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Veröffentlicht am 10.04.2020

Wiedersehen nach vierzig Jahren

Die Frau auf der Treppe
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Er war sehr zufrieden mit sich. Seine Arbeit in Sidney war erledigt, der Unternehmenszusammenschluss war unter Dach und Fach, jetzt konnte sich der Rechtsanwalt und Seniorchef einer großen deutschen Kanzlei ...

Er war sehr zufrieden mit sich. Seine Arbeit in Sidney war erledigt, der Unternehmenszusammenschluss war unter Dach und Fach, jetzt konnte sich der Rechtsanwalt und Seniorchef einer großen deutschen Kanzlei vor seinem Rückflug in einigen Tagen der Kultur widmen. Abends wollte er in die Oper, doch zunächst besuchte er die Art Gallery. Und da hing es - das verschollene Bild des Malers Karl Schwind, das mittlerweile Millionen wert sein musste. Es zeigt Irene Gundlach, die Frau des Fabrikanten Gundlach, wie sie in Lebensgröße eine Treppe herunter steigt – nackt. Er war genau so verlegen wie damals vor 40 Jahren, als er in der Kanzlei die Auseinandersetzung zwischen Schwind und Gundlach klären sollte, von denen jeder Anspruch auf das Bild erhob. Seinerzeit schlug er sich auf die Seite von Irene, in die er sich sofort verliebt hatte, und half ihr, das Bild in ihren Besitz zu bringen. Doch dann waren Irene samt Bild verschwunden und bis jetzt nicht mehr aufgetaucht. Nun musste sie hier sein, hier in Australien. Er beginnt nachzuforschen – aber nicht nur er. Auch Schwind und Gundlach waren durch Zeitungsberichte auf die Leihgabe in der Art Gallery aufmerksam geworden und suchen Irene, um doch noch in den Besitz des Bildes zu gelangen …

Der Autor Bernhard Schlink wurde 1944 in Bielefeld geboren, wuchs in Heidelberg auf, studierte in Heidelberg und Berlin Jura, promovierte 1975 in Heidelberg zum Dr. jur. und habilitierte sich in Freiburg/Brsg. zum Professor für Öffentliches Recht. Er lehrte an den Universitäten in Bonn, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1987 bis 2006 Richter am Verfassungsgerichtshof. Seinen Erfolg als Schriftsteller hatte er ab 1987. Neben einigen Fachbüchern schrieb er zwölf Romane, für die er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. Heute lebt Schlink in New York und Berlin.

Zwei Figuren sind es, die diesen Roman dominieren. Da ist zunächst der Rechtsanwalt, der uns als namenloser Ich-Erzähler mit der Geschichte vertraut macht. Dabei schildert er das Geschehen mit einer sachlichen Nüchternheit, als hätte er keine Gefühle. Dass dem nicht so ist, zeigt sich zum Ende des Buches. Er macht eine starke Wandlung durch und entwickelt eine aufopfernde Fürsorge, wie er sie seiner verstorbenen Frau und seinen drei Kindern nie zeigen konnte. Auch Irene hat sich sehr verändert, wie man aus Rückblenden erfährt. Von der raffinierten Diebin und gesuchten Terroristin war sie die letzten Jahre sozial engagiert und in ihrer Umgebung als Wohltäterin beinahe verehrt. Nun ist sie sehr krank und hat nicht mehr lange zu leben. Zwischen den beiden entwickelt sich eine starke Verbundenheit und enge Vertrautheit. Gundlach und Schwind hingegen sind eher Statisten der Handlung, die nur darauf aus sind, Irene zu manipulieren und in den Besitz des Bildes zu kommen.

Ein großes Lob gebührt dem Autor, der es großartig versteht, die einzelnen Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen zu beschreiben, auch wenn sie dadurch nicht unbedingt sympathisch wirken. Der Schreibstil ist klar, präzise und schnörkellos, die Handlung gut durchdacht und nachvollziehbar. Eine leise Geschichte, die sich gut lesen lässt und hin und wieder sehr berührt und nachdenklich stimmt.

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Veröffentlicht am 07.04.2020

Zweifelhafte Sicherheit

Die Dunkelheit zwischen den Sternen
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Verkauft von den eigenen Eltern zur Prostitution oder als Arbeitssklaven - die 15 Kinder im Recovery Home in Kathmandu haben viele seelische und körperliche Qualen erlitten, bevor sie fliehen konnten und ...

Verkauft von den eigenen Eltern zur Prostitution oder als Arbeitssklaven - die 15 Kinder im Recovery Home in Kathmandu haben viele seelische und körperliche Qualen erlitten, bevor sie fliehen konnten und hier aufgenommen wurden. Achanda (15), Shakti (14) und Tarun (10) sind drei von ihnen, die uns über ihr Schicksal, ihre Gefühle, Ängste und Nöte und über ihre geheimen Träume berichten. Auch hier in ihrem neuen Zuhause fühlen sie sich nicht sicher, denn es ist ihnen bewusst, dass sich ihr Schicksal jederzeit wieder wenden kann. Untereinander herrscht Misstrauen und Eifersucht auf die Gunst der „Brothers“ und „Sisters“, Helfer aus dem fernen Europa wo es allen gut geht und wohin diese auch bald wieder zurückkehren werden. Wir begleiten die Kinder neun Tage lang - bis zum großen Erdbeben im April 2015 …

Der Autor Benjamin Lebert wurde 1982 in Freiburg/Br. geboren. Bereits im Alter von 16 Jahren schrieb er seinen ersten Roman, „Crazy“, der in 33 Sprachen übersetzt wurde, bis 2014 bereits eine Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren erreichte und im Jahr 2000 fürs Kino verfilmt wurde. Seither gilt Lebert als Wunderkind der deutschen Literatur. „Die Dunkelheit zwischen den Sternen“ ist sein 7. Roman. Er basiert auf den Erfahrungen seines Aufenthaltes in Nepal, wo er eine Zeitlang für eine Hilfsorganisation in einem Kinderheim tätig war. Heute lebt der Autor in Hamburg.

Der Roman setzt sich mit Kinderschicksalen auseinander, wie sie leider heute beinahe in allen Ländern unseres Planeten vorkommen. Der Autor lässt dabei abwechselnd die drei Protagonisten aus ihrer persönlichen Sicht berichten und lässt sie über ihre Wünsche und Sehnsüchte erzählen. Achanda spart auf ein Motorrad, mit dem er mit Shakti in ein besseres Leben wegfahren möchte. Um sein Ziel zu erreichen, muss er des Öfteren vom geraden Pfad der Tugend abweichen. Shakti hingegen hat sich heimlich in den Brother verliebt, der so schön und so sauber und so ganz anders als Achanda ist. Der kleine Tarun schließlich kann sich nicht anpassen, ist aufbrausend und leicht erregbar. Er phantasiert vom großen Feuer, das die Erde verbrennt und fühlt sich als Retter eines Mädchens von dem er vermutet, dass sie im Haus einer reichen Lady eingesperrt ist. Der Schreibstil ist dabei ganz gut der kindlichen Phantasie angepasst und eine gewisse Spannung entsteht dadurch, dass die einzelnen Kapitel jeweils mit der Zahl der Tage überschrieben sind, die noch bis zur großen Katastrophe bleiben.

Fazit: Eine düstere, bedrückende Geschichte die zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 23.03.2020

Mörderische Jagd …

Die Entscheidung
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Simon war schon immer ein hilfsbereiter und gutmütiger Mensch. Er ist geschieden und hatte nun geplant, Weihnachten mit seinen beiden Kindern zu verbringen. Doch diese sagten ihm kurzfristig ab, sie möchten ...

Simon war schon immer ein hilfsbereiter und gutmütiger Mensch. Er ist geschieden und hatte nun geplant, Weihnachten mit seinen beiden Kindern zu verbringen. Doch diese sagten ihm kurzfristig ab, sie möchten lieber bei ihrer Mutter bleiben. Mit seiner Freundin hat er sich zuvor auch zerstritten, und so sitzt er nun alleine im geräumigen Ferienhaus seines Vaters in Südfrankreich und bemitleidet sich selbst. Bei einem Strandspaziergang trifft er auf eine verwahrloste, völlig verängstigte junge Frau, die behauptet verfolgt zu werden. Simon hat Mitleid mit Nathalie, so ist ihr Name, und bietet ihr seine Hilfe an. Noch ahnt er nicht, dass er sich durch diese Entscheidung in Lebensgefahr begibt und beide gnadenlos gejagt werden, ohne zu wissen von wem und warum …
Zur selben Zeit werden in Bulgarien ahnungslosen jungen Mädchen Versprechungen auf eine Karriere im Westen als Models gemacht. Sie werden abgeholt und verschwinden spurlos – bis auf eine, Selina. Sie konnte den skrupellosen Menschenhändlern entkommen und ist jetzt auf der Flucht …

Charlotte Link, geb. 1963 in Frankfurt/Main, ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Sie studierte zunächst sechs Semester Jura in Frankfurt, bevor sie 1986 nach München zu den Fächern Geschichte und Literaturwissenschaft wechselte. Sie schrieb zahlreiche Romane mit psychologischem Hintergrund, die zum Teil vom ZDF verfilmt wurden, wurde 2004 für den Deutschen Bücherpreis nominiert und erhielt 2007 für ihr literarisches Werk die Goldene Feder. Zurzeit lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in Wiesbaden.

„Die Entscheidung“ ist ein spannender Kriminalroman, der sich mit dem brisanten und immer aktuellen Thema Menschenhandel befasst. Der Plot ist auf zwei Handlungssträngen aufgebaut, die sich ergänzen und am Schluss eine Einheit bilden. Der Schreibstil ist sehr ansprechend, flüssig und gut lesbar. Einige Längen, bedingt durch die beinahe 600 Seiten, kann man getrost vernachlässigen – die Geschichte behält trotzdem ihre Spannung. Die Personen sind mit all ihren Stärken und Schwächen sehr liebevoll herausgearbeitet, mit einigen Einschränkungen natürlich nicht immer sympathisch, jedoch stets authentisch und der Handlungsablauf bestens durchdacht und ausgezeichnet gelöst.

Fazit: Ein empfehlenswerter Krimi, bewegend, mitreißend und mit intelligent durchdachter Handlung.

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Veröffentlicht am 13.02.2020

Neue Heimat Island

Frauen, Fische, Fjorde
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Der isländische Bauernverband erließ 1949 in Lübeck einen Aufruf, in welchem sie Hilfskräfte suchten die bereit waren, auf abgelegenen Höfen in Island zu arbeiten. Es meldeten sich mehrere Hundert Frauen ...

Der isländische Bauernverband erließ 1949 in Lübeck einen Aufruf, in welchem sie Hilfskräfte suchten die bereit waren, auf abgelegenen Höfen in Island zu arbeiten. Es meldeten sich mehrere Hundert Frauen und einige Männer, die im Nachkriegsdeutschland keine Perspektive mehr sahen und die sich zunächst für ein Jahr verpflichteten. So begaben sich am 5. Juni 1949 zunächst 120 durch Krieg und Flucht traumatisierte junge Frauen und 79 Männer an Bord der Esja, um in Island ein neues Leben zu beginnen. Viele gingen nach einem Jahr zurück, aber erstaunlich viele blieben auch. Sie fanden dort die ersehnte Ruhe und den Frieden, heirateten Isländer und gründeten Familien.

Die deutsche Buchautorin, Radio- und TV-Journalistin Anne Siegel schrieb bereits einige Sachbücher, bevor sie sich in „Frauen, Fische, Fjorde“ mit diesen Einwanderinnen beschäftigte. Es gelang ihr, acht dieser Frauen und einen Mann, die nahe am Polarkreis eine neue Heimat und menschliche Wärme gefunden hatten, zu interviewen und über ihr Schicksal während des Krieges in Deutschland und über ihr Leben in Island zu berichten. Erstaunlich dabei ist, mit welcher Selbstverständnis und Herzlichkeit die Isländer die Frauen und Männer aufnahmen, die in unserem Land damals nur unerwünschte Flüchtlinge waren, und welche Bedeutung dies für die Gegenwart hat.

Fazit: Ein Sachbuch, kein Roman, aber dennoch sehr berührend und voller Spannung, da die Schilderungen und Erlebnisse der erzählenden Personen auf Tatsachen beruhen.

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Veröffentlicht am 07.02.2020

Vorsatz oder Notwehr?

Kalte Wut
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Im September 1949 wird im Keller eines Trümmerhauses in Wuppertal-Barmen der Torso einer männlichen Leiche entdeckt, Kopf, Arme und Beine waren abgetrennt und fehlten. Eine fieberhafte Suche nach den restlichen ...

Im September 1949 wird im Keller eines Trümmerhauses in Wuppertal-Barmen der Torso einer männlichen Leiche entdeckt, Kopf, Arme und Beine waren abgetrennt und fehlten. Eine fieberhafte Suche nach den restlichen Leichenteilen beginnt, und bald kann die Polizei einen ersten Erfolg vermelden. Bei Inspektor Faust meldet sich eine Frau Ellen Rinsche aus Gevelsberg, die ihren Mann als vermisst meldet. Seine Nachforschungen bei Nachbarn ergeben, dass der Mann schon einige Tage nicht mehr gesehen wurde und die Ehe der beiden sehr zerrüttet gewesen sein soll. Josef Rinsche wäre ein Tyrann, seine Frau wäre oft mit Platzwunden und blauen Flecken übersät gewesen. Bei einem Besuch in der Wohnung der Rinsches findet die Polizei Blutspuren und Ellen Rinsche, die immer elegant gekleidete Frau aus gutbürgerlichem Hause und Mutter eines kleinen Jungen, gesteht die unfassbare Tat, ihren Mann erschlagen, zerstückelt und beiseite geschafft zu haben – aus Notwehr, wie sie behauptet …

Der Autor Volker Mauersberger ist Journalist und begann seine Karriere in den 50ern bei der Lokalzeitung Gevelsberg. Danach war er zwölf Jahre als ARD-Korrespondent in Madrid und später als Studioleiter tätig, bevor er Hörfunk- und Zeitungskorrespondent in Bonn und Berlin wurde. Er ist seit 2004 pensioniert und schrieb seither zahlreiche Sachbücher. „Kalte Wut – der Fall Ellen Rinsche“ ist sein erster Kriminalroman, der 2009 erschien und 2014 als Taschenbuch neu aufgelegt wurde.

Anhand der originalen Polizei- und Prozessakten sowie damaligen Zeitungsartikeln rekonstruiert der Autor einen der spektakulärsten Mordfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit nüchternen Worten und klarem Blick schildert Mauersberger das tragische Schicksal einer Frau, die sich in ihrer Verzweiflung nicht mehr anders zu helfen wusste. Es ist ein Sitten- und Familienbild einer Zeit, in der die Frauen rechtlos waren, abhängig von ihren Männern, und häusliche Gewalt noch keine gesetzliche Straftat war. Nur so war es möglich, dass Josef Rinsche seiner Frau das Leben jahrelang zur Hölle machen und sie in seinen maßlosen Wutanfällen bis zur Bewusstlosigkeit verprügeln konnte. Lange ertrug sie es klaglos, schämte sich vor den Nachbarn und versuchte vor dem Kind ihre Verletzungen zu verbergen – bis sie dann eines Tages nicht mehr konnte.

Mit diesem Buch rollt der Autor den Fall nochmals auf, analysiert, wägt ab und schildert neutral von der schicksalhaften Verbindung dieser beiden Menschen, deren Ehe anfangs recht glücklich zu sein schien. Doch der Krieg und die Nachkriegszeit hinterließen bei Josef Rinsche ihre Spuren, er wurde zum brutalen Tyrannen und gewalttätigen Sadisten. 1949 dann bricht die mühsam aufrecht erhaltene Fassade zusammen. Ellen Rinsche wehrt sich, schlägt zurück, schlägt und schlägt, bis Josef tot ist. Was dann geschieht übersteigt die Vorstellungskraft und erfordert vom Leser starke Nerven.

Fazit: Nicht nur ein nach einem wahren Mordfall nacherzählter Krimi, sondern auch Sitten- und Familienbild der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Meine Empfehlung für Leser mit starken Nerven.

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