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Veröffentlicht am 21.03.2023

Ausbruch aus einer düsteren Kindheit

Das Ende von Eddy
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Édouard Louis arbeitet sich in "Abschied von Eddy" an seiner eigenen Kindheitsgeschichte ab. Er ist in prekären Verhältnissen aufgewachsen und auch wenn es zwischendurch immer wieder kleine Lichtblicke ...

Édouard Louis arbeitet sich in "Abschied von Eddy" an seiner eigenen Kindheitsgeschichte ab. Er ist in prekären Verhältnissen aufgewachsen und auch wenn es zwischendurch immer wieder kleine Lichtblicke gibt, geht der Autor hart mit seiner Familie ins Gericht. In der Familie erlebt er keine Unterstützung, wenig Liebe und dafür Gewalt, Unverständnis und das zwanghafte Festhalten an Rollenbildern. Das ist auch beim Lesen teilweise schwer zu ertragen und es ist kaum zu glauben, dass die Handlung nach der Jahrtausendwende, also quasi heute, spielt. Der Nebenschauplatz, das Dorf, in dem die Familie wohnt, ist da in seiner abgehängten Trostlosigkeit nicht besser und natürlich auch der Nährboden für die Verhältnisse in Eddys/Édouards Familie.
Insgesamt ein sehr düsteres Buch, auch wenn am Horizont immer wieder die positive Zukunft erkennbar ist. Die extremen Unterschiede zwischen den sozialen Klassen – nicht nur ein französisches Problem – werden hier offengelegt und kritisiert. Ich fand es krass und berührend.

Am Ende blieb bei mir die Frage, wie Édouard Louis als Teenager den Ausbruch aus den von ihm beschriebenen hoffnungslosen Verhältnissen eigentlich genau geschafft hat. Diese Frage wird im weniger düsteren "Anleitung ein anderer zu werden" beantwortet!

Veröffentlicht am 15.02.2023

Von früher her

Sibir
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In "Sibir" verbindet Sabrina Janesch zwei Coming-of-Age-Geschichten: die von Leila und die ihres Vaters Josef. Josef wird als Kind nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie in die kasachische Steppe ...

In "Sibir" verbindet Sabrina Janesch zwei Coming-of-Age-Geschichten: die von Leila und die ihres Vaters Josef. Josef wird als Kind nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie in die kasachische Steppe verschleppt. Das Leben unter extremen Bedingungen, das Miteinander verschiedener Volksgruppen, eine gewisse kasachische Mystik - das war eine interessante Mischung und eine Lebensrealität, von der ich vorher noch nicht gelesen hatte und die ich sehr spannend fand. Josefs Tochter Leila wächst in Norddeutschland unter Russlanddeutschen auf. Auch dies eine Lebensrealität von der ich nichts weiß - geprägt von mehreren Kulturen, der Vergangenheit und der Suche nach Heimat. Interessant und anders bei diesem Coming-of-Age-Buch der ständige Bezug auf die Vergangenheit. Das Umfeld beider Kinder/Jugendlicher ist stets geprägt vom Blick zurück ihres Umfelds, während junge Menschen doch eigentlich nach vorne blicken. So müssen beide ihren Weg mit und abseits dieser Prägung finden. Während ich Leilas Geschichte irgendwann mehr als auserzählt fand, hätte ich gerne noch mehr von Josef und dem Dorf Nowa Karlowka gelesen - wie so oft bei Geschichten auf zwei Zeitebenen kann auch hier die Geschichte in neuerer Zeit nicht mit der älteren mithalten.
Insgesamt sind es zwei eher ruhige Geschichten mit einem überschaubaren Handlungsbogen. Es zählt eher die Atmosphäre und das hat Sabrina Janesch wieder einmal gut hinbekommen.

Veröffentlicht am 16.01.2023

Starke Frauen in Glasgow

Glasgow Girls
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In "Glasgow Girls" finden sich viele starke Frauen, die alle selbstbewusst ihren teils beschwerlichen Weg gehen. Im Mittelpunkt steht dabei die junge Olivia, die es mit Talent, Ausdauer und etwas Glück ...

In "Glasgow Girls" finden sich viele starke Frauen, die alle selbstbewusst ihren teils beschwerlichen Weg gehen. Im Mittelpunkt steht dabei die junge Olivia, die es mit Talent, Ausdauer und etwas Glück aus einfachen Verhältnissen bis in die Künstlerwelt Glasgows schafft. Diese ist Ende des 19. Jahrhunderts vom Jugendstil geprägt und hat die renommierte Glasgow School of Art hervor gebracht, an der neben Malerei auch alle möglichen anderen Kunstrichtungen unterrichtet werden, u.a. die Stickerei, der sich Olivia bevorzugt widmet. Über diese Künstlerwelt erfährt man im Roman von Susanne Goga auf leichte Art und Weise so einiges (Es lohnt aber zusätzlich auch, die Künstlerinnen zu googlen, um sich deren Werke anzusehen – eine Liste der realen Personen, die in diesem Roman vorkommen, findet sich am Ende des Buches). Auch das Leben in Glasgow wird lebendig beschrieben – von den Sorgen der weniger Privilegierten über Teesalons bis hin zu vegetarischen Restaurants ist das manchmal überraschend und immer bildhaft.
Die angenehm unkitschige Liebesgeschichte mit dem schönen, geheimnisvollen Gabriel drängt sich nie in den Vordergrund, wodurch der Fokus bis zum Schluss auf Olivia, den anderen Glasgow Girls und ihrer Kunst liegt.
Für mich eine gut lesbare, intelligente Unterhaltungslektüre.

Veröffentlicht am 26.10.2022

Ungewöhnliche Freundschaft

Alte Sorten
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In "Alte Sorten" stoßen die jugendliche Sally und die erwachsene Liss aufeinander. Beide sind Außenseiterinnen, ecken immer wieder an, sind keine reinen Sympathieträgerinnen. Beschrieben wird der Prozess, ...

In "Alte Sorten" stoßen die jugendliche Sally und die erwachsene Liss aufeinander. Beide sind Außenseiterinnen, ecken immer wieder an, sind keine reinen Sympathieträgerinnen. Beschrieben wird der Prozess, wie beide sich gegenseitig helfen wollen – und wiederum auch die Hilfe der jeweils anderen anzunehmen lernen.
Ich mochte diese Geschichte zweier Frauen unterschiedlicher Generationen, die beim genauen Augenmerk doch so einiges verbindet und ohne die viel Tamtam Freundinnen werden. Gefallen hat mir auch die spätsommerliche bis herbstliche ländliche Atmosphäre, die im Buch beschrieben wird, ohne dass es zu romantisch wird. Bei der Sprache bin ich über manche Sätze gestolpert, die für mich grammatikalisch ungewohnt formuliert waren – insgesamt aber gut lesbar.

Veröffentlicht am 26.10.2022

Polen 1980

Im Wasser sind wir schwerelos
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Tomasz Jedrowski beschreibt in seinem Debüt eine schwule Liebe in Polen 1980. So die Kurzfassung, aber das Buch bietet mehr als auf diesen ersten Blick erkennbar. Die Liebes- ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte ...

Tomasz Jedrowski beschreibt in seinem Debüt eine schwule Liebe in Polen 1980. So die Kurzfassung, aber das Buch bietet mehr als auf diesen ersten Blick erkennbar. Die Liebes- ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte und ist einfühlsam beschrieben. Noch beindruckender, und im Buch auch mehr Raum einnehmend als die Liebesgeschichte, fand ich aber das Bild, das der Autor vom Alltag in Warschau im Sommer und Herbst 1980 zeichnet. Für mich wurde die Lebensrealität in der Zeit vor der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981 lebendig in all ihrer Bedrückung, Ungerechtigkeit aber auch Alltäglichkeit.
Man merkt dem Buch an vielen Stellen an, dass es nicht zuvorderst für ein polnisches Publikum geschrieben wurde, was ja nicht automatisch schlecht sein muss. Vielleicht ist es in manchen Einzelheiten auch plakativ. Aber insgesamt trifft Tomasz Jedrowski meiner Einschätzung nach doch den Nerv und beschreibt Polen (bzw. Warschau) im Jahr 1980 sehr eindringlich.