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Veröffentlicht am 24.04.2022

Gefühlswirrwarr und Konfliktchaos

Liebesheirat
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Yasmin Ghorami, 26, Assistenzärztin in der Geriatrie, und ihr Verlobter, der 30jährige Arzt Joe Sangster, haben beschlossen zu heiraten - zuvor jedoch steht noch das Kennenlernen der beiden Familien an. ...

Yasmin Ghorami, 26, Assistenzärztin in der Geriatrie, und ihr Verlobter, der 30jährige Arzt Joe Sangster, haben beschlossen zu heiraten - zuvor jedoch steht noch das Kennenlernen der beiden Familien an. So treffen sich Yasmin mit ihren konservativen und prüden bengalischen Eltern zum Abendessen mit Joe und dessen moderner, alleinerziehender Mutter Harriet in deren Londoner Haus, um die Modalitäten der Hochzeit zu besprechen. Entgegen der Befürchtungen des Paares verstehen sich die beiden so unterschiedlichen Mütter auf Anhieb, was für alle Beteiligten noch ungeahnte Folgen haben wird …

Die britische Schriftstellerin Monica Ali wurde 1967 in Bangladesch geboren. Sie ist die Tochter eines bengalischen Vaters und einer englischen Mutter. Später zog ihre Familie nach England, wo sie in Oxford Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften studierte. Heute lebt Monica Ali mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. „Liebesheirat“ ist der fünfte Roman der Autorin, der in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Titel und Cover lassen einen humorvollen Liebesroman erwarten, doch dem ist nicht so. Zerlegt man den Titel in Liebe + Heirat, lassen sich bereits Gegensätze erkennen. Die Autorin verarbeitet hier das Aufeinandertreffen gänzlich verschiedener Kulturen, die doch so verschieden gar nicht sind. Alle Beteiligten haben ihr Traumata, machen Fehler, alle haben ihre Geheimnisse und alle schweigen lieber, anstatt sich auszusprechen. Sie versuchen sich zu verstehen, reden aber meist aneinander vorbei. So müssen sich auch Yasmin und Joe Gedanken über ihre Beziehung machen und ihr Verhältnis zu den Eltern neu ordnen.

Monica Ali hat einen Schreibstil, der sich leicht und ohne Mühe lesen lässt. Trotz einiger in meinen Augen unnötiger Längen, zu vielen medizinischen Fachbegriffen und unzähligen religiösen Floskeln bleibt eine gewisse Spannung durchgehend erhalten. Es geht in der Geschichte um sehr vielschichtige Probleme. Nicht nur das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen wird thematisiert, auch ganz alltägliche Themen wie Missstände in der Gesundheitspolitik, Personalmangel im Krankenhaus, Unterbezahlung, Rassismus und der Entscheid zum Brexit werden behandelt. Sehr interessant fand ich auch Joes Besuche bei einem Sexualtherapeuten, wobei gleich weitere Themen wie Fremdgehen und der Umgang mit Sexualität aufgegriffen werden.

Sehr vielschichtig sind auch die Charaktere der einzelnen Protagonisten, von denen nicht alle Sympathieträger sind. Besonders Yasmin konnte bei mir nicht punkten. Ich fand ihr Benehmen oft kindisch und einer 26Jährigen nicht angemessen. Sie neigte dazu, für alle ihre unbedachten Handlungen anderen die Schuld zuzusprechen und für ihre fortwährende Wut auf Freunde, Kollegen und Familienmitglieder nie die Fehler bei sich selbst zu suchen und einzugestehen. Alle Personen neigen zu überraschenden Sinneswandel, so dass insgesamt keine Langeweile aufkommt. Der Schluss war für mich, nach den gehäuft aufgetretenen Krisen und Problemen, doch etwas zu versöhnlich und auf heile Welt programmiert.

Fazit: Ein durchaus lesenswerter Roman mit vielen aktuellen Themen und überraschenden Wendungen.

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Illusionen verloren, Glück gefunden

Das Fundbüro der verlorenen Träume
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Vor zwölf Jahren studierte Dorothy (Dot) Watson noch in Paris und hatte große Träume – heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt London, wohin sie sich nach einem schweren Schicksalsschlag zurückgezogen ...

Vor zwölf Jahren studierte Dorothy (Dot) Watson noch in Paris und hatte große Träume – heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt London, wohin sie sich nach einem schweren Schicksalsschlag zurückgezogen hat. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt, hat keine Freunde und auch mit Mutter und Schwester kaum Kontakt. Zuflucht und Sicherheit findet sie nur in ihrer Arbeit im Fundbüro der Londoner Verkehrsbetriebe. Als eines Tages Mr. Appleby den Verlust einer Tasche samt einem Andenken an seine verstorbene Frau meldet, versucht Dot alles, um dem sympathischen alten Mann zu helfen. Doch dann muss ihre demente Mutter ins Pflegeheim, ihr Appartement soll verkauft werden und im Fundbüro regiert ein neuer Chef - zu viel auf einmal für die labile Frau, ihr bisher geordnetes Leben gerät aus der Bahn …

Helen Frances Paris, die Autorin des Buches „Das Fundbüro der verlorenen Träume“ ist künstlerische Leiterin des Londoner Theaters Curious. Ihre Theaterinszenierungen sind international ausgezeichnet und werden weltweit gezeigt. Fast zehn Jahre war sie Professorin für Theaterwissenschaften an der Stanford University in Kalifornien und lebt jetzt wieder in Großbritannien. Für ihre Lyrik erhielt sie den renommierten englischen Bridport Prize.

Neben dem schönen, zum Inhalt passenden Cover fällt schon gleich zu Anfang der angenehm feinfühlige und einprägsame Schreibstil auf. Der Autorin ist es gelungen, den verschiedenen Charakteren Leben einzuhauchen und ihr Umfeld äußerst plastisch zu wiederzugeben. Man ist sofort vertraut mit dem Ablauf im Fundbüro, wird von der Fülle der Fundstücke förmlich erschlagen, lernt dort die zentrale Person Dorothy kennen und wird hineingezogen in ihren Verlust, ihre Trauer und ihre Zerrissenheit. Nicht alle ihre Handlungsweisen sind nachvollziehbar, manches ist verworren und nebulös, dennoch empfand ich das Geschehen meist sehr realistisch. Es gelingt ihr, nicht nur den Menschen ihre verlorenen Gegenstände zurück zu geben, sondern auch ihren eigenen, verlorenen Lebensmut nach und nach wieder zu finden.

Fazit: Ein gefühlvoller Roman über Verlust, Trauer und Seelenpein – aber auch vom Wiederfinden und Sich-Selbst-Finden – mit einem überraschenden, versöhnlich stimmenden Schluss.

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Veröffentlicht am 02.04.2022

Visionen im Sucher der Kamera …

Das Flirren der Dinge
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Die bewegende Geschichte des einäugigen Waisenjungen Antonio Casagrande, der von dem Fotografen Alessandro Pavia ausgebildet wird. Als er bei seinem ersten eigenen Porträt durch die Linse blickt, geschieht ...

Die bewegende Geschichte des einäugigen Waisenjungen Antonio Casagrande, der von dem Fotografen Alessandro Pavia ausgebildet wird. Als er bei seinem ersten eigenen Porträt durch die Linse blickt, geschieht es zum ersten Mal – er hat Visionen, die Dinge beginnen zu flirren, er sieht in die Zukunft, er sieht den Tod …

Die Autorin Raffaella Romagnolo wurde 1971 in Casale Monferrato/Piemont geboren. Sie ist Lehrerin für Geschichte und Italienisch und schreibt seit 2007 auch Romane, für die sie bereits für den Premio Strega nominiert war. Heute lebt die sie in Rocca Grimalda im Piemont.

Nicht nur das Leben des Antonio Casagrande und das seiner Freunde und seiner Familie ist Thema dieses Buches, die Autorin gewährt dem Leser auch einen tiefen Einblick in das Leben und die Geschichte Italiens zur zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Kunst des Fotografierens ist erst am Anfang, die Schwierigkeiten und die Gefühle, die unser Protagonist dabei hat, werden eindringlich und detailliert beschrieben. Beeindruckend ist die Sprachintensität der Geschichte, jedoch wegen der Zeitsprünge und Perspektivwechsel nicht ganz einfach zu lesen. Es ist ein hohes Maß an Konzentration erforderlich, um dem Geschehen dieses ansonsten ausgezeichneten historischen Romans zu folgen. Deshalb von mir nur 4 von 5 *

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Veröffentlicht am 23.03.2022

Der Mensch sieht nur, was er auch sehen will

Das verschlossene Zimmer
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Krakau im Frühjahr 1939: Obwohl der nahende Einmarsch der Deutschen in Polen bereits zu spüren ist, geht das Leben seinen gewohnten Gang. Die 17jährige Marie Karski, die bei ihrem Vater Dominik aufgewachsen ...

Krakau im Frühjahr 1939: Obwohl der nahende Einmarsch der Deutschen in Polen bereits zu spüren ist, geht das Leben seinen gewohnten Gang. Die 17jährige Marie Karski, die bei ihrem Vater Dominik aufgewachsen ist, will endlich mehr über ihre Mutter erfahren, die vor 15 Jahren spurlos verschwunden ist. Ihr Vater, ein angesehener Arzt, liebt seine Tochter und opfert sich für sie auf, über ihre Mutter jedoch verweigert er jede Auskunft, selbst ihren Namen verschweigt er. Stattdessen drängt er Marie auf eine baldige Heirat, da er sie in diesen unruhigen Zeiten versorgt sehen will. Doch Marie in ihrer Naivität hat andere Pläne. Sie möchte Ärztin werden und als Ehemann kommt für sie nur einer infrage, ihr Jugendfreund Ben Rosen. Ben jedoch ist Jude und Marie Katholikin. Bald bekommt sie in ihrem Umfeld die Frauenfeindlichkeit bei der Berufswahl zu spüren – und auch der Hass auf Juden nimmt stetig zu …

Rachel Givney ist Schriftstellerin und Drehbuchautorin und hat schon an vielen beliebten australischen TV-Serien mitgewirkt, u. a. bei McLeods Töchter. Nach längeren Aufenthalten in den USA, Großbritannien und Deutschland lebt die gebürtige Australierin heute wieder in Sydney. Für Recherchen für „Das verschlossene Zimmer“ reiste sie mehrfach nach Polen.

Bereits der Anfang der Geschichte, als Marie ins Zimmer ihres Vaters einbricht und dabei eine seltsame Entdeckung macht, ist sehr spannend. Bald wird auch das Verhältnis der beiden zueinander klar – der Vater, der seiner Tochter sämtliche Arbeiten und Entscheidungen abnimmt und Marie, die zunächst heimlich gegen ihre Unselbständigkeit aufbegehrt. Das sollte sich bald ändern, als die junge Frau ihre eigenen, manchmal unverständlichen, Entscheidungen trifft. Durch Erinnerungen der Protagonisten erhalten wir Einblicke in deren Vergangenheit und können so ihre Verhaltensweisen besser verstehen. Sehr emotionale Szenen wechseln sich ab mit alltäglichen Begebenheiten und einige leichtsinnige, unüberlegte Handlungen lassen dem Leser den Atem stocken. Der Schreibstil ist flüssig und fesselnd, nicht übermäßig anspruchsvoll, aber dennoch ansprechend. Der Schluss ist wirklich überraschend, alles ist jetzt schlüssig und klar ist auch, warum sich Dominik nur so und nicht anders verhalten kann. Gerne hätte ich noch erfahren, ob und wie die Beteiligten die Kriegsjahre überstanden haben. Ist da vielleicht eine Fortsetzung geplant?

Fazit: Eine sehr emotionale und spannende Familiengeschichte, ein Buch, das ich trotz einiger Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 19.12.2021

Alles ist anders, nichts ist wie es scheint …

Das Therapiezimmer
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Psychotherapeut Sam Statler fühlt sich als Glückspilz. Er ist frisch verheiratet und mit seiner jungen Frau Annie von New York zurück in seinen Heimatort gezogen, um in der Nähe seiner dementen Mutter ...

Psychotherapeut Sam Statler fühlt sich als Glückspilz. Er ist frisch verheiratet und mit seiner jungen Frau Annie von New York zurück in seinen Heimatort gezogen, um in der Nähe seiner dementen Mutter zu sein. Sie fanden sofort ein hübsches Haus und Sam konnte sich seine neuen Praxisräume ganz nach seinen Wünschen einrichten. Die Praxis läuft gut und es sind hauptsächlich weibliche Klienten, die Sam ihre geheimsten Gedanken und Wünsche anvertrauen. Was aber keiner ahnt ist, dass man durch einen Luftschacht in den oberen Räumen diese Gespräche mithören kann. Es ist zwar nicht die feine Art, aber was tut man nicht alles aus Langeweile? Als eines Tages eine junge Französin Sam ihre Avancen macht, kann er nicht widerstehen und verabredet sich mit ihr. Es ist ein stürmischer Abend als er die Praxis verlässt - und nicht mehr gesehen wurde …

Die Autorin dieses Thrillers, Aimee Molloy, ist in den USA bereits als Sachbuchautorin sehr erfolgreich und stand mit ihrem ersten Thriller „Die Mutter“ monatelang auf der Bestsellerliste der New-York-Times. Sie ist verheiratet und lebt mit Mann und zwei Töchtern in West-Massachusetts.

„Das Therapiezimmer“ ist ein Psychothriller über Besessenheit, heimliche Begierde, Wahn und Trugbilder. Die Autorin spielt mit Vorurteilen und Denkweisen des Lesers und stellt diese gekonnt auf den Kopf. Zu Anfang passiert nicht viel und doch merkt man, bedingt durch den mitreißenden Schreibstil Molloys, die hintergründige Spannung, die mit Beginn des II. Teils an ihrem vorläufigen Höhepunkt angelangt ist. Jetzt endlich versteht man die Geschichte, die bis dato recht verworren wirkte. Mit Sams Verschwinden bekommt die Story eine ganz andere Richtung und auch der Blickwinkel ändert sich. Die Autorin hat es geschafft, den Leser in die Irre zu führen und auf eine falsche Fährte zu locken. Zwar sinkt die Dramatik zunächst etwas ab, doch durch weitere, geschickt eingebaute Kniffe bleibt sie dennoch bis zum Schluss erhalten.

Fazit: Ein unblutiger, spannender Psychothriller mit unvorhersehbaren Wendungen.

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