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Veröffentlicht am 10.01.2017

RILEY - klein aber oho!

Riley - Das Mädchen im Licht -
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"Die meisten Menschen halten den Tod für das Ende.
Das Ende des Lebens - der guten Zeiten -, das Ende von, na ja, eigentlich fast allem.
Aber diese Leute liegen falsch.
Total falsch.
Und ich muss es wissen. ...

"Die meisten Menschen halten den Tod für das Ende.
Das Ende des Lebens - der guten Zeiten -, das Ende von, na ja, eigentlich fast allem.
Aber diese Leute liegen falsch.
Total falsch.
Und ich muss es wissen. Ich bin vor fast einem Jahr gestorben."

So beginnt die Bestseller-Autorin ALYSON NOËL ihre neue Serie RILEY nachdem sie mit EVERMORE bereits weltweit überragenden Erfolg erzielte und hohen Erwartungen gerecht werden muss.
Einer großen Schwäche der Autorin für die kleine Schwester der beliebten Ever, ist dieses Spin-Off zu verdanken. Kenntnisse über die Ursprungsserie sind jedoch keine Voraussetzung. DAS MÄDCHEN IM LICHT wiederholt relevante Ereignisse, schlägt im weiteren Verlauf allerdings eine eigene, losgelöste Richtung ein.

Ein grauenhafter Autounfall auf einem kurvenreichen Highway in Oregon reißt eine glückliche Familie jäh auseinander. Während die Eltern zusammen mit Buttercup, dem gelben Labrador, den direkten Weg über die Brücke einschlagen und die große Schwester Ever nach kurzem Zögern in die entgegen gesetzte Richtung verschwindet, verstreicht die Zeit. Riley Bloom ist unschlüssig, wem sie folgen soll und bleibt daraufhin im Hier und Jetzt stecken.

Geändert hat sich an der Umgebung eigentlich nichts. OK, die Häuser in der Nachbarschaft stehen leer und Riley hat irre neue Fähigkeiten. Lebendiger als je zuvor, kann sie schneller laufen, höher springen, Gegenstände und Orte mit reiner Vorstellungskraft manifestieren und sogar durch Wände gehen. Und es gibt ein Wiedersehen mit den lange zuvor verblichenen Großeltern. Aber ansonsten?
Mit wem soll sie die positiven Seiten ihres neuen Daseins genießen, während sie all ihre Freunde auf der Erdebene zurücklassen muss?

Dieses Problem könnte sich bald von selbst lösen. Der erste Schultag steht bevor!

Doch statt eines Neuanfangs konzentrieren sich Ablehnung und Hilflosigkeit in Anbetracht des verwirrenden Chaos', das Riley erwartet. Die neue, aufregende Welt bleibt Riley verschlossen. Sie hat Angst!

Die Zwölfjährige hängt sehr an der Vergangenheit, vermisst Schwester und Freunde. Das Hier und Jetzt zu akzeptieren, fällt ihr schwer. Sie spioniert unsichtbar auf der Erdebene herum. Immer wieder zieht es sie in die Kabine des Aussichtsraums, in der ihr der Blick auf Ever vergönnt ist.

Bevor sie jedoch den Rückzug antreten kann, erbarmt sich Bodhi ihrer und weist sie des Weges. Plötzlich findet sie sich vor einer Ratsversammlung wieder, die zusammentrat, um Rileys Zukunft zu bestimmen. Aurora, Claude, Royce, Samson und Celia erwarten eine Stellungnahme Rileys zu ihrem bisherigen Leben, ihren Entscheidungen und Taten. Ihre Sicht der Dinge ist maßgeblich für den Ort, an den sie gelangen soll.
Nachdem man ihr Leben auf einer Leinwand Revue passieren ließ, entscheidet der Rat auf Grund ihrer Geschichte und ihrer starken Bindung an die Erdebene, Riley als Seelenfängerin auszubilden und in spiritueller Form zusammen mit Buttercup zurückkehren zu lassen. Zwischen den Einsätzen sind ihr Besuche im Hier und Jetzt gestattet, wo ihre Familienmitglieder bereits ihre jeweiligen Bestimmungen erfüllen.
Orientierungslos fragt sich Riley, wie es nun weitergehen soll, als auch schon Bodhi wieder an ihrer Seite steht. Gleich, ob sie will oder nicht, muss sie ihn nun als Lehrer, Trainer und Boss respektieren und seinen Anweisungen entsprechend Folge leisten.

Zu Rileys erstem Auftrag in England führen gewohnte Transportmittel. Sie hätte sich gewünscht zu fliegen, doch alles zu seiner Zeit ...
Über den Radiant Boy von Warmington Castle kursieren zahlreiche Gerüchte. Nur eines ist sicher: Er spukt bereits seit Jahrhunderten und erschreckt die Menschen.
Riley fragt sich im ersten Moment, ob sie diesem Auftrag gewachsen ist. Doch dann ist sie plötzlich von einer Selbstsicherheit erfüllt, nicht ahnend, dass sich schon einige Seelenfänger an dem zehnjährigen Mysterium die Zähne ausbissen.

Dennoch, sie hatte mit Bodhi um einen Flug nach London gewettet! Und das nicht etwa mit dem Flugzeug ...

Erst einmal bekommt sie es allerdings mit Pennsylvanias internationalen Geisterjägern zu tun. Doch der Radiant Boy lässt nicht lange auf sich warten und versetzt die Anwesenden, einschließlich Riley, in Angst und Schrecken.

Kommt Riley hinter das Geheimnis seiner Macht und gelingt es ihr, ihn zur Brücke zu führen, oder behält er die Oberhand und vertreibt sie aus Warmington Castle, womit auch sie am Radiant Boy gescheitert wäre?

Vierundzwanzig Kapitel in erster Person Singular aus Sicht Riley Blooms erzählen, wie es mit dem jungen Mädchen nach der Tragödie weitergeht. Zeitlich knüpft die Handlung etwa ein Jahr nach ihrem Tod an.
Riley berichtet vom Sommerland, dem wunderschönen, schimmernden Feld mit zitternden Bäumen und pulsierenden Blumen, natürlich der Brücke und vom so genannten Hier, quasi dem Jenseits beziehungsweise der Daseinsform nach dem Tode, das sich nur bedingt von der Welt, wie sie sie kennt, unterscheidet.

ALYSON NOËL gewährt Einblicke in Rileys Psyche und verdeutlicht glaubhaft Unsicherheit, Hilflosigkeit und Verwirrung. Das Mädchen verhält sich allgemein, trotz des herben Verlusts, in vielen Momenten ihrem Alter angemessen. Wankelmütig lösen Perioden sorgenfreien Gelächters ernste Gedanken ab. In vielen Situationen trägt sie ihr Herz auf der Zunge. Sie schwärmt und lästert, ist offen und direkt, frech und frei. Allerdings handelt und spricht sie mitunter unüberlegt. Aber wer will es einer Zwölfjährigen verdenken? Im weiteren Verlauf der Geschichte durchläuft sie unverkennbar einen Reifeprozess.
Sowohl der Bezug zu Eltern und Großeltern als auch ihr Sehnen nach der großen Schwester sind nachvollziehbar. Dennoch findet sie ihren eigenen Weg, mit den Gegebenheiten umzugehen. Daran, dass es auch für Riley nach dem Tod neue Aufgaben zu erfüllen gilt, lässt die Autorin keinen Zweifel. ALYSON NOËL gesteht jedem im Hier seine Bestimmung zu.

Mit dem vierzehnjährigen Bodhi hat die Autorin einen weiteren wichtigen Charakter geschaffen. Er ist dem Knochenkrebs erlegen und verpasste sowohl eine Profikarriere als Skater als auch das bevorstehende Millennium. Bodhi macht einen sehr ernsten Eindruck. Riley betitelt ihn anfangs als Looser, was vor allem auf sein Styling zurückzuführen ist. Dass der Junge aber auch anders kann, erfährt man gegen Ende der Geschichte. Einen Hinweis, dass man nicht nur nach dem Äußeren urteilen sollte, hat sich ALYSON NOËL an dieser Stelle nicht nehmen lassen.

Interessant sind ebenfalls die Geister, die die Aufgaben als Seelenfänger begründen. Einige weigern sich kurzzeitig, die Erdebene zu verlassen, andere leisten wiederum Jahrhunderte massiven Widerstand. Ihre Beweggründe sind vielfältig. Ob amüsant oder ergreifend, die Autorin meistert die jeweilige Situation mühelos und vermittelt Humor sowie Tragik.

Insgesamt behandelt ALYSON NOËL die Themen Krankheit und Sterben recht seicht. Die Zielgruppe bedacht, absolut richtig. Dennoch ist die Geschichte nicht nur für Jugendliche lesenswert.
RILEY - DAS MÄDCHEN IM LICHT ist ein relativ dünnes Buch, dass durch einen flüssig zu lesenden Schreibstil und jungem, frischen Ausdruck viel zu schnell ausgelesen ist. Umso größer ist die Vorfreude auf die Fortsetzung in RILEY - IM SCHEIN DER FINSTERNIS.

Im Anschluss an Geschichte und Danksagung folgen zehn Fragen an die Autorin.
In ihren Antworten erhält der Leser zusätzliche Informationen über den Roman und zu ihrer Person.

Mit dem Cover der Klappenbroschur im etwas größeren Format ist dem Page & Turner Verlag ein wahres Highlight in frischer Farbgebung geglückt. Ein Erlebnis für die Sinne!
Bleibt zu hoffen, dass die vorwiegend jungen Leser genug Taschengeld erhalten, um den stolzen Preis finanzieren zu können.

FAZIT:

RILEY - klein aber oho! DAS MÄDCHEN IM LICHT weist schöne, verwirrende, lustige, spannende und auch traurige Momente auf, die ALYSON NOËL interessant und emotional in Szene setzt.
Man vergisst schnell, dass Riley Bloom ursprünglich nur eine Nebenrolle in der Welt EVERMORE innehatte. Mutig erkämpft sie sich ihren berechtigten Platz neben ihrer großen Schwester.

Veröffentlicht am 10.01.2017

Das Leben und andere Missgeschicke

Der Mann danach
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Cornelius hat eine gute Nase fürs Geschäft und sein Kumpel Jonas, Künstlername Johnny, ist sein bester Mann im Kader. Doch bei allem Lob, braucht der Achtunddreißigjährige hin und wieder einen Tritt zum ...

Cornelius hat eine gute Nase fürs Geschäft und sein Kumpel Jonas, Künstlername Johnny, ist sein bester Mann im Kader. Doch bei allem Lob, braucht der Achtunddreißigjährige hin und wieder einen Tritt zum Glücklichsein.
Während Cornelius und dessen Frau Marita ein eingespieltes Team bilden, lebt Jonas seit der Trennung von Lydia allein. Grund genug für Rudelmensch Cornelius, sich Sorgen zu machen. Völlig unnötig, wenn man Jonas fragt!
Bei Bedarf holt er sich eine Portion Familienidylle im Hinterhof des Chinesen ab, genießt das eine oder andere Schäferstündchen mit einer Kundin, hat sich ansonsten jedoch sehr gut mit seinem Singledasein arrangiert.

Jonas ist der Mann danach, zuständig für die Beseitigung diverser Überbleibsel gescheiterter Beziehungen. Mit seinen Renovierungsarbeiten verschafft er den verlassenen Frauen neue Freiräume. Sein spezielles Routine-Voodoo", Aufmerksamkeit und Verständnis vermitteln ihnen neuen Lebensmut.
Nur er selbst befindet sich ständig auf der Flucht vor der Vergangenheit. Erinnerungen an Lydia, ihre grünen Augen und gemeinsame Erlebnisse suchen ihn immer wieder heim.
Ablenkung bieten der Job, die Hinterhofmenagerie und neuerdings auch die älteste Tochter seines Chefs. Laura ist vierzehn Jahre jung und knüpft gerade erste Kontakte zum anderen Geschlecht. Kevin, ihr aktueller Freund, ist allerdings schnell passé. Jonas darf Trost spenden und hat sogleich eine geniale Idee, das junge Mädchen bei ihrer nächsten Party als Königin der Nacht in Szene zu setzen und Kevin eine Lektion zu erteilen. Die Generalprobe an der hiesigen Tankstelle verdirbt ihm allerdings einen netten Flirt mit einer interessanten Amazone. Diese zeigt sich beim Anblick des alternden James-Dean-Verschnitts zusammen mit einer minderjährigen Sexbombe im knallroten Jaguar wenig begeistert. Ein Missverständnis mit Folgen ...
Während der Abend für Laura als Erfolg auf ganzer Linie verbucht werden kann, übermannt Jonas Melancholie. Er hat den Glauben an die Liebe längst verloren, zu viele Baustellen zerbrochener Partnerschaften gesehen. So wie sein nächster Auftrag, bei dem er gleich drei gebrochenen Frauenherzen gegenübersteht.

In der Küche seiner Kundin macht ihn das Schicksal mit besagter Amazone namens Hella bekannt. Gegen ihre Vorurteile scheint kein Kraut gewachsen. Zu ihrer Tochter Maja findet er hingegen schnell einen Draht. Ehe er sichs versieht, hat sie sein Herz erobert und Hella rührt zudem eine Saite in ihm, die nach Lydia lange Zeit verstummt blieb.
Die Sinne des Künstlers sind wiedererweckt. Jonas errichtet sich ein neues Atelier.
Ein Konzert in der Krypta der St.-Michaelis-Kirche führt Hella und ihn schließlich zusammen. Zarte Klänge Mozarts und pure Leidenschaft Strawinskys zaubern einen unwiderruflichen Moment der Eintracht.
Eine gute Basis, um darauf aufzubauen. Und doch soll es anders kommen als erhofft.
Hella erteilt ihm wenige Tage später eine Abfuhr. Die Vergangenheit lebt auf.
Jonas ist und bleibt der Mann für den Übergang. Träume sind Schäume und das Leben ist eben doch kein Wunschkonzert. Oder gibt es noch Hoffnung für ihn? Die Dinge sind oftmals nicht so, wie sie zunächst scheinen ...

Handwerk nach Plan und dennoch kommt alles anders als gedacht! Welche Überraschungen das Leben bereithält, erfasst Jonathan alias Jo Kramer in seinem gelungenen Debüt DER MANN DANACH.
Ein Roman in Rosatönen, noch dazu mit Herzchen als beherrschendes Cover-Element, aus der Feder eines Mannes? Das könnte amüsant werden, denkt sich der geneigte Leser. Und in der Tat funktioniert diese Kombination ausgesprochen gut!

Zusammen fünfundzwanzig Kapitel, in drei Teile gegliedert, geben in erster Person Singular Einblicke in Liebe und Leid des sympathischen Handwerkers Jonas Bachmann.
Die Geschichte scheint direkt aus dem Alltag gegriffen. Ein Sommer, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint. Der Leser findet sich problemlos in der Kulisse zurecht und freundet sich schnell mit den Charakteren an. Ein unkomplizierter, forscher Schreibstil unterstützt eine flotte Lektüre.
Mit viel Feingefühl widmet sich der Autor Problemen und Zweifeln, sowie Gedanken und Emotionen der Hauptfigur und lässt daran teilhaben. Leicht philosophische Tendenzen regen zum Nachdenken an.
Um nicht in Schwermut abzutauchen, peppt Jo Kramer die Handlung mit fröhlichen Zusammenkünften, frechen Dialogen und allerlei lustigen Momenten auf.
Der Grat zwischen Freude und Leid ist schmal. Doch getreu des altbekannten Mottos Jeder ist seines Glückes Schmied", bestimmt Jonas Bachmann aktiv die Ereignisse. Für den Rest sorgen seine Freunde. Kleine Zwischenfälle bremsen ihn immer wieder aus, geben der Erzählung eine neue Richtung und sorgen für hauchfeine Spannung.
Am Ende kommt, was kommen muss ...

Der Autor beweist viel Einfühlungsvermögen und Geschick bei der Darstellung von Freundschaft, Familie und Zusammenhalt. Der Leser ist allzeit gut aufgehoben und beendet schließlich den Roman mit einem nachhaltigen Wohlgefühl.

DER MANN DANACH erscheint im Knaur Taschenbuch Verlag. Das Format liegt wunderbar leicht in der Hand. Die drei Teile des Romans werden jeweils mit einer kleinen Illustration, einem knappen Titel und einem Zitat aus einem bekannten Gedicht eingeläutet. Die Kapitel sind mit römischen Ziffern und einem Schlagwort gekennzeichnet. Papier, Satz und Druck sind tadellos.

Fazit

Jo Kramer bietet mit seinem Romandebüt eine unterhaltsame Mischung aus Humor, Melancholie, Schicksal und dem satten Leben.
DER MANN DANACH ist zweifelsohne ein rundum ansprechender Gegenwartsroman.
Frisch, frech und dank des eingängigen Schreibstils, sympathischer Charaktere und pfiffiger Ideen ein empfehlenswerter Lesespaß!

Veröffentlicht am 10.01.2017

Die zwei Seiten des Mondes

Janusmond
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Elf Jahre zuvor zieht Lune Bernberg ins südliche Frankreich. Sie fasst Fuß in Louisson, beginnt ein Studium an der Universität La Valuse - doch dann verliert sich ihre Spur.
An sich nicht verwunderlich, ...

Elf Jahre zuvor zieht Lune Bernberg ins südliche Frankreich. Sie fasst Fuß in Louisson, beginnt ein Studium an der Universität La Valuse - doch dann verliert sich ihre Spur.
An sich nicht verwunderlich, ist sie doch oft hin und wieder verschwunden, um wenig später aufzutauchen, als sei nichts gewesen. Dieses Mal gibt ihre Familie das Warten allerdings auf. Zehn Jahre sind eine lange Zeit! Lunes Zwillingsbruder Leon versucht, die bürokratischen Angelegenheiten mit der hiesigen Polizei zu klären. Ganz so einfach macht es ihm Inspektor Christian Mirambeau jedoch nicht. Ist es Zufall oder sein untrüglicher Instink, der um den Fall Bernberg mehr erahnen lässt, als lediglich die Ausstellung des offiziellen Dokuments?
Christian Mirambeau ist daran gelegen, dem traurig wirkenden Deutschen zu helfen. Er gelangt an Lunes zurückgelassene Habseligkeiten, stellt Nachforschungen an und gerät immer tiefer in den Sog der Vermissten. Wer ist Lune Bernberg? Eine junge Frau mit merkwürdigen Schrullen, die alles zählt, was zählbar ist, und ihre Umgebung stets in ausdrucksstarken Metaphern wahrnimmt. Freiheitsliebend, mutig, extrem … Und mit einer berauschenden Wirkung auf ihre Mitmenschen. So auch auf ihren Zwillingsbruder, einer Symbiose gleich. Lune hat allgemeinhin ein sensibles Gespür für Menschen, was ihren manipulativen Tendenzen zugutekommt. Eine ihrer machtvollen Stilmittel ist Schweigen. Eine Stille, an der manch einer zu zerbrechen droht. Südfrankreich ist für sie ein Abenteuer, unerkannt zeigt sie viele Gesichter und trägt ebenso viele Namen. Immer auf der Suche nach dem einen Menschen, der so ist wie sie, der sie vollends versteht.
Nicht nur Leon, auch Mirambeau folgt ihren Wegen, sucht diverse Plätze und Menschen der Vergangenheit auf. Er bietet dem Zwillingsbruder Unterkunft und Verpflegung im eigenen Heim und rollt Schritt für Schritt Lunes Geschichte auf. Zeitgleich ermittelt Kollege Uldis Melville in einem Mordfall und zieht Christian Mirambeau hinzu. Und siehe da, fügen sich plötzlich Puzzleteilchen ineinander und Abgründe der menschlichen Psyche tun sich auf …

Nicht nur Menschen in Lune Bernbergs unmittelbarer Nähe scheinen ihrem geheimnisvollen Wesen zu verfallen, auch die Leserschaft gerät in den Sog dieser atmosphärischen Geschichte. Zunächst meint man es mit einer Familientragödie zu tun zu haben, doch Autorin Mia Winter alias Stefanie Koch, bekannt durch Romane um Kommissar Lavalle, führt durch ein Dickicht aus Lügen, Intrigen und furchtbaren Verbrechen unmittelbar hinab in die verwirrenden, dunklen Gassen des Rotlichtmilieus. Erzählt wird in dritter Person Singular aus verschiedenen Perspektiven. Ereignisse der Gegenwart und Erinnerungen aus vergangenen Tagen werden durch Briefe der Vermissten ergänzt. Lange Zeit scheinen die wahren Hintergründe des Geschehens verborgen, was die Lektüre umso spannender gestaltet. Erst gegen Ende des Romans bestätigen sich diffuse Ahnungen durch geschickt gesetzte psychologische Kniffe. Die Auflösung des Falls scheint logisch, wenn auch nichts für zarte Gemüter.

Janusmond erscheint als Originalausgabe bei Lyx. Die Klappenbroschur weckt ebenso Aufmerksamkeit wie der düstere Inhalt. In schwarz/weiß mit wenigen, dafür ins Auge stechenden, roten Akzenten und allem voran dem schwarzen Schnitt, hebt sich der Titel deutlich von anderen Büchern ab. Einmal Neugier geweckt, machen Informationen zum Inhalt auf Buchrückseite und Innenklappe Lust auf mehr. Papier, Satz und Druck sind in gewohnter Qualität ohne Fehl und Tadel.

Fazit: Janusmond ist eine verstörende Geschichte um ein außergewöhnliches Zwillingspaar, allerlei widrige Umstände und fast schon so etwas wie psychologische Kriegsführung. Mia Winter betrachtet die dunkle und die helle Seite des Mondes, der Charaktere und des Schauplatzes Louisson. Eine spannende, geheimnisvolle, ebenso wie emotionale und gar abstoßende Lektüre, die man so schnell nicht vergisst.

Veröffentlicht am 09.10.2016

Zornig aufs Leben?

Großer Bruder Zorn
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Johannes Ehrmann, dem ein oder anderen Leser womöglich durch seine Beiträge für den Tagesspiegel bekannt, legt mit „Großer Bruder Zorn“ seinen ersten Roman vor. Schauplatz ist der Berliner Wedding, Brennpunkt ...

Johannes Ehrmann, dem ein oder anderen Leser womöglich durch seine Beiträge für den Tagesspiegel bekannt, legt mit „Großer Bruder Zorn“ seinen ersten Roman vor. Schauplatz ist der Berliner Wedding, Brennpunkt von Kulturen und sozialen Schichten, den der Autor aus eigener Erfahrung so gut wie seine Westentasche kennt. Genauer gesagt fokussiert sich die Handlung auf den fiktiven, aber dennoch echten Orten angelehnten, Bellermannplatz. Hier beobachten wir Aristoteles Andreadakis, Box-Promoter kurz vor der Privatinsolvenz, Sedar Schröder, gute Seele vom Spätkauf, Jessi, Angestellte im roten Netto, Heinz Hönow, Opfer eines Überfalls in seinem Schmuckgeschäft sowie last but not least den Flaschenfascho, auf seiner täglichen Tour durch seinen persönlichen Wahnsinn. Die Einblicke in verschiedene Leben sind zusammengefasst ähnlich einer Daily Soap, man schaut den Protagonisten bei allen möglichen Szenarien über die Schulter. Für die Figuren mag das alles gar nicht so witzig sein, für den Leser bedeutet es hingegen amüsanten Lesespaß! Der Einstieg in die Story geschieht in medias res. Johannes Ehrmann nimmt kein Blatt vor den Mund. Gerade die ungeschönte Ausdrucksweise wirkt schließlich lebensnah. Man findet schnell in die parallel laufenden Handlungsstränge hinein. Ob die Figuren nun stellvertretend alle Anwohner der Umgebung ausmachen, sei dahingestellt. Hier winkt schon in der Vorstellungsrunde das eine oder andere Klischee. Aber ehrlich gesagt, es stört nicht. Schon eingangs finden sich Hinweise, dass sich die Schicksale der Charaktere später in der Erzählung kreuzen und machen neugierig auf das große Ganze. Der Schreibstil ist natürlich kein Einheitsbrei, gerade das macht allerdings einen gewissen Reiz aus. Die Dialoge fügen sich nahtlos ein, sind trotz fehlender Anführungszeichen dennoch als solches erkennbar. Die relativ kurzen Kapitel, 86 an der Zahl, und Perspektivenwechsel springen im hohen Tempo durchs Geschehen, machen es dadurch aber auch irgendwie spannend. Langsam aber sicher gewinnen die Charaktere im weiteren Verlauf an Substanz und ihre Beziehungen werden deutlich. Selbst der Flaschenfascho bringt seine Vergangenheit ein und Verhalten und Denkweisen bekommen ihren Sinn. Der Leser kann hier und da spekulieren, sich Dinge zusammenreimen und erkennt Missverständnisse - das ist ein großer Pluspunkt des Buches! Man hat in der Tat das Gefühl, als kenne man diese Menschen, wenn auch nur vom Sehen oder Beobachten im Alltag. Es sind schon eine Menge Schicksale, die da Knall auf Fall aufeinandertreffen. Ein bisschen Normalität täte der Geschichte hier und da ganz gut. Aber vielleicht wird das Geschehen dadurch auch umso interessanter und vor allem unterhaltsamer. Die Story lebt gerade von diesen überspitzten Darstellungen. Nebenbei erwähnt seien aber auch recht feinfühlige Passagen. Ob im Buch nun Wedding dran steht oder nicht, es könnte genauso gut ein anderer Knotenpunkt diverser Kulturen und Bevölkerungsschichten sein. Das Ende ist in sehr vielen Belangen offen und bis dato dem Leser überlassen. Ein ungewöhnliches Debüt, ein Buch, das irritiert, schmunzeln lässt aber schlussendlich auch zum Nachdenken anregt.

  • Einzelne Kategorien
  • Anspruch
  • Charaktere
  • Originalität
  • Stil
  • Cover
Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Wahrheit zwischen Leben und Tod

vergissdeinnicht
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Als Grace beschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, schreibt sie keinen Abschiedsbrief. Sie nimmt ein Messer, besorgt sich Alkohol und geht gezielt in den Park. Die Siebzehnjährige hofft, dass nicht ...

Als Grace beschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, schreibt sie keinen Abschiedsbrief. Sie nimmt ein Messer, besorgt sich Alkohol und geht gezielt in den Park. Die Siebzehnjährige hofft, dass nicht ausgerechnet ein Kind ihre Leiche in dem Häuschen auf dem Klettergerüst findet, weicht jedoch nicht von ihrem Plan ab. Ein Schluck aus der Flasche. Ein Schnitt. Plötzlich ein Geräusch!

Ein Typ auf der Schaukel, schwingt so hoch er kann. Grace klettert aus dem Häuschen, torkelt zu ihm rüber und redet mit ihm. Sein Name ist Ethan. Eine Menge Fragen, ein Kuss, eine Fahrt in seinem Van …

Als Grace die Augen öffnet, befindet sie sich in einem Raum aus blütenreinem Weiß. Ein gemütliches Bett, ein eigenes Badezimmer, ein Tisch und ein Stuhl – alles weiß. Dazu drei Stapel unbeschriebenes Papier sowie siebenundvierzig Kugelschreiber. Das Fenster verbarrikadiert, die Tür verschlossen. Ihre Kleidung getauscht gegen ein Nachthemd, ihre Uhr weg. Die zugeteilten Mahlzeiten entsprechen immerhin ihrem Geschmack. Allem Anschein nach wurde Grace entführt. Wer ist Ethan? Was hat er vor? Ungewiss …

Grace beginnt zu schreiben. Sie hat sich schon immer gewünscht, Schriftstellerin zu werden und was kann sie in diesem Raum schon anderes tun. Grace schreibt über ihr Leben – Zigaretten, Alkohol, Jungs und selbstverletzendes Verhalten. Aber auch über ihre beste Freundin Sal Stewart, ihre große Liebe Nat Scott, ihre Mutter und ihren Vater.

Eine Geschichte über Freundschaft und Verrat, Liebe und Leid und die Folgen herben Verlusts.

„vergissdeinnicht“ ist Cat Clarkes erfolgreiches Romandebüt. In erster Person Singular lässt die Autorin ihre Leserschaft an dem bewegenden und berührenden Schicksal ihrer Hauptfigur Grace Carlyle teilhaben. Überraschend tiefgründig, mit eigentlich ganz einfachen stilistischen Mitteln, offenbart sich häppchenweise eine wahre Tragödie.
Glaubt der Leser eingangs noch, Zeuge einer bloßen Entführung zu sein, erwartet ihn doch tatsächlich ein intensives Spektakel der Emotionen. Der weiße Raum fasziniert, er schockiert und vor allem fördert er die Wahrheit zutage. Grace ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie hat allerhand auf dem Kerbholz. Doch das aus gutem Grund. Sal war lange Zeit ihr Ruhepol, die Gute, intelligent, vernünftig und geerdet. Doch dann verbirgt sie ein Geheimnis vor Grace. In Gegenwart von Nat fühlt sich Grace geborgen, mit sich selbst im Reinen und spürt zum ersten Mal die Kraft der Liebe. Ihre Mutter glänzt überwiegend durch Abwesenheit, ihr Vater ist tot. Die Zusammenhänge ergeben sich wie ein Puzzle. Über achtundzwanzig Tage erlebt der Leser den Wechsel zwischen Hier und Jetzt und Erinnerungen an die Vergangenheit. Gedanken, Gefühle und Taten wirken sehr authentisch, die Nähe zum Geschehen ist greifbar. Einmal mit der Lektüre begonnen, nimmt der Sog des Geschehens kein Ende. Schließt sich der Roman, wirkt er dennoch lange nach … Cat Clarke ist eine Autorin, die man sich merken sollte.

„vergissdeinnicht“ erscheint als Paperback bei Lübbe. Das Cover passt ausgezeichnet zum Romaninhalt. Mattes Weiß, über und über mit transparenter Schrift aus glänzendem Spotlack bedruckt. Ein unmittelbarer Bezug zur Geschichte. Vereinzelte Buchstaben, in Lila hervorgehoben, ergeben den Buchtitel. Im Inneren erleichtern Szenentrenner die Orientierung. Papier, Satz und Druck sind ohne Fehl und Tadel.

Fazit:

„vergissdeinnicht“ ist temporeiches Kopfkino, ein Feuerwerk an Emotionen und nachhaltig bewegend. Cat Clarke schreibt ungeheuer authentisch, spannend und vor allem tiefsinnig mit viel Feingefühl. Intensive Literatur um Schicksal, Wahrheit, Leben und Tod. Ein Highlight auf dem Büchermarkt!