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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.05.2021

Bröckelnde Fassaden

Eine perfekte Ehe
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Die Anwältin Lizzie Kitsakis arbeitet in einer großen New Yorker Anwaltskanzlei. Da ihre Ehe aufgrund von hohen Schulden auf wackeligen Füssen steht, möchte sie ihren Mann mehr unterstützen und die Probleme ...

Die Anwältin Lizzie Kitsakis arbeitet in einer großen New Yorker Anwaltskanzlei. Da ihre Ehe aufgrund von hohen Schulden auf wackeligen Füssen steht, möchte sie ihren Mann mehr unterstützen und die Probleme aus der Welt zu schaffen. Doch der Anruf ihres alten Studienkollegen Zach macht ihre Pläne schlagartig zunichte. Zach sitzt momentan in Untersuchungshaft in Rikers Island ein, denn er gilt als Hauptverdächtiger, seit seine Ehefrau Amanda bei einer Party ermordet wurde. Deshalb bittet er Lizzie, in anwaltlich zu vertreten. Lizzie übernimmt seinen Fall, aber je mehr sie sich mit Zach, seiner Ehe und seinen Lebensumständen beschäftigt und dazu eigene Ermittlungen anstellt, umso mehr hat sie den Eindruck, dass hier vieles nicht zusammenpasst. Wird sie den Fall aufklären können und auch ihre Ehe in den Griff bekommen?
Kimberly McCreight hat mit „Eine perfekte Ehe“ einen fesselnden Thriller im Milieu der New Yorker Upper Class vorgelegt, der mit einigen Wendungen und Überraschungsmomenten zu punkten weiß. Der flüssige, bildhafte und rasante Erzählstil lässt den Leser schnell an den Seiten kleben, wo er durch wechselnde Perspektiven, eingefügte Vernehmungsprotokolle und Emailauszügen nach und nach die ganze Geschichte erfährt. Zum einen erhält er Einsicht in die Vergangenheit und die Lebensumstände von Zachs ermordeter Ehefrau Amanda, auf der anderen Seite trifft er in der Gegenwart auf Lizzie, ihre anwaltliche Tätigkeit und Nachforschungen sowie deren eigene eheliche Großbaustelle. Lizzie ist wirklich nicht zu beneiden, denn während sie sich mit vielen Überstunden um den Lebensunterhalt der Familie kümmert, hängt ihr Ehemann mit Vorliebe an der Flasche, was den Stresspegel im Haus Kitsakis immer weiter anschwellen lässt. Durch die von der Autorin unterschiedlich verwendeten Stilmittel und die von Lizzie bröckchenweise aufgedeckten Informationen schraubt sich die Spannung nach und nach in die Höhe. Gleichzeitig muss der Leser feststellen, dass bei den wohlhabenden und hippen Paaren vieles nur Fassade ist, um ihr Umfeld über die Tatsachen hinwegzutäuschen. Ebenso haben fast alle Protagonisten ihre Leichen im Keller und möchten diese nicht unbedingt ans Tageslicht befördert sehen. Mehr Schein als Sein ist die Devise und spiegelt recht gut das Verhalten der heutigen Zeit wieder. Geschickt gelegte Wendungen sorgen am Ende noch für die eine oder andere unvorhergesehen Überraschung, die den Leser zu eigenen Ermittlungen anstiften, und die Spannung bis zum finalen Schluss erhalten bleibt.
Die Charaktere sind differenziert ausgestaltet und mit menschlichen Ecken und Kanten bestückt. Wirken sie zu Beginn noch etwas befremdlich auf den Leser, so ändert sich das im Verlauf der Handlung, je näher er sie kennenlernt. Trotzdem bleibt er auf Abstand, um objektiv zu bleiben und den Fall zu lösen, denn schon bald stellt sich heraus, dass der eine oder andere seine Rolle gut zu spielen weiß und viel mehr dahinter steckt. Lizzie ist in einem Dilemma, denn nicht nur die Probleme zuhause erfordern ihre Aufmerksamkeit, auch der Fall bringt sie an ihre Grenzen. Doch sie kombiniert erstaunlich intelligent und legt immer mehr Dinge offen. Zach kann als Verdächtiger von Lizzie nur profitieren. Trotzdem ist er ihr gegenüber nicht offen, so dass man ihm die Nummer des Unschuldigen nicht wirklich abnimmt. Aber auch Sarah, Maude und einige andere spielen ihre Rollen gut, was die Geschichte abwechslungsreich und spannend gestaltet.
„Eine perfekte Ehe“ besticht durch einen rasanten Spannungsaufbau, Intrigen, Lügen, Misstrauen sowie akribische Ermittlungsarbeit und entwickelt rasch ein Tempo, dass den Leser nicht loslässt. Gute Unterhaltung mit verdienter Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 02.05.2021

„Die Wahrheit ist so schwer zu sagen, dass man manchmal Fiktion braucht, um sie plausibel zu machen.“ (Francis Bacon)

Die Geschichte von Kat und Easy
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1973 Laustedt. Die Teenager Katharina und Isolde sind als Kat und Easy ein unschlagbares Team: beste Freundinnen, die durch dick und dünn gehen, gemeinsam alles ausprobieren und fast alle Geheimnisse miteinander ...

1973 Laustedt. Die Teenager Katharina und Isolde sind als Kat und Easy ein unschlagbares Team: beste Freundinnen, die durch dick und dünn gehen, gemeinsam alles ausprobieren und fast alle Geheimnisse miteinander teilen. Auch dass sie sich in den gleichen Mann verlieben, bringt sie nicht auseinander, bis ein Unfall ihre innige Freundschaft entzweibrechen lässt. Erst 2018 treffen die ehemaligen Freundinnen nach mehr als 40 Jahren Funkstille auf der griechischen Insel Kreta wieder aufeinander, wo sie sich nicht nur von der Lebensfreude der Einheimischen vereinnahmen lassen, sondern sich auch der Vergangenheit stellen, die jede von ihnen bisher aus einer anderen Perspektive betrachtet hat…
Susann Pásztor hat mit „Die Geschichte von Kat und Easy“ einen unterhaltsamen und tiefgründigen Roman vorgelegt, der neben einer ehemals innigen Freundschaft und einem bitteren Zerwürfnis dem Leser auch eine schöne Reise auf die malerische griechische Insel Kreta präsentiert. Der flüssige und bildhafte Schreibstil macht es dem Leser leicht, mit Katharina mal in die Vergangenheit abzutauchen, mal in der Gegenwart zu verweilen und durch den ständigen Perspektivwechsel nicht nur die Ereignisse damals Stück für Stück mitzuerleben, sondern auch die Aufarbeitung der beiden nun erwachsenen „Ex“-Freundinnen knapp ein halbes Jahrhundert, nachdem sie zuletzt Kontakt hatten. Die Autorin versteht es wunderbar, die 70er Jahre wieder lebendig werden zu lassen. Als Leser selbst zu dieser Zeit im frühen Teenager-Alter hat man ein Déjà-Vu-Erlebnis der besonderen Art, erinnert sich an die damalige Musik, die alten Freundschaften und die Besuche im Jugendzentrum und resümiert darüber, wie viele Kontakte von früher man heute auch noch pflegt. Während die beiden in die Jahre gekommenen Frauen Kat und Easy sich langsam annähern und sich gegenseitig mit den damaligen Ereignissen konfrontieren, wird ganz deutlich, wie unterschiedlich doch die jeweilige Wahrnehmung der Dinge ist und von eigenen Sichtweisen geprägt ist. Jeder für sich hatte seine eigenen Interpretationen, die für den anderen noch lange nicht gelten. Dabei entdeckt der Leser auch die Entwicklung der einzelnen Frauen durch die Zeit und dass es gar nicht so leicht ist, die eigene Wahrheit mit der eines anderen deckungsgleich zu bekommen. Trotzdem greift das Ganze irgendwie zu kurz, denn hauptsächlich dreht sich alles um ihrer beider ehemaligen Gefühle für denselben Mann. Aber ihre Freundschaft hat sich nicht nur daraus definiert, vielmehr haben sich ihre Gemeinsamkeiten wohl nur darauf beschränkt. Mit ihren landschaftlichen Beschreibungen gibt die Autorin dem Leser zumindest einen wunderbaren Kurzurlaub, während sie peu-à-peu das Geheimnis lüftet.
Die Charaktere besitzen authentische menschliche Züge und sind lebendig in Szene gesetzt. Ihre Glaubwürdigkeit fasziniert und lässt den Leser sich in ihrer Mitte niederlassen, um beide Seiten der Medaille zu erfahren. Jedoch gelingt es leider zu keinem Zeitpunkt, dass sich hier so etwas wie Nähe zu den Protagonistinnen einstellt. Als Teenager wirkt Katharina selbstsüchtig und macht sich extrem wichtig. Als lebensberatende Bloggerin wirkt sie in sich gekehrter und empathischer. Easy ist in jungen Jahren ebenfalls noch unerfahren, zu vertrauensselig und sehr auf sich bezogen. Doch als ältere Frau ist ihr Mut und die Courage zur Kontaktaufnahme bewundernswert. Auch ihr merkt man an, dass die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat und sie die Vergangenheit ernsthaft reflektiert.
„Die Geschichte von Kat und Easy“ ist eine interessante Geschichte über zerbrochene Freundschaften, alte Erinnerungen, eigene Wahrnehmungen und die Wahrheit, die dahinter steckt. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 01.05.2021

„Wir fotografieren, damit wir eine Rückfahrkarte zu einem Moment haben, der sonst verloren wäre.“ (Kathie Thurmes)

Die Frau auf dem Foto
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2018. Die Historikerin Erica kommt nach der Entdeckung von alten Fotos und Erinnerungsstücken auf die Idee, eine Ausstellung über das Lebenswerk der berühmten Fotografin Veronica Moon zu machen, die in ...

2018. Die Historikerin Erica kommt nach der Entdeckung von alten Fotos und Erinnerungsstücken auf die Idee, eine Ausstellung über das Lebenswerk der berühmten Fotografin Veronica Moon zu machen, die in den 1970er bis hin in die 80er Jahre sehr erfolgreich und mit Ericas Tante Leonie Barratt eng befreundet war. Zu diesem Zweck trifft sie sich einige Male mit Veronica, die inzwischen sehr zurückgezogen von der Öffentlichkeit lebt, um die Geschichten hinter den von ihr ausgewählten Fotos zu kennenzulernen. Dabei erfährt Erica auch über Veronicas Kampf für die Emanzipation und Gleichberechtigung von Frauen zur damaligen Zeit. Erica würde gerne auch noch mehr über ihre verstorbene Tante Leonie wissen, doch über die genauen Todesumstände Leonies schweigt sich Veronica aus. Ob Erica Veronica doch noch die Wahrheit erfahren und das Geheimnis um Leonie lüften wird?
Stephanie Butland hat mit „Die Frau auf dem Foto“ einen unterhaltsamen, historischen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer eindrucksvollen, tiefgründigen Geschichte, sondern auch mit herausragenden Protagonisten überzeugen kann. Der flüssige, bildgewaltige und anrührende Erzählstil lässt den Leser nicht nur eine Zeitreise antreten zurück in die wilden 60er Jahre, wo er auf Veronica Moon und Leonie Barratt trifft und nach und nach deren gemeinsame Geschichte erfährt, sondern gibt ihm auch mit der Gegenwart die Möglichkeit, die Ausstellungsvorbereitungen von Erica und Veronicas Erzählungen mitzuerleben. Durch wechselnde Perspektiven sowie zusätzlich eingefügte Stilmittel wie Leonis Kolumnen- und Veronicas Lehrbuchauszüge wird dem Leser die besondere Beziehung zwischen den beiden Frauen ebenso deutlich gemacht wie deren Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, die bis heute nur in Trippelschritten erreicht wurde und noch lange nicht am Ziel angelangt ist. Spannend ist der Vergleich zwischen den Frauen von damals und heute allemal, denn obwohl sich auch in der Gegenwart viele Frauen aktiv dem Kampf für mehr Rechte widmen, hat sich in einem halben Jahrhundert erschreckend wenig für sie verändert, sie werden weiterhin meist von Männern dominiert, kurz gehalten und unterdrückt, ob beruflich oder privat. Das Geheimnis um Leonis Tod wird erst nach und nach aufgedeckt und hält den Leser ebenso bis zum Ende in Atem, wobei er genügend Zeit hat, gedanklich eigene mutmaßliche Szenarien zu entwickeln.
Die Charaktere sind lebendig und ausdrucksstark inszeniert, ihre menschlichen Eigenschaften wirken auf den Leser glaubwürdig und authentisch, so dass er ihre Lebenswege gern hautnah mitverfolgt. Veronica ist eine zurückhaltende und feinfühlige Frau, die mit ihrer künstlerischen Ader und dem Auge fürs Detail in den Bann zu ziehen vermag. Leonie dagegen ist eine Rebellin ohne Rücksicht auf Verluste, extrovertiert, frech, aufmüpfig und laut. Sie weiß ihre Worte wie Schwerter zu benutzen, so dass deren Wunden noch lange schmerzen. Erica ist ebenso intelligent wie ihre Tante Leonie, kann allerdings mehr Geduld aufbringen. Zudem steckt sie in der gleichen Falle wie die meisten Frauen, denn sie scheut Konflikte, um das zu bekommen, was ihr wie allen Frauen eigentlich rechtmäßig zusteht.
„Die Frau auf dem Foto“ ist nicht nur eine Hommage an all die Frauen, die sich tagtäglich für Gleichberechtigung und Frauenrechte stark machen, sondern unterhält mit einer spannenden Zeitreise und einer komplexen, gut durchdachten Geschichte. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 24.04.2021

"Like ice in the sunshine..." (Beagle Musik Ltd.)

Der Eissalon
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1957 Bonn. Die aus gutsituiertem Hause stammende 23-jährige Karina von Oedinghof hat sich einen ziemlichen Faux pas geleistet, als sie sich auf eine Affäre mit ihrem Lehrer einließ. Jetzt steht sie ohne ...

1957 Bonn. Die aus gutsituiertem Hause stammende 23-jährige Karina von Oedinghof hat sich einen ziemlichen Faux pas geleistet, als sie sich auf eine Affäre mit ihrem Lehrer einließ. Jetzt steht sie ohne Abschluss der Restaurantfachschule auf der Straße und muss sehen, wo sie bleibt. Ohne ihre Eltern über den Vorfall zu informieren, findet sie bei Kriegswitwe Erika ein Zimmer zur Untermiete, wo auch der Italiener Ricardo untergekommen ist und mit dem sie sich schon bald ein Gefecht liefert. Während Karina sich schnell in Ricardo verliebt, hat der nur seinen Traum vom eigenen Eissalon im Kopf. Um Ricardo näher zu kommen, unterstützt Karina seine Pläne, steuert sogar Ideen sowie Startkapital bei. Die Dinge nehmen Formen an, und alles könnte so schön sein, doch dann taucht plötzlich Karinas Vater auf und auch Ricardo hat noch eine Schlacht in Bezug auf seine Vergangenheit zu schlagen…
Anna Jonas hat mit „Der Eissalon“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der dem Leser den Zeitgeist der 50er Jahre wunderbar näher bringt, während er sich gemeinsam mit Karina und Ricardo ins Eisgeschäft wagt. Der flüssige, bildhafte und einnehmende Erzählstil katapultiert den Leser zurück in die Mitte des letzten Jahrhunderts, wo er sich plötzlich in alten gesellschaftlichen Strukturen wiederfindet, in denen die Frauenrolle klar als Hausfrau und Mutter definiert und Emanzipation noch ein Fremdwort war. Als unsichtbarer Schatten folgt der Leser der recht unkonventionellen Karina, die sich über die Ungerechtigkeit ärgert, sie als leichtes Mädchen abzustempeln und zum Verlassen der Schule zwingt, während der Lehrer mit einem blauen Auge davon kommt. In ihrer Vermieterin Erika findet sie nicht nur eine Freundin, sondern neben einem Zuhause macht sie auch noch die Bekanntschaft von Ricardo, mit dem sie schon bald einige Gemeinsamkeiten hat und Zukunftspläne in ihr wachsen lassen. Die Autorin fängt mit schön gezeichneten Bildern die damalige Zeit ein, lässt den Leser nicht nur die aufstrebenden Träume und Ziele der Menschen 12 Jahre nach Ende des Krieges miterleben, sondern bietet ihm auch Schicksale unterschiedlicher Protagonisten an, von denen jeder für sich mit Vorurteilen der Gesellschaft zu kämpfen hat.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt, glaubwürdige menschliche Eigenschaften machen es dem Leser leicht, sich ihnen anzuschließen und ihnen bei ihren Unternehmungen über die Schulter zu sehen. Karina ist eine verwöhnte Tochter aus reichem Hause, die sich keine Grenzen aufzeigen lassen und ihr eigenes Ding durchziehen will. Sie ist mutig, etwas stur, dafür aber eine ehrliche Haut, die versucht, sich der Bevormundung ihrer Familie endlich zu entziehen. Ricardo wirkt auf den ersten Blick wie der typische italienische Macho, doch er besitzt Herz, Mut und vor allem Ideenreichtum, um mit seinen Eiskreationen die Menschen zu verzücken. Erika ist eine Kriegswitwe, die sich durch die Untervermietung etwas für ihren Lebensunterhalt verdient. Sie ist warmherzig, fürsorglich und bietet ihren Mietern Familienanschluss. Dabei hat sie es selbst nicht leicht und hat unter Vorurteilen der Gesellschaft zu leiden. Aber auch Karinas Eltern sowie Franziska prägen mit ihren Auftritten diese Geschichte.
„Der Eissalon“ ist zwar eine vorhersehbare Geschichte, bietet jedoch mit der passenden musikalischen Untermalung sowie Liebe, Familie und 50er Jahre-Feeling eine kurzweilige und unterhaltsame Auszeit vom Alltag. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 22.04.2021

"Es ist die Wahl, nicht der Zufall, der Dein Schicksal bestimmt." (Jean Nidetch)

Grenzgängerin aus Liebe
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Die 21-jährige Sophie Becker lebt in Weimar und ist nun die Geliebte des 15 Jahre älteren verheirateten DDR-Funktionärs Karsten Brettschneider, den sie bei einem Tanzabend kennengelernt hat. In ihrem Urlaub ...

Die 21-jährige Sophie Becker lebt in Weimar und ist nun die Geliebte des 15 Jahre älteren verheirateten DDR-Funktionärs Karsten Brettschneider, den sie bei einem Tanzabend kennengelernt hat. In ihrem Urlaub an Bulgariens Goldstrand trifft Sophie auf Hermann, der aus Westdeutschland kommt und ihr schon bald Avancen macht, die Sophie nicht nur schmeicheln, sondern auch einiges an Gefühlen in ihr hervorrufen. Sophie steht auf einmal zwischen den Stühlen und stellt mutig einen Ausreiseantrag, der sie zu Hermann in den Westen bringen soll. Als sie in Bielefeld am Bahnhof ankommt, wird sie allerdings von Hermanns Eltern, die ein Hotel führen, in Empfang genommen, denn er selbst hat beruflich im Ausland zu tun. Sophie fühlt sich schon bald nicht mehr wohl, vermisst ihre Heimat Weimar und vor allem Karsten, der sie weiterhin umwirbt und ihr eine Rückkehr zu ihm nahelegt. So beschließt Sophie, Westdeutschland den Rücken zu kehren und zurück in den Osten zu gehen, was für sie nicht ohne Folgen bleibt…
Hera Lind hat mit „Grenzgängerin aus Liebe“ einen unterhaltsamen und gleichsam spannenden Roman vorgelegt, in dem sie sich erneut einem wahren Schicksal zugewandt hat. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil nimmt den Leser mit in die Deutsch-Deutsche Vergangenheit, wo er Sophie kennenlernt, die sich nicht nur im Widerstreit mit ihren Gefühlen befindet, sondern auch durch die Hölle gehen muss. Die Handlung wird aus der Sicht von Sophie erzählt, so dass man als Leser das Gefühl hat, mit ihr an einem Tisch zu sitzen und atemlos ihrer Geschichte zu lauschen. Der Handlungszeitraum erstreckt sich von 1974 bis 2020 und lässt den Leser nicht nur gemeinsam mit Sophie die gesamte Klaviatur des Gefühlsbarometers erleben, sondern durch den von der Autorin akribisch recherchierten und mit der Geschichte verwebten Hintergrund bekommt er auch einen Einblick in die menschenverachtenden Methoden, die damals in der DDR angewandt wurden, um Menschen gefügig zu machen oder zu bestrafen. Einerseits ist es gut nachvollziehbar, dass Sophie sich nach einem Leben in Freiheit sehnt, auch ihr Heimweh ist verständlich, doch ihre Entscheidung, in die DDR zurückzugehen ruft nur ein Kopfschütteln hervor, zumal ihr schon bei den Schwierigkeiten für die Antragstellung der Ausreise klar gewesen sein muss, was ein Weg zurück für sie bedeuten muss. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen einen Weg aus dem Osten gesucht haben, kann man Sophies Beweggründe umso weniger verstehen.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Mit ihren glaubwürdigen menschlichen Ecken und Kanten wirken sie authentisch und geben dem Leser die Möglichkeit sich an ihre Fersen zu heften und ihr Schicksal hautnah mitzuerleben. Sophie ist eine junge Frau, die noch an Liebe und Freiheit glaubt. Sie ist nicht nur sehr naiv, sondern in ihren Entscheidungen auch recht wankelmütig, gibt zu schnell auf und muss dann durch eine harte Schule, bei der sie erwachsen wird. Hermann erweist sich als freundlicher und ehrlicher Mann, der alles für Sophie tun würde. Karsten ist regimetreu und denkt nur an seinen eigenen Vorteil, das Schicksal der anderen ist ihm egal. Aber auch Sophies Schwester nebst Ehemann sind aus einem harten Holz geschnitzt.
„Grenzgängerin aus Liebe“ ist eine spannende und gefühlvolle Geschichte anhand einer wahren Biografie, die nicht nur eine Zeitreise ins letzte Jahrhundert erlaubt, sondern auch das geteilte Deutschland gut von beiden Seiten aufgreift. Alle, die gern Schicksalsromane lesen, werden hier gut unterhalten. Verdiente Leseempfehlung!