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Veröffentlicht am 16.08.2021

Eine Wette zwischen Göttern und ein Mädchen, das sich nicht beugt

Izara 5: Belial
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Die junge Tempeldienerin Cassia hatte definitiv nicht geplant, zum Gegenstand einer Wette zwischen Göttern zu werden. Vor allem nicht, wenn es sich dabei um den grausamen und sadistischen Dämon Ianus und ...

Die junge Tempeldienerin Cassia hatte definitiv nicht geplant, zum Gegenstand einer Wette zwischen Göttern zu werden. Vor allem nicht, wenn es sich dabei um den grausamen und sadistischen Dämon Ianus und den Teufel Belial höchstpersönlich handelt. Auch dann nicht, wenn der Teufel äußerst attraktiv und charmant ist.

Doch Cassia verfolgt eigene Ziele. Sie weiß genau, wer dafür verantwortlich ist, dass immer wieder Frauen aus dem Tempel verschwinden, in dem sie lebt. Ianus‘ Grausamkeit ist bekannt, doch bislang konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden.

Als Cassia die Gelegenheit bekommt, Ianus zu Fall zu bringen, sagt sie nicht nein. Sie ist bereit, sich als Sklavin an ihn verkaufen zu lassen, um nach einem Beweis für seine Verbrechen suchen zu können und zu erfahren, was mit ihrer Freundin Daphne geschehen ist.

»Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl … sonst nichts. Mir wurde die Kehle eng. Man hatte Daphnes Habseligkeiten bereits weggebracht und trotzdem schwebte die Erinnerung an die junge Priesterin noch immer in diesen vier Wänden.«

Doch Cassia ist nicht die einzige, die eine Rechnung mit Ianus offen hat. Auch der Teufel Belial ist kein Fan von Ianus. In Ianus‘ Besitz befindet sich jedoch etwas, das Belial unbedingt zurückwill: sein Heimatland Malta. Um Malta zurückzubekommen, lässt Belial sich auf eine Wette mit Ianus ein. Wenn Cassia ihm innerhalb von fünf Tagen freiwillig ihre Seele verspricht, gehört Malta wieder Belial. Wenn nicht, muss er das Knie vor Ianus beugen.

Aber Cassia hat definitiv nicht vor, irgendjemandem ihre Seele zu schenken, vor allem keinen Dämon. Dennoch liefert ihr die Wette die Gelegenheit, an Ianus heranzukommen.

»Die Eisenketten an meinen Handgelenken fühlten sich inzwischen nach einer richtig miesen Fehlentscheidung an. Anfangs waren sie nur ein nötiges Requisit gewesen, um unsere Geschichte glaubhaft zu machen, doch hier in den Höhlen schienen die Ketten mit jedem Schritt schwerer und schwerer zu werden. Meine Instinkte rieten mir lautstark zur Flucht.«

Doch ihr wird schnell bewusst, dass ihre Aufgabe nicht so leicht wird, wie sie es sich gewünscht hätte. Ianus hütet seine Geheimnisse gut und Belial lässt sie kaum einen Moment aus den Augen. Zusätzlich läuft sie ständig Gefahr, von Ianus erwischt und getötet zu werden.

Cassia hat jedoch einen Vorteil: Sie wird von den Göttern unterschätzt. Sie wissen nicht von ihrer Gabe, die sie immun gegen manche Kräfte der Dämonen macht und kann nicht durch Illusionen getäuscht werden.

»Ich sah die Dinge, wie sie waren und nicht, wie die Dämonen sie erscheinen ließen. Meine Fähigkeiten machten mich zu einer seltenen Anomalie und zum perfekten Wachhund für Lucusta.«

›Belial‹ wird abwechseln aus zwei Perspektiven erzählt. Zum einen aus Cassias Perspektive, die den Dämonen zutiefst misstrau. Zum anderen aus Belials Perspektive, die Ianus zwar ebenso sehr hasst wie Cassia, jedoch auf sein Heimatland nicht verzichten will. In einem Gemisch aus Manipulationen, Täuschung und Verführung kommen sich Cassia und Belial näher. Beide müssen erfahren, dass sowohl Menschen als auch Dämonen anders sein können, als sie es sich vorgestellt haben.

Julia Dippels neuer Roman aus den Izara-Chroniken ist von der ersten bis zu letzten Seite spannend. Belial ist charmant, mächtig und sehr, sehr arrogant. Cassia hingegen ist klug, mutig und eine Überlebenskünstlerin. Mit Grim ist Dippel eine wunderbare Nebenfigur gelungen, die man durch ihre ruppige und ehrliche Art einfach mögen muss.


›Belial‹ kann definitiv gelesen werden, ohne das man die Izara-Chroniken bereits gelesen hat, da es zeitlich vor diesen angesiedelt ist. Es ist eine liebevoll ausgearbeitete Geschichte über eine Wette, einen gefährlichen Dämon und Cassia und Belial, auf die im Rom der Vergangenheit jede Menge Überraschungen und Herausforderungen warten. Zugleich endet ›Belial‹ mit einem Cliffhanger, der definitiv nach der Fortsetzung schreit. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weitergehen wird. Wer ›Belial‹ mochte, wird vermutlich auch ›Cassardim 1‹ sehr mögen.

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Veröffentlicht am 16.08.2021

Ein Grauen, das vor zehn Jahren begann

Die Verlorenen
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Vor zehn Jahren hat sich Jonah Colleys Leben in ›Die Verlorenen‹ schlagartig verändert, an dem Tag, an dem sein Sohn verschwand. Seine Ehe ist mittlerweile geschieden, Jonah und Gavin haben seit Jahren ...

Vor zehn Jahren hat sich Jonah Colleys Leben in ›Die Verlorenen‹ schlagartig verändert, an dem Tag, an dem sein Sohn verschwand. Seine Ehe ist mittlerweile geschieden, Jonah und Gavin haben seit Jahren keinen Kontakt mehr, obwohl sie früher die besten Freunde waren.

Doch auch nach über zehn Jahren sind die Geister der Vergangenheit nicht zur Ruhe gekommen. Beim Fund mehrerer Leichen in einem verlassenen Lagerhaus verliert Jonah beinahe sein Leben. Doch je stärker er in die Aufklärung der Geschehnisse im Lagerhaus hinein gerät, desto stärker wird im klar, dass alles mit den Ereignissen vor zehn Jahren zusammenhängen könnte.

Doch Jonah ist nicht Teil des Ermittlungsteams. Mehr noch steht er bald selbst als Verdächtiger im Fokus der Ermittlung, da er vor den Ermittlern Dinge zu verheimlichen scheint.

»Als Jonah das Blut roch, war ihm klar, dass er in Schwierigkeiten steckte.
An dem alten Kai war es stockfinster. Keine einzige Straßenlaterne brannte, die Lagerhäuser lagen im Dunkeln, Relikte einer anderen Zeit.«

Mit dem Fall brechen Jonahs alte Wunden wieder auf. Was war vor zehn Jahren geschehen, als sein damals vierjähriger Sohn verschwunden ist? Wieso kommen zu Gavins Beerdigung, der früher beliebt und bekannt war, nur so wenig Leute?

Niemand weiß, wer die Leichen sind, die im Lagerhaus gefunden worden sind. Und niemand weiß, was aus dem Mann geworden ist, der Jonah im Lagerhaus angegriffen hat. Für Jonah sind die Ereignisse genauso rätselhaft wie die Geschehnisse vor zehn Jahren.

»Sie kannten sich seit Ewigkeiten. In der Schule beste Freunde, dann zusammen zur Polizei, die Probezeit bei der Met gemeinsam durchlaufen und schließlich im selben Stadtteil gearbeitet. Gavin war immer der Extravertiertere gewesen, aber hinter seiner Lässigkeit und Fröhlichkeit verbarg sich erbitterter Ehrgeiz.«

Doch plötzlich beginnen sich die Ereignisse von vor zehn Jahren zu wiederholen. Kinder verschwinden und Jonah muss sich erneut der Fragen stellen, ob er sie retten kann. Getrieben von der vagen Hoffnung, endlich herauszufinden, was mit seinem Sohn geschehen ist, geht Jonah aufs Ganze.

»Das war Jahre her. Ein anderes Leben. Wieso suchte Gavin jetzt aus dem Nichts auf und bat Jonah um Hilfe?«

Simon Beckett hat sein Talent für spannende Thriller-Reihen bereits mit der David Hunter-Reihe bewiesen. Mit Jonah Colley hat Beckett jedoch einen Protagonisten für seine neue Reihe erfunden, der als Polizist unmittelbar an der Aufklärung der Fälle als Ermittler beteiligt sein kann. Dabei ist Jonah kein Klischee-Polizist, sondern facettenreich und nahbar.

›Die Verlorenen‹ ist von der ersten bis zur letzten Minute spannend. Johannes Steck ist ein toller Hörbuchsprecher, der die Stimmung des Romans richtig gut rüberbringt. Vergangenheit und Gegenwart sind in ›Die Verlorenen‹ einfallsreich miteinander verwoben und geben jede Menge Rätsel auf. Ich bin gespannt, wie es mit Jonah Colley im zweiten Band der Reihe weitergehen wird.

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Veröffentlicht am 16.08.2021

Düsterer Charme und mächtige Frauen

Rule of Wolves
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Vor bald zehn Jahren nun ist 2012 mit ›Goldene Flammen‹ der erste Band der Grisha-Trilogie von Leigh Bardugo erschienen. Wenige Jahre später ist dann die ›Glory or Grave‹-Dilogie erschienen, die im gleichen ...

Vor bald zehn Jahren nun ist 2012 mit ›Goldene Flammen‹ der erste Band der Grisha-Trilogie von Leigh Bardugo erschienen. Wenige Jahre später ist dann die ›Glory or Grave‹-Dilogie erschienen, die im gleichen Universum angesiedelt ist und 2019 erschien der erste Band der ›King of Scars‹-Dilogie. Nun ist mit ›Rule of Wolves‹ endlich der zweite Band erschienen und die Geschichte von Nikolai, Nina und Zoya geht weiter.

Nina Zenik hat es geschafft, unter anderem Namen in das Haus ihres größten Feindes eingelassen zu werden. Jarl Brums, der Anführer der gefürchteten Grisha-Jäger. In Fjerda werden Grisha gejagt und dem Eistribunal übergeben – ein Schicksal, das mit dem Tod endete, wenn sie nicht als Forschungsobjekte benutzt wurden. Ein großer Teil von Ninas Seele will Rache, Rache für das, was mit Matthias. Ein weiterer Teil will, dass der Hass der Fjerda gegen die Grisha ein Ende hat. Ein Hass, der schon seit so vielen Jahren in den Menschen gesät wird und wächst. Doch wer wäre eine bessere Hilfe für ein solches Vorhaben, als Jarl Brums Tochter, die wie Nina ebenfalls eine Grisha ist.

Doch Nina ist nicht die einzige, die für das Überleben der Grisha kämpft und sich vor dem Hass der Fjerdan hüten muss. Auch Nikolai und Zoya kämpfen gegen alte und mächtige Gegner.

»Sag mir, dass es mehr ist als Krieg und Sorge, die dich diese Worte sprechen lassen. Sag mir, was sie bedeuten würden, wenn du kein Zar wärst und ich keine Soldatin.«

Während der Angriff der Fjerda aus dem Norden droht, in West-Ravka von Unruhen berichtet wird, bereiten auch die Shu Han Nikolai Sorgen. Nicht nur, weil sich die Vorbereitungen seiner Hochzeit als schwierig gestalten, sondern auch, weil die Gegner immer näher kommen.

Nikolai hat alle Hände voll zu tun: Ravka wird an allen Grenzen bedroht, in seinem Innern wütet ein mächtiger Dämon und unter seinen Gefangenen ist ein Mann, der bedrohlicher ist, als alle anderen Gefahren zusammen. Ein Gefangener, der den Lesern der Grisha-Trilogie nur zu vertraut sein dürfte. Zum Glück verfügt Nikolai nicht nur über jede Menge Charme und Manieren, sein Verstand und sein Erfindungsreichtum sind messerscharf.

»Die Kerch konnten das Meer haben. Die Zement Namen den Himmel. Ravka hatte sein Wort gehalten und genau das geliefert, was die Kerch wollten, aber nicht das, was sie brauchten.«

Doch Nikolais Gefangener ist nicht das einzige bekannte Gesichte, dass in der ›King of Scars‹-Dilogie wiederkehrt. Denn wer wäre besser geeignet, um bei einem schweren Diebstahl zu hälfen als gewisse Herren aus Ketterdam, die den ›Glory or Grave‹-Lesern noch gut in Erinnerung sein sollten.

»Die Droge hatte alles verändert, hatte die Grisha auf eine Weise angreifbar gemacht, wie sie es zuvor nie waren, aber sie weigerten sich, diese Masken als ein Symbol von Schwäche oder Unsicherheit zu tragen. Sie hatten sie mit Fangzähnen und gewundenen Zungen, mit klaffenden Mäulern bemalt. Sie sahen aus wie Gargoyles, die in Kampfkeftas über das Feld kamen.«

Doch das Wiedersehen von vertrauten Gesichtern ist nicht nur eine Stärke von ›Rule of Wolves‹. Während das Wiedersehen mit den Krähen von Ketterdam gelingt und zu den Charakteren passt, ist dies meiner Meinung nach nicht für alle Charaktere der Fall, die bereits in der Grisha-Trilogie aufgetaucht sind. Zum einen ist dort ein würdiges Ende für einen Charakter gefunden worden, der nun wieder aufgetaucht ist und nicht richtig zur Geltung kommt. Zum anderen hat ein anderer Charakter in der Grisha-Trilogie ein passendes Happy-End in Aussicht gestellt bekommen, dass nun aufgelöst wurde.

Obwohl Nikolai Lantsov in der Grisha-Trilogie einer meiner Lieblinge war, hat er mir als Nebencharakter besser gefallen als jetzt, da er zu einem der Protagonisten befördert wurde, ähnlich geht es mir mir Zoya. Der Handlungsstrang von Nina Zenik hingegen, berührt und interessiert mich sehr. Vor allem im ersten Band der ›King of Scars‹-Dilogie mochte ich ihren Kampf, um mit Matthias Schicksal umzugehen, ihre verdüsterte Art.

Ich habe es kaum erwarten können, ›Rule of Wolves‹ endlich in die Finger zu bekommen. Obwohl mich nicht alle Handlungsstränge des Romans begeistern, kann ich einfach nicht genug aus dem Grishaverse bekommen. Nina Zenik ist mein absoluter Liebling. Ich hoffe sehr, dass es noch weitere Spin-Offs und Sequels aus diesem wunderbaren Universum geben wird.

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Veröffentlicht am 16.08.2021

Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage?

Rot wie Blut
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Dass Märchen nicht in erster Linie für Kinder gesammelt und geschrieben worden sind, zeigt sich in ›Rot wie Blut‹ sehr deutlich. Ebenso, wie weit die ursprünglicheren Versionen der Märchen und das, was ...

Dass Märchen nicht in erster Linie für Kinder gesammelt und geschrieben worden sind, zeigt sich in ›Rot wie Blut‹ sehr deutlich. Ebenso, wie weit die ursprünglicheren Versionen der Märchen und das, was heute noch von ihnen erinnert wird, auseinanderliegen.

Ob es das Märchen um König Drosselbart ist, Dornröschen, Rapunzel oder Rotkäppchen: Die Märchen und Sagen, die Julian Auringer in ›Rot wie Blut‹ gesammelt hat, machen dem Untertitel des Buches alle Ehre. Nicht nur blutiger und grotesker, auch sexualisierter erscheinen diese.

In ›Rot wie Blut‹ hat Auringer Märchen und Sagen namhafter Autoren und Autorinnen beziehungsweise Sammlern und Sammlerinnen zusammengestellt. Von Giambattista Basile, über Marie-Cathérine d’Aulnoy, Charles Perrault, Christian August Vulpius, Karoline Stahl, den Brüdern Grimm, Karl Bartsch, Anton Birlinger, Carl und Theodor Colshorn, Friedrich Gottschalck, Johann Heinrich Lehnert, Alexander von Ungern-Sternberg, Adalbert Kuhn, Ernst Meier, Johannes Wilhelm Wolf, Karl Müllenhoff, Ulrich Jahn, Karl Spiegel bis hin zu Josef Müller.

»Als schon alles am Tische saß, trat plötzlich noch eine alte Fee ein, die nicht eingeladen war und die man vergessen hatte, weil man seit mehr als hundert Jahren nichts von ihr wusste und sie für tot oder verschollen hielt.«
›Das Dornröschen oder: Die schlafende Schöne im Wald‹

So finden sich neben einigen der sicherlich bekanntesten Märchen und Sagen auch einige, die im Vergleich weniger bekannt sind. Mehrfach sind Illustrationen in die Erzählungen eingefügt.

Doch selbst wer vergleichsweise märchenfest zu sein glaubt, kann in ›Rot wie Blut‹ an der ein oder anderen Stelle Neues erfahren. So wird sich zeigen, was Dornröschen mit einer Ogerin zu tun hat und wie Hänsel und Gretel mit Seeräubern in Verbindung stehen.

»Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, in seinem Hof aber stand ein Brunnen mit schönem klarem Wasser. An einem heißen Sommertag ging die älteste hinunter und schöpfte sich ein Glas voll heraus, wie sie es aber so ansah und gegen die Sonne hielt, sah sie, dass es trüb’ war.«
›Der Froschprinz‹

Doch Auringers ausgewählte Märchen und Sagen sind nicht nur grausig und blutig. Sie sind magisch, bekannt und zugleich fremd. Ihnen haftet der Zauber einer vergangenen Zeit an, der auch durch Erzählen und Wiedererzählen noch im Gedächtnis geblieben ist.

»Es saß einmal eine Königin zur Winterszeit, als draußen Schnee lag, am Fenster, und stickte an einem Tuche, das in einem Rahmen von schwarzem Ebenholz gespannt war. Da stach sie sich mit der Nähnadel in den Finger, dass es blutete, und machte das Fenster auf, und ließ das Blut auf den Schnee tropfen.«
›Schneewittchen‹

Die von Julian Auringer ausgewählten Märchen und Sagen in ›Rot wie Blut‹ halten, was der Titel des Buches verspricht. Mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Autoren und Autorinnen haben hier Einzug gefunden und machen ›Rot wie Blut‹ zu einem teils spannenden, teils vertrauten Lesevergnügen. Wer Märchen und Sagen mag, dem könnten auch ›Die schönsten norwegischen Märchen‹ und ›Nordische Mythen und Sagen‹ gefallen.

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Veröffentlicht am 06.11.2020

Was von den Göttern übrig blieb

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Die Götter haben mit ihnen gespielt. Mit den Frauen von Weep, die sie holten. Mit ihren Männern, die sie meistens zurückließen. Eril-Fane hatten die Götter nicht in der Stadt zurückgelassen, um wie alle ...

Die Götter haben mit ihnen gespielt. Mit den Frauen von Weep, die sie holten. Mit ihren Männern, die sie meistens zurückließen. Eril-Fane hatten die Götter nicht in der Stadt zurückgelassen, um wie alle anderen darauf zu warten und zu hoffen, dass die Entführten wieder zurückgebracht werden würden.

Skathis, der Gott der Bestien, nahm ihn mit und schenkte ihn der Göttin der Verzweiflung als Spielzeug. Eril-Fanes junge Frau war es, die in Weep zurückblieb und warten musste. Die Jahre vergingen, doch ihr Mann kehrte nicht zurück. Bis Skathis auch vor ihrer Tür auftauchte, um sie zur Zitadelle mitzunehmen. Und die junge Frau war bereit –, glaubte sie zumindest.

Inzwischen sind die grausamen Götter längst fort. Doch ihre Spuren haben sie nicht nur an den Gebäuden und Orten, sondern auch an und in den Menschen hinterlassen. In der schwebenden Zitadelle versuchen die letzten der Götterbrut – Kinder gezeugt von Göttern und Menschen – am Leben zu bleiben. Und mit dem Grauen des Tages zu leben, als ein Mensch im Säuglingstrakt all die anderen Kinder der Götter abschlachtete, um die Menschen von den Göttern zu befreien. Doch auch im Schatten der Zitadelle leben noch immer Menschen, die die Schrecken der Götter nicht vergessen können, die zu lange ihr Leben bestimmt haben.

»Die Frauen von Weep teilten ein seltsames Gefühl miteinander, gegen das sie ihr ganzes Leben lang zu kämpfen hatten, nämlich, dass sie nur halb existieren. Sie waren Reststücke, übrig gebliebene Krumen vom Festschmaus der Götter.«

Wie lebt man mit einer Vergangenheit, die so voller Grauen und Verzweiflung ist? Wie lebt man damit, die Schuld auf sich geladen zu haben, die Götter und ihre Babys zu töten? Wie lebt man mit der Erinnerung, als Kleinkind nur in der Lage gewesen zu sein, vier der Babys zu retten, weil man nicht mehr tragen konnte?

»Doch Sarai wusste, was nur sie allein wissen konnte, nämlich dass Eril-Fane jeden Tag die größte Mutprobe ablegte, die sie je gesehen hatte: Um anderen zu helfen, lebte er weiter, obwohl es viel einfacher gewesen wäre, einfach damit aufzuhören.«

›Strange the Dreamer‹, Band 1 und Band 2, sowie ›Muse of Nightmares‹, Band 1 und Band 2, von Laini Taylor stellen diese Fragen. Die Fantasy-Romane zeigen das Leben jener, die übrig geblieben sind: Ihre Versuche, einen Weg hinaus aus Hass, Wut und Verzweiflung zu finden, die nicht immer gelingen können.

Doch obwohl das Grundthema der Bände düster und komplex ist, gelingt es Taylor, eine Romanwelt zu erschaffen, die von der Suche nach Hoffnung, Liebe und Vergebung erfüllt sind. Viele der Überlebenden sind Kinder, die nichts für die Verbrechen ihrer Eltern können, sich nicht einmal an sie erinnern, doch deren bloße Existenz genügt, um an diese zu erinnern. Dabei ist Taylors Sprache einfach, klar und zugleich poetisch.

Ein bisschen schade ist es, dass mehrere Auflösungen von Rätseln und Geheimnissen im letzten Band der Reihe über geraffte Erzählermonologe geschehen und nicht wie bisher an das Erleben und Erinnern der Figuren gebunden sind. Auch die Liebesgeschichte zwischen Lazlo und Sarai hat mich nie ganz überzeugen können, doch im Vergleich zu der unglaublich tiefen und geheimnisvollen Geschichte, die Taylors Romanwelt zu bieten hat, verliert sie dadurch nur wenig.

Wer die Bände von ›Strange the Dreamer‹ und ›Muse of Nightmares‹ noch nicht kennt, aber eine Schwäche für Geheimnisse, Traumata und Götter hat, dem sind sie wärmstens zu empfehlen.

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