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Veröffentlicht am 24.07.2022

„Ich glaube, ich glaube nicht an Gott“

Die Ewigkeit ist ein guter Ort
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Ein plötzlicher Anfall von Gottdemenz? Elke, die in der Trauerbegleitung eines Stifts arbeitet, fehlen die Worte, das Vaterunser, die Gebete. Alles, was mit Gott zu tun hat, ist ihr völlig aus dem Gedächtnis ...

Ein plötzlicher Anfall von Gottdemenz? Elke, die in der Trauerbegleitung eines Stifts arbeitet, fehlen die Worte, das Vaterunser, die Gebete. Alles, was mit Gott zu tun hat, ist ihr völlig aus dem Gedächtnis abhandengekommen. Was zu tragisch-komischen Momenten führt, wurzelt tiefer. Eine Pastorin ohne den Glauben an Gott? Elke verliert nicht nur in beruflicher Hinsicht den festen Boden unter ihren Füßen, sondern das Fundament ihres ganzen Lebens gerät ins Wanken. Schließlich hatte sie eine glückliche Kindheit im Pfarrhaus verbracht und der Vater setzt all seine Hoffnung in Elke, die ihn auf der Kanzel ablösen soll. Doch die hat völlig die Orientierung verloren, den anscheinend fest vorgegebenen Pfad verlassen und irrt nun haltlos durch ihr Leben, wobei sie eine Schneise der Verwüstung durch Beziehung, Freundschaften und bei ihren Mitmenschen schlägt, immer auf der Suche nach dem abhanden gekommenen Gott, für den sie nur Wut empfindet. Denn da ist noch ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit…

Der Roman von Tamar Noort hat mich sehr berührt. Elkes Suche, all ihre Zweifel und ihre Verlorenheit haben mich abgeholt und mitgenommen. Als selbst in der evangelischen Kirche engagierter Mensch habe ich mich ihr und ihrer Gedankenwelt tief verbunden gefühlt. Besonders die gelungenen Metaphern, Bibel- und Liedzitate verleihen der Geschichte nahezu gleichnisartigen Charakter, wie etwa die Episode mit dem Däumling oder das in Schieflage geratene Kirchgebäude mit dem wankenden Fundament. Wer hier jedoch theologische Ausführungen und Diskurse erwartet/befürchtet, dem sei gesagt: Dieser Roman wendet sich vor allem der zutiefst menschlichen Seite zu, dem Raum zwischen Himmel und Erde. Vor allem der Hauptperson Elke mit all ihren Zweifeln – an Gott, an ihren Beziehungen, an sich selbst, nicht zuletzt symbolhaft verdeutlicht durch das wunderschöne Cover. Das Buch strotzt geradezu vor außergewöhnlichen Ideen wie etwa dem Motodrom und der Steilwand. Selten konnte ich mich in einem Roman dermaßen in die Protagonistin hineinversetzen und habe auch die übrigen Figuren als unheimlich authentisch und vielschichtig empfunden.

Mich beeindruckte der ehrliche Umgang mit den Zweifeln. Und trotz allem schwingt große Hoffnung und Zukunftsperspektive mit. Dies alles in einer klaren Sprache, ohne mahnenden Zeigefinger, aber in seiner Schlichtheit und zugleich metaphorischen Wirkung bedeutsam. Für mich ein großer Lesegenuss.

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Veröffentlicht am 19.07.2022

Starke Frauenliteratur

Die Wunder
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Mit „Die Wunder“ hat uns ein großartiges Stück Literatur aus Spanien erreicht. Es ist ein Frauenroman, ein Buch über die Emanzipation und die Rechte der Frauen. Raffiniert in Aufbau und Erzählform breitet ...

Mit „Die Wunder“ hat uns ein großartiges Stück Literatur aus Spanien erreicht. Es ist ein Frauenroman, ein Buch über die Emanzipation und die Rechte der Frauen. Raffiniert in Aufbau und Erzählform breitet Elena Medel die Geschichte von María und ihrer Enkelin Alicia vor dem Leser aus. Zwei Frauen, getrennt durch Generationen, vereint in ihrer Perspektivlosigkeit. Das Schicksal hat dazu geführt, dass die beiden einander völlig unbekannt sind, dennoch sind sie in ihren Problemen vereint. Die Erzählung kreist um diese beiden Frauen, nähert sich ihnen in verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Richtungen an, und doch führt dieser Tanz unweigerlich zu einem gemeinsamen Punkt. Geschickt verwebt die Autorin die Geschichte der Frauen mit historischen Ereignissen in Spanien bzw. Madrid, das den Dreh- und Angelpunkt der Erzählung bildet. Die Sprache des Romans webt einen eigenwilligen Klangteppich für die Geschehnisse. Im Vordergrund stehen jedoch ganz allein die beiden Frauen. María, die ihre Familie wie eine Bleistiftzeichnung aus ihrem Leben ausradiert hat. Die hinter ihrem Partner unsichtbar ist, ehe sie schließlich ihre Stimme zu erheben wagt. Und da ist Alicia mit der tiefsitzenden Freude an der Demütigung. Die nicht schafft, ihren Partner gut zu behandeln. Was beiden Frauen gemeinsam ist, ist die These: Mit Geld wäre das Leben anders verlaufen. Immer wieder das Geld, mit dem der Stolz und die Freiheit der Frauen einhergehen.

Für mich ist dieser außergewöhnliche Roman im besten Sinne starke Frauenliteratur, ein spanisches Stück Zeitgeschichte und vor allem eine literarische Offenbarung.

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Veröffentlicht am 13.07.2022

Brandheiße Sommerlektüre

Im Feuer
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Ob es ein gutes Zeichen ist, wenn man die Gluthitze beim Lesen regelrecht spüren kann?

Es ist ein heißer Sommer in Schweden. Heißer und trockener als jemals zuvor, und so ist es kein Wunder, dass die ...

Ob es ein gutes Zeichen ist, wenn man die Gluthitze beim Lesen regelrecht spüren kann?

Es ist ein heißer Sommer in Schweden. Heißer und trockener als jemals zuvor, und so ist es kein Wunder, dass die Waldbrandgefahr auf höchster Alarmstufe ist. Die junge Ermittlerin Lilly Hed tritt in dieser Sommerhitze ihren Dienst in Nynäshamn an, und kurz darauf beginnt es dort tatsächlich zu brennen. Es gibt ein Opfer, und alles sieht wie ein tragisches Unglück aus. Feuerwehrmann Jesper beschleicht der Verdacht, dass dieser Brand nicht zufällig ausgebrochen sein könnte, und er zieht Lilly zu Rate. Prompt brennt es wieder, und obwohl erneut alles für einen Unfall spricht, flackert bei Lilly eine Ahnung auf, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte.

Mich hat dieser Krimi von der ersten Seite an gefesselt. Lilly Hed trägt als Ermittlerin ein belastendes Geheimnis mit sich herum, kann nur mit Schlaftabletten einschlafen. Im Gegensatz zu so manchen eigenwilligen männlichen und suchtmittelabhängigen Kommissaren um die 50, die üblicherweise skandinavische Krimis so gern bevölkern, ist Lilly zwar auch eine Figur mit Vergangenheit, versinkt aber nicht im melancholisch-medikamentösen Sumpf, sondern ermittelt mit Intelligenz und Gespür.
Faszinierend fand ich vor allem die Einblicke in die Brandbekämpfung. Die bedrohliche Lage in der ausgedörrten Landschaft war regelrecht greifbar. Immer wieder die Trockenheit, der Wassermangel und Hinweise auf die nicht zu leugnenden klimatischen Veränderungen verleihen der Story eine brisante und beängstigende Aktualität. Die Gluthitze des schwedischen Sommers wird beim Lesen regelrecht spürbar und man leidet förmlich mit.

Ein großartiger schwedischer Krimi mit einer sehr sympathischen Ermittlerin und einem fulminanten Ende. Ich werde auf jeden Fall auch den nächsten Teil dieser vielversprechenden Reihe lesen!

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Veröffentlicht am 04.07.2022

Mord im Eiskeller

Mord in Montagnola
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Das malerische Dorf Montagnola im Tessin bildet die Kulisse dieses schönen Krimis. Hierher kehrt die Übersetzerin Moira Rusconi zurück, um ihren Vater nach einem Schlaganfall zu pflegen. Wie sich herausstellt, ...

Das malerische Dorf Montagnola im Tessin bildet die Kulisse dieses schönen Krimis. Hierher kehrt die Übersetzerin Moira Rusconi zurück, um ihren Vater nach einem Schlaganfall zu pflegen. Wie sich herausstellt, ist Ambrogio Rusconi jedoch alles andere als bettlägerig, sondern genießt das schöne Leben und den köstlichen Grappa in der örtlichen Osteria. Für Moira ist die Reise eine Heimkehr in das Dorf ihrer Jugend, wo sie viele bekannte Gesichter trifft und auch eines, das ihr einmal besonders wichtig gewesen war, ihre Jugendliebe Luca. Der ist heute Gerichtsmediziner, und über ihn kommt sie als Übersetzerin zu einem ungewöhnlichen Einsatz, nämlich als Dolmetscherin an einem Tatort. Ein Mann aus Montagnola wurde in einer Nevera, einem Eiskeller, entsetzlich grausam zu Tode gequält. Unerwartet findet sich Moira als Mitglied des Ermittlungsteams und steckt plötzlich mitten in diesem rätselhaften Fall.

Der Krimi war originell und angenehm spannend, keineswegs vorhersehbar. Mir gefiel besonders das ausgewogene Verhältnis zwischen der Entwicklung des Falles einerseits und der dörflichen bzw. familiären Komponenten andererseits. Oft wird in solchen Destinationskrimis übertrieben versucht, Lokalkolorit zu erzeugen. Hier erscheinen die Schilderungen nie aufdringlich oder erzwungen, sondern es entfaltet sich eine schöne Kulisse. Geradezu erleichtert war ich, dass Moira sich nicht als aufdringliche Tessiner Miss Marple herausstellt, sondern zurückhaltend bleibt und aus dem Hintergrund Impulse gibt – die aber durchaus entscheidend sind! Mein absoluter Liebling war Moiras Vater Ambrogio, der in einer hinreißenden Mischung von Schlitzohrigkeit und Starrsinn beschrieben ist. Auch die anderen Dorfbewohner sind lebensnah geschildert und nicht übertrieben comicmäßig skurril, was ich wirklich angenehm fand.

Auch als Einzelband wäre es ein sehr schönes Buch gewesen; es wurde aber als Auftakt einer Reihe angekündigt, und die Geschichte bietet durchaus Potenzial für eine Fortsetzung.

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Veröffentlicht am 30.06.2022

Wenn zwei eine Reise tun

Kein Sommer ohne dich
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Ich mag dieses Buch so sehr. Vielleicht wegen Poppy. Oder wegen Alex. Oder wegen ihrer (und meiner) Reiselust.

Die aus einer Kleinstadt in Ohio stammende Poppy hat ihre „Wanderlust“ nach und nach sogar ...

Ich mag dieses Buch so sehr. Vielleicht wegen Poppy. Oder wegen Alex. Oder wegen ihrer (und meiner) Reiselust.

Die aus einer Kleinstadt in Ohio stammende Poppy hat ihre „Wanderlust“ nach und nach sogar zum Beruf gemacht. Zuerst führt sie einen Reiseblog, später reist und berichtet sie für ein Magazin. Jeden Sommer mit dabei: Alex Nilsen, ihr bester Freund, den sie im ersten Semester am College kennengelernt hat. Aber irgendetwas lief schief. Nach 2 Jahren völliger Funkstille brechen sie noch einmal gemeinsam auf zu einer Reise, um alles wieder geradezurücken, aber nichts läuft wie es soll: Brüllende Hitze, kaputte Klimaanlage, verpesteter Pool. In Zwischenkapiteln blicken wir nacheinander zurück auf die gemeinsamen Sommerreisen der letzten 12 Jahre. Immer Poppy und Alex, aber immer ein klein wenig anders. Doch je näher sich der Rückblick dem jetzigen Sommer nähert, desto klarer wird, dass nicht die Klimaanlage das eigentliche Problem ist. Es ist das Offensichtliche, aber gut Verdrängte. Und beide wissen, dass dies die letzte Chance ist.

Eigentlich ist es ein eher stilles Buch, ruhig und nicht reißerisch sensationell. Der wahre Zauber verbirgt sich in den Gesprächen, den Zwischentönen, den kleinen Begebenheiten und Begegnungen mit anderen Menschen auf ihren Reisen. Die Eigenheiten von Poppy und Alex, über die sie sich gegenseitig liebevoll lustig machen. Die Wortwitze zwischen ihnen, ihre kleinen Rollenspielchen, aber auch die kleinen Anspielungen und Gefühlsäußerungen, getarnt als Scherz, um die wahren Gefühle nicht zu offenbaren. An sich bin ich kein ausgesprochener Liebhaber von Friends-to-Lovers-Stories, aber diese hier hatte mich. Oder wie Poppy sagen würde: Diese Geschichte spricht zu mir!

Üblicherweise lese ich Bücher gerne in der englischen Originalsprache, aber hier fand ich die Übersetzung absolut gelungen und sie transportierte für mich das Gefühl des Originals. Auch der deutsche Titel trifft voll ins Schwarze!

Eine süße Sommer-Lovestory für alle vom Fernweh Gebeutelten!

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