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Veröffentlicht am 20.05.2024

Das Trauma geflüchteter Kinder großartig verarbeitet

Der Wind kennt meinen Namen
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Isabel Allende schreibt so großartig, wie sie immer großartig schreibt. In dem Buch „Der Wind kennt meinen Namen“ thematisiert sie die traumatischen Erlebnisse und deren Folgen, die geflüchtete Kinder ...

Isabel Allende schreibt so großartig, wie sie immer großartig schreibt. In dem Buch „Der Wind kennt meinen Namen“ thematisiert sie die traumatischen Erlebnisse und deren Folgen, die geflüchtete Kinder in sich tragen.

Da ist zum einen Samuel Adler, der als Sohn jüdischer Eltern mit einem Kindertransport von Österreich nach England verschickt wurde, um den Nazis zu entkommen. Seine Familie mütterlicherseits und seine Mutter sind in den Konzentrationslagern umgekommen. Er selbst blieb in England. Leticia Cordero flieht 1982 mit ihrem Vater in die USA, nachdem sie beide als einzige das Massaker in El Mozoto überlebt haben. Anita Díaz flieht 2019 zusammen mit ihrer Mutter vor Gewalt aus El Salvador in die USA und wird an der Grenze von ihrer Mutter getrennt. Im Roman finden diese Schicksale zusammen.

Es gelingt der Autorin ohne erhobenen Zeigefinger genau diesen in die Wunde zu legen. Schonungslos beschreibt sie und gelangt ohne moralische Quintessenz in mir als Leserin zu einem Mitgefühl. Wie Schicksale der Kinder heute wie damals in unserer Welt passieren, lässt sie stehen und wirken. Sie sind einfach in und um uns und jedes in seiner Zeit trägt typische Grausamkeiten, die ein Leben lang bleiben. Alle drei Kinderschicksale trafen auch auf Hoffnungen, auf Unterstützung und auf Hilfe, jedes auf seine Weise, stets jedoch in Form von Personen, welche die Aufmerksamkeit und die Liebe geben konnten, die die verletzte Kinderseele benötigt.

Sehr flüssig lässt sich das Buch lesen, wie man es von Allende kennt. Ich habe es in einem Ritt gelesen. Ein Buch, das einen zum Allende-Fan machen kann, wenn man nicht schon einer ist.

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Sommer schwemmt Familientreibgut an

Treibgut
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Adrienne Brodeur nimmt mich ganz in diese Familiengeschichte mit, die mitten unter den Reichen und Schönen von Cape Cod die Tragik einer gestörten Blutsgemeinschaft aufzeigt. Adam ist erfolgreicher Meeresbiologe, ...

Adrienne Brodeur nimmt mich ganz in diese Familiengeschichte mit, die mitten unter den Reichen und Schönen von Cape Cod die Tragik einer gestörten Blutsgemeinschaft aufzeigt. Adam ist erfolgreicher Meeresbiologe, Walforscher und Familienoberhaupt. Seine bipolare Störung war gut medikamentös eingestellt, bis er sie zugunsten einer möglichen neuen Forschungsentdeckung absetzte. Er geht auf seinen 70. Geburtstag zu, auf den sich der Roman zuspitzt. Adams Tochter Abby ist Künstlerin, baut Skulpturen aus Treibgut und ist heimlich schwanger. Ihr Bruder Ken, auf dem Weg ein erfolgreicher Politiker zu werden, zeigt sich ziemlich egozentrisch. Steph schleicht sich in die Familie im Bewusstsein, Adams Tochter aus einem kurzen, fernen Techtelmechtel zu sein. Was klingt wie der Beginn eines Groschenromanplots, ist jedoch die Basis für einen gut gemachten Familienroman.

Die Autorin arbeitet schriftstellerisch mit den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten: Adam, Abby, Ken und Steph. Weitere handelnde Personen sind gut eingearbeitet und plastisch, glaubhaft sowie aussagekräftig in die Story gewoben. Der Roman treibt wie Treibgut so dahin, kommt ohne reißerische Kliffs aus und ist doch spannend. Gezielt führen die perspektivierten Kapitel auf Adams 70. Geburtstag zu, an dem sich die Störungen und Verzerrungen, welche es in der Familie gibt, zu kumulieren scheinen und man als Lesender ein Feuerwerk erwarten kann. Durch den flüssigen Schreibstil sind die knapp 460 Seiten schnell gelesen.

Irgendwie gut zu wissen, dass selbst in den reichen und schönen Familien der Zahn nagt. Tolle Strandlektüre.

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Veröffentlicht am 02.04.2024

Bewegende Geschichte eines schicksalhaften Sommers

Der Sommer, in dem alles begann
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Dieses Buch ist vieles. Eine regionale Geschichte, ein Generationenroman, ein bisschen Coming of Age und Familiendrama. All dies ist in meinen Augen auf etwa 240 Seiten lesenswert vereint.

Hélène ist ...

Dieses Buch ist vieles. Eine regionale Geschichte, ein Generationenroman, ein bisschen Coming of Age und Familiendrama. All dies ist in meinen Augen auf etwa 240 Seiten lesenswert vereint.

Hélène ist die geförderte Schülerin von Marguerite, die auf der Suche nach ihrer Mutter in das Dorf Le Bois d‘en Haut in der Bretagne gekommen ist. Ihr Mann, ein berühmter Schriftsteller, eigen und anziehend. Jannick, Hélènes Freund, der bretonischen Herkunft bewusst und für sie einstehend, wird ebenso in die Geschichte verwickelt wie Hélènes Großmutter. Es entspinnt sich eine Story über Liebe, Anziehung, Verlust und bretonischen Stolz.

Claire Léost erzählt kurzweilig und prägnant, stellenweise sogar dicht. Das Buch ist nicht überladen mit Kitsch, kommt ohne Schnörkel aus und trifft beim Lesen ins Herz. Durch drei Zeitebenen entsteht ein Anspruch an die Lesenden. Auch wenn es beim Lesen Vermutungen gibt, wie die Ebene der Vergangenheit der 1940er Jahre und die von 2015 mit der Hauptebene zusammenhängt, sind die Präzisierungen auf jeder einzelnen Seite spannend und zum Teil unerwartet. Geschickt wird die Tragik transportiert, welche die Vergangenheit in die folgenden Zeiten pflanzt.

Ein Buch, das hält, was das verträumte Cover verspricht.

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Veröffentlicht am 29.03.2024

Was, wenn das möglich wäre?

Das andere Tal
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Voller plastischer Philosophie ist dieses Debüt des promovierten Philosophen Scott Alexander Howard. Er entsendet die Leserin und den Leser in eine Welt, in der Reisen in die Vergangenheit und Zukunft ...

Voller plastischer Philosophie ist dieses Debüt des promovierten Philosophen Scott Alexander Howard. Er entsendet die Leserin und den Leser in eine Welt, in der Reisen in die Vergangenheit und Zukunft möglich sind, jedoch nur unter strengen Auflagen. Wen würde man durch die Zeit reisen lassen und was würde das mit uns und unserer Welt machen?

Odile lebt in einem Tal. Die in Ost und West benachbarten Täler sind identisch, allerdings zeitversetzt um 20 Jahre in die Zukunft oder die Vergangenheit. Das Conceil entscheidet, ob jemand in das benachbarte Tal reisen darf. Als Odile Schülerin ist, träumt sie davon, im Conseil zu arbeiten. Sie bewirbt sich und durchläuft ein strenges Auswahlverfahren. Da kommt es zu einem Zwischenfall, der das Leben von Odile und ihrer Freunde verändert. Plötzlich wird das Reisen in ein anderes Tal für die Betroffenen relevant. Was könnte geschehen, wenn man Ereignisse in der Vergangenheit rückgängig macht und wie kann man verhindern, dass Menschen die Vergangenheit so beeinflussen, dass dies Auswirkungen auf das Heute hat?

Dieses fulminante Gedankenexperiment füllt die gut 450 Seiten mit einem fesselnden Plot und einer wunderschönen Sprache. Es zieht mich sofort in die Story und holt mich ab in diese Welt, in der die beschriebenen Menschen Du und ich sein könnten. Howard schreibt sehr realitätsnah, so dass dieses Geschichte fast wahrhaftig daher kommt. Er benutzt bildliche Mittel, die glaubwürdig sind und macht damit die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ ganz greifbar. Es scheint in diesem Buch so, als ob es wirklich so ist. Gestützt wird dies durch die plastische Darstellung der Protagonistin Odile, die beim Lesen das Gedankenexperiment fassbar macht.

Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen und freue mich auf das nächste Werk dieses jungen Autors.

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Veröffentlicht am 07.02.2024

Schlichter Mann - grandios erzählt

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
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Michael Tsokos schreibt mit seiner Frau Anja ganz anders, als man es von seinen Büchern über Rechtsmedizin kennt. Die beiden erzählen herzerwärmend einen Roadtrip eines einfachen, schlichten Mannes, der ...

Michael Tsokos schreibt mit seiner Frau Anja ganz anders, als man es von seinen Büchern über Rechtsmedizin kennt. Die beiden erzählen herzerwärmend einen Roadtrip eines einfachen, schlichten Mannes, der auf seine Weise doch grandios ist.

Heinz Labensky lebt im sogenannten Feierabendheim, als ihn ein Brief von Rosa erreicht, der Tochter seiner Jugendliebe Rita. Rosa vermutet, dass die in Berlin in einer Baugrube gefundene Leiche ihre Mutter Rita sein könnte. Labensky macht sich auf den Weg zu Rosa, setzt sich in den Flixbus nach Warnemünde und erzählt unterwegs allerlei aus seinem Leben, seine kauzigen Erinnerungen. Dabei zieht er durch die DDR-Geschichte, den Alltag in der DDR, wahre Begebenheiten fiktiv verknüpft wie den Volksaufstand von 1953, den Besuch von Willy Brandt und andere.

Die Darstellung des Heinz Labensky ist dem Ehepaar Tsokos ganz besonders großartig gelungen. Labensky ist ein beschränkter Geist, wird in jungen Jahren als unbeschulbar abgegolten, schlägt sich mit niederen Arbeiten durch und erlebt und bewegt dabei doch Großes. So töricht, so simpel und unbedarft Labensky ist, so wenig scharfsinnig seine Gedanken, so groß ist sein Herz und seine eigene Sicht auf die Welt.

Ich freue mich auf eine mögliche Verfilmung. Dann sehe ich Milan Peschel als Labensky.

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