Cover-Bild In den Häusern der anderen
25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Ch. Links Verlag
  • Themenbereich: Gesellschaft und Sozialwissenschaften - Soziale und ethische Themen
  • Genre: Sachbücher / Geschichte
  • Seitenzahl: 400
  • Ersterscheinung: 11.10.2022
  • ISBN: 9783962891466
Karolina Kuszyk

In den Häusern der anderen

Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen
Bernhard Hartmann (Übersetzer)

Poniemieckie heißt in Polen das ehemals Deutsche : Orte, Gebäude, Gegenstände, die von Millionen Deutschen zurückgelassen wurden, als sie am Ende des Zweiten Weltkriegs gen Westen flüchteten. Die neuen Besitzer waren Polen, oft selbst Vertriebene oder Umgesiedelte. Was den einen Verlust der Heimat, war den anderen Neubeginn im Fremden. Zwei Enden einer Geschichte, die zeigt, wie Biografien und Dinge über Zeiträume, Landesgrenzen und Generationen hinweg bis heute miteinander verwoben sind. Wer das Verhältnis von Polen und Deutschen in der jüngeren Geschichte verstehen will, dem hilft dieses Buch: tiefgründig recherchiert, sensibel und klug.

»Ein überfälliges Buch - und dazu noch schön!«
Christiane Hoffmann


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Lesejury-Facts

  • Dieses Buch befindet sich bei Venatrix in einem Regal.
  • Venatrix hat dieses Buch gelesen.

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.08.2023

Ein verdrängtes Thema penibel recherchiert

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Dieses Sachbuch der polnischen Historikerin Karolina Kuszyk beschäftigt sich mit einem Tabu-Thema, nämlich mit der Beschlagnahme und In-Besitznahme von Eigentum der vertriebenen Deutschen durch den polnischen ...

Dieses Sachbuch der polnischen Historikerin Karolina Kuszyk beschäftigt sich mit einem Tabu-Thema, nämlich mit der Beschlagnahme und In-Besitznahme von Eigentum der vertriebenen Deutschen durch den polnischen Staat im ehemals deutschen Westpolen.

Die Autorin ist mit einem Deutschen verheiratet und hat zahlreiche Familienschicksale penibel recherchiert. Sie spricht mit Augenzeugen bzw. deren Nachkommen. Dabei schafft sie es, dieses emotionsbeladene Thema sachlich und in angemessenen Ton darzustellen. Die Übersetzung aus dem Polnischen hat sicherlich auch großen Anteil daran, weswegen Bernhard Hartmann hier vor den Vorhang geholt werden muss.

Es gibt zwar meterweise Bücher über Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Polen um und nach 1945, doch wenige Bücher widmen sich diesem Thema aus polnischer Sicht. Dass viele Menschen aus Ostpolen, das von der UdSSR annektiert worden ist, nach Westpolen zwangsweise umgesiedelt worden sind, ist vermutlich nicht allgemein bekannt. Diese Familien kamen, da selbst vertrieben, oft nur mit wenigen Habseligkeiten an und mussten mit den deutschen Hinterlassenschaften vorliebnehmen und damit zu leben lernen.

„Es war nicht schön, das deutsche Zeug zu benutzen, aber was hätten wir tun sollen?“

So kommt es, dass bei einem Besuch des Ehemanns der Autorin bei den Schwiegereltern zu der kuriosen Situation, dass aus einer Schüssel mit dem Hakenkreuz gegessen wird.

Zahlreiche polnische Familien lebten Jahrzehnte lang in der Angst, die Deutschen kämen zurück und würden sich ihr ehemaliges Eigentum wieder zurückholen wollen. Daher unterließ man häufig, die Gebäude zu verändern, ja selbst dringend notwendig Instandhaltungsmaßnahmen vorzunehmen, was wiederum das Vorurteil, Polen wären faul, befeuert hat. Aber, wer würde schon freiwillig eigenes Geld in fremdes Eigentum investieren? Eben.

Erst die Nachkommen der vertriebenen Polen beginnen „alles Deutsche“ zu tilgen. Diesem „sozialistischem Bauboom“ fallen Jugendstilvillen, Denkmäler und Friedhöfe zum Opfer. Erst ab 1990, dem Zerfall der UdSSR und dem Hinwenden zum Westen (NATO statt Warschauer Pakt) besinnt man sich des deutschen Erbes. Es ist nun an der dritten Generation, zu der sich die Autorin zählt, die „Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen“ wieder zu entdecken und zu bewahren. Wo früher deutsche Denkmäler abgerissen worden sind, ereilt dieses Schicksal nun jene aus den Sowjetzeiten.

Vermutlich wird erst die vierte Generation durch Bücher wie das vorliegende, ohne die üblichen Vorurteile erkennen, dass die beiden, durch ihre Geschichte eng verwobenen Länder mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Möge es durch Bücher wie dieses gelingen, gegenseitigen Respekt und Vertrauen aufzubauen. Aufrufe der aktuellen nationalistisch eingestellten Politiker nach Entschädigungszahlungen sind hier kontraproduktiv.

Fazit:

Wer sich für die Geschichte interessiert und im Speziellen für diejenige von Deutschland und Polen, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Gerne gebe ich diesem interessanten Blick auf jene Menschen, die „in den Häusern der anderen“ leb(t)en, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.01.2023

Historisch informativ, lebendig erzählt

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REZENSION – Noch immer vom überraschenden Erlebnis beeindruckt, berichtete mir mal vor langer Zeit ein Verwandter von seinem Besuch mit seiner alten Mutter in den frühen Siebziger Jahren in deren Elternhaus ...

REZENSION – Noch immer vom überraschenden Erlebnis beeindruckt, berichtete mir mal vor langer Zeit ein Verwandter von seinem Besuch mit seiner alten Mutter in den frühen Siebziger Jahren in deren Elternhaus im niederschlesischen Wrocław (Breslau): Drinnen entdeckte die alte Dame die ihr aus der Jugend vertrauten Bilder an der Wand, wo sie bereits jahrelang hingen, bevor die Familie im Jahr 1945 in den Westen floh. So erstaunlich dies heute klingen mag, war es zu jener Zeit kein Einzelfall, wie die 1977 in Legnica (Liegnitz) geborene polnische Autorin Karolina Kuszyk (46) anhand ähnlicher Erlebnisberichte in ihrem im Oktober 2022 im Ch. Links Verlag erschienenen Sachbuch „In den Häusern der anderen“ nachweist. Das in Polen bereits 2019 veröffentlichte Buch soll dort – so die Angabe des Verlags – „eine lebhafte Diskussion über den Umgang mit dem deutschen Erbe“ angeregt haben.
Bücher über Flucht und Vertreibung aus den ehemals deutschen Ostprovinzen gibt es in Deutschland zuhauf, meist basierend auf Erinnerungen Betroffener, nicht selten subjektiv und einseitig aus deren Sicht. Genau darin unterscheidet sich das Buch der seit vielen Jahren in Berlin lebenden und mit einem Deutschen verheirateten polnischen Autorin. In ihrem bis ins Detail sorgsam recherchierten und durch mehrseitigen Quellen- und Literaturnachweis belegten Text erzählt sie zwar ebenfalls von Flucht und Vertreibung, doch diesmal aus polnischer Sicht über das vergleichbare Vertreibungsschicksal ihrer Landsleute aus den gegen Kriegsende von der Sowjetunion besetzten Gebieten Ostpolens. Die dortige Einwohnerschaft wurde gemeinsam mit anderen ethnischen Minderheiten wie Ukrainern und Juden in die von Deutschen verlassenen „wiedergewonnenen Gebiete“ Westpolens zwangsumgesiedelt. Auch sie verloren ihre Heimat, ihr Hab und Gut und kamen mit kaum mehr als den Kleidern am Leib im Westen an. In der Fremde mussten sich diese Zwangsumgesiedelten entweder selbstständig eine von Deutschen verlassene und - sofern nicht von Soldaten der Roten Armee vorher ausgeplündert – noch immer voll eingerichtete Wohnung suchen, oder ihnen wurde ein neues Zuhause von der polnischen Ortsverwaltung zugewiesen. Da die aus Ostpolen Vertriebenen in der westlichen Fremde nichts Eigenes hatten, blieb ihnen keine andere Wahl, als in diesem „deutschen Erbe“ weiterzuleben und sich „von deutschen Gegenständen, Geräten, Formen und vom deutschen Geist“ prägen zu lassen. „Es war nicht schön, das deutsche Zeug zu benutzen, aber was hätten wir tun sollen?“, erinnert sich eine damals Vertriebene. Zu seiner Überraschung findet sogar noch der deutsche Ehemann der Autorin beim Besuch seiner polnischen Schwiegereltern auf der Unterseite einer Porzellanschale ein kleines Hakenkreuz im Markenzeichen. Die robuste Schale hatte sich seit 1945 im Haushalt bewährt. Erst die Kinder, die zweite Generation in den von Polen „wiedergewonnenen Gebieten“, entledigten sich bei Gründung des eigenen Hausstandes dieses „deutschen Plunders“, um sich zeitgemäß modern („sozialistisch“) einzurichten. Denkmäler wurden in den 1970er Jahren abgetragen und zerstört, deutsche Inschriften an Gebäuden entfernt, deutsche Häuser abgerissen und Friedhöfe zerstört. Eine Rückbesinnung erfolgte erst wieder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bei der dritten Generation, zu der sich auch die 46-jährige Autorin zählt. Deren Angehörige erinnern sich des deutschen Erbes und bemühen sich, die einst unter kommunistischer Herrschaft in Misskredit geratenen „Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen“ wieder aufzudecken und zu bewahren. Wo früher deutsche Denkmäler abgebaut wurde, fallen heute solche aus Sowjetzeiten.
Mit wissenschaftlicher Genauigkeit, dank zeitlichen Abstands ohne Vorurteil, dafür mit Empathie für die deutschen wie polnischen Vertriebenen zeigt Karolina Kuszyk in ihrem Buch die Spuren deutscher Vergangenheit auf und erläutert anhand der aufgezeichneten Erlebnisse und Anekdoten den wechselhaften Umgang ihrer Landsleute damit. „Ich bin fest überzeugt, … dass wir den nachwachsenden Generationen das ehemals Deutsche erklären müssen, so gut wir können“, schreibt die Autorin am Schluss ihres noch vor der Übersetzung mit dem deutschen Arthur-Kronthal-Preis 2020 ausgezeichneten Buches, mit dem sie zweifellos auch bei der heranwachsenden vierten Generation Polens und Deutschlands für ein besseres Verständnis beider Völker beitragen kann.