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Veröffentlicht am 30.05.2020

Vom Suchen und Finden

Weinbergsommer
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Eigentlich mag Altenpflegerin Annika ihren Job im Seniorenheim, allerdings fehlte ihr etwas Abwechslung im täglichen Allerlei, an denen auch die Pokerrunden mit ihrem Pflegeschützling Herrmann, einem etwas ...

Eigentlich mag Altenpflegerin Annika ihren Job im Seniorenheim, allerdings fehlte ihr etwas Abwechslung im täglichen Allerlei, an denen auch die Pokerrunden mit ihrem Pflegeschützling Herrmann, einem etwas mürrischen Senior, nichts ändern können. Als Hermann erfährt, dass sein Leben aufgrund einer schweren Krankheit bald zuende gehen wird, möchte er noch einmal seine Tochter sehen, zu der er seit Jahrzehnten keinen Kontakt hat. Da er diese in Paris vermutet, ist Annikas Unterstützung gefragt, denn sie soll ihn begleiten und bei der Suche unterstützen. So entfernen sie sich unbemerkt und unerlaubt aus dem Seniorenheim und reisen Richtung Frankreich. Im elsässischen Ribeauville stranden sie in der von Olivier geführten Pension und versacken dort, freunden sich mit den Einheimischen an und genießen die französische Lebensart inmitten der Weinberge und vergessen fast den Grund ihrer eigentlichen Reise…
Johnna Frost hat mit „Weinbergsommer“ einen unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der zwar etwas realitätsfern ist, aber mit humorigen Einlagen und anrührenden Szenen überzeugen kann. Der Erzählstil ist flüssig-leicht, bildhaft und mit einigem Witz gespickt, so dass sich der Leser alsbald mit Annika und Hermann auf Reisen begibt, um mit ihnen einige Abenteuer zu erleben. Empathisch offenbart die Autorin dem Leser sowohl Annikas als auch Hermanns Sicht über das Leben im Seniorenheim. Die Situation ist für Pflegekräfte nicht einfach, allen Bewohnern die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Aber auch die Bewohner fühlen sich manchmal vernachlässigt oder behandelt wie kleine Kinder, die aufgrund ihres Alters eines vernünftigen Gedankens nicht mehr fähig sind. Die Reise nach Frankreich wird bildreich geschildert und lässt mit ihren ansässigen Köstlichkeiten dem Leser schon bald das Wasser im Mund zusammenlaufen, während er vor dem inneren Auge die Weinberge im Blick hat. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie das Zusammentreffen mit Zufallsbekanntschaften werden menschlich und überzeugend dargestellt. Die Autorin räumt in ihrer Handlung einer Vielzahl an Themen Raum ein, allerdings werden diese oftmals nur gestreift und nicht weiter ausgeführt, was der eigentlichen Geschichte aber nicht schadet.
Die Charaktere sind sympathisch und lebensecht gestrickt, wirken glaubwürdig und der Realität entsprungen, so dass der Leser sich gut mit ihnen identifizieren kann und sie gern begleitet. Annika ist eine junge Frau, die ihren eigenen Platz im Leben noch nicht gefunden hat. Sie stellt vieles in Frage, wünscht sich Veränderung, doch wie genau diese aussehen soll, davon hat sie noch keine genaue Vorstellung. Für sie ist Offenheit und Ehrlichkeit wichtig, Oberflächlichkeit ist ihr ein Gräuel. Sie ist spontan, hilfsbereit und verantwortungsbewusst. Hermann befindet sich in seinem Lebensabend, was allerdings nicht heißen soll, dass er nicht mehr selbständig denken kann. Er möchte noch einmal etwas erleben, möchte versuchen, Vergangenes zu bereinigen. Er wirkt recht kauzig und nörglerisch, doch eigentlich hat er das Herz am rechten Fleck. Aber auch Protagonisten wie Olivier spielen glaubwürdige Rollen in dieser Geschichte und geben ihr das gewisse Etwas.
„Weinbergsommer“ beschreibt eine ungewöhnliche Reise zweier völlig verschiedener Charaktere, die beide auf der Suche sind, nach sich selbst, nach einer vermissten Person, nach etwas Aufregung in ihrem Leben, um sich selbst wieder zu fühlen. Auch die Liebe kommt dabei nicht zu kurz. Rundum kurzweilig und gelungen. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.05.2020

"Dein ist mein ganzes Herz, Du bist mein Reim auf Schmerz." (H.R. Kunze)

Wo du nicht bist
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Ende der 1920er Jahre Berlin. Da ihre Eltern bereits verstorben sind, sind Irma Weckmüller und ihre jüngere Schwester Martha auf sich allein gestellt. Irma bestreitet sie als Verkäuferin im Kaufhaus des ...

Ende der 1920er Jahre Berlin. Da ihre Eltern bereits verstorben sind, sind Irma Weckmüller und ihre jüngere Schwester Martha auf sich allein gestellt. Irma bestreitet sie als Verkäuferin im Kaufhaus des Westens den Lebensunterhalt für sie beide. Dem jüdischen Arzt Erich Bragenheim begegnet Irma zum ersten Mal, als Martha ungewollt von ihrem Arbeitgeber schwanger wird und eine Abtreibung nicht mehr in Frage kommt. Zwischen Irma und Erich entspinnt sich nach und nach eine enge Liebesbeziehung, die die beiden mit einer Heirat krönen wollen. Doch dann wird das junge Glück durch die hässliche und zerstörerische Naziideologie jäh zerstört, denn eine Mischehe ist nicht erlaubt. Sie sind Anfeindungen ausgesetzt, sogar von Martha, die mit ihrem kleinen Sohn Max nichts anfangen kann und immer mehr Neid ihrer eigenen Schwester gegenüber entwickelt hat. Dann kommt der Tag, an dem Erich nach Theresienstadt deportiert wird und so die beiden Liebenden trennt, die sich nie wiedersehen werden. Nach Kriegsende versucht Irma alles in ihrer Macht stehende, um herauszufinden, was mit Erich passiert ist. Die Nachricht von seinem Tod hält sie nicht davon ab, ihn posthum noch heiraten zu wollen, dafür kämpft sie einen harten und einsamen Kampf….
Anke Gebert hat mit „Wo du nicht bist“ einen emotional bewegenden und zugleich erschütternden Roman vorgelegt, der auf tatsächlichen Begebenheiten aus dem Leben der Irma Weckmüller beruht. Mit HIlfe eines einnehmenden empathischen und gefühlvollen Erzählstils lässt die Autorin den Leser am Leben von Irma und ihrer Schwester teilhaben. Doch während man Irma begleitet und auch die sich anbahnende Liebesbeziehung zu Dr. Bragenheim miterlebt, verändert sich der politische Ton im Hintergrund und lässt schon bald die hässliche Fratze des Nationalsozialismus gesellschaftlich drastisch auf ihr Leben Einfluss nehmen. Die Autorin ruft mit ihrer bildhaften Sprache Bilder des zerstörten Berlins vor dem inneren Auge des Lesers hervor, aber auch die Greueltaten der Nazis sowie das unangemessene und verachtende Verhalten der Bevölkerung nach dem Krieg, die immer noch kein Schuldempfinden besitzt. Irmas Kampf für eine Ehe mit dem Mann, den sie liebte, auch wenn dieser bereits tot ist, wird beeindruckend geschildert und zeugt von einer großen tiefgehenden Liebe bis über den Tod hinaus. Die Steine, die ihr dabei in den Weg gelegt werden, versetzen dem Leser selbst bei der Lektüre einen Stich ins Herz. Die ausnehmend gute Recherche der Autorin über ihre Hauptprotagonistin zieht sich durch die gesamte Geschichte und macht diese zu etwas Besonderem, denn sie lässt Irma Weckmüller wieder lebendig werden.
Die Protagonisten sind mit sensibler Hand und viel Geschick in Szene gesetzt worden, lassen sie mit menschlichen Zügen lebendig und glaubhaft wirken, so dass der Leser die Möglichkeit hat, ihre Gefühls- und Gedankenwelt nachzuvollziehen und sich ihnen nahe zu fühlen. Irma ist eine bodenständige, starke und fleißige Frau mit Durchsetzungsvermögen. Sie verliert ihr Ziel nie aus den Augen und beweist eine Ausdauer, die man nur bewundernswert nennen kann. Erich ist ein ehrlicher, charmanter und vor allem hilfsbereiter Mann, der sich trotz Repressalien und Beschimpfungen seinen Patienten verschrieben hat. Martha ist eine egoistische Frau, die sich von der damaligen Ideologie einfangen lässt. Ihr Neid gegenüber ihrer älteren Schwester ist ungerecht und zeugt von Lieblosigkeit und Undank.
„Wo du nicht bist“ ist ein Zeitzeugnis über das Leben der Irma Weckmüller und eine Liebe, die keine Chance hatte. Gerade die zurückhaltende Erzählweise lässt den Blick auf die Umstände zu, gegen die Irma ankämpfen musste. Es geht hier nicht um eine gefühlsduselige Kriegsromanze, sondern um die reale Betrachtung einer Liebe über den Tod hinaus, die allen Widrigkeiten zum Trotz Bestand hatte. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 16.05.2020

Das Glück liegt an der Côte Vermeille

Die Frauen von der Purpurküste – Isabelles Geheimnis (Die Purpurküsten-Reihe 1)
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Vom Schicksal gebeutelt braucht Amélie dringend eine Luftveränderung und reist kurzentschlossen nach Collioure an der französischen Côte Vermeille, um dort ihre Großmutter Isabelle zu besuchen, die in ...

Vom Schicksal gebeutelt braucht Amélie dringend eine Luftveränderung und reist kurzentschlossen nach Collioure an der französischen Côte Vermeille, um dort ihre Großmutter Isabelle zu besuchen, die in einem Seniorenheim residiert. Das ehemalige Haus ihrer Oma muss sie sich dummerweise mit dem Journalisten Benjamin teilen, der sich dort eingemietet hat. So entschließt sie sich, die im Erdgeschoss des Hauses untergebrachte alte Baguetterie zu ihrem Refugium zu machen und sich dort mit Backen und Experimentieren abzulenken. Als sie Oma Isabelle einen Besuch abstattet, händigt diese ihr ein altes Tagebuch aus. Amélie ist von der Geschichte ihrer Großmutter bald so fasziniert, dass sie dieser verspricht, sich auf Spurensuche nach deren alter Liebe zu machen. Dabei bekommt sie von Mitbewohner Benjamin nicht nur tatkräftige Unterstützung, sondern dieser lässt auch ihr Herz verräterisch flattern. Aber ist Amélie schon wieder bereit, sich auf die Liebe einzulassen?
Silke Ziegler hat mit „Die Frauen von der Purpurküste-Isabelles Geheimnis“ einen unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der Gegenwart und Vergangenheit auf sehr schöne Weise miteinander verbindet. Der flüssige und emotionale Erzählstil lässt den Leser sofort in die Geschichte eintauchen. Er darf nicht nur eine Reise an die malerische Purpurküste Frankreichs antreten, sondern auch Amélie und Isabelle sowie deren Gedanken- und Gefühlswelt kennenlernen und ihnen dabei ganz nahe kommen. Mit wechselnden Perspektiven lässt die Autorin nicht nur die Gegenwart um Amélie miterleben, sondern per Tagebucheinträge auch in die Vergangenheit von Isabelle reisen, um deren Geschichte als junge Frau während des Krieges zu erfahren. Durch dieses gut gesetzte Handlungskonstrukt wird der Spannungslevel innerhalb der Geschichte immer weiter gesteigert und dem Leser die Möglichkeit gegeben, mitzufiebern und gemeinsam mit den Protagonisten alte Geheimnisse aufzuspüren. Zusätzlich bekommt man als Leser ein tolles Kopfkino aufgrund der schönen Landschaftsbeschreibungen, denn die wirken neben der interessant gestalteten Geschichte wie ein Kurzurlaub für die Seele.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit Leben versehen. Mit ihren individuellen Eigenschaften wirken sie glaubwürdig und authentisch, so dass der Leser sich sofort mit ihnen wohl fühlt und sie gerne während der Lektüre begleitet, um mit ihnen zu hoffen und zu fiebern. Amélie hat einen absoluten Tiefschlag erlitten, aus dem sie sich nur langsam und mühsam wieder an die Oberfläche hangelt. Sie wirkt zurückhaltend, freundlich und bestimmt. Vor allem aber ist sie sehr liebevoll im Umgang mit ihrer Großmutter. Isabelle ist eine liebe, warmherzige alte Dame, deren Erinnerung an die Vergangenheit sie nicht loslassen. Benjamin ist ein offener und ehrlicher Mann mit einer gesunden Neugier und einem Gespür für gute Geschichten. Zusätzliche Nebendarsteller untermalen die Geschichte und machen sie rundum gelungen.
„Die Frauen von der Purpurküste-Isabelles Geheimnis“ verbindet auf wunderbare und geschickte Weise nicht nur Gegenwart und Vergangenheit miteinander, sondern es werden auch alte Schicksalsschläge verarbeitet, Geheimnisse aufgedeckt und ein wundes Herz für ein neues Glück vorbereitet. Sehr schöne Lektüre mit verdienter Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 16.05.2020

Süße Träume verlängern das Leben

Kann Gelato Sünde sein?
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Torten sind die Spezialität der 60-jährigen Emilia Bäumle. Sie liebt das Backen und verwöhnt gern all ihre Lieben und Fremde dazu. Zu ihrem runden Geburtstag hat sie sich einen Besuch bei ihrer in Italien ...

Torten sind die Spezialität der 60-jährigen Emilia Bäumle. Sie liebt das Backen und verwöhnt gern all ihre Lieben und Fremde dazu. Zu ihrem runden Geburtstag hat sie sich einen Besuch bei ihrer in Italien studierenden Tochter Julia verordnet. Doch die studiert gar nicht mehr, sondern hat sich mit ihrem Verlobten Francesco in dem kleinen verschlafenen Nest Piccolo Leone in Kalabrien niedergelassen, um dort eine Öko-Tourismus-Bude zu eröffnen, in der Verzicht vor Genuss steht. Emilia hat allerdings ihren eigenen Kopf und eröffnet kurzerhand eine eigene Bäckerei, um die Bewohner mit ihren leckeren Gaumenfreuden zu gewinnen, während sie dem Bürgermeister aufgrund der sündigen Kalorienbomben ein Dorn im Auge ist, weiß doch schließlich jeder, dass Fettleibigkeit und zu viel Zucker den Tod früher herbeieilen lässt. Doch Emilia lässt sich davon nicht stoppen…
Tessa Hennig hat mit „Kann Gelato Sünde sein?“ wieder einmal einen unterhaltsamen sowie humorvollen Roman vorgelegt, dessen Lektüre für sehr kurzweilige Lesestunden sorgt. Der locker-leichte und mit viel Witz geprägte Erzählstil lässt den Leser schnell an Emilias Seite gleiten, um der rüstigen und umtriebigen Protagonistin bei ihren Unternehmungen über die Schulter zu schauen. Schon die Reise ins malerische Kalabrien prägt ein stimmungsvolles und farbenprächtiges Kopfkino gefolgt von den unsäglichen Köstlichkeiten, die Emilia in ihrer kleinen Bäckerei zaubert und einem den Mund wässerig macht. Die Idee, allen Einwohnern den Genuss zu verbieten, um ein möglichst hohes Lebensalter zu erreichen, ist einfallsreich, aber vom Gedanken her schon langweilig, denn wer möchte schon auf die Dinge verzichten, die das Leben erst lebenswert machen. Der Eifer des Bürgermeisters wird also schon allein dadurch torpediert, dass gerade die verbotenen Dinge am meisten Spaß machen. Das setzt die Autorin in ihrer Geschichte auch wunderbar in Szene, denn übermäßige Askese kann auch zum Tod führen. Da will man doch eher jeden Augenblick des Lebens unter südlicher Sonne mit allen Sinnen genießen, und genau dabei hilft Emilias Bäckerei auf jeden Fall.
Die Charaktere sind liebevoll und lebendig in Szene gesetzt, sie wirken glaubwürdig menschlich in ihrem Verhalten und lassen den Leser sich sofort in ihrer Mitte wohlfühlen. Emilia ist eine patente und selbstbewusste Frau, die sich nichts vormachen lässt und ihren eigenen Kopf hat. Sie sagt, was sie denkt und hat dabei das Herz auf dem rechten Fleck. Widerstand stachelt sie nur noch mehr an, ihr Ding durchzuziehen. Der holländische Bestatter Arturo ist ein Genießer und großer Fan von Emilias Künsten. Gaspare ist eine Spaßbremse und ein Kotzbrocken, der mit Gewalt und Strafen seinen Willen durchsetzen will. Emilias Tochter Julia ist zu verliebt, um zu bemerken, dass die mit ihrem Freund gemeinsam gefasste Idee von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Ebenso überzeugen die Bewohner des kalabrischen Dorfes, die sich zu gern von Emilia verführen lassen.
„Kann Gelato Sünde sein?“ überzeugt mit farbenfrohen Bildern, einer lustigen Story und der Tatsache, dass das Alter gar nicht so wichtig ist, wenn man seinen Träumen folgen und sie verwirklichen möchte. Gerade ein gesunder Kampfgeist mit einer ehrlichen und offenen Art können immer wieder sehr überzeugend sein. Eine schöne Italienreise mit Gaumenfreuden schenkt schöne Lesestunden, und dafür gibt es eine verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.05.2020

Die Magie der Erinnerungen

Die kleinen Geheimnisse des Herzens
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Mit ihren 110 Jahren ist May Rosevere geistig noch sehr rege, wenn es auch körperlich das eine oder andere Zipperlein gibt. Sie lebt im Cornwall’schen Dörfchen Pengelly und ihr erklärtes Ziel ist es, ihren ...

Mit ihren 110 Jahren ist May Rosevere geistig noch sehr rege, wenn es auch körperlich das eine oder andere Zipperlein gibt. Sie lebt im Cornwall’schen Dörfchen Pengelly und ihr erklärtes Ziel ist es, ihren 111. Geburtstag zu erleben. Das Geheimnis ihres hohen Alters ist die Verwertung von Erinnerungsstücken, die oftmals nicht einmal ihr selbst gehören. Als ihre jahrelange Erzfeindin und Nachbarin Julia von ihrer 33-jährigen Enkelin Emily Besuch bekommt, reift in May ein Plan, diese mit dem netten Witwer Andy aus der Nachbarschaft zu verkuppeln. Ganz uneigennützig ist die Sache allerdings nicht, denn May spekuliert auf den Inhalt alter Briefe, die Julias verstorbener Ehemann Don hinterlassen hat, um nicht nur ihre Lebenszeit zu verlängern, sondern vielleicht auch eine alte Schuld zu begleichen und einer neu gewonnenen Freundschaft eine Chance zu geben…
Celia Anderson hat mit „Die kleinen Geheimnisse des Herzens“ einen interessanten Debütroman vor der malerischen Kulisse Cornwalls vorgelegt, der nicht nur mit einem wunderschönen Setting, sondern auch mit einer außergewöhnlichen Idee zur eventuellen Lebensverlängerung zu unterhalten weiß. Der flüssige, bildhafte und einnehmende Schreibstil lässt den Leser schnell in der Geschichte versinken und in das Leben von May und den Bewohnern von Pengelly eintauchen, wobei auch die feinsinnig und farbenfroh geschilderten Beschreibungen von Cornwall ihr Übriges dazutun. Die besondere Stärke der Autorin liegt allerdings in der Darstellung ihrer Protagonisten. Mit wechselnden Perspektiven und tiefen Einblicken in Gedanken- und Gefühlswelten einzelner Personen verwächst der Leser schnell mit der Gemeinschaft und nimmt Anteil an unterschiedlichen Schicksalen. Auch die Idee des Leihoma-Projektes ist ein schöner Ansatz, den man vielleicht einmal selbst ausprobieren sollte, weil es die Menschen gerade in der heutigen Zeit näher zusammenrücken lässt und damit die Einsamkeit so mancher vertreibt. Das fiktive Mittel zur Lebensverlängerung, dessen sich May bedient, wäre zu schön, um wahr zu sein. Allerdings sind Mays Aktionen in dieser Hinsicht auch recht fragwürdig zu nennen, denn andere aus selbstsüchtigen Gründen um ihre Erinnerungen zu bringen, zeugt nicht gerade von Mitmenschlichkeit.
Die Charaktere sind sehr divers angelegt, besitzen Ecken und Kanten, die glaubwürdig in Szene gesetzt wurden. Der Leser ist hier eher unsichtbarer Beobachter, doch als Mitglied der Gemeinschaft, der seine Sympathien gleichmäßig verteilen kann. May ist eine eigenwillige alte Dame, die ihr Leben mit Hilfe von anderen verlängert ohne Rücksicht auf Verluste. Das mag recht egoistisch klingen, trotzdem bekommt May im Verlauf der Handlung Gewissensbisse, was ihr gut zu Gesicht steht. Julia hat den Tod ihres Mannes noch nicht verwunden und hängt an alten Erinnerungen, die ihr nach und nach entschwinden, was sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Andy ist ein sympathischer Mann, der sich als Witwer rührend um Tochter Tamsin kümmert. Emily ist eine freundliche und verantwortungsbewusste Frau, die Schwierigkeiten damit hat, für sich die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber auch so manch anderer Bewohner spielt innerhalb der Handlung eine wichtige Rolle.
„Die kleinen Geheimnisse des Herzens“ ist eine fesselnde Geschichte über alte Schuld, den unbändigen Lebenswillen, Geheimnisse, das Miteinander, die Liebe und neue Freundschaften. Schön miteinander verwoben ergeben sie einen unwiderstehlichen Mix, der den Leser von Anfang bis Ende in den Bann zieht. Verdiente Leseempfehlung!