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Veröffentlicht am 22.06.2022

Eigene und gemeinsame Wege - Stimmiger Abschluss der unterhaltsamen Trilogie

Die Wunderfrauen
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Die wilden Siebziger bringen auch für die Wunderfrauen neue Herausforderungen. Luise versucht ihren Laden mit persönlicher Kundenbetreuung am Laufen zu halten, doch die Konkurrenz wird immer härter. Auch ...

Die wilden Siebziger bringen auch für die Wunderfrauen neue Herausforderungen. Luise versucht ihren Laden mit persönlicher Kundenbetreuung am Laufen zu halten, doch die Konkurrenz wird immer härter. Auch in ihrer Ehe mit Hans läuft es nicht rund. Annabels Schwiegervater stirbt und Annabel möchte Licht ins Dunkel seiner Vergangenheit bringen. Sie macht sich zudem Sorgen um Tochter Marlene, die seit Geburt durch ihre Behinderung schwer beeinträchtigt ist. Ärztin Helga bekommt die Chance auf einen beruflichen Aufstieg, doch dann macht sie eine traurige Entdeckung. Und Marie vermisst ihren Mann Martin sehr und kann seinen Tod noch immer nicht verwinden. Helga schlägt den Freundinnen schließlich eine gemeinsame Reise nach Paris vor. Ob diese die ersehnte Entspannung bringt?

Autorin Stephanie Schuster schreibt abwechselnd aus der Sicht der Freundinnen Helga, Luise, Annabel und Marie. Nach und nach werden die einzelnen Handlungsstränge weiterentwickelt. Die Geschichte ist angenehm unkompliziert, leicht und flüssig formuliert. Zwischendurch sind Seiten aus Luises Ladenkunde-Album eingefügt, die Tipps, Rezepte oder Nachrichten enthalten. Diese Seiten geben Hinweise darauf, welche Themen für Luise und die Frauen damals relevant waren.

Die Freundschaft der Frauen ist nicht frei von Konflikten, sind die vier Protagonistinnen doch sehr verschieden, was zwangsläufig zu Reibereien führt. „Freigeist“ Helga ist beruflich sehr erfolgreich, sie gibt sich oft recht unkonventionell. Annabel wirkt dagegen deutlich verkrampfter, hat gerne alles unter Kontrolle. Mit Helga, die nett, kompetent, freundlich und hilfsbereit ist, hat sie ihre Schwierigkeiten, was ihr selbst bewusst ist: „Annabell sollte endlich über ihren Schatten springen und sie einfach bedingungslos mögen, so wie es alle taten“. Ob die Selbsterkenntnis weiter hilft?
Die aufgeschlossene, geschäftstüchtige Luise lebt für ihren Laden. Aber das Leben findet auch außerhalb der Arbeit statt. Mit ihrer Schwägerin Marie kommt Luise gut aus, aber wirklich tief ist die Verbindung nicht. Witwe Marie arbeitet hart, sie wirkt nach dem Verlust ihres Mannes, der stets ihre Stütze war, wie verloren. Ob die gemeinsame Reise die Freundinnen näher zusammenführt?

Spannend zu lesen, wie sich die Wunderfrauen weiterentwickeln. Sie gehen zwar ihrer eigenen Wege, aber viele Teilstrecken dennoch gemeinsam. Jede Frau jede Geschichte ist an sich interessant. Natürlich werden die Frauen von den geschichtlichen und gesellschaftlichen Umständen geprägt. Auch wenn ich den dritten Teil stellenweise als etwas langatmig empfand und ich nicht immer im Lesefluss war, empfand ich „Freiheit im Angebot“ als einen durchaus würdigen, optimistischen und stimmigen Abschluss der Reihe. Insgesamt eine gelungene Trilogie, ein Stück persönliche Zeitgeschichte in unterhaltsamer Romanform.

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Veröffentlicht am 20.06.2022

Wie Schwestern nun mal so sind: gemein, hinterhältig, nur manchmal nett, aber ziemlich witzig

Power Sisters 01
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Marine und Wendy sind manchmal die besten Schwestern und meistens die schlimmsten, erleben miteinander selten den Himmel und oft die Hölle auf Erden. Ihr Alltag besteht aus zahlreichen kleinen Abenteuern ...

Marine und Wendy sind manchmal die besten Schwestern und meistens die schlimmsten, erleben miteinander selten den Himmel und oft die Hölle auf Erden. Ihr Alltag besteht aus zahlreichen kleinen Abenteuern und nichts läuft bei ihnen ohne Komplikationen ab: Schminken, ins Bett gehen, ein Volksfestbesuch, ein Spaziergang, der Schulweg, Aufräumen, Chillen im Park, Fotografieren, Verkleiden….Mit den beiden Schwestern wird es garantiert nicht langweilig.

William Maury hat sehr ausdrucksstarke, bunte Comicbilder voller Dynamik in individuellem Stil gezeichnet. Die Gesichter der beiden Schwestern sprechen oft Bände. Die Comics erstrecken sich über jeweils eine Seite, enthalten ein bis neun Einzelbilder. Jeder Comic hat eine unauffällige Überschrift in Bildform, oben rechts ist jeweils ein sehr kleines Schwarz-Weiß-Bild platziert, das die Geschichte in einem einzigen Motiv zusammenfasst.
Das Titelbild der sich umarmenden Schwestern im Vordergrund - im Hintergrund ist der Schatten der beiden während eines Kampfes zu sehen - könnte passender nicht sein.
Die Sätze in den Sprechblasen sind von William Maury und Texter Christophe Cazenove in verständlicher Umgangssprache formuliert, teils kommen dabei comictypisch auch lautmalerische Wörter vor. Die Schrift ist in Comicschriftart gedruckt und recht klein.
Das Buch richtet sich an Kinder ab neun, zehn Jahren.

Wer Schwestern oder Töchter hat, weiß wovon Zeichner William mit seinen Bildern erzählt. Der Illustrator ist selbst Vater zweier Töchter, die ihn zu der Comicreihe und diesem ersten Band „Powersisters - Krieg und Frieden“ inspirierten. Marine und Wendy sind grundsätzlich sicher sehr liebenswerte Mädchen, die aber durchaus in der Lage sind, der Schwester das Leben zur Hölle zu machen und das auch immer wieder gerne tun. Die kleinen Alltagsepisoden sind ziemlich gemein und böse, aber nicht zu gemein und zu böse, sondern eher herrlich gemein und böse. Voller Schadenfreude, nicht immer ernst zu nehmen, aber trotzdem irgendwie auch ziemlich realistisch. Schwestern lieben und hassen sich, können nicht mit und genausowenig ohne einander. Das zeigen die vielen kleinen Bildergeschichten überdeutlich.
Dass die Eltern kaum im Ganzen zu sehen sind, sondern nur Teile ihres Körpers oder ihre Schatten, gefällt mir. Hier stehen die Schwestern im Mittelpunkt und niemand stiehlt ihnen die Show, schon gar nicht langweilige Erziehungsberechtigte.
Ein witziger, grellbunter, kurzweiliger Comicspaß für Schwestern und alle, die die seltsamen Mysterien der Schwesternschaft besser verstehen wollen.

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Veröffentlicht am 18.06.2022

Mord unter Filmleuten - nordisch-ruhiger Regionalkrimi mit spannendem Finale

Nordwestnacht
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„Ihr Schauspieler seid so ein verlogenes Volk, hatte ein ehemaliger Liebhaber einmal gehöhnt. Groß rumtönen, dass ihr euch nicht unbehelligt in der Öffentlichkeit bewegen könnt, aber wehe, es erkennt euch ...

„Ihr Schauspieler seid so ein verlogenes Volk, hatte ein ehemaliger Liebhaber einmal gehöhnt. Groß rumtönen, dass ihr euch nicht unbehelligt in der Öffentlichkeit bewegen könnt, aber wehe, es erkennt euch keiner.“

Die Dreharbeiten der neuesten Episoden einer Fernseh-Küstenkrimireihe in Sankt Peter Ording stehen unter keinem guten Stern. Aufnahmeleiter Tim Förster wird ertrunken, an den Pfahl eines Strandrestaurants gefesselt, aufgefunden. Er wurde offensichtlich ermordet. Dann verschwindet auch noch die neue, junge Hauptdarstellerin Julia Manshardt spurlos. Eigentlich soll der Fall von der Flensburger Mordkommission bearbeitet werden. Doch deren Kapazitäten sind ausgelastet und so werden Henrik Norberg und Anna Wagner von der Soko Sankt Peter beauftragt, sich der Sache zu widmen. Nils Scheffer, der emotional in den Fall involviert ist, soll sie unterstützen. Ob das gutgehen kann?

Autorin Svea Jensen schreibt gut verständlich und in klaren Sätzen. Sie schildert überwiegend chronologisch, was gerade passiert. Selten werden Rückblenden eingeschoben, wenn sich Personen an Vergangenes erinnern. Diese Passagen entwickeln die Aufklärung des Falls entscheidend weiter. Manche Formulierungen, vor allem wenn es um die Beschreibung von privaten Beziehungen geht, wirken auf mich etwas unbeholfen und sperrig, verwendet die Autorin doch auffallend häufig die gleichen Ausdrücke, um freundschaftliche Verbindungen zu erklären.
Das Cover mit dem großen Titelzug vor einem sich am Strand spiegelnden Leuchtturm in der Dunkelheit ist sofort aufgrund seiner Ähnlichkeit zu den Vorgängern als Band der Reihe zu erkennen.

Anna Wagner und Hendrik Norberg harmonieren als Team sehr gut. Anna Wagner hat viel Geduld mit anderen, ist aufgrund ihrer ruhigen, ausgleichenden Art beliebt bei anderen. Sie bricht oft das Eis in stockenden Gesprächen. Norberg ist ebenfalls eher introvertiert, zeigt manchmal Schwierigkeiten im Umgang mit anderen und hat Angst davor, sich anderen aufzudrängen. Dann wirkt er recht steif und unnahbar. Er kann durchaus auch emotional, stur und aufbrausend werden, wenn ihm etwas wichtig ist. Henrik und Anna ergänzen sich perfekt, sind daher so erfolgreich in ihrer Zusammenarbeit. Henrik würde gerne wie früher in der Mordkommission arbeiten, muss sich aber nach dem Tod seiner Frau allein um die beiden Söhne kümmern, was seinen Wunsch unmöglich macht. Denn die Arbeit bei der Mordkommission fordert zeitliche Flexibilität, die Norberg nicht leisten kann. Nils Scheffer, Annas Assistent, berät die Filmcrew fachlich in Sachen Polizeiarbeit. Er hat einen Faible für die Hauptdarstellerin entwickelt, was seiner Objektivität schadet. Ein Problem, das Anna und Hendrik vor besondere Herausforderungen stellt. Die haben es zudem mit der langjährigen Hauptdarstellerin der Küstenkrimireihe Christina Hallversen zu tun, die offensichtlich fürchtet, aufs Abstellgleis geschoben zu werden, sich äußerst verdächtig verhält und unbeherrscht und unberechenbar erscheint. Ihr Charakter wird zwar etwas klischeehaft überzeichnet, Hallversens Reaktionen sind aber grundsätzlich trotzdem realistisch.

Hängen der Mord an Tim Förster und das Verschwinden der Hauptdarstellerin Julia Manshardt zusammen? Und wer steckt dahinter?
„Nordwestnacht“ liest sich zunächst ruhig und nimmt erst nach und nach Fahrt auf, wenn es zu immer mehr entscheidenden Enthüllungen kommt. Die Aufklärung, das Finale mit den sich überschlagenden Ereignissen, entwickelt sich dann überaus spannend, reißt derart mit, dass es schwer fällt, das Buch zur Seite zu legen. Der Fall ist nachvollziehbar und logisch konstruiert, die Lösung kommt nicht unbedingt überraschend, ist aber stimmig. Mir gefallen an der Reihe nicht nur die packenden, durchdachten, eher „klassisch aufgebauten“ Mordfälle, sondern auch die nordisch-unaufgeregte Atmosphäre und die sich behutsam verändernden privaten Beziehungsgeflechte der Hauptfiguren. Sowohl Anna als auch Norberg müssen sich neu orientieren, suchen nach neuen Partnern, scheinen aber beide noch nicht ganz bereit dafür. Ich möchte gerne dabei, sein, wenn beide soweit sind. Wie es für beide privat weitergeht, interessiert mich fast genauso sehr wie ihre nächsten ungelösten Fälle. Ich kann diese Reihe an alle Fans von cosy Regionalkrimis uneingeschränkt weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 17.06.2022

Ein etwas anderer Liebesroman mit überraschender Wendung

In fünf Jahren
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„Du irrst dich, was die Liebe angeht. Du meinst, sie muss eine Zukunft haben, um etwas zu bedeuten, aber das muss sie nicht. Sie ist das Einzige auf der Welt, das per se eine Daseinsberechtigung hat. Bei ...

„Du irrst dich, was die Liebe angeht. Du meinst, sie muss eine Zukunft haben, um etwas zu bedeuten, aber das muss sie nicht. Sie ist das Einzige auf der Welt, das per se eine Daseinsberechtigung hat. Bei der Liebe ist es nur wichtig, dass sie existiert. Hier. Jetzt. Liebe braucht keine Zukunft.“

Alles scheint perfekt in Dannies Leben. Das Vorstellungsgespräch bei ihrem Traumarbeitgeber läuft optimal und Dannie ist ziemlich sicher, dass sie den Job als Firmenanwältin bei der Top-Kanzlei bekommt. Als Sahnehäubchen macht ihr ihr langjähriger Freund David einen akribisch geplanten Heiratsantrag. Was könnte da besser sein? Doch dann hat Dannie in der Nacht einen mehr als realistischen Traum von sich in fünf Jahren. Ein Traum, der alles verändert und in Frage stellt. Ist es wirklich nur ein Traum?

Rebecca Serle erzählt aus Dannies Perspektive in der ersten Person Präsens. Der Schreibstil ist recht flüssig und unkompliziert zu lesen. Dass Dannie stets erwähnen muss, welche Marke ein Kleid hat, aus welchem Laden das Take-away-Essen stammt oder in welchem Restaurant man sich trifft, empfand ich als ein wenig nervig. Wenn sie Situationen beschreibt, wirkt es auf mich oft so, als erfasse sie die wirklich wesentlichen Dinge nicht und richte stattdessen ihr Augenmerk auf eher nebensächliche Aspekte. Dass sie auf diese Weise erzählt, passt aber sehr gut zu ihr und ihrer Sicht aufs Leben.

Dannie hat haargenaue Vorstellungen von ihrem Leben. Während Dannie ihre Zukunft und ihre Karriere plant, hat sich das Leben aber womöglich längst klammheimlich selbstständig gemacht und ihrer Kontrolle entzogen. Dannie ist karrierefixiert und ordnet alles andere ihrer Arbeit unter. Dass sie genau nach Plan lebt, liegt vermutlich am frühen Tod ihres Bruders Michael, den sie immer noch nicht verwunden hat. Dannies Verlobter David fügt sich perfekt in Dannies Leben ein. Ihre beste Freundin Bella hingegen ist vollkommen anders als sie: spontan, leichtfüßig, sprunghaft, sie fängt vieles neu an und bringt selten etwas zu Ende. Bella liebt und genießt das Leben wie keine Zweite. Bellas und Dannies Lebenseinstellungen unterscheiden sich fundamental voneinander. Dannie tut alles für ihren Traumjob, bringt große Opfer. Bella kann das nicht nachvollziehen, fasst es so zusammen: „Ich finde, Opfer zu bringen, ist genau das Gegenteil von Selbstverwirklichung. Wenn du deine Träume verwirklichen willst, dann solltest du aus dem Vollen schöpfen und dich nicht kasteien.“

Der Roman beginnt wie eine klassische Liebesgeschichte. Doch er entwickelt sich im Verlauf bis zum Schluss ganz anders weiter, als ich erwartet habe. Auch wenn mir Hauptfigur Dannie nicht sympathisch ist und ich so gar nicht verstehen kann, wie sie ihr Leben führt und welche Prioritäten sie setzt, hat mich ihre Geschichte absolut gefesselt. Ich konnte den Roman nicht zur Seite legen, bis klar wurde, was genau denn nun ihr ominöser Traum vom Anfang bedeutet. Das Ende kommt dann wirklich überraschend. Ich mag gerne glauben, dass Dannie möglicherweise die Dinge nach den Erfahrungen, die sie gemacht hat, etwas anders beurteilen wird. Unter Dannies oberflächlicher Fassade mit Markenklamotten, ihrem berechenbaren „Workaholic-Yuppie-Verhalten“ verbirgt sich eine eindrucksvolle und lesenswerte Geschichte, die wesentlich mehr zu bieten hat, als es zunächst den Anschein hat. Eine Geschichte über Liebe, Schicksal, Freundschaft, Pläne, Lebenseinstellungen und das Leben selbst, das sich um unsere Pläne, Träume und Wünsche oft wenig kümmert. Eine Geschichte, die nicht so schnell verdaut ist wie ein Gericht vom Takeaway-Laden an der Ecke, eine, die nicht nur vorbeistreift, sondern nachhallt und nachdenklich stimmt.

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Veröffentlicht am 16.06.2022

Ein altes Haus und die Geister der Vergangenheit - düster und atemberaubend spannend

Das Haus der stummen Toten
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„Ich bin es so leid, Angst zu haben.“

Eleanor erlebt Unvorstellbares: Als sie ihre Großmutter Vivianne besuchen möchte, findet sie diese tot, ermordet, vor. Der Täter hält sich noch im Haus auf, begegnet ...

„Ich bin es so leid, Angst zu haben.“

Eleanor erlebt Unvorstellbares: Als sie ihre Großmutter Vivianne besuchen möchte, findet sie diese tot, ermordet, vor. Der Täter hält sich noch im Haus auf, begegnet Eleanor sogar noch, doch die junge Frau ist aufgrund ihrer Gesichtsblindheit nicht in der Lage, ihn zu identifizieren. Monate danach fahren Eleanor und ihr Freund Sebastian auf das Gut Solhöga, das Vivianne Eleanor vererbt hat. Gemeinsam mit ihrer Tante Veronika und dem Notar Rikard sollen vor Ort alle Details zur Erbschaft geklärt werden. Doch im Haus geht es nicht mit rechten Dingen zu. Irgendjemand scheint sich dort heimlich zu verstecken und die Anwesenden zu jagen. Was geht hier vor?

Camilla Sten schreibt abwechselnd auf zwei Ebenen. Sie schildert chronologisch aus Eleanors Sicht in Ich-Form, wie Eleanor die Ermordung ihrer Großmutter erlebt und was aktuell auf dem Gut passiert. Der zweite Erzählstrang umfasst die Tagebucheinträge des polnischen Hausmädchens Annuschka. Annuschka verbringt Mitte der 1960er Jahre Zeit mit ihren Arbeitgebern Vivianne und Evert auf Solhöga. Erst später wird klar, wie beide Handlungsstränge wirklich zusammenhängen. Die einzelnen Kapitel sind recht kurz, der ständige Perspektivwechsel erhöht immer wieder die Spannung.

Die Figuren kamen mir nicht nah. Zwar gewährt Eleanor den Lesern durch die Erzählweise in der ersten Person Einblick in ihre Gedanken und Gefühle. Dennoch wirkt sie auf mich seltsam fremd, distanziert und wenig greifbar. Dass die Personen meist keine Identifikationsfiguren sind, schafft eine kalte, unheimliche Atmosphäre. Die Leser sind bloße Beobachter, fühlen sich zwar nicht als Teil der Handlung, können sich der unangenehmen Stimmung dennoch nicht entziehen. Mit Eleanor, die aufgrund ihrer Gesichtsblindheit im sozialen Umgang stark beeinträchtigt und anderen hilflos ausgeliefert ist und nicht weiß, wem sie vertrauen kann, hatte ich durchaus Mitleid. Nicht nur sie hat Schwierigkeiten, die anderen Personen richtig einzuschätzen. Ich hatte es auch. Alle Charaktere haben etwas Dubioses. Niemand ist hier mit sich und den Umständen im Reinen: Weder Eleanor, die sich in psychotherapeutischer Behandlung befindet, noch die unerbittliche, unberechenbare Vivianne oder Veronika, die eigentlich gar nicht da sein sollte. Genausowenig der blasse, rationale Sebastian, der Unvorhersehbares hasst, oder Notar Rikard, der ein Geheimnis zu hüten scheint, und schon gar nicht Annuschka, die nicht die sein darf, die sie wirklich ist.

Ein Haus, in dem die Geister der Vergangenheit wohnen und in dem ein unbekannter, gefährlicher Feind lauert. Tödliche Geheimnisse, die kurz vor der Enthüllung stehen. Eine hilflose, unberechenbare Hauptfigur und Personen, die sich äußerst unwohl fühlen.
Eine schrecklich Vorstellung, hier involviert sein. Aber genau diese Atmosphäre stellt Camilla Sten in „Das Haus der stummen Toten“ überdeutlich und fast spürbar dar. Sie hält ihre Figuren und die Leser in der Szenerie gefangen. Gleichermaßen wirkt das alles furchtbar abstoßend und fesselnd-faszinierend. Man möchte sofort schreiend wegrennen und sich gleichzeitig nicht von der Stelle rühren und weiter stumm beobachten, kann man sich doch einfach nicht vom Geschehen lösen und muss einfach erfahren, wie es weitergeht.
Ein atemberaubend spannender, über weite Teile geschickt und raffiniert konstruierter Thriller, der mich in seinen Bann gezogen hat. Die Auflösung ist zwar nachvollziehbar und erklärt vieles, nicht alles, ist aber für mich nicht hundertprozentig logisch und befriedigend. Einerseits wirklich überraschend, andererseits doch vorhersehbar und ein bisschen enttäuschend. Dennoch kann ich das Buch allen, die Thriller mit viel Nervenkitzel und frostiger Atmosphäre mögen, weiterempfehlen.

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