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Veröffentlicht am 11.10.2017

Spooky Hollow

Nacht über Frost Hollow Hall
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Wir schreiben das Jahr 1881. Die junge Tilly ist bettelarm und lebt mit ihrer Mutter und Schwester in einer Kate, für die sie kaum die Miete aufbringen können. Sie warten auf den Vater, der einige Wochen ...

Wir schreiben das Jahr 1881. Die junge Tilly ist bettelarm und lebt mit ihrer Mutter und Schwester in einer Kate, für die sie kaum die Miete aufbringen können. Sie warten auf den Vater, der einige Wochen woanders gearbeitet hat und Geld mitbringen soll. Doch er kommt nicht, stattdessen machen sich er und Tillys ältere Schwester auf den Weg nach Amerika und lassen Tilly und ihre Mutter zurück. Um Geld zu verdienen, geht Tilly als Dienstmädchen nach Frost Hollow Hall, dem unheimlichen Herrenhaus. Schnell merkt sie, dass es dort nicht nur spukt, sondern auch die Besitzer und selbst die Dienstboten Geheimnisse haben. Sie weiß, dass es nur besser wird, wenn sie die Geheimnisse aufklärt und den Toten ihre Ruhe wiederbringt.

Ein spannendes Thema, meiner Meinung wurde die Zeit gut recherchiert und umgesetzt. Mit Tilly erfährt man nicht nur vom Dorfleben der einfachen Menschen, sondern lernt auch die Gebräuche und Sitten auf einem großen Gut kennen, genauso wie die Hackordnung unter dem Gesinde. Dass es ein wenig mystisch wird, tut der Geschichte keinen Abbruch; ich glaube, ich habe mich hier an manchen Stellen mehr gegruselt als bei Stephen King. Wofür es bei mir Abzug gibt, ist das Alter der Protagonistin. Sie erschien mir immer älter als ihre angegebenen zwölf Jahre, auch wenn sich Kinder damals schneller entwickelt haben mochten, erschien sie mir meistens deutlich reifer, gerade wenn es zu den Begegnungen mit dem Fleischerjungen Will oder dem Geisterjungen Kit kam. Auch finde ich die Einordnung ins Genre Kinderbuch ein bisschen arg optimistisch, Jugendbuch wäre weitaus besser geeignet. Trotzdem eine echt coole Story, die Spaß gemacht hat zu lesen.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Der Algorithmus des Lebens

Homo Deus
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Es ist wahrhaftig nicht einfach, eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben. Die meiste Zeit kam ich mir wie in einer Vorlesung eines sehr gut aufgelegten Professors vor, der mich mit Daten, Fakten, historischen ...

Es ist wahrhaftig nicht einfach, eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben. Die meiste Zeit kam ich mir wie in einer Vorlesung eines sehr gut aufgelegten Professors vor, der mich mit Daten, Fakten, historischen Wissen überrollte und dann, wenn ich irgendwas verarbeitet hatte und meine Hand hob, um eine Frage zu stellen, schon zehn Meter weiter war, so dass ich mit einem gemurmelten "Ja, aber ..." verstummte. Es ist also angeraten, das Buch vielleicht häppchenweise zu lesen, wirklich Kapitel für Kapitel (und idealerweise mit anderen zu besprechen).

Harari nimmt uns auf einen Trip mit. Um auf die Zukunft zu kommen, wie er sie sieht (und mir durchaus möglich, wenn auch nicht in jeder Form zwingend erstrebenswert erscheint) beleuchtet er die Aspekte der Menschheit. Was macht den Menschen aus, wie konnte er sich vom Tierreich abheben, was unterscheidet ihn von anderen Rudeln, Horden, Herden, Rotten und Scharen intelligenter Lebewesen auf der Erde? Nicht viel anscheinend, außer dass wir gelernt haben, uns zu vernetzen. Und wo wird uns die Zukunft hinbringen? Im ersten Moment entwirft er fast eine Art Utopie: keine Kriege mehr, Gesundheit, Glück, ewiges Leben. Und wie soll das bewerkstelligt werden? Durch Algorithmen. Denn das sind wir alle wohl, nicht mehr, nicht weniger.

Die Antwort erscheint im ersten Moment absurd, vielleicht erschreckend, aber nicht unlogisch, was uns aber auch von der Utopie einer Dystopie näherbringt. Denn wenn wir Algorithmen sind, sind wir eher fehlerhaft. In Zukunft werden Algorithmen das Steuer in die Hand nehmen, denen keine (erkennbare) Fehler mehr unterlaufen werden. Schon heute ist in der Datensammlung so viel möglich und üblich, dass es nur noch erschrecken kann, die Zukunft ... wird vielleicht nicht mehr die unsere sein. Harari ist ein Dozent, der seinen Studenten mehr Fragen als Antworten liefert und vielleicht, so sagt er selbst, irrt er sich. (In vielen Dingen mag man das hoffen.) Er schreibt lebendig, sein Unterricht wirkt nicht einschläfernd, und er liebt es zu provozieren. Ich hätte mir mehr "morgen" als "Geschichte" gewünscht, weniger Wiederholungen, aber das Buch hat eines auf jeden Fall geschafft: dass ich gedanklich immer wieder dahin zurückkehre, Wissen neu bewerte, Erkenntnisse vergleiche. Mehr kann sich ein Prof von einem aufmerksamen Student kaum wünschen.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Fuchs im Hühnerstall

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal - Band 1
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Matthew Corbett ist zwanzig und der Gerichtsdiener des ehrwürdigen Richters Isaac Woodward. Ihr Weg führt sie durch die neue Welt direkt ans vermeintliche Ende der Welt in die Ortschaft Fount Royal, dort, ...

Matthew Corbett ist zwanzig und der Gerichtsdiener des ehrwürdigen Richters Isaac Woodward. Ihr Weg führt sie durch die neue Welt direkt ans vermeintliche Ende der Welt in die Ortschaft Fount Royal, dort, wo Rachel Howarth bezichtigt wird, Mord und unbeschreibliche Dinge mit dem Teufel begangen zu haben. Wir schreiben das Jahr 1699, und der Glaube an Hexen ist stark. Als Matthew und sein Meister in dem Dorf ankommen, sehen sie sich einer Wand aus Aberglauben, Hass, Neid, Gier und allen menschlichen Abgründen gegenüber, die eine Gemeinschaft aufbringen kann. Am Ende soll eine dafür büßen - Rachel Howarth, so kein Zweifel unter den Menschen -, muss auf dem Scheiterhaufen brennen!

Anfangs erscheint das Buch wie eine Mischung aus Sleepy Hollow und Der Name der Rose mit dem jungen, scharfsinnigen Matthew und seinem Mentor, Richter Woodward. Ein paar Sachen fand ich fragwürdig - echt jetzt, die können die Erregung einer Frau riechen? Entweder hatten die Leute des 17. Jahrhunderts weitaus schärfere Nasen als wir heutzutage, oder ich bin einfach ... eine Ausnahme. Aber okay, das Buch nimmt eigenständig Fahrt auf und ist durchaus spannend. Die schmutzige, gefährliche Zeit voller Aberglauben, in der Krankheiten schneller zum Tode führen als gefährliche Tiere, mordlüsterne Wirte oder wilde Indianer wurde sehr gut beschrieben. Der Hexenglaube, das Verdrehen der Wahrheit, das Auftauchen des Predigers, all das konnte wirklich Entsetzen über die Zeit transportieren. Der Schluss war mir zu abrupt und irgendwie an der falschen Stelle, als wäre mal wieder ein Buch zweigeteilt worden, das im Englischen als Einzelband existiere, aber er hat mich natürlich, wie beabsichtigt, neugierig auf Band 2 gemacht.

Veröffentlicht am 04.10.2017

Munins Rückkehr

Der Klang der Erinnerung
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Jeden Morgen erschüttert ein gewaltiger Klang das Land, eine Musik, die jede Erinnerung gnadenlos auslöscht. Körpererinnerung bleibt, aber ansonsten leben die Menschen eigentlich nur von Tag zu Tag. Sie ...

Jeden Morgen erschüttert ein gewaltiger Klang das Land, eine Musik, die jede Erinnerung gnadenlos auslöscht. Körpererinnerung bleibt, aber ansonsten leben die Menschen eigentlich nur von Tag zu Tag. Sie stehen auf, machen, was sie immer machen und denken auch kaum an die Zukunft, denn ohne Vergangenheit, wer bräuchte da schon eine Zukunft? Die Ordnung hat dieses System eingeführt, die Ordnung schafft Musik und bestimmt das Leben der Menschen. Ihre ersten Opfer waren die Vögel, jetzt leiden nur noch Menschen darunter - doch das wissen sie nicht. Wer sollte sich auch erinnern? Simon ist einer von denen, die Erinnerungen festhalten können, doch auch das begreift er erst, als er zu einem Paktläufer von Lucien wird. Lucien wird nicht nur seine Erinnerungen wecken, sondern auch Gefühle, die er nie kannte, und gemeinsam werden sie sich auf die Suche nach etwas machen, um die Ordnung aufhalten zu können.

Das war mal mit Sicherheit kein Wohlfühlbuch, weshalb es auch von den Rezensenten ziemlich abgewatscht wird. Jemand, der bereit ist, selbständig zu denken, sollte sich von den schlechten Bewertungen nicht abhalten lassen. Ja, für Musikkenner ist es zumindest anfangs Kopfschmerzen verursachend (ein Grund, warum ich wirklich ewig gebraucht habe, um das Buch weiterlesen zu können); man hat aufgrund der bildhaften Beschreibungen das Gefühl, permanent einer gewaltigen Klangkakophonie ausgesetzt zu sein. Doch das Buch geht noch tiefer, denn es verlangt danach, begriffen zu werden, und Begreifen entsteht durch Nachdenken und eventuell durch Kundigmachen. Wie funktioniert das mit der gewaltigen Musik und den Raben/Vögeln, die verschwunden sind? Wie können Schallwellen tatsächlich Erinnerungen löschen? Welche Gemeinsamkeiten hat die Ordnung mit den Nazis? Und wie zufrieden oder dankbar sind Leute, wenn sie keine Erinnerungen haben - also auch nicht über alles Mögliche nachdenken müssen? Abzug bekommt das Buch bei mir nicht, weil ich sonst nur Prinzessinnenbücher lese und somit nicht verstehe, was es mir sagen will, sondern weil zwischendurch eine Prophezeiung auftaucht, die recht unnötig ist und das Ganze zu einer Sache von "Auserwählten" macht. Ansonsten ist das Buch so anders, dass ich es wirklich nicht reinen Gewissens an alle empfehlen kann.

Veröffentlicht am 30.08.2017

Frei, wild, echt, gerecht

Die Perfekten
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In einer Welt, in der die Menschen nach Kasten eingeteilt werden, ist nur erlaubt, wer eine Tätowierung mit einem Zahlencode trägt, der jederzeit gescannt werden kann. Rain trägt so einen Code nicht, deshalb ...

In einer Welt, in der die Menschen nach Kasten eingeteilt werden, ist nur erlaubt, wer eine Tätowierung mit einem Zahlencode trägt, der jederzeit gescannt werden kann. Rain trägt so einen Code nicht, deshalb ist sie ein Ghost und kann weder zur Schule gehen noch irgendwo arbeiten. Mit ihrer Mutter Storm ist sie immerwährend auf der Flucht. Nie kann sie Freundschaften schließen, ihr einziger Begleiter ist eine Manguste, die auch ihren eigenen Kopf hat. Doch eines Tages trifft sie auf Lark und dessen kleine Schwester Rose und sie bricht alle ihre Regeln - ein fataler Fehler, denn Lark verrät sie. Da ihre Mutter eine Rebellin ist, wird Rain nach Aventin verschleppt, die Welt der Perfekten. Und dort stellt sich heraus, dass sie kein Ghost ist, sondern eine von ihnen - die unmögliche Prinzessin. In Grey, ihrer alten Heimat, überschlagen sich die Ereignisse, Aufstände sind an der Tagesordnung und es liegt jetzt an ihr zu versuchen, Frieden und Gesundheit zu ihnen zu bringen.

Es haben schon andere erwähnt, dass es zum Teil an die Hunger Games erinnert, gerade mit den verschiedenen "Distrikten" wie dem "Capitol" Aventin, Coal, Grey, Green, Silver ... Man macht sich auch so seine Gedanken, wie ein Mädchen, das maximal von ihrer sich mit ihr auf der Flucht befindlichen Mutter heimunterrichtet wurde, zu einem so intelligenten und Zusammenhänge erfassenden Menschen werden konnte oder wovon sie überhaupt leben - ab und zu für Brot und Kaffee ein paar Tauschdinge herzugeben, ist mir zu wenig. Woher hatten sie die Sachen, die sie eintauschten, die mussten ja auch erst mal von irgendwas hergestellt werden. Wovon können sie sich die Miete leisten? Aber gut, das Buch sollte unterhalten, nicht die grundsätzlichen Fragen des normalen täglichen Überlebens aufwerfen, auch wenn das schon dystopisch genug ist in einer Welt wie Grey. Gut gefallen hat mir die Einteilung nach Genen, das ist mal etwas, das ich mir durchaus für unsere eigene Zukunft vorstellen könnte, wenn Trump und Co weiterhin regieren. Auch die moralisch aufgeworfenen Fragen, die zum Nachdenken anregen: Ab wann ist man ein Revolutionär, wo beginnt Terrorismus? Oder ist das lediglich eine Interpretation derjenigen, die an der Macht sind? Das Tempo, das anfangs eher schleppend zu spüren war, zog zum Schluss rasant an und es endete auch mit einem Knall - nur um dann wieder ratlos zurückzulassen. Ist es der Auftakt zu einer Reihe oder reicht es, wenn ich mir im Kopf selbst den Rest zusammenreime?