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Veröffentlicht am 06.12.2018

Alles hat einmal ein Ende

Der achte Tag
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Hier ist er also nun, der Abschluss der Frieda Klein-Reihe des englischen Autorenpaares Nicci Gerrard und Sean French. Seit 2011 verfolgen wir das Katz-und Maus Spiel zwischen Frieda, der Londoner Psychotherapeutin, ...

Hier ist er also nun, der Abschluss der Frieda Klein-Reihe des englischen Autorenpaares Nicci Gerrard und Sean French. Seit 2011 verfolgen wir das Katz-und Maus Spiel zwischen Frieda, der Londoner Psychotherapeutin, und dem von ihr besessenen Psychopathen Dean Reeve. Er geht buchstäblich über Leichen, um an Frieda heranzukommen, und so ist es für jeden lebensgefährlich, sich bloß in ihrer Nähe aufzuhalten. So rücken immer wieder völlig Unbeteiligte in den Fokus des Killers, wie in diesem Fall Lola Hayes, die Studentin, die es sich nach dem Vorschlag ihres Dozenten in den Kopf gesetzt hat, ihre Seminararbeit über Frieda zu schreiben. Dazu muss sie aber mit ihr in Kontakt kommen. Gar nicht so einfach, den Frieda ist abgetaucht, um Reeves Nachstellungen zu entgehen. Aber dieser weiß schon, welche Knöpfe er drücken muss, um die Therapeutin aus ihrem Versteck zu locken, auch wenn dabei Menschen ihr Leben verlieren. Frieda ist die Einzige, die ihn stoppen kann, auch wenn sie dafür ihr eigenes Leben in den Ring werfen muss.

Wie bereits in den vorherigen Bänden der Reihe entwickelt sich die Handlung langsam und bedächtig. Verschiedene Handlungsstränge und eine Vielzahl von Personen, die, wie es scheint, auf den ersten Blick keinen Bezug zu den zugrunde liegenden Ereignissen haben, entwickeln sich allmählich zu einer komplexen Story. Und hier kommt die Qualität des Autorenpaars deutlich zum Vorschein, die dadurch, dass sie jeder Figur eine entsprechende Hintergrundgeschichte mit auf den Weg geben, für Stimmigkeit sorgen und dem Leser das Gefühl vermitteln, zu keinem Zeitpunkt den Überblick zu verlieren. Auch wenn man das Gefühl hat zu wissen, wohin die Geschichte führt, gibt es doch genügend Überraschungsmomente, die keine Langeweile aufkommen lassen.

Alles hat einmal ein Ende, und so gilt es, etwas wehmütig Abschied von einer spannenden Reihe zu nehmen, die mich über die Jahre begleitet hat. Wer Frieda noch nicht kennt, sollte das schleunigst nachholen. Aber bitte nicht mittendrin einsteigen, sondern mit “Blauer Montag”, dem ersten Band beginnen und sich dann chronologisch durch die Wochentage lesen. Spannende Unterhaltung ist garantiert!

Veröffentlicht am 30.11.2018

Mitten ins Herz

Joe
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Oxford, Mississippi scheint ein gutes Pflaster für Autoren zu sein, die sich mit dem Leben im Armenhaus der Vereinigten Staaten literarisch auseinandersetzen. Denn von dort kommen William Faulkner, Richard ...

Oxford, Mississippi scheint ein gutes Pflaster für Autoren zu sein, die sich mit dem Leben im Armenhaus der Vereinigten Staaten literarisch auseinandersetzen. Denn von dort kommen William Faulkner, Richard Ford, John Grisham und nicht zuletzt der geniale Tom Franklin, der hierzulande nach dem Erfolg seines Rural Noir „Krumme Type, krumme Type“ hoffentlich endlich die Aufmerksamkeit erhält, die ihm gebührt.

Und natürlich darf in dieser Aufzählung auch Larry Brown nicht vergessen werden, der schreibende Feuerwehrmann, der leider 2004 im Alter von 53 Jahren viel zu früh verstarb. In der Übersetzung war bisher nur „Fay“ (Original aus dem Jahr 2000) verfügbar, aber glücklicherweise scheint Heyne nun die Lücken zu füllen und hat mit „Joe“ (erstmals 1991 erschienen) nachgelegt.

Aber wer ist nun dieser Joe? Ex-Häftling, Spieler, Gelegenheitstrinker mit einer gescheiterten Ehe, Vorarbeiter einer schwarzen Crew, die unrentable Bäume töten, damit auf den entstandenen Freiflächen im darauffolgenden Jahr gutes Holz gepflanzt werden kann. Ein Mann mit Moral, der sein Leben in den Griff bekommen will. Für den fünfzehnjährigen Gary ist er ein Vorbild. Einer, der ihm einen Job gibt und eine Perspektive zeigt, um dem trostlosen Leben seiner Landstreicher-Familie zu entkommen und sich aus den Fängen seines nichtsnutzigen Vaters Wade zu befreien. Wade ist erbärmlich, ein heruntergekommener Säufer, der seine Frau schlägt, seinen Sohn bestiehlt und seine kleine Tochter für die nächste Flasche Schnaps an schmierige Typen verkauft (die älteste Tochter ist übrigens Fay, und sie ist die einzige, die aus eigenem Antrieb und ohne fremde Hilfe der Familie den Rücken kehrt und sich mutterseelenallein auf den Weg in ein neues Leben macht). Anfangs hält Joe sich aus diesen interfamiliären Problemen heraus, aber schließlich gibt es da den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, und es kommt zur finalen Konfrontation.

Die Schicksale von Larry Browns Figuren treffen den Leser mitten ins Herz, was mit Sicherheit auch dem schlichten, authentischen Stil geschuldet ist. Er beschönigt nichts, zaubert keinen Gutmenschen aus dem Hut, der den armen Jugendlichen adoptiert und ihm ein sorgenfreies Leben garantiert. Bei ihm kämpft jeder jeden Tag ums Überleben. Muss sich seinen Dämonen stellen und immer wieder aufs Neue entscheiden, welchen Weg er gehen will. Und manchmal müssen auch gute Menschen schlimme Dinge tun um diejenigen, die ihnen etwas bedeuten, zu beschützen, und ihnen so die Hoffnung auf ein besseres Leben zu geben und zu erhalten.

Veröffentlicht am 25.11.2018

Ausgezeichnete Wahl für Erstbesucher und "Wiederholungstäter"

Paris MM-City Reiseführer Michael Müller Verlag
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Wer eine Städtereise in die Metropole an der Seine plant, sollte im Vorfeld dafür unbedingt „Paris“ von Ralf Nestmeyer (kürzlich in der 11. aktualisierten Auflage erschienen) zur Hand nehmen, denn dieser ...

Wer eine Städtereise in die Metropole an der Seine plant, sollte im Vorfeld dafür unbedingt „Paris“ von Ralf Nestmeyer (kürzlich in der 11. aktualisierten Auflage erschienen) zur Hand nehmen, denn dieser Reiseführer bietet für jeden etwas. Hervorzuheben ist, dass sich Nestmeyer nicht nur auf die allgemein bekannten Sehenswürdigkeiten beschränkt, sondern auch die eher kleinen, oft auch skurrilen Highlights der Stadt vorstellt.

Die Aufteilung ist sehr gut gelungen: Anhand von dreizehn ausführlich beschriebenen Touren von der Ile de la Cité mittendrin bis nach Belleville im Osten begleitet der Autor den Besucher durch die verschiedenen Arrondissements und Quartiers, wobei er jeweils zuerst einen groben Überblick über die Besonderheiten (historisch, aber auch aktuell) der Viertel gibt. In der nachfolgenden Beschreibung des Spaziergangs stellt er dann detailliert die jeweiligen Sehenswürdigkeiten vor, abgerundet durch die Einsprengsel „Paris im Kasten“, die eher unbekannte Hintergrundinformationen zu besonderen Ereignissen/Gebieten/Personen liefern. Am Ende jedes Tour-Kapitels sind dann noch die praktischen Infos zu finden (Restaurants- und Einkaufstipps), und natürlich darf auch der doppelseitige Kartenauschnitt nicht fehlen sowie ein großer Stadtplan im Maßstab 1:20.000 und ein Métro-Plan. Unverzichtbar, wenn man auf eigene Faust unterwegs ist.

Ergänzend sind schließlich noch jede Menge Ausflugstipps ins Pariser Umland beschrieben, die alle problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Ob Disneyland oder Parc Astérix für die Kleinen, Vaux-le-Vicomte oder Versailles für die historisch Interessierten oder der Parc de la Villette mit der Cité des Science et de l’Industrie für die Techniks, hier findet jeder Besucher das, was ihn am meisten interessiert.

Für all diejenigen, die nicht nur flanieren sondern sich auch informieren wollen, hat Nestmeyer am Ende des Reiseführers nochmals auf ca. achtzig Seiten „Nachlesen & Nachschlagen“ (Geschichte, weiterführende Literaturtipps, Anreise, Unterkunft etc.) sowie „Kompakt – Auf einen Blick“ (alle Museen, alle Restaurants) alles Wissenswerte zusammengetragen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Reiseführer jede Menge Informationen bietet, nicht nur für Paris-Neulinge, sondern auch für die „Wiederholungstäter“, zu denen ich mich zähle. Und wer noch auf der Suche nach dem idealen Reisebegleiter ist, sollte hier unbedingt zugreifen!

Veröffentlicht am 22.11.2018

Deutsche Zeitgeschichte, anschaulich und historisch korrekt präsentiert

Eine Familie in Deutschland
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Nach „Unsere wunderbaren Jahre“, das zeitlich nach der Währungsreform angesiedelt ist, widmet sich Peter Prange in „Eine Familie in Deutschland: Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ einmal mehr einem Kapitel ...

Nach „Unsere wunderbaren Jahre“, das zeitlich nach der Währungsreform angesiedelt ist, widmet sich Peter Prange in „Eine Familie in Deutschland: Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ einmal mehr einem Kapitel der deutschen Geschichte. Als Rahmenhandlung dient ihm hierbei die Errichtung des Volkswagenwerks im Wolfsburger Umland. Und damit das Ganze nicht gar zu dokumentarisch gerät, legt er besonderes Augenmerk auf die Familie der Isings, deren Wohlstand sich auf die Produktion von Rübenzucker gründet.

Angelegt ist das Epos auf zwei Teile, wobei der vorliegende Band den Zeitraum zwischen der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs behandelt. Dabei immer im Fokus die vier erwachsenen Kinder der Isings (es gibt noch einen Nachzügler, Willy, der mit Trisomie 21 geboren wurde). Da ist Horst, der Älteste und strammer Nationalsozialist, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf die Erlangung eines Parteiamts gerichtet ist. Charly, die engagierte Kinderärztin, deren Beziehung zu einem jüdischen Architekten und der bedingungslosen Liebe zu ihrem kleinen Bruder sie folgenschwere Entscheidungen treffen lässt. Georg, der Ingenieur, ein Wendehals, der seinen besten Freund und Mentor dem beruflichen Erfolg opfert. Und schließlich Edda, die künstlerisch begabte, verstrickt in eine unheilvolle Beziehung mit einer Propagandistin des NS-Regimes.

Prange erzählt ihre Geschichten und persönlichen Dramen, wobei er dies immer wieder mit historischen Ereignissen, Institutionen und Personen der Zeitgeschichte verknüpft. Ob Professor Sauerbruch, Ferdinand Porsche oder Leni Reifenstahl, die Probleme bei der Realisierung des Volkswagens, die Verfolgung und Deportation der Juden, all das wird von dem Autor korrekt dargestellt und verleiht dieser Familiengeschichte eine Authentizität, die weit über das hinausgeht, was man üblicherweise von historischen Romanen, die diesen Zeitraum behandeln, gewohnt ist. Dabei kommen die Inhalte nicht langatmig und trocken belehrend daher, sondern fügen sich nahtlos in die (emotionalen) Schilderungen der persönlichen Schicksalsjahre der Protagonisten ein, die von Widerstand und Kapitulation, Mut und Liebe, aber auch von Verrat und Verzweiflung geprägt sind.

Deutsche Zeitgeschichte, anschaulich und historisch korrekt präsentiert, und wieder einmal ein großer Wurf, der Peter Prange mit diesem Roman gelungen ist. Und natürlich möchte man wissen, wie es für die Kinder der Isings weitergeht. Hoffentlich müssen wir nicht gar so lange auf Teil 2 warten.

Veröffentlicht am 21.11.2018

Von hinten durch die Brust ins Auge

Der Zorn der Einsiedlerin
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Jean-Baptiste Adamsberg ist anders. Anders, als man sich üblicherweise einen Commissaire der Brigade Criminelle vorstellt. Oft scheint es, als sei er abwesend, mit dem Kopf in den Wolken, aber dieser Eindruck ...

Jean-Baptiste Adamsberg ist anders. Anders, als man sich üblicherweise einen Commissaire der Brigade Criminelle vorstellt. Oft scheint es, als sei er abwesend, mit dem Kopf in den Wolken, aber dieser Eindruck täuscht. Mit seiner unkonventionellen Denkweise, seinen Ahnungen, führt er sein Team regelmäßig auf die richtige Spur und löst den Fall. Und auch dieses Team hat es wahrlich in sich: Danglard, Froissy, Retancourt, Veyrenc de Bilhc, um nur einige zu nennen – jede/r für sich ein Original mit einzigartigen Fähigkeiten, die für ihren Chef durchs Feuer gehen. Manchmal zwar nur widerstrebend, dann aber, wenn sie sich auf seine Denkweise einlassen und die Muster erkennen, mit umso mehr Elan und Sachkompetenz.

So auch in ihrem neuesten Fall, für den Adamsberg seinen isländischen Rückzugsort verlassen und zurück in die französische Metropole muss. Eine Frau wurde ermordet, der Täter muss aus dem unmittelbaren Umfeld kommen. Als Täter kommen nur zwei Menschen in Frage, entweder der Ehemann oder der Geliebte. Aber nicht dieser Fall fesselt das Interesse des verschrobenen Kommissars, sondern eine auffällige Häufung von Todesfällen im Süden Frankreichs, bei denen die Opfer durch Spinnenbisse ums Leben kommen. Wäre da nicht die Tatsache, dass das Gift einer einzelnen Einsiedlerspinne niemals ausreichen würde, um einen Menschen zu töten. Adamsberg verbeißt sich gegen den Widerstand seines Teams in den Fall, gräbt tief und tiefer, auch in seiner eigenen Vergangenheit und löst, wie könnte es anders sein, auch diesen Fall.

Wie bereits in den vorangegangenen elf Bänden der Adamsberg-Reihe beschränkt die die französische Autorin Fred Vargas (von Haus aus Historikerin und Archäozoologin) nicht auf das bloße Whodunit, sondern bietet ihren Lesern jede Menge Details zu Historie, Mythologie und in diesem speziellen Fall auch Zoologie. Dabei verliert sie aber nicht ihren scharfen Blick auf die gesellschaftliche Realität aus den Augen und thematisiert in „Der Zorn der Einsiedlerin“ die Ausgrenzung und Ächtung von Frauen, die sich den gängigen Vorstellungen widersetzen – nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. Man muss sich darauf einlassen können und wird dafür mit einem ganz besonderen Kriminalroman belohnt, dessen Kernaussage von hinten durch die Brust ins Auge trifft.

Volle Punktzahl und nachdrücklich zur Lektüre empfohlen!