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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.02.2024

Emotionale Familiengeschichten im american style

Leuchtfeuer
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Das blumige Cover verrät bereits einiges über die Tonlage des Romans: wunderschön, dramatisch und mit einem Hauch von Kitsch.

Das ist nicht zwangsläufig der Geschmack von allen Leserinnen, mir selbst ...

Das blumige Cover verrät bereits einiges über die Tonlage des Romans: wunderschön, dramatisch und mit einem Hauch von Kitsch.

Das ist nicht zwangsläufig der Geschmack von allen Leserinnen, mir selbst hat der Roman allerdings sehr gut gefallen.

Bereits das erste Kapitel ist fulminant dramatisch und stimmt auf den weiteren emotionalen und bittersüßen Verlauf der Geschichte ein.
Drei Jugendliche haben betrunken und selbstverschuldet einen Autounfall, bei dem eine von ihnen tödlich verletzt wird. Die beiden überlebenden Geschwister Theo und Sarah tragen schwer an dieser Schuld. Die Entscheidung, nicht über die tragische Nacht zu sprechen, wird die Verarbeitung und ihr weiteres Leben sehr beeinträchtigen.

„Auf der Tonspur des Lebens läuft der Todesschrei eines Mädchens in Dauerschleife. Man kann ihm nicht entkommen.“

Shapiro spannt den Erzählbogen sehr weit, der Roman umfasst mehrere Jahrzehnte, zwischen denen sie nicht linear wechselt und ihr Protagonist
innenpalette ist breit gefächert. Neben der Familie von Theo und Sarah, gibt es noch die Familie von Waldo, einem sensiblen Jungen, der sich mit 10 Jahren mit dem gealterten Vater der erwachsenen Geschwister Sarah und Theo anfreundet.

Für mich persönlich ist diese zarte, ungewöhnliche und lang andauernde Freundschaft zwischen Ben und Waldo das wahre Herzstück des Romans und die Kirsche auf der Torte.

Auch das Spektrum an Themen, die Shapiro auffächert, ist äußerst weitreichend. Von zerbröselnden Ehen, nicht verarbeitende Traumata, Krebs, Alzheimer und disfunktionalen Eltern-Kind Beziehungen wird alles abgedeckt.
Das ganze im einem very american Vorort Setting.
Verbrämt wird das ganze mit einer leicht esoterisch anmutenden „Alles ist verbunden“ Botschaft, die dem Roman eine gewisse Tiefe verleihen soll.

Für mich war diese Fülle an Dramatik und Bedeutungsschwere nicht überladen, sondern sehr lesenswert. Ich fand, Shapiro spielt perfekt mit der emotionalen Klaviatur und hat einen wunderschönen und unterhaltsamen Roman geschaffen, der natürlich optimal für eine Verfilmung geeignet ist. Auch die visuelle Version würde ich mir sofort mit einem großen Vorrat von Taschentüchern anschauen.

Du magst emotionale und dramatische Familiengeschichten im american style?
Dann ist „Leuchtfeuer“ eine Empfehlung für dich!

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Veröffentlicht am 17.02.2024

Stark zwischen den Zeilen

Krummes Holz
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Hammer, was für ein starkes Debüt! Gerade habe ich „Krummes Holz“ beendet und habe Fragen.
Fragen, die mich beschäftigen und Gedanken, die in meinem Kopf rollen. Gedanken über Väter und Liebe und Geschwister ...

Hammer, was für ein starkes Debüt! Gerade habe ich „Krummes Holz“ beendet und habe Fragen.
Fragen, die mich beschäftigen und Gedanken, die in meinem Kopf rollen. Gedanken über Väter und Liebe und Geschwister und besonders über die Möglichkeit von zarter, vorsichtiger Annäherung trotz großem, emotionalem Gepäck.

Den Balast aus der Vergangenheit haben sie alle, die Figuren in Julja Linhofs Roman: Malene, Leander und natürlich der Ich-Erzähler Jirka.
Jirka ist ein junger Mann und er kehrt nach einigen Jahren der Abwesenheit auf den Hof zurück, auf dem er aufgewachsen ist.
Es ist Hochsommer, die Böden sind ausgetrocknet und es ist heiß.
Ich brauche ein paar Seiten, bis ich vollständig in das Setting eingetaucht bin und die Personen zugeordnet habe.
Malene ist Jirkas ältere Schwester und führt gemeinsam mit dem Vater den heruntergewirtschafteten Hof. Leander ist der Sohn des verstorbenen Gutshofverwalters und ein enger Jugendfreund der beiden Geschwister.

Als Jirka auf dem Hof ankommt, scheint sich niemand wirklich zu freuen. Der Vater ist nicht da, und Malene ist sauer, denn sie hat den Hof die letzten Jahre fast alleine geführt und hätte ihn gebraucht. Die alte Großmutter ist dement und lebt in ihrer eigenen Welt oder in der Vergangenheit.

Malene und Jirka, beide sind gezeichnet von dem Wissen, die größte Enttäuschung für den Vater zu sein.

Malene reagiert mit Wut, Jirka, der Erzähler, mit Flucht.

“Ich lerne durch Malenes Aufbäumen, selbst still zu bleiben, den Kern zu schützen. Ohne Schichten. Stattdessen bleibe ich mein Leben lang auf der Flucht vor Konflikten.”

Und dann gibt es noch Jirka und Leander….



Was für mich die große Faszination dieses Romans ausmacht, ist das Geschehen zwischen den Zeilen. Es gibt Geheimnisse, es gibt Verletzungen, es gibt Vergangenheit, doch nichts davon wird ausgeschrieben.

Es gibt leise, subtile Andeutungen einer Kindheit voller Gewalt und erzieherischem Druck durch den despotischen Vater.
Es gibt Andeutungen von traumatischen Ereignissen in der Vergangenheit.
Es gibt auch Andeutungen von Liebe, die nie ausgesprochen wurde.

Das alles hängt zwischen den Zeilen und über der heißen flirrenden Luft des Hofes.

Sprachlich punktet Linhof für mich literarisches Hochwertigkeit. Ich lese ihren doppelbödigen Stil unglaublich gerne, er ist gleichzeitig kraftvoll und verletzlich. Mag ich sehr, sehr gerne!

„Seine Augen schimmern im Kerzenlicht, und es ist wieder dieser Blick, der mich trifft und aufbricht.“

Und ja, es wird Enthüllungen geben, aber Linhof schafft es, nicht die Ereignisse in den Vordergrund zu rücken, sondern die Gefühle ihrer Figuren. Das mag ich und es ist eine ungewohnte Abwechslung zur sonstigen voyeuristischen Ausschlachtung traumatischer Geschehnisse (die ich aber natürlich auch mag).

„Krummes Holz” ist für mich eines der stärksten Debüts dieses Jahr, so far. Und natürlich eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 15.02.2024

Mehr als fesselnde Spannungsliteratur

Notizen zu einer Hinrichtung
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Dieser Roman mit dem Wahnsinnscover ist ohne Frage ein Stück fesselnder Spannungsliteratur. Aber er ist noch mehr. „Notizen zu einer Hinrichtung“ ist polarisierend, erzeugt bei mir Reibung, bringt mich ...

Dieser Roman mit dem Wahnsinnscover ist ohne Frage ein Stück fesselnder Spannungsliteratur. Aber er ist noch mehr. „Notizen zu einer Hinrichtung“ ist polarisierend, erzeugt bei mir Reibung, bringt mich zum Nachdenken.

Kukafka skizziert in ihrem Roman das Leben von Ansel Packer, einem Mörder, der im Todestrakt auf seine Hinrichtung wartet. Im Stil von Dead Man Walking zählt ein Countdown seine letzten Stunden bis zur Vollstreckung.
Dazwischen werden in Rückblicken die verschiedenen Lebensabschnitte von Packer an Hand von Mädchen und Frauen erzählt, die seinen Weg kreuzten und beeinflussten.
Angefangen bei seiner Mutter, die, selbst Opfer eines gewalttätigen Ehemannes und prekären Lebensumständen, ihn und seinen Bruder ganz früh verlassen hat. Kukafka legt deutlich dar, wie Packer bereits als Kind durch männliche Gewalt und das Verlassen werden traumatisiert wurde.

Auch wenn Kukafka keine einfachen Antworten auf die Frage nach dem Ursprung der Gewalt vorgibt, bedient sie sich doch öfters einiger Stereotypen und stellt sie gleichzeitig subtil in Frage. Das erzeugt die Reibung.

Packer ist als Figur so angelegt, dass Leser*innen Mitleid, ja fast Verständnis, für seine schrecklichen, unenschuldbaren Taten empfinden können. Das provoziert mich und weckt in mir Widerspruch.
Gleichzeitig macht Kukafka klar, dass Packer eine Wahl hatte, und sich für seine Taten entschieden hat und dafür auch verantwortlich ist.

“Manchmal bist du sicher, dass du nichts anderes bist als der flüchtige Moment zwischen Tun und Nichttun. Handeln oder Harren? Wo liegt der Unterschied? Wo ist die Wahl? Wo verläuft die Grenze zwischen Regung und Regungslosigkeit?”

Zweifellos beherrscht Kukafka die Klaviatur des unterhaltsamen Erzählens und auch wenn mir die emotionalen Beschreibungen und manipulativen Stilmittel manchmal eine Spur to much sind, kann ich mich der Faszination ihres Romans nicht entziehen.

Viele Mechanismen der Täter Rezeption, besonders wenn es um junge weibliche Opfer handelt, erkennt sie und benennt sie auch und verwendet sie gleichzeitig selbst.

“Da draußen existieren unzählige Männer, die Frauen gern Schmerzen zufügen würden, aber die Leute halten Ansel Packer für was Besonderes, weil er es getan hat.”

Alles in allem habe ich „Notizen zu einer Hinrichtung“ sehr gerne gelesen, es hat mich teilweise gezielt provoziert und mit seinem Schluss die volle Bandbreite eines emotionalen Epilogs ausgespielt.

Das war sehr gute Unterhaltung.

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Veröffentlicht am 10.02.2024

Mehr oberflächliche Unterhaltung als Gesellschaftskritik mit Tiefgang

Weiße Wolken
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Gleich vorweg, das Buch ist vielleicht für andere Leserinnen amüsant (wie mir zahlreiche positive Besprechungen mittlerweile bestätigen), für mich war das aber ein richtiger Flop.
Jetzt kannst du selbst ...

Gleich vorweg, das Buch ist vielleicht für andere Leserinnen amüsant (wie mir zahlreiche positive Besprechungen mittlerweile bestätigen), für mich war das aber ein richtiger Flop.
Jetzt kannst du selbst entscheiden, ob du weiterlesen möchtest oder nicht…

Eigentlich fängt es schon mit dem Klappentext an. Die Handlung und die vielversprechenden Konflikte, die dort beschrieben werden, finden nur am Rande und dann auch schon ziemlich am Ende des Romans statt.
Wie im Klappentext beschrieben, stehen die beiden Schwestern Dieo und Zazie im Mittelpunkt von Secks Geschichte. Ihre Lebensmodelle und der Umgang mit ihrer Identität könnte nicht größer sein. Zazie ist wütend auf alles, vor allem aber auf den Rassismus und Sexismus, der ihr als schwarze Frau entgegen schlägt.
Dieo ist verheiratet, Mutter von drei Söhnen und kämpft gegen die ungleiche Verteilung von mental load in ihrer Ehe.
Außerdem gibt es noch diverse Eltern und Großeltern, die meisten in Deutschland, aber auch im Senegal, dem Herkunftsland von Papis, dem Vater von Dieo und Zazie.

Was sich erstmal nach einer perfekten Ausgangssituation für die Erörterung von wesentlichen gesellschaftlichen und individuellen Fragen anhört, zeigt sich nach ein paar Seiten als humorvoller und unterhaltsamer gedachter Familienroman.
Könnte auch nett sein, funktioniert aber für mich nicht.

Mir kommen die wie am Reißbrett entworfenen Figuren zwar alle sehr sympathisch vor, aber doch auch sehr naiv und ohne Tiefgang. Selbst Simon, der mittelalte weiße Ehemann von Dieo, ist eigentlich ein netter Typ, dem Frau die Sache mit der mental load nur mal richtig erklären muss. Mit der richtige Aufklärung wird dann der karriereorientierte Yuppie Typ ganz schnell zum care-arbeitenden Familienmensch.
Fast alle Protagonist
innen handeln selbstverständlich nach einem hohen moralischen Standard wie aus dem Bilderbuch und sind immer nur dann genervt, traurig oder wütend, wenn es in die Situation notwendigerweise erfordert. So lässt sich natürlich jeder aufkommende Konflikt durch ein paar emotionale Dialoge in kürzester Zeit entschärfen.

Ich bin innerlich wahrscheinlich completely rotten, aber das finde ich unrealistisch, langweilig und patent wie in einer ARD Vorabendserie.

Am Ende kommt dann noch einer der reaktionären Tropes, die mich persönlich am meisten nerven und verärgern. Das war dann sozusagen das Tüpfelchen auf dem I.

Der Schreibstil ist an sich unterhaltsam, fresh und sehr dialoglastig. Auch hier hätte mir mehr show, don‘t tell wesentlich besser gefallen.

Unterhaltsam? Vielleicht, aber eigentlich ärgere ich mich gerade viel zu sehr über diesen nervigen Schluss, als dass jetzt noch viele positive Worte zu diesem Roman finden möchte.

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Veröffentlicht am 26.01.2024

Lesenswerter historischer Roman mit gesellschaftskritischen Ansätzen

Die Hexen von Cleftwater
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“Die Hexen von Cleftwater” spielt in einem kleinem Dorf in England zur Zeit der Hexenverfolgungen des 17. Jahrhundert.

Meyers Protagonistin Martha ist stumm und arbeitet seit vielen Jahren als kräuterkundige ...

“Die Hexen von Cleftwater” spielt in einem kleinem Dorf in England zur Zeit der Hexenverfolgungen des 17. Jahrhundert.

Meyers Protagonistin Martha ist stumm und arbeitet seit vielen Jahren als kräuterkundige Hebamme. In dem Haushalt, dem sie angehört, wird gleich zu Beginn des Romans eine junge Dienstmagd festgenommen und als Hexe angeklagt.
Immer mehr Frauen werden in dem kleinen Ort Cleftwater der Hexerei verdächtigt, denn der Hexenjäger ist vor Ort und vermutet einen Hexenzirkel.
Ich finde, auch wenn Meyer in erster Linie einen historischen Roman, der der Unterhaltung dienen soll, geschrieben hat, dass sie einige der gesellschaftlichen Wirkmechanismen der Hexenverfolgung deutlich herausarbeitet.
Die Verdächtigungen werden nicht wahllos ausgesprochen, sondern sie treffen vor allem Frauen, die am Rand stehen, ausgegrenzt sind, sich den Wünschen der Männer nicht in jeder Hinsicht fügen wollen.

Auch gefühlte Ungerechtigkeiten und Neid äußern sich diesen Anschuldigungen. Den Verdacht eine Hexe zu sein zu widerlegen ist quasi unmöglich und Folter und psychologischer Druck führen schnell zu vermeintlichen Geständnissen.

Auch Martha gerät bald unter Verdacht, was sie in einen Zwiespalt ihres Gewissens stürzt, denn was keiner weiß: Martha besitzt einen Aztmann, ein kleines Wachsfigürchen, dem magischen Kräfte zugesprochen werden….

Der Aztmann zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman und Meyer nutzt das symbolträchtige Püppchen als Projektion für die Zweischneidigkeit des Glaubens und die Ambivalenz von Gut und Böse in uns Menschen.

Die in Meyers Roman enthaltene Geschichte ist zwar definitiv fiktiv und aus Gründen der Unterhaltung verdichtet und dramatisiert, basiert aber auf realen historischen Ereignissen und ist wie der Meyers Danksagung zu entnehmen ist, detailliert recherchiert.

Für mich war die „Die Hexen von Cleftwater“ ein emotional sehr mitreißender historischer Roman, dessen Andeutungen von feministischer Gesellschaftskritik für mich gerne noch deutlicher hätten ausfallen können. Die handlungsreicheren Szenen wirkten minimal zu wenig auserzählt und zu schnell geschnitten.

Diese kleineren Kritikpunkt minderten aber die erzählerische Sogwirkung nur minimal und ich möchte dir diesen äußerst fesselnden, historischen Pageturner gerne weiterempfehlen!

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