf und Familie gegenübersehen und diese meistern. Die in großen Teilen sympathische Figurengruppe zeigt unterschiedliche Charakterzeichnungen mit der Möglichkeit, sich in diese hineinzuversetzen.

Hier steht die Arbeit zwar im Mittelpunkt des Geschehens, gleichwohl spielt der private Hintergrund der Figuren eine wesentliche Rolle, ohne von der eigentlichen Handlung abzulenken. Insgesamt macht die Autorin abermals deutlich, dass ein funktionierendes Team Hand in Hand miteinander und nicht gegeneinander zu Ergebnissen gelangen kann und dabei auch einzelne Aktionen von vorpreschenden Mitarbeitern wie zum Beispiel Ispettrice Barbara Valgoni akzeptiert.

Luca Brassonis zehnter Fall überzeugt mit einem ausgezeichnet entwickelten Kriminalfall, der mit Kurzweil gelesen werden kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.02.2025

Das 13. Opfer

Kohle, Stahl und Mord: Das 13. Opfer
0

Seit vor vierunddreißig Jahren im Schacht Ludwig des Essener Kohlebergwerk Wilhelmshöhe bei einem Grubenunglück zwölf Kumpel verschüttet wurden, ist Werner Flemming nie das Gefühl losgeworden, in eine ...

Seit vor vierunddreißig Jahren im Schacht Ludwig des Essener Kohlebergwerk Wilhelmshöhe bei einem Grubenunglück zwölf Kumpel verschüttet wurden, ist Werner Flemming nie das Gefühl losgeworden, in eine Unterwelt voller Gefahren und Unwägbarkeiten abzutauchen. Damals – im Oktober 1988 – war er zu jenem Zeitpunkt auch unter Tage, wurde aber gerettet und ist aus dem Berg zurückgekehrt. Von dem verschütteten Dutzend hingegen fehlt jede Spur. Das hat den Bergmann geprägt.

Nun soll der alte Schacht zu einem Besucher-Bergwerk ausgebaut werden, und Werner begleitet einen jungen Elektrotechniker zur Überprüfung der Stromkabel. Doch der Berg ruht nicht. Werner droht ein Déjà-vu, nachdem es zu einem Wassereinbruch kommt und die Skelette der vermissten Bergarbeiter freigelegt werden. Außerdem hält Werner plötzlich einen weiteren Schädel in den Händen, und dieser offenbart ein Einschussloch. Opfer Nummer 13 wurde ermordet.

Damit beginnen die Ermittlungen der Essener Mordkommission. An der Spitze der Soko steht Kriminalhauptkommissarin Elin Akay, die unter anderem von Kriminaloberkommissar Holger Sieburg und der forensischen Psychiaterin Dr. Jana Fäller unterstützt wird.

Die beiden Frauen sind seit Kindertagen beste Freundinnen, ihre Väter waren ebenfalls Bergmänner, was die Kommunikation mit den Kumpel wesentlich erleichtert dürfte. Denn vermutlich ist einer von ihnen ein Mörder. Oder gibt es vielleicht die Chance, dass der Täter außerhalb dieser eingeschworenen Gemeinschaft zu finden ist?

Eventuell ist die Tat in Zusammenhang mit den unsauberen Finanzgeschäften des Opfers, der viele Bergleute um ihre Ersparnisse gebracht hat, zu sehen?

Werner Flemming, der vielleicht wesentliche Hinweise geben könnte, ist nach dem Fund erneut traumatisiert. Schon bei dem so lange zurückliegenden verheerenden Grubenunglück hatte es keinerlei psychologische Hilfe für die gerettetem Männer gegeben.

Nach und nach offenbaren sich die Geheimnisse, die nicht nur tief im Inneren des Berges verborgen sind …


Martin Conrath arbeitet in „Kohle, Stahl und Mord. Das 13. Opfer“ mit Wechseln zwischen den Zeitebenen, die sich anfänglich (noch) nicht erschließen. Das belebt aber ungemein die Lektüre und bietet auf diese Art umfangreiche Hintergrundinformationen, die wir zunächst abspeichern und im Verlauf der Handlung zur Auflösung verdichten können.

Mit einem überzeugenden Erzählton, der zu fesseln vermag, bleibt er nahe an der Wirklichkeit, reichert den Verlauf der Geschichte mit überraschenden Wendungen an. Hier erweist sich insbesondere die Beschreibungen von den Örtlichkeiten und Arbeitsmethoden sowohl über als auch unter Tage als detailreich und ebenso für Unkundige nachvollziehbar. Außerdem bindet der Autor in das Geschehen verschiedene gesellschaftliche und soziale Aspekte ein.

Die Figurenriege ist umfangreich und erhält immer wieder Zuwachs. Gleichwohl ist es möglich, den Überblick zu behalten. Die Darstellung gelingt, auf menschliche Stärken und Schwächen des Einzelnen wird vom Autorin in passender Weise eingegangen.

Die Sympathie, die Martin Conrath für seine im Mittelunkt gerückten Protagonistinnen Elin und Jana empfindet, die beide in ihrem Beruf gefordert werden, dies allerdings gern tun, ist spürbar und überträgt sich auch auf den Leser. Er nimmt sich Zeit für sie und Darstellung der Beziehungen zu ihrem Umfeld.

Die forensische Psychiatrie ist ein interessantes Gebiet der Medizin, und ich habe Jana als eine Person schätzen gelernt, die ihre Tätigkeit sehr engagiert und fokussiert ausübt. Nach den Schilderungen des Autors kann ich mir vorstellen, mit welch beeindruckender Präsenz und Selbstkontrolle sie vor Gericht auftritt. Sie ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters noch näher gerückt.

Daneben ist auch mein Bild von Elin positiv. Mir gefallen ihre Ansätze und Ansichten im der Zusammenarbeit und das Verständnis im Umgang mit den Kollegen im Team, das bis auf eine Ausnahme funktioniert.

Martin Conrath ist beachtlicher Reihenstart gelungen, „Kohle, Stahl und Mord. Das 13. Opfer“ präsentiert sich als Lektüre mit hohem Unterhaltungswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.02.2025

Mir fällt gerade ein ...

»Mir fällt gerade ein...«
0

Meine erste bewusste Erinnerung an Manfred Krug – neben den Erzählungen meiner Eltern – war die eines Märchenkönigs. Drosselbart entsprach so gar nicht dem klassischen Bild und sang dazu noch. Damit füllte ...

Meine erste bewusste Erinnerung an Manfred Krug – neben den Erzählungen meiner Eltern – war die eines Märchenkönigs. Drosselbart entsprach so gar nicht dem klassischen Bild und sang dazu noch. Damit füllte er seine Rolle des Königs, der als Spielmann das Herz der stolzen Prinzessin erweichen kann, allerdings sehr gut aus.

Singen konnte er also und schauspielern auch. In der DDR war der Stahlarbeiter, der mit seinen Auftritten als Schauspieler und Sänger bleibende Eindrücke hinterließ, beliebt und eine „kleine“ Berühmtheit, und als er 1977 ausreisen musste, ist sicher nicht nur ihm der Abschied schwergefallen.

Manfred Krug knüpfte in der Bundesrepublik an seinen Erfolg an und mit „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“ und dem „Tatort“ schrieb er Fernsehgeschichte. Selbst seine Karriere als Sänger blieb nicht auf der Strecke.

Und nicht nur das. Manfred Krug war zudem ein passionierter Flohmarktbesucher und beharrlicher Sammler von Antiquitäten und Kuriositäten. Daneben ein sorgfältiger Zeitungsleser, Fernsehgucker, großartiger Tagebuchschreiber und Notierer von vielen Beobachtungen und Anmerkungen, Erkenntnissen und Weisheiten, Anekdoten und schrägen Momente, Geistesblitzen und Assoziationen.


An diesen zum Teil verblüffenden Einsichten dürfen wir teilhaben, wenn wir das Büchlein „Mir fällt gerade ein …“ zur Hand nehmen. Bemerkenswert an diesem von Lektorin Krista Maria Schädlich zusammengestellten wundersamen Sammelsurium ist die Vielfalt des Interesses von Manfred Krug.

Mit einer Neugier und Leidenschaft auf die (Um)Welt betrachtet er Menschen und Tiere, Zeitungen und Nachrichten, Fernsehsendungen, Filme und Dreharbeiten, speichert erstaunt und begeistert Wissenswertes, führt haargenaue Auflistungen von Flohmarktfunden, äußert seine unverblümten Auffassungen und Meinungen zu Politikern, Künstlern und Handwerkern und vermittelt mit diesen im Kern eventuell unwichtigen, im Inhalt indes unentbehrlichen Dingen manch verblüffende Sichten hinter die Fassade eines selbstbewussten Mannes und Menschen.

"Im Dresdener Zoo gibt es eine Riesenschildkröte 'Arnoldi', die eines der 18 letzten Exemplare ist. Das Tier, ein Männchen, stammt von den Galapagos-Inseln und ist 140 Jahre alt. Es hat damit die Hälfte seiner Lebenserwartung hinter sich und soll jetzt auf die Inseln zurückkehren, die Art retten helfen."

Seine Ergänzung findet das Büchlein durch die Radierungen des Malers und Grafikers Moritz Götze, der bereits den Krugschen Lyrikband „66 Gedichte – Was soll das?“ illustriert hat.

Das Sammelsurium, dieses amüsante und liebenswürdige Durcheinander, ermöglicht es, dem Menschen Krug nahe zu kommen und seine Begeisterung für Absurditäten und das Ausgefallene sowie seinen speziellen nachdenklichen Blick auf das Leben in zwei deutschen Staaten und die Welt kennenzulernen, auch wenn vielleicht der Hintergrund der ein oder anderen Anmerkung verborgen bleiben wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 16.12.2024

Starck und der erste Tag

STARCK und der erste Tag
0

„Er hatte überlebt. Doch sein Leben war das Einzige, was ihm geblieben war. Alles andere hatten sie ihm genommen.“

Andreas Starck steht vor den Scherben seines Glücks, als er aus der Haft entlassen wird. ...

„Er hatte überlebt. Doch sein Leben war das Einzige, was ihm geblieben war. Alles andere hatten sie ihm genommen.“

Andreas Starck steht vor den Scherben seines Glücks, als er aus der Haft entlassen wird. Fünf Jahre hat der ehemalige Oberstaatsanwalt als Wirtschaftsstraftäter unschuldig im Gefängnis gesessen. Alles ist ihm genommen worden. Seine Frau. Seine Tochter. Sein Ruf und seine Karriere. Ganz offiziell und vor Gericht.

Jetzt kennt er als Erstes nur ein Ziel: Er möchte wieder mit seiner Tochter Greta, die er zuletzt als Zweijährige gesehen hat, zusammen eine Familie sein. Allerdings ist das gar nicht so einfach. Denn das Mädchen lebt nicht wie er bislang glaubte in einer Pflegefamilie, sondern ist adoptiert worden, ohne dass er als Vater seine Einwilligung gegeben hat. Starck wird klar, dass er rechtlich gesehen keine Möglichkeiten besitzt, sein Kind zu erreichen. Also muss er sich anderer Mittel bedienen.

Darüber hinaus treibt ihn an, seine Rehabilitation zu erreichen, die offensichtlichen Ungereimtheiten aufzuklären und diejenigen zu finden, die für seine Verurteilung verantwortlich sind. Er will die wahren Täter zur Strecke bringen und auch die Mörder seiner geliebten Frau Daniela der gerechten Strafe zuführen.

Sein Freund Duncan, den er während der Haft kennengelernt hat, unterstützt ihn und stellt ihm Meisterdiebin Vanessa an die Seite.

Kann Starck auch auf die Hilfe von Jan-Hendrik Steinbeck bauen? Der Kriminalhauptkommissar ist während seiner Dienstzeit als Staatsanwalt nicht unbedingt sein Freund gewesen, gehört aber zu den aufrichtigen Menschen, die einen guten Job machen und denen Starck vertrauen könnte ...


Mit „Starck und der erste Tag“ startet Christian Jaschinski seine Reihe um den ehemaligen Staatsanwalt Andreas Starck, der – und das liegt deutlich auf der Hand – Opfer eines diffizilen Komplotts geworden ist und sich nach dem Absitzen seiner Strafe weiterhin einem Netz aus Falschaussagen und Lügen, Intrigen und Verschwörung, Drohung und Bestechung, Mord und dunklen Machenschaften gegenübersieht. Nicht zuletzt gilt es jede Menge Geheimnisse zu lösen, die bis in die eigene Familie reichen.

Christian Jaschinski zieht einen beim Lesen sofort in den Bann. Zwar ist seine Erzählweise eher ruhig, jedoch kurze Kapitel, schnelle Schnitte und eine zunehmende Intensität treiben die durchdachte Handlung voran und bieten einen hohen Unterhaltswert.

Bis auf wenige Wiederholungen in den Gedankengängen ist das Geschehen um Andreas Starck, auf dessen Seite die Leserschaft von Anfang an steht, facettenreich und mit einer stetigen anspruchsvollen Spannungsdramatik ausgestattet.

Dass der Autor zumindest das geltende (Familien)Recht beugt, sei ihm verziehen, weil dies verständlicherweise für seinen Plot entscheidend ist. (Dies fällt insofern wahrscheinlich nur denjenigen mit entsprechender Kenntnis auf.)

Vom Autor werden viele Spuren gelegt, die ein intensives Mitdenken (er)fordern und uns fesseln, so dass wir gemeinsam mit seinem Protagonisten Andreas Starck den Hinweisen folgen und bei den einzelnen Lösungsschritten einbezogen werden.

Hervorzuheben ist zudem, dass Christian Jaschinski seine Figuren abwechslungsreich gestaltet hat.

Neben seinem Helden, der in sich einen analytischen Verstand und Emotionalität gleichermaßen vereint, agieren Personen unterschiedlichen Charakters. Hier treten ein paar typengerecht nah an Wirklichkeit und Umfeld entworfene Individuen auf. Daneben gibt es jene integeren ehrlichen Menschen mit Zuwendung und Zuverlässigkeit sowie jene, die sich im Zwielicht befinden und (noch) nicht durchschaubar sind, insbesondere auf welcher Seite sie stehen.

„Starck und der erste Tag“ ist der beachtenswerte Start einer Thriller-Trilogie, deren Fortsetzung ich mit großen Erwartungen entgegensehe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere