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Veröffentlicht am 05.05.2021

Ein Stück deutscher Kolonialgeschichte

Dein ist das Reich
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Ich war schon öfter in Neuendettelsau, habe aber nur die heutigen Werke und Taten der Diakonie bewundert. Wie verlogen, dogmatisch, selbstgerecht und rassistisch die Diakonie eigentlich in der Vergangenheit ...

Ich war schon öfter in Neuendettelsau, habe aber nur die heutigen Werke und Taten der Diakonie bewundert. Wie verlogen, dogmatisch, selbstgerecht und rassistisch die Diakonie eigentlich in der Vergangenheit war, sowohl in Deutschland als auch in Papua Neuguinea, in der Kolonie im Kaiser Wilhelms Land, habe ich nicht gewusst. Katharina Döblers Buch ist ein richtiger Augenöffner gewesen. Wer wider den Stachel blökte wurde für verrückt erklärt und eingesperrt, die Kinder der Missionarsfamilien wurden in Neuendettelsau betreut wenn sie in die Schule kamen, dadurch wurden die Eltern noch willfähriger gemacht und auf Linie gebracht. Vor Gott sind alle gleich, aber, um mit Ephraim Kishon zu sprechen, manche sind noch gleicher. Es gab da zuerst die Missionare, die durften predigen und missionieren. Dann gab es die deutschen Bauern, die durften die Plantagen verwalten, die Papua zum Arbeiten anhalten, sich um Geräte und Werkzeug kümmern, um den Bau von Kirchen, Häusern, Schulen, Straßenbau, usw. Und dann die Papua, die sich von ihrem althergewohnten Leben trennen mussten, sich christlich taufen lassen und ansonsten durften sie nur arbeiten, lernen, arbeiten, beten, arbeiten, bis in alle Ewigkeit. Das Urteil über sie: „Ihnen (den Papua) fehlen schlicht die Eigenschaften, die das Kennzeichen einer höheren Entwicklungsstufe sind“. (S. 298)

Wir lernen zwei Familien kennen, beide mit fränkischen Wurzeln, die von Neuendettelsau aufbrechen nach Kaiser Wilhelms Land um die Papua zu bekehren und das Werk Gottes zu verrichten. Die beiden Männer und ihre Ehefrauen sind ganz unterschiedliche Charaktere, das eine ist eine Liebesheirat, die andere ist eine Vernunftsehe. Beide Familien haben Kinder, einer der Söhne der Familie Mohr wird eine der Hensolt Töchter heiraten und gemeinsam vier Kinder haben. In dieser Generation ist die eine Tochter, die namenlos bleibt und die Chronik der beiden Familien zusammenstückeln wird aus alten und bruchstückhaften Familiengeschichten, vergilbten Fotos und Dokumenten. Die Geschichte beginnt Ende des 19 Jahrhunderts als die Diakonie Neuendettelsau Anwerber durch die fränkischen Dörfer schickt, Männer anzuwerben, um Gottes Werk bei den Heiden zu vollbringen. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges fahren diese zwei Männer getrennt los auf die beschwerliche lange Reise ans andere Ende der Welt. Marie, die Verlobte von Heiner Mohr sollte bald nachkommen, nach Beendigung ihrer Ausbildung als Hebamme und Krankenschwester, sie soll nachreisen aber der Erste Weltkrieg bricht aus und ihre Reise wird verschoben. So wird sie erst 1923 nach Neuguinea fahren, als sie sich längst entfremdet hatte von Heiner Mohr. Linette Marchand und Johann Hensolt finden erst nach dem Weltkrieg zueinander. Das Leben dieser beiden Familien ist nicht leicht. Harte Arbeit, Hitze, Krankheiten, Insekten, Malaria, die Papuaner die nicht mit deutscher Gründlichkeit arbeiten wollen, und über allem die Vorurteile gegenüber den andersdenkenden, den anders lebenden, den Farbigen. Die Intoleranz macht auch vor der eigenen Rasse nicht halt. Zwischen einem deutschen Missionar und einem deutschen Laienprediger bestehen gewaltige Standesunterschiede. Verbrüderungen zwischen den Rassen werden nicht geduldet. Johann Hensolt verliebt sich in eine Papuanerin und hat ein Kind mit ihr. Am liebsten würde er sie und das Kind zu sich nehmen. Für die anderen Missionare ein Anathema. Hensolt wird entlassen, er muss den kolonialen Gottesstaat verlassen. Nach Kriegsende, als es Kaiser Wilhelms Land nicht mehr gibt und keine neuen Missionare mehr aus Deutschland kommen dürfen, wird er wieder aufgenommen, hat aber einen schweren Stand in der strengen Gemeinschaft. Auf einem Heimaturlaub lernt er Linette Marchand kennen und kehr mit ihr als seine Frau zurück nach Guinea.
Oder Bruder Hilpert, er ist halb Deutscher, halb Engländer. „So einer“ darf für kein Kind der deutschen Gemeinschaft Pate stehen. Das geht natürlich nicht!
Was in der Heimat passiert interessiert die deutsche Gemeinschaft sehr. Viele lassen sich schon früh von Hitler beeinflussen, vor allem da auch in Neuendettelsau „ein neuer Wind weht“ und Zeitungen und Briefe aus der Heimat das braune Gedankengut (na ja, gut?) auch hier verbreiten. Und genau in diese Atmosphäre hinein fahren beide Familien nach Deutschland, um ihre Kinder bei den Angehörigen unterzubringen, damit sie da deutsche Schulen besuchen.
Bei den Hensolts ist es Johann, bei den Mohrs ist es Marie die mit den völkischen Ideen liebäugeln, in die NSDAP eintreten, den Gedanken der arischen besseren Rasse vertreten. Heiner Mohr und Linette Hensolt erliegen dieser Versuchung nicht. Während des Jahres in Deutschland erkennen sie die Gefahr, die von Hitler ausgeht, immer wieder versuchen sie ihre Partner zur Raison zu bringen. Auch als der zweite Weltkrieg ausbricht bleiben sie lange Zeit treue Anhänger Hitlers.
Die Erwachsenen reden nicht über die Weltkriege, die Kinder, die in Deutschland die Schulen besuchten, sind von der Kälte des Wetters aber auch der Menschen, von der Indoktrinierung in Neuendettelsau geprägt. Als die überlebenden Erwachsenen nach 1946 nach Deutschland zurückkehren, sind ihre Kinder erwachsen, den Eltern entfremdet.
Das Buch ist spannend geschrieben, wir erfahren immer neue Facetten über das Leben und die Gesellschaft in Papua-Neuguinea aber auch in Neuendettelsau. Aber manchmal muss man innehalten und das Gelesene einsacken lassen, wie die deutschen Internierten auf dem sinkenden Schiff kein Rettungsboot oder Floß bekommen und das Rettungsschiff abdreht, die Ertrinkenden sind ja Deutsche.

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Veröffentlicht am 04.05.2021

Hannah Arendt - ein Porträt

Was wir scheinen
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Kein einfaches Thema, an das sich Hildegard E. Keller hier rantraut. Aber schon ein Blick auf den Klappentext verrät, dies ist ein spannendes und lesenswertes Buch. Ein Stück dunkler deutscher und europäischer ...

Kein einfaches Thema, an das sich Hildegard E. Keller hier rantraut. Aber schon ein Blick auf den Klappentext verrät, dies ist ein spannendes und lesenswertes Buch. Ein Stück dunkler deutscher und europäischer Geschichte und ein Porträt dieser großen Denkerin.
Das Buch wird in Rückblenden erzählt. Während ihres letzten Urlaubs in Tegna, im Tessin, lässt Hannah Arendt ihr Leben Revue passieren, die Menschen die sie manche länger, manche nur kurz, begleitet und einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ihr Aufenthalt in der Casa Barbaté (gibt es heute noch, ein Besuch wäre lobenswert) ist für Hannah Arendt aber auch die Gelegenheit neue Freundschaften zu schließen. Was einen wahren Denker charakterisiert, Hannah Arendt hat es: sie begegnet den Menschen auf Augenhöhe, ob alt oder jung, ob gebildet oder nicht, für die Denkerin zählt allein das Menschsein. Auch im Alter ist sie geistig rege und aufgeschlossen geblieben. Allergisch reagiert sie eher auf Borniertheit, auf politische Mitläufer, denen sie zuhauf während der NS Zeit begegnet ist, auf totalitäre Strukturen, auf die Bereitwilligkeit der Deutschen den Krieg schnell zu vergessen: „All die Tatsachen, an die sich niemand erinnern kann, all die Toten, die niemand vergast haben will.“ (S. 123)
Einen zentralen Platz im Buch nimmt der Eichmann Prozess, der 1961 in Jerusalem stattfand. Als Prozessbeobachterin und Gerichtsreporterin für den New Yorker saß sie im Gerichtssaal oder im Presseraum und empfand tiefste Verachtung für Adolf Eichmann. Wenn einer einen Menschen tötet, ist er ein Mörder. Wenn er zehn oder zwanzig Menschen tötet, ist er ein Serienmörder. Aber wenn er sechs Millionen Menschen tötet? Was ist er dann? Dafür gibt es keinen richtigen Namen, der das Entsetzen und die Abscheu vor solch einer Tat ausdrücken kann. Verbrechen gegen die Menschheit? Ja, das käme in die Nähe. Was Arendt da sah, war ein serviles Phrasen dreschendes Wesen, das den Richter zu überzeugen versuchte, er habe bloß Befehle ausgeführt und die Tragweite seiner Handlungen nicht erfasst. Er hat „die Judenfrage“, man bemerke, nicht „das Judenproblem“ oder „die Ermordung der europäischen Juden“, nein, die harmlose „Endlösung der Judenfrage“ zur Zufriedenheit des Führers und seiner Handlanger zu erfüllen versucht. Eichmann haftete nichts Dämonisches an sich, alles an ihm war klein, erbärmlich und böse. Hannah Arendt weigerte sich, in Eichmann einen Höllenfürst zu sehen, er war ein Verwalter des Todes. Effizient weil es seinem eigenen politischen und sozialen Fortkommen in der NS Zeit diente und sich dann der Verantwortung in Argentinien zu entziehen versuchte. Hannah Arendt prägt dafür aus heutiger Sicht, den perfekten Begriff: „Die Banalität des Bösen“. Dafür ist sie heftig angegriffen und kritisiert worden. Aber sie hat sich nicht beirren lassen, nichts widerrufen. Was sah sie? Sie sah einen dürren Mann im Anzug in einem Glaskasten sitzend, der vor dem Richter höfliche Bücklinge machte und sich überaus beflissen zeigte. Eichmann hatte keine Größe, keinen Schneid. „Die Banalität des Bösen“ beschreibt ihn perfekt.
Außer dem Eichmann Prozess werden im Buch auch andere Stationen aus Hannah Arendts Leben kurz beleuchtet, die Probleme und Gefahren in denen sie sich dabei befand, werden nur gestreift, sind trotzdem präsent: Verhaftung durch die Gestapo in Berlin, Internierung in Paris, Ehe mit Günther Stern/Anders, zweite Ehe mit Heinrich Blücher, der ihr treuer Lebensbegleiter bis zu seinem Tod wird, die nur gestreifte Affäre mit Martin Heidegger und die tiefe Freundschaft mit ihrem Doktorvater Karl Jaspers, die Bekanntschaft mit dem Zionisten Kurt Blumenfeld noch während ihrer Studienjahre, mit Walter Benjamin in Paris, mit Ingeborg Bachmann in New York, und die vielen Aufenthalte in der Schweiz, in Paris, auf der Flucht vor den Nazis. Das sind Zeugen eines sehr bewegten und doch gradlinigen Lebens. Hanna Arendt bleibt sich immer und in allen Lebenslagen selbst treu.
Das Buch liest sich leicht, obwohl die Themen so vielfältig und schwerwiegend sind. Hildegard Keller lässt Hannah Arendt vor unseren Augen lebendig werden, Koseworte mit ihrem Mann Heinrich austauschen, lässt sie rauchen wie einen Altbundeskanzler, ironische, sarkastische und oft auch humorvolle Kommentare abgeben, ein denkender und liebender Mensch, ohne Allüren, mit einer fantastischen Bildung des Geistes und des Herzens.
Danke, Hildegard E. Keller.

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Veröffentlicht am 01.05.2021

Es ist nichts so fein gesponnen…

Schwarzwälder Morde
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Linda Graze versteht es den Leser zu packen und bis zur letzten Seite nicht mehr loszulassen. Wobei in diesem Falle die letzten Seiten besonders lecker sind, ich werde das Rezept von Waltraud Schmälzle ...

Linda Graze versteht es den Leser zu packen und bis zur letzten Seite nicht mehr loszulassen. Wobei in diesem Falle die letzten Seiten besonders lecker sind, ich werde das Rezept von Waltraud Schmälzle auf jeden Fall nachbacken. Und danach einen anderen „Tortenheber“ als auf dem Titelfoto benützen…
Aber zurück zum Krimi: Auf der ersten Seite behauptet Justin Schmälzles, bei der ersten Leiche das Motiv zu finden sind direkt prophetisch. Lange Zeit scheint es unklar, wieso, aber letzten Endes stimmt es. Zwischen der Frauenleiche, die seit gut 150 Jahren im Moor lag und den gegenwärtigen Problemen des Schnapsbrenners Willi Hauck scheint es keine Verbindung zu geben. Und hier greift Linda Grazes kriminalistisches Geschick ein. Langsam in kleinen Schritten erfahren wir was damals, im Mai 1869 geschah. Eine Frau wagte es aus den Fesseln einer ungeliebten Ehe und einer einengenden und oppressiven Gesellschaft auszubrechen. Doch sie wird nie den Schwarzwald verlassen. Der Gerichtsmediziner Lothar und Archäologen finden die Todesursache heraus, finden was sie bei sich trug, kommen mit ihren Vermutungen der Wahrheit ziemlich nahe. Kommissar Justin Schmälzle, Postenleiter Harald Scholz, Polizeiassistentin Leonie sowie die Putzfrau Frau Meichle ermitteln peu á peu in den Streitigkeiten zwischen dem Notar Andreas Langner und Willi Hauck. Wie es scheint, versucht jemand mit aller Macht den Notar zum Aufgeben seiner Baupläne zu bewegen. Drohbriefe, zerstochene Reifen, Körperverletzung, die Bedrohungen eskalieren von Mal zu Mal. Und doch hat Willi Hauck jedes Mal ein unwiderlegbares Alibi. Dass sich Hauck absolut unkooperativ zeigt und die Ermittler an der Nase herumführt lässt ihn verdächtig erscheinen. Hinzu kommen die illegal von Hauck verschobenen Grundstückgrenzen und die Errichtung eines Gebäudes halb auf dem nachbarlichen Boden, es sieht nicht gut aus für Willi Hauck. Die Lösung liegt 150 Jahre zurück. Untaten der Vergangenheit rächen sich in der Zukunft.
Ich habe die Sprache in diesem Buch geliebt. Die Dialoge sind in der schwäbischen Mundart, gemäß dem Slogan von Baden-Württemberg: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ sind die gesprochenen Passagen pures bezauberndes Schwäbisch. Interessanterweise sind die inneren Monologe von Martha im 19 Jahrhundert auf Hochdeutsch, sobald sie aber mit dem Pfarrer oder Sophie spricht, ist es Mundart. Das macht sie lebendig vor unseren Augen, lässt ihren Ausbruchversuch so tragisch erscheinen.
Kommissar Justin Schmälzle hat haitianische Wurzeln und deshalb dunkle Hautfarbe. Von seinen Mitmenschen bewusst oder auch achtlos hingeworfene Äußerungen interpretiert er von der rassistischen Seite, und lässt uns dadurch innehalten und überlegen. Er hat Recht, in vielen unserer Aussagen ist versteckter Rassismus drin. Vor Coloured People aus beiden Amerikas oder der Karibik scherzhaft von Sklaven zu sprechen ist nicht angebracht. Andererseits kannte Schmälzle anscheinend den Begriff der Leibeigenschaft als eine Form der Sklaverei nicht.
Ich hoffe, das Ermittlerquartett bleibt uns für noch einige spannende Krimis erhalten, ha ja!

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Veröffentlicht am 23.04.2021

Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin

Nächstes Jahr in Berlin
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Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und ...

Schöne Bearbeitung eines ewig gleichen Themas: Mutter-Tochter Beziehung. Gar nicht so einfach, wenn man zu Lebzeiten es nicht geschafft hat, nun, nach dem Tod der Mutter den Zugang zu ihr zu finden. Und doch muss die Ich-Erzählerin im Buch genau das tun. Nach einer glücklichen Kindheit ohne finanzielle Sorgen, bricht der zweite Weltkrieg aus, die Kindheit ist schlagartig vorbei. Kriegs- und Nachkriegsjahre der Mutter werden in Fragmenten wiedergegeben, in loser Chronologie, manchmal wird vorgegriffen, andere Male werden ausgelassene Schlüsselmomente im Leben der Mutter nachgereicht. Das macht das Lesen nicht ganz einfach, aber spannend. Letztendlich erhalten wir ein Bild der Mutter, Puzzlestück für Puzzlestück fügt sich zusammen, wir und mit uns auch die Tochter beginnen die Mutter zu verstehen und auch zu schätzen. Die Mutter weiß was ihr Vater, ein charismatischer Mann seinem ältesten Sohn Bruno angetan hat, trotzdem lässt die Mutter die tiefe und innige Freundschaft und Liebe zwischen ihrer Tochter und ihrem Vater – Großvater zu. Ihre Tochter liebt ihren Großvater, führt mit ihm eine rege Korrespondenz, in den Ferien folgt sie ihm auf Schritt und Tritt, erlebt wunderschöne Momente.
Nun ist die Mutter gestorben, es kam nie zu einer Aussprache zwischen Mutter und Tochter, warum die Mutter nie richtige Nähe zur Tochter zugelassen hat, wie viele Familiengeheimnisse in Mehlsack in Ostpreußen und Augustenruh in Mecklenburg-Vorpommern. In mühsamer Kleinarbeit und in Gesprächen mit Personen, die die Mutter kannten, aber auch aus Erzählungen der Mutter erfährt die Tochter nach und nach all die schönen, aber auch schmerzhaften und schrecklichen Ereignisse aus dem Leben der Mutter. Die Tochter entschließt sich die Geschichte der Mutter aufzuschreiben, vielleicht als Zeichen der posthumen Versöhnung mit der Mutter, aber auch damit ihre Mutter „Spuren hinterlassen“ kann und „um die Dinge in Einklang zu bringen“. (S. 70)
Die Sprache ist bildgewaltig, dicht, poetisch. Allein schon das Bild der Familie, die an Sommerabenden auf der Terrasse zuhört, wie der Großvater aus Dr. Faustus von Thomas Mann vorliest, weckt in uns die Sehnsucht, auch solch unbeschwerte Sommerabende auf einem alten Gutshof zu verbringen. Oder in einem großen weißen alten Haus wohnen, wo man „in einem Lichtstreifen von Zimmer zu Zimmer gehen“.
Astrid Seeberger ist eine begnadete Erzählerin. Langsam, sacht nimmt sie uns gefangen, verzaubert uns mit ihrer Prosa, lässt uns nicht mehr los.

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Veröffentlicht am 15.04.2021

Der Meister der absurden Utopie hat wieder zugeschlagen

QualityLand 2.0 (QualityLand 2)
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Nächste Runde in Quality Land, dem besten aller Länder. Peter Arbeitsloser ist nun Psychotherapeut für gestörte und gestresste Roboter. Unter anderem heilt er einen Kühlschrank von seinem Burnout oder ...

Nächste Runde in Quality Land, dem besten aller Länder. Peter Arbeitsloser ist nun Psychotherapeut für gestörte und gestresste Roboter. Unter anderem heilt er einen Kühlschrank von seinem Burnout oder kuriert einen Kampfroboter.
Kiki versucht in Erfahrung zu bringen, wer ihre Eltern sind und weshalb sie von einem Erziehungsroboter großgezogen wurde. So nebenbei ermittelt sie wer hinter den Mordanschlägen auf sie selbst steckt. Es treten viele andere Bekannte aus Quality Land 1 auf, so wie Martyn Vorstand oder Julia Nonne oder Henryk Ingenieur, Tony Parteichef und Conrad Koch. Die Namen der Personen sind wieder einmal der Hit. Die Berufe der Eltern sind die Zunamen der Kinder.
Die Levels der Personen, gehen von 1 bis 100 und werden automatisch vergeben oder auch wieder genommen. So ähnlich spielt es sich wohl in China ab, im totalen Überwachungsstaat. Klings Utopie wurde von der Realität eingeholt. Oder andersrum: Kling denkt bis in die letzte Konsequenz aus was möglich ist in einer Gesellschaft der Konformisten.
Es gibt nichts, was Kling nicht auf die Schippe nimmt: So sind die die mit einem Thermomix kochen Angehörige einer Thermomix-Sekte. Und die Thermomixpartys sind Missionierungspartys. Herrlicher Gedanke, der mich darin bestärkt, nie einen Thermomix zu kaufen.
Oder ein Satz mit einem sehr direkten Bezug zu der Zeit in der das Buch erschienen ist: „Auf einer Skala von Trump bis Einstein…“
Die einzelnen Kapitel des Buches werden von Werbe- Blogeinträge oder Tweets getrennt. Es treten Influencer auf, die an Dummheit nicht zu unterbieten sind, dabei so schräg sind, dass sie schon wieder gut sind. Sie durchbrechen die Handlung, erleichtern den Einstieg zu Peter, Kiki oder Martyn.
Ich bin kein großer Fan von Fortsetzungsromanen, aber in diesem Fall würde ich gerne eine Ausnahme machen. Marc Uwe Klings Qualityland hat hohen Suchtfaktor.
Und nun werde ich meine Zahnbürste bei Peter Arbeitsloser zur Therapie anmelden…

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