Profilbild von Anna625

Anna625

Lesejury Star
offline

Anna625 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Anna625 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.03.2023

Und nu?

Männer sterben bei uns nicht
0

Ich tue mich, wie wahrscheinlich die meisten, immer ein bisschen schwer mit negativen Rezensionen. Besonders dann, wenn ich eigentlich viel von einem Roman erwartet hatte, und das war hier der Fall. Ich ...

Ich tue mich, wie wahrscheinlich die meisten, immer ein bisschen schwer mit negativen Rezensionen. Besonders dann, wenn ich eigentlich viel von einem Roman erwartet hatte, und das war hier der Fall. Ich meine, das Cover, whoa. Da denkt man doch sofort: Das muss toll werden, geht gar nicht anders. Naturgesetz. Umso bitterer ist dann die Enttäuschung, wenn man beim Lesen nicht recht in den Sog kommt, immer darauf wartet, dass da noch dieser eine Moment kommt, der einen packt und einfach mitreißt. Aber leider habe ich bei "Männer sterben bei uns nicht" vergeblich darauf gewartet.
Am Ende bleibe ich mit einem Gefühl zurück, das sich am ehesten mit "Ja ok, und nu?" beschreiben lässt. Keine Ahnung, was ich jetzt zu dem Roman sagen soll (wirklich nicht). Fand ich ihn schlecht? Nein. Fand ich ihn gut? Auch nicht wirklich. Es ist mehr so ein Dazwischen, irgendetwas hat gefehlt. Vielleicht waren auch die Erwartungen zu groß?
Anfangs fand ich die Wechsel zwischen den Zeitebenen verwirrend, aber das hat sich eigentlich recht schnell gelegt. Das war also weniger mein Problem. Auch, dass ich die meisten Figuren nicht wirklich mochte, ist in Ordnung. Die Handlung an sich war ebenfalls okay. Was stört mich also? Eigentlich nichts von dem, was da ist. Bleibt nur noch das übrig, was nicht da ist, oder was ich zumindest nicht finden konnte: Das, was die Autorin jetzt damit wollte. Für mich blieb das größtenteils im Dunkeln, und so habe ich die Lektüre spätestens ab der Hälfte als eher zäh empfunden. Einen roten Faden, etwas, das am Ende alles zusammenfasst und/oder auf den Punkt bringt, ein bisschen Licht in diesen Nebel bringt, das hätte ich mir gewünscht. Falls das da war, ist es mir wohl entgangen. Ich schätze, ich habe den Roman einfach nicht verstanden.

Veröffentlicht am 24.02.2023

Hatte mehr erwartet

Gleißendes Licht
0

Der Komponist Kaan, als Sohn eines Deutschen und einer Türkin in Deutschland geboren, reist für längere Zeit nach Istanbul. Dort wird er von der Vergangenheit seiner Familie eingeholt, vom Völkermord an ...

Der Komponist Kaan, als Sohn eines Deutschen und einer Türkin in Deutschland geboren, reist für längere Zeit nach Istanbul. Dort wird er von der Vergangenheit seiner Familie eingeholt, vom Völkermord an den Armeniern und der fehlenden Aufarbeitung, die sich nun als Trauma durch die unterschiedlichen Generationen der Familie zieht.
So sehr ich mich auch auf den Roman gefreut hatte, so ernüchtert schlage ich ihn am Ende zu. Was eindringlich und vielversprechend begann, verläuft sich bald in zahlreichen Zeitsprüngen quer durch die Familiengeschichte. Die einzelnen Zeitebenen waren dabei zwar durchaus spannend zu lesen, ich hatte aber einfach das Gefühl, dass sich hier zu viele Fäden ineinander verwirren und am Ende allenfalls ein Knäuel bilden, aus dem lauter lose Enden rausragen. Mit dem Schreibstil hatte ich stellenweise dann auch noch so meine Probleme, weil es häufiger mal vorkommt, dass ein einzelnes Wort mehrmals hintereinander wiederholt wird - nicht tragisch, aber irgendwie überflüssig bis störend in meinen Augen.
Davon abgesehen mochte ich den Stil aber, das ist also ein eher kleinerer Kritikpunkt. Auch, dass mir Kaan fast den ganzen Roman hindurch unsympathisch war, kann ich verkraften, denn ein Buch braucht nicht unbedingt sympathische Charaktere, um gut zu sein, wenn denn der Rest stimmt. Was hier aber leider eher nicht der Fall war. Ich hatte mir mehr zum Thema Völkermord gewünscht, einfach eine tiefergehende Auseinandersetzung damit. Denn ja, das Thema wird mehrmals angesprochen und es wird auch ersichtlich, dass es einen großen Einfluss auf das Leben der Protagonist*innen hat; aber insgesamt war es mir doch zu knapp abgehandelt. Gegen Ende, ca. ab dem letzten Drittel, bin ich während des Lesens dann gedanklich immer häufiger abgeschweift, da hat mich der Roman dann nach und nach verloren.
Das war viel Kritik, durchweg schlecht fand ich den Roman aber trotzdem nicht. Sagen wir einfach, dass er mich dazu motiviert hat, mir an anderer Stelle mehr Informationen zu dem Thema anzulesen, und das ist doch auch schon was!

Veröffentlicht am 17.02.2023

Heimat

Sibir
0


Es ist 1945. Die Welt versinkt im Chaos, als Josef Ambacher gemeinsam mit seiner Familie und Hunderttausenden anderen Zivilisten aus Deutschland nach Kasachstan verschleppt wird. Alles, was sie bis dahin ...


Es ist 1945. Die Welt versinkt im Chaos, als Josef Ambacher gemeinsam mit seiner Familie und Hunderttausenden anderen Zivilisten aus Deutschland nach Kasachstan verschleppt wird. Alles, was sie bis dahin kannten, ist fort; sie müssen sich fortan in einem fremden Land, einer fremden Kultur, einer fremden Sprache zurechtfinden und sich an den Gedanken gewöhnen, fortan die Steppe ihr Heim zu nennen.
Jahrzehnte später, Josef hat inzwischen eine eigene Familie gegründet und konnte schon vor einer ganzen Weile nach Deutschland zurückkehren. Jetzt, 1990, findet er sich plötzlich in der Rolle derer wieder, die die Neuankömmlinge willkommen heißen. Denn nicht alle hatten so viel Glück, schon wenige Jahre nach der Verschleppung nachhause zurückkehren zu können; der weitaus größere Teil kommt jetzt erst nach, desorientiert, heimatlos. Josefs Tochter Leila ist noch ein Kind, als dieser ihr so fremde und doch merkwürdig vertraute Teil der Vergangenheit ihrer Familie Einzug in ihr Leben hält.

Beide Zeitebenen fügen sich großartig ineinander ein und vermitteln das Bild einer Suche nach Heimat und Heimkommen, stellen die Frage nach Zugehörigkeit und danach, wie es sich anfühlt, immer nur am Rand zu stehen und "fremd" zu sein. Die Beschreibungen dieser beiden Kindheiten, die vollkommen unterschiedlich verlaufen und doch so viel gemeinsam haben, sind eindrücklich und geprägt von Misstrauen und Angst, aber auch von Freundschaft und Menschlichkeit. Es ist also keinesfalls nur ein düsteres, bedrückendes Bild, das der Roman hier zeichnet; es gibt auch so viel Wärme in diesem Roman, im Leben Josefs und Leilas. Mich hat diese Geschichte jedenfalls sehr schnell in ihren Bann gezogen und ich hätte nach ihrem Ende auch noch eine ganze Weile weiterlesen können.

Veröffentlicht am 27.11.2022

Jede Menge Bücherliebe

Die Bücher, der Junge und die Nacht
0

Leipzig, 1933: Buchbinder Jakob Steinfeld verliebt sich in die geheimnisvolle Juli, die hofft, bei ihm ein Manuskript binden lassen zu können. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse, und Juli verschwindet.
Leipzig, ...

Leipzig, 1933: Buchbinder Jakob Steinfeld verliebt sich in die geheimnisvolle Juli, die hofft, bei ihm ein Manuskript binden lassen zu können. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse, und Juli verschwindet.
Leipzig, 1943: Der Krieg ist in vollem Gange, als ein mysteriöser Fremder einen kleinen Jungen und ein Buch aus den brennenden Ruinen eines Hauses rettet. Der Junge wird ihn von nun an begleiten, und gemeinsam werden sie Jagd auf viele weitere Bücher machen.
Leipzig, 1970er: Robert Steinfeld, der Sohn Jakobs und ebenfalls ein großer Bücherfreund, begleitet eine Kollegin, die die Bibliothek der alten Verlegerfamilie Pallandt auflösen soll. Dabei finden sie Bücher, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.

Die Geschichte um die beiden Familien Steinfeld und Pallandt vereint jede Menge Bibliophilie, den Untergang des Graphischen Viertels während der Bombenangriffe im Dezember 1943 und die großartig erzählte Suche nach den Geheimnissen der Vergangenheit in sich. Wie immer ist es Meyer dabei ganz wunderbar gelungen, die beschriebenen Szenen in all ihren Details vor meinem inneren Auge auferstehen zu lassen. Die drei Zeitebenen ergänzen sich perfekt und erzeugen einen Spannungsbogen, der den ganzen Roman über aufrechterhalten wird. Die Figuren sind sympathisch und erlauben es sehr schnell, mit ihnen mitzufiebern, während im Hintergrund Krieg und Nationansozialismus schwelen. Das Besondere an Meyers Romanen ist für mich, dass sich in ihnen immer ein Hauch Phantastik verbirgt, dass sie bestens ohne großen Kitsch auskommen und nach spannenden Lesestunden, wenn man mühsam wieder aus ihnen auftaucht, zufrieden zurücklassen.

Große Leseempfehlung für alle Meyer-Fans und solche, die es noch werden wollen!

Veröffentlicht am 30.10.2022

Kolonialgeschichte meets Feminismus

Die Meerjungfrau von Black Conch
0

Als David im Jahr 1976 in seinem Fischerboot vor der Küste der karibischen Insel Black Conch sitzt und plötzlich eine Meerfrau aus den Wellen auftaucht, um seinem Gitarrenspiel zu lauschen, kann er seinen ...

Als David im Jahr 1976 in seinem Fischerboot vor der Küste der karibischen Insel Black Conch sitzt und plötzlich eine Meerfrau aus den Wellen auftaucht, um seinem Gitarrenspiel zu lauschen, kann er seinen Augen zunächst kaum glauben. Dass es Wassermänner gibt, davon erzählen die alten Legenden und Sagen; aber Meerfrauen? In den folgenden Wochen und Monaten entspinnt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden, doch dann findet in der Gegend ein großer Angelwettbewerb statt und Aycayia, die Meerfrau, vor Jahrhunderten von den Frauen ihres Dorfes verflucht und seitdem zu einem Leben halb als Mensch, halb als Fisch verdammt, gerät zwei Amerikanern an den Haken. Und sie, die seit Urzeiten Gefangene, wird machtlos von einer Knechtschaft in die nächste gezwungen.

Roh, holprig, dialektal geprägt, das ist die Sprache des Romans. Angelehnt an den Slang der Einheimischen ist der Schreibstil gerade anfangs eine Herausforderung für sich, stoßen sich die ständigen Wortwiederholungen und ungewohnten Begrifflichkeiten teilweise doch sehr mit unserer Standardsprache. Und doch trägt diese Übersetzung der dialektalen Sprache, so irritierend sie manchmal sein mag, wesentlich zur Atmosphäre des Romans bei und unterstreicht wie nebenbei die lange Liste an Kontrasten, die Monique Roffey in ihrem Roman aufzeigt. Denn der Roman ist ein ständiges Spiel der Gegensätze: Frau und Fisch (Mensch und Tier), Black-Conch-Englisch und Standardenglisch, das indigene Volk der Taíno und die Kolonialisten, Eingeborene und US-Touristen, Mythen und Realität. Und inmitten alldessen Aycayia, die einst ob ihrer Schönheit und verführenden Wirkung auf Männer von Frauen verflucht wurde, nur so den Grausamkeiten der Kolonialmächte entkam und sich nun, Jahrhunderte später, in der Badewanne eines Fischers wiederfindet.

Ihre Geschichte ist die einer jungen Frau auf der Suche nach Selbstbestimmung, eine Geschichte von Einsamkeit, vom Fremd-Sein und vom Nirgendwo-Hingehören. Eng verknüpft mit der Erinnerung an die tiefen Wunden, die einst der Kolonialismus Land und Leuten zugefügt hat, wird "Die Meerjungfrau von Black Conch" so zu einem Roman, der vor einer magisch anmutenden Kulisse und doch voller Ernst längst vergangene und zugleich bis heute nachwirkende Zeiten wachruft. Eine große Leseempfehlung.