Profilbild von MissGoldblatt

MissGoldblatt

Lesejury Profi
offline

MissGoldblatt ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MissGoldblatt über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.11.2016

Noch immer brandaktuell

Die unbekannte Terroristin
0

Dir kann nichts passieren. Du bist sicher. Du lebst in einem demokratischen Staat, der die Freiheit und Grenzenlosigkeit zelebriert. Und dann machst du einen Fehler. Du bist zur falschen Zeit, am falschen ...

Dir kann nichts passieren. Du bist sicher. Du lebst in einem demokratischen Staat, der die Freiheit und Grenzenlosigkeit zelebriert. Und dann machst du einen Fehler. Du bist zur falschen Zeit, am falschen Ort. Und alles was danach kommt, ist nur noch Lüge. Dir selbst gegenüber. Anderen gegenüber. Von anderen dir gegenüber. Dir kann alles passieren. Du bist nicht mehr sicher.


Meinung
Es bedarf mehr als ein bisschen Blabla, um das Buch Die unbekannte Terroristin von Richard Flanagan zu begreifen. Es so wiedergeben zu können, damit auch andere Menschen dieses Buch in Betracht ziehen. Und das ist nicht so einfach.

Dieses Buch ist zehn Jahre alt. Seine Erstveröffentlichung fand 2006 unter dem Namen „The Unknown Terrorist“ statt. Ist es nicht bemerkenswert erschreckend und faszinierend zugleich, dass die Thematik, die Handlung dieser Geschichte noch immer so präsent ist? So präsent, dass der Piper Verlag der Meinung ist, dass dieses Buch auch noch heute den Nerv einer Leserschaft trifft?

Ich war mir vor dem Lesen des Buches ein wenig bewusst, was mich erwartet. Dem Klappentext sei Dank. Doch er verrät nur das Nötigste. Was sich dem Leser innerhalb der 336 Seiten eröffnet ist eine Gesellschaft, die sich kaum von den alten Römern und ihren brutalen, mitunter tödlichen Gladiatorenkämpfen in der Arena unterscheidet. Nur das eine junge Frau nicht körperlich ausblutet, sondern seelisch. Ihr Leben entgleitet ihr und sie hat nicht den Hauch einer Chance, die Kontrolle darüber wiederzuerlangen. Nicht den Hauch einer Chance sich zu verteidigen. Und das alles durch das Medium, welchem wir uns alle nicht entziehen können. Dem Fernsehen, dem Internet. Der Berichterstattung von Menschen, die genauso fehlbar sind wie du und ich. Aber ebenso grausam sein können, wie Attentäter selbst. Durch und durch korrumpierbar. Fast schon inquisitorisch wird hier eine moderne Hexenjagd betrieben, auf den kleinen Menschen, weil es sonst keinen Dummen gibt, dem man die Schuld, ein Gesicht des Schreckens, zuschieben kann.

Es wird deutlich wie schnell sich die Medienlandschaft verselbstständigt; sie aus den kleinsten Brotkrumen eine Story inkl. großem Verschwörungsnetz dahinter konstruiert. Alles was on air oder online geht, kann niemals wirklich zurückgenommen werden. Und das verdeutlicht nur, was für eine Macht die Medien über unser Leben haben. Wie sehr sich der einzelne von der Berichterstattung beeinflussen und abhängig macht. Und dass sich die Personen hinter der Maske des Journalismus verstecken können und sich bewusst sind, was sie mit ihrer Berichterstattung erreichen können. Positiv wie negativ.

Richard Flanagan hat etwas Besonderes mit dieser Geschichte geschaffen. Nicht nur, dass es wie bereits erwähnt, hervorragend und den aktuellen Zeitgeist, die Angst der Gesellschaft, in Worte einfasst. Nein. Die Art, wie er das tut, ist bemerkenswert. Denn in so vielen Abschnitten habe ich tatsächlich so etwas ähnliches wie Poesie gefunden. Eine Kunst und Fingerfertigkeit mit Worten und deren Wirkung zu spielen. Den Leser nach Belieben in die Geschichte zu saugen und wieder mit voller Wucht herauszustoßen. Eine Kritik an die Gesellschaft so hart und doch seicht in dieses Buch einzuflechten. Denn obwohl ich all das in der Sprache des Buches gefunden habe, war da nie ein Gefühl der Schwere. Der wirklichen anspruchsvollen Literatur. Es lässt sich tatsächlich sehr leicht und schnell lesen. Was ein wundervoller Spagat ist, der so ein Buch auch für den Durchschnitts-Hobby-Leser zugänglich macht.

Ich habe viele eindrucksvolle Schreibstile kennenlernen dürfen. Aber Flanagans hat einen besonderen Flair. Auch nicht immer einen einfachen. Denn eben dieses Herausstoßen hat mich oftmals mit der Figur um Gina Davies, auch genannt „Puppe“, die Protagonistin, fremdeln lassen. Und doch war da in jeder Sekunde, trotz ihrer merkwürdigen Eigenheiten und auch Fehlern, die sie begeht, eine Empathie. Es hat sich oftmals einfach so angefühlt, als wäre man der einzige Mensch auf Erden, der noch an ihre Unschuld glaubt.

Denn schnell wird auch deutlich, dass sich sehr bald niemand mehr für die Wahrheit, für sie als Person interessiert. Es macht keinen Unterschied mehr, ob sie noch lebt oder nicht. Ihre Person wird in der Öffentlichkeit zerrissen. Bis aufs kleinste Detail analysiert und seziert. Anhand von kleinen Eigenheiten werden ihr stereotype, gar kranke Verhaltensweisen angedichtet, um die Sensationsgier der Meute zu befriedigen.

Es ist ganz klar. Wenn man zwischen den Zeilen liest. Man das Buch mit einem arbeiten lässt. Die unbekannte Terroristin bietet viel. Viel Handlung, viele Geschehnisse, viel Literarisches Handwerk. Dennoch empfand ich das Buch nicht als spaßige Achterbahnfahrt, wie so manch andere einfache Romane. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Handlung so ein wenig plätschert. Ja, sogar recht unspektakulär ist. Aber es hat mich interessiert. Ja. Es hat mich sogar sehr gebannt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Es hat viel mit meinen Gedanken während und nach dem Lesen gemacht. Und das fand ich am Ende wesentlich besser, als eine Action-Berg-und-Talfahrt zu erleben. Trotz oder sogar wegen der offensichtlichen Vorhersehbarkeit der Geschichte.

Fazit
Die unbekannte Terroristin von Richard Flanagan ist ein beeindruckendes Werk an schriftstellerischer Kunst und zugleich ein scharfes Schwert, welches seinen Wunde in den Köpfen der Leser hinterlässt. In diesem Buch wirft der Autor einen Spiegel auf die Gesellschaft, so hart und unnachgiebig, dass man manchmal über sein eigenes Denken erschrocken ist. Es ist zweifelslos ein Buch, welches den Nerv der Zeit trifft. Und welches man vielleicht gerade deswegen auch gelesen haben sollte. So berechenbar das auch scheinen mag.

Veröffentlicht am 06.11.2016

Überraschend gut und intensiv!

Flawed – Wie perfekt willst du sein?
0

Cecelia Ahern ist ja eher für ihre Liebesromane wie P.S. Ich liebe dich oder Für immer vielleichtbekannt. Umso erstaunlicher waren die Reaktionen auf die Bekanntmachung, dass die Autorin ihren ersten Jugendroman ...

Cecelia Ahern ist ja eher für ihre Liebesromane wie P.S. Ich liebe dich oder Für immer vielleichtbekannt. Umso erstaunlicher waren die Reaktionen auf die Bekanntmachung, dass die Autorin ihren ersten Jugendroman im Bereich Dystopie veröffentlicht.

Und was auch mich mehr als ein wenig überrascht hat, war, dass ihr diese Premiere sehr gut gelungen ist.

Mit Flawed – Wie perfekt willst du sein hat Cecelia Ahern eine Dilogie geschaffen, die mit Intensität, Atmosphäre und entwicklungsstarken Charakteren überzeugt. Ich habe einige ihrer anderen Romane gelesen und was direkt auffällt, ist, dass sich die Autorin perfekt in diese Geschichte eingelebt hat. Der Schreibstil, die Dialoge passen zur Zielgruppe, und ist wesentlich auf die Geschichte und ihr Setting ausgelegt. Wer also die Befürchtung hatte, dass ein stereotyper Schreibstil der Autorin in diesem Buch angewendet wird, kann sich entspannt zurücklehnen. Wer weiß, vielleicht lag es an den Lektoren, vielleicht lag es aber auch nur an dem geübten schriftstellerischen Erfahrungsschatz der Autorin, dass in Flawed die richtige Sprache, der richtige Ton, getroffen wird.

In Flawed – Wie perfekt willst du sein, dem Auftakt dieses Zweiteilers, erwartet den Leser eine spannende Geschichte, die sich zwar einiger altbekannter Elemente der Dystopie bedient, aber irgendwann entwickelt die Autorin ihren eigenen Drive, ihre ganz eine Welt, dass mein Vergleich mit Delirium von Lauren Oliver immer mehr in den Hintergrund wich. Denn eben an diesen Roman musste ich auf den ersten wenigen Seiten denken.

Je mehr ich mich in die Geschichte einlas, in eben diese auch abtauchte – denn das Buch ist ein Pageturner per excellence! – bekam ich ein Bild davon wie diese Perfekte Gesellschaft aufgebaut ist. Wie fehlerhaft jene auch ist. Denn dieses System mit der Gilde, die wie die Stasi überall ihre Augen und Ohren hat, um ja den kleinsten Fehltritt direkt zu ahnden, ist so wackelig, wie willkürlich. Von dem Ausmaß der Grausamkeit ganz zu schweigen.

Richtig gut gelungen ist es der Autorin, dass man als Leser nicht nur innerhalb der Geschichte Fragen aufkommen sieht, sondern das Buch mit seiner Botschaft auch nachhaltig beschäftigt.

Was ist Perfektion? Ist eine perfekte Gesellschaft, die keinerlei Fehltritte erlaubt tatsächlich perfekt? Wo ist die Menschlichkeit? Was passiert, wenn diese außer Acht gelassen wird? Wo fängt Machtmissbrauch an? Wo die Korruption?

Cecelia Ahern nimmt Teile der heutigen Gesellschaft unter dem Deckmantel dieses Buches aufs Korn. Wenn ich mir vor Augen halte, dass dieses Buch auf eine junge Zielgruppe ausgelegt ist, finde ich das schon sehr gut, was den Subtext angeht.

An der Spitze dieses mehr als fragwürdigen Systems steht ausgerechnet der Vater von Celestines Freund. Was ein merkwürdiger und zugleich hochspannender Aspekt.

Und damit sind wir auch schon bei den Charakteren und Beziehungen dieses Romans.

Allen voran steht natürlich Celestine, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Celestine ist stark, klug und sagt von sich selbst, dass sie stets logischen Schlussfolgerungen folgt. Tatsächlich hatte ich schnell den Eindruck, dass Celestine so ein bisschen der Stock im Arsch sitzt, sie ein bisschen zu sehr diesem „Alles ist schwarz oder weiß“-Grundsatz folgt. Sie war mir etwas schwer zugänglich und ein wenig undurchsichtig. Leider hat sich das nie wirklich in Wohlgefallen oder Luft aufgelöst. Selbst als durch sie der Stein ins Rollen kommt, und ihre Handlung, die sie auf Logik fußt, eine mittelschwere bis starke Staatskrise auslöst.

Ich finde Celestine nach wie vor als Charakter sehr schwierig. Und auch später im Verlauf der Geschichte bekam ich den Eindruck, dass sie trotz ihrer Intelligenz, die ihr immer wieder von anderen Mitmenschen bestätigt wird, oft eine lange Leitung hat. Nachhilfe beim Denken und Erschließen von Möglichkeiten braucht. An der Stelle wäre wohl der Ausdruck naiv und blauäugig ganz treffend.

Aber es ist nicht alles verloren bei Celestine. Es gibt durchaus Momente und Szenen mit ihr, die den Leser unglaublich nah an ihr ursprünglichstes Wesen herantragen. Die den Leser empathisch und intensiv mit ihrer Person verbindet. Dabei beweist sie wiederum, dass sie einen großen, sehr menschlichen und empathischen Kern hat; der weniger logisch, sondern vielmehr emotional ist. Und dass auch trotzige und irrationale Seiten in ihr existieren. Eben all das kommt nicht einfach über Nacht. Einige Eigenschaften und neue Mentalitäten entwickelt sie erst über die 480 Seiten des Buches hinweg.

Und auch die anderen Figuren im Buch lernen vieles über sich selbst. Entdecken neue und andere Seiten ihrer Persönlichkeiten. Das Paradebeispiel ist Celestines Mutter. Am Anfang von Flawed ist sie sichtlich eingeschüchtert vom System, der Gilde und achtet penibel darauf, den Ansprüchen und Regeln, dieser Welt zu genügen. Nachdem aber ihre Tochter ein besonderes Beispiel an Fehlerhaftigkeit darstellt, entwickelt sich die Mutter auf überraschende Art und Weise.

Aber nicht nur die Mutter verändert sich. Richter Crevan, der trotz seiner Autorität im hellen Licht glänzt, verliert nach und nach seine Maske und darunter kommt wirklich böses hervor. Dann ist da noch Celestines Schwester Juniper, der eine Rolle, die letztendlich Celestine einnimmt, anfangs eher zuzutrauen wäre.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass jegliche Personen zu Beginn der Geschichte einen Stereotyp bedienen. Allerdings hat Cecelia Ahern da ordentlich dran gewerkelt, und die Ergebnisse haben hier und da ein „Oha“ aus mir herausbekommen. Die Autorin wartet an allen Ecken mit Überraschungen auf den Leser, die er so nicht immer kommen sieht.

Das wiederum macht das Buch zu dem was es ist. Ultraspannend, wendungsreich und unterhaltend.

Einen kleinen Kritikpunkt zu der Geschichte selbst habe ich aber noch parat. Und das ist das Ende bzw. der Cliffhanger, mit dem das Buch endet. Die letzten Seiten und Szenen dorthin fand ich sehr schnell, ja, fast schon etwas übereilt erzählt.

Fazit
Wer mit einer außergewöhnlich intensiven und spannenden Geschichte einige Lesestunden erleben möchte, dazu auf Dystopien und philosophisch bis gesellschaftskritische Untertöne steht, der sollte unbedingt zu Flawed – Wie perfekt willst du sein greifen. Ich habe das Buch sehr genossen und werde auf jeden Fall den zweiten Teil lesen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Bezaubernd, mit einer schönen Botschaft

Alles, was ich sehe
0

Inhalt
Maggie ist nach einer Hirnhautentzündung erblindet. Sie mag ihr Schicksal nicht so recht annehmen und bleibt in ihrem Leben auf der Stelle stehen. Ihre Eltern sind ihr kaum eine Hilfe, schleichen ...

Inhalt
Maggie ist nach einer Hirnhautentzündung erblindet. Sie mag ihr Schicksal nicht so recht annehmen und bleibt in ihrem Leben auf der Stelle stehen. Ihre Eltern sind ihr kaum eine Hilfe, schleichen mit Samtpfoten um sie herum. Als Maggie unerwartet einen Unfall hat, kann sie danach Ben, einen zehnjährigen Jungen, sehen. Ausschließlich ihn. Zwischen Egoismus und Sehnsucht ist Maggie hin und her gerissen, und sucht in der Freundschaft zu Ben eine Nähe zu ihrem alten Leben. Doch warum kann sie nur ihn sehen? Als sie es herausfindet, hat sie schon viel verspielt.



Meinung
Im Vorfeld habe ich bereits einige tolle Meinungen zu „Alles, was ich sehe“ von Marci Lyn Curtis gehört und meine Erwartungen waren dementsprechend nicht so klein. Und nach wie vor bin ich mir komischerweise nicht sicher, ob die Erwartungen getroffen wurden. Denn ich habe gute, wie blöde Momente mit der Geschichte gehabt.

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass dieses Buch nicht etwas sehr besonderes an sich hat. Die Atmosphäre selbst hat mir gefallen, auch wenn sie für mich nicht so dicht und spürbar war, wie ich es erhofft habe. Zu Beginn des Buches, wo noch alles offen und das Rätsel um Maggies plötzlich wiederkehrendes Augenlicht so präsent ist, war alles möglich. Da hatte mich der Schreibstil, mit seiner klaren und einfachen Art, gefangen genommen. Ich bin mit Heißhunger auf diese Geschichte gestartet.

Denn die Idee dahinter, einer Blinden, die einst mal sehen konnte, das Augenlicht in einem gewissen Radius um eine Person wiederzugeben... Das sprüht nur vor Wunderlichkeit. Wer da nicht neugierig wird, warum das so ist, der hat es wohl einfach nicht so mit solchen „Wunder-Geschichten“. Was schade ist, denn diese hat es irgendwie drauf vor allem mit einem Aspekt zu glänzen. Nämlich mit Herzlichkeit.

Zugegebenermaßen ist Maggie zwar im Fokus des Buches, aber sie war für mich als Person nur Mittel zum Zweck. Sie war die Blinde. Hielt die Geschichte, das Mysterium, um diese temporäre Fähigkeit des Sehens, aufrecht. Ich mochte sie. Irgendwie. Und dann wieder nicht. Ganz häufig eigentlich nicht. Denn ihr Charakter ist etwas schwierig. Aber gegenüber so vielen warmen und herzlich gezeichneten Personen im Buch ist sie einfach, um es frei zu sagen, eine Bitch. Das soll nicht heißen, dass sie 24/7 unausstehlich war. Aber für mein Gefühl, hatte sie mehr egoistische Beweggründe, die Freundschaft zu Ben zu suchen, als ehrenwerte. Das hat sie nicht besonders ins gute Licht gerückt. Fürsorgliche und sehr schöne Momente hatte sie dennoch. Vor allem im letzten Drittel des Buches, wo sie auch mit Mason, Bens Bruder, in eine Kommunikation tritt. Nicht nur dieses Angefauche, wie zu Beginn.

Man könnte an der Stelle sagen, dass sie mit sich und dem Schicksal hadert. Dass sie ja viel durchgemacht hat und wenn man ehrlich ist, sicher auch hier und da so wie Maggie reagieren würde. Das große Aber kommt dennoch. Denn diese komischen und schwierigen Charaktereigenschaften hatte sie, wenn man die Geschichte weiter verfolgt, bereits vor ihrer Erblindung. Das sickert bei ihr im Verlauf auch durch den Kopf. Man könnte meinen, ihre Bitchigkeit wurde durch die Erblindung kurz hochgekocht, dann sehr abgeschwächt, trotzdem war bzw. ist das noch immer ein großer Teil von ihr. Vielleicht hat die Autorin oder Lektorin, wer auch immer die Entwicklung von Maggie zu verantworten hat, das irgendwann bemerkt und dachte sich „Hey, jetzt müssen wir mal was für’s Image von Maggie machen!“.

Ich will nicht unbedingt sagen, dass das dem Buch den Arsch gerettet hat, aber ganz dumm war dieses „Ruder rumreißen“ seitens und für Maggie nicht.

Puh. Ehrlich gesagt, will ich nicht so auf dem schwachen Charakter von Maggie rumreiten, denn das Buch hat ganz viele andere Stellen, wo es brilliert. Es hat da zum Beispiel Ben. Der zehnjährige Junge, den Maggie sehen kann. Und sein Wesen ist so wunderbar. So herzlich. So warm. So frisch und auch frech. Und doch hat er so reife Züge an sich, die mich immer wieder erstaunt haben. Ich liebe diesen kleinen Kerl. Meiner Meinung nach hat er am stärksten geglänzt in diesem Buch. Dann gibt es noch den Opa von Maggie, der auch nicht auf den Mund gefallen ist und seine Enkelin durch die Gegend kutschiert. Einfach rührend. Die Vorstellung, dass er präsenter ist als die Eltern. Immer auf Abruf. Oder Clarissa, die von Geburt an blind ist, die Maggie anfangs eher nervig findet, aber sich doch eine wunderbare Freundschaft zu bilden scheint. Und allein das Clarissa so quirlig ist. Das nimmt dem lethargischen Erstgedanken einer Erblindung den Wind aus den Segeln.

Und auch wenn die Eltern von Maggie nur hin und wieder Platz in der Geschichte finden, ergänzen sie das Buch auf ruhige Art. Wobei das problematische Verhältnis zwischen Maggie und ihrer Mutter, seit der Erblindung, nicht unerheblich thematisiert wird. Was auch sehr interessant ist, mitzuverfolgen. Irgendwie ist die Beziehung und die Problematik bei mir trotzdem nicht komplett durchgedrungen. Es war eher ein Beobachten, statt mitfühlen. Und so ging es mir in vielerlei Hinsicht bei Maggies Problemen.


Was im Gesamtbild besonders hervorsticht, und mir sehr gut gefällt, ist, dass das Buch so eine große Gewichtung auf Freundschaft und Familie legt. Hier fügt sich alles. Hier greift ein Zahnrad ins nächste. Die Unterstützung und Fürsorge, so unterschiedlich die Familienhintergründe von Maggie, aber auch Clarissa oder Ben sein mögen, gehen ans Herz. Und damit meine ich nicht auf kitschige und rührselige Art. Ich meine eher so ein wohlig-seufzendes „Hach…“. Und diese Botschaft finde ich unglaublich wichtig und steht, meiner Meinung nach, über Maggie und ihrer Darstellung in dieser Geschichte. Auch wenn ich sie an dieser Stelle nur sehr kurz anreiße, möchte ich sie nicht unerwähnt lassen. Genau das macht das Buch nämlich aus. Dieses Buch hat bei mir nicht von seiner Protagonistin gelebt, sondern durch das Zusammenspiel aller und der Botschaft, die es vermittelt.

Darüber hinaus sind die Auflösung und das Ende der Geschichte traurig, wie schön zugleich. Diese bittersüße Note gibt dem Buch nochmal einen besonderen Akzent, der mich überrascht, aber auch positiv eingestellt, hinterlassen hat.



Fazit
„Alles, was ich sehe“ ist ein besonderes Buch. Mit einer besonderen Geschichte und ganz vielen tollen Charakteren. Ich kann nicht sagen, dass Maggie außerordentlich gut war. Aber scheiße war sie auch nicht. Sie war mir als Person einfach zu schwammig, etwas zu schwierig und egoistisch. Dennoch hat das Buch schöne und ruhige Töne, die den Leser bezaubern. Die Botschaft ist ganz groß und beweist nur, dass man mit Freunden und Familien alles bewältigen kann. Das Buch selbst kann ich, trotz meiner Kritik an Maggie, guten Gewissens empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Exotisch-schöner Pageturner

Zorn und Morgenröte
0

Inhalt
Jeden Morgen bei Sonnenaufgang muss seine Frau sterben. Jeden Tag erwählt Chalid eine neue Braut, welche dieses Schicksal tragen muss. Bis Sharzad auftaucht. Als Erste in Chorasan schafft sie es, ...

Inhalt
Jeden Morgen bei Sonnenaufgang muss seine Frau sterben. Jeden Tag erwählt Chalid eine neue Braut, welche dieses Schicksal tragen muss. Bis Sharzad auftaucht. Als Erste in Chorasan schafft sie es, den Kalifen zu überzeugen, ihr einen weiteren Tag zu schenken. Mit einem Ziel, welches unmöglich zu schaffen scheint, will sie Rache nehmen. Für den Tod ihrer besten Freundin. Doch mit jedem weiteren Tag kann Sharzad einen weiteren Blick hinter die Fassade des großen Herrschers von Chorasan, Kalif Chalid, erhaschen. Eine Liebe, die kaum unmöglicher scheint und dabei eine zarte Brücke der Vergebung schlägt.


Meinung
Optisch gesehen bin ich jetzt nicht der Typ „dunkle, exotische Schönheit“. Aber mit „Zorn und Morgenröte“ von Renée Ahdieh habe ich das Bedürfnis und sogar die Möglichkeit bekommen, eine zu sein.

„Zorn und Morgenröte“ ist bereits im Februar dieses Jahres erschienen. Warum also ist man selbst nach Monaten noch so gehypt von diesem Buch? Wieso reißen die Empfehlungen nicht ab?

Für mich ist das einfach zu klären. Der Schreibstil von der Autorin hat etwas ganz besonderes. Er ist nicht besonders anspruchsvoll, aber sehr angenehm in der Sprache. Trotz Anlaufschwierigkeiten. Denn zu Beginn trifft man auf einige Fremdbegriffe wie „Qamis“, „Joonam“ oder „Shamshir“. Sobald man mit den Begriffen aber etwas vertrauter geworden ist und die Geschichte langsam an Fahrt aufnimmt, rückt das in den Hintergrund. Zumal schon der Prolog eine gewisse Spannung, gepaart mit einem ordentlichen Schuss Mysterium, aufbaut. Die Geschichte selbst wird hauptsächlich aus der Sicht von Sharzad erzählt. Dennoch darf sich der Leser auch über Perspektivwechsel zu Chalid, Tarik oder anderen Nebenfiguren freuen. Und ja, freuen. Denn das gibt der Geschichte, wie so oft bei Perspektivwechseln, eine Tiefe. Eine Vielseitigkeit und eine Pause von Sharzad.

Denn die Gute fand ich nicht immer einfach. Zu Beginn hat man diesen starken Eindruck von ihr. Sie ist tough und nicht auf den Mund gefallen. Das ist erfrischend und markant. Und dann passieren ihr Sachen, die einfach so unüberlegt sind. So absolut nicht in diese Situation gehören! Das fand ich unglaublich schade. Auch wenn ich Sharzad als Protagonistin sehr ins Herz geschlossen habe und sie mag, hatte sie manchmal so Seiten an den Tag gelegt, wo ich mir irgendwie auch an den Kopp greifen musste. Weil man unter dem Aspekt, dass sie einem von Willkür geleiteten Massenmörder erlegen ist, so unberechenbar und auch impulsiv handelt. Vereinzelt wirkte sie auf mich wie ein überhebliches und trotziges Kind. Es macht ihren Wesenszug aus, dass sie sich vieles nicht gefallen lässt, doch da war es unangebracht und wirkte alles andere als zauberhaft.
Deswegen wird dem Leser an den Stellen auch schnell klar, dass ihr ursprünglicher Plan nicht so schnell und einfach umgesetzt werden wird. Die Ausarbeitung des inneren Konflikts, der sich mit der Zeit in ihr stärker auftut, finde ich hingegen sehr gut. Diese stetige Wackeln hat mich anfangs zwar etwas gestört, aber unter dem Aspekt, dass sie sich mit einer Entscheidung gegen ihre Überzeugung und ihre Vergangenheit auflehnt, finde ich das herausragend beschrieben und in die Geschichte eingeflochten.

Die Geschichte selbst bietet aber wesentlich mehr, als eine etwas unstete Protagonistin. Die Bandbreite geht von Erzählungen, die von Tausendundeiner Nacht geprägt sind und damit eine einzigartige, sowie exotische Note bekommen, hinüber bis hin zu unglaublicher Spannung, finsteren Intrigen, gefährlichen Machtkämpfen und magischen Elementen. Nach den ersten hundert Seiten des Buches sind die ersten Brotkrummen gesät, damit der Leser unbedingt weiterlesen will. Es folgen Szenen und Dialoge, welche die Spannung um das blutige Geheimnis von Chalid, dem Kalifen, weiter aufbauen und die anderen Geschehnisse und die Atmosphäre darum haben mich so gefesselt, dass ich kaum aufhören wollte zu lesen. Das Erzähltempo fand ich in diesem Fall sehr gut eingesetzt und ich hatte keine Situation, in der ich mich groß gelangweilt oder das Gefühl bekommen habe, dass die Story nur schleppend läuft.

Aber kaum ein Buch ist perfekt. Sowie auch „Zorn und Morgenröte“. Das Buch hat auch Schwächen. Allen voran die Charaktere. Chalid habe ich zwar trotz dieser anfänglichen Kühle unglaublich ins Herz geschlossen, doch wenn man sich die Entwicklung zwischen Sharzad und Chalid genauer ansieht, kommt diese Sympathie zwischen den beiden und die daraus resultierende Inkonsequenz in ihrem Handeln so plötzlich. Nahezu aus dem Nichts. Unter dem Aspekt, dass da ein enormer Spagat ausgeführt wird, finde ich das schon etwas grenzwertig in der Authentizität. Sharzad, die einfache Tochter, die sich aus Rache freiwillig zur Braut für Chalid stellt, sich aber nicht zur Aktion durchringt und der reiche, „wahnsinnige“ junge Kalif, der so nachsichtig mit Sharzad ist, davor aber jeden Morgen töten ließ. Berechtigterweise kommen da Stimmen auf, inwieweit das glaubwürdig ist. Denn ein wenig wirkt die Liebe, differenziert betrachtet, künstlich konstruiert. Für den romantischen Aderlass erfüllt sie aber auf jeden Fall ihren Zweck und die eine oder andere schöne, prickelnde und erstaunliche Szene ist mit dabei.


Fazit
Mich hat diese Geschichte einfach mit dem besonderen Flair, diesem Hauch von Tausendundeiner Nacht angesprochen. Ich steh da irgendwie drauf. Und dennoch hat das Buch an gewissen Stellen seine kleinen Makel. Vor allem Sharzad als Charakter, hat hier noch Potential, sich schlüssiger und geradliniger in die Geschichte einzufügen. Dann war es zum Teil auch sehr vorhersehbar. Aber für einen Ausflug in die persische Traumwelt, mit einem kleinen geheimnisvollen und magischen Kitzel, ist es allemal zu empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Atmosphäre
  • Schreibstil
  • Charaktere
  • Fantasie
Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein wenig schwächer, aber trotzdem empfehlenswert!

Erbe und Schicksal
0

Inhalt
In der Nachkriegszeit scheinen sich die Wogen und dramatischen Umstände aus den letzten Jahren zu legen. Doch vorher muss endgültig darüber entschieden werden, ob Harry oder Giles das Barrington-Imperium ...

Inhalt
In der Nachkriegszeit scheinen sich die Wogen und dramatischen Umstände aus den letzten Jahren zu legen. Doch vorher muss endgültig darüber entschieden werden, ob Harry oder Giles das Barrington-Imperium erbt. Dabei würde Harry darauf verzichten, nur um endlich mit seiner großen Liebe Emma zusammen zu sein. Es kann aber keiner ahnen, dass sich im Hintergrund bereits schon die nächsten Intrigen anbahnen. Und diesmal soll selbst die Barrington Schifffahrt vernichtet werden.


Meinung
Ich hätte niemals im Leben geglaubt, dass ich mal eine Serie so sehr feiere, wie die Clifton-Saga von Jeffrey Archer. Eindeutig eher historisch angehaucht, eindeutig mit sehr vielen Familiendramen bespickt und trotzdem reißt es mich immer mit.
So auch diesmal geschehen mit „Erbe und Schicksal“, dem dritten Teil, von Jeffrey Archer.
Wer die Reihe kennt und liebt, wird wissen wovon ich rede. Denen, die diese Reihe noch nicht gelesen haben, sei gesagt, ihr verpasst eine wundervolle Erzählkunst eines großartigen Schriftstellers. Der Schreibstil ist so detailverliebt, aber nicht überladen. Jeffrey Archer versteht es immer wieder den Leser instant zurück ins Geschehen zu holen, eine dichte Atmosphäre, passend zum Zeitgeschehen und der Handlung, zu erzeugen. Obwohl dieses Buch in dem Zeitraum ab 1945 spielt, wirkt es nicht künstlich oder altbacken angehaucht. Es streut tatsächliche historische Daten oder Personen mit in die Handlung oder in Sätze ein, sodass sie einem kaum auffallen. Dadurch bekommt die Geschichte einen Hauch Realität in dieser Fiktion. Und den einen oder anderen interessanten Fakt kann man auch nicht leugnen.

Nahtlos knüpft der Autor an den spannenden Cliffhanger aus „Das Vermächtnis des Vaters“ an. Ich bin natürlich nicht so Banane und nehme euch die Auflösung! Es sei aber gesagt, diese Entscheidung, die da getroffen wird, hat natürlich weitreichende Konsequenzen. Wie sollte es auch anders sein? Es geht schließlich um ein Schifffahrts-Imperium und richtig viel Geld! Und solche Szenen, wie am Ende des letzten Buchs, wird es in „Erbe und Schicksal“ häufiger geben. Es werden wichtige Gespräche geführt, wichtige Verhandlungen und Entscheidungen getroffen! Das ist für den Teil auch mein größter Kritikpunkt. Nicht inhaltlich. Sondern in der Umsetzung. In diesem Buch wird viel ausgeholt, diese besonderen Szenen sind, für meinen Geschmack, immer etwas lang und zäh. Das nimmt der Geschichte ein wenig die Spannung und eigentlich wollte ich persönlich nur wissen, wie es mit Emma, Harry, Giles und dem ganzen Anhang weitergeht.

Denn die drei sind die Stahlträger in diesem Buch. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn einem der drei etwas passiert. Man hat sie nun schon über diese drei Bücher so ins Herz geschlossen. Trotz mancher Macken und Fehler, die sie noch immer machen. Menschen sind nicht unfehlbar. Insgesamt sind es auch einfach drei wundervolle Charaktere, die mit dieser Geschichte, mit der Zeit reifen und natürlich auch altern und damit dazulernen. Diese Charakterinszenierung von Jeffrey Archer ist so gut gelungen! Ich genieße es jedes Mal in diese Welt abzutauchen und mit den dreien zu leben.

Oh, und wo wäre der Spaß, das große Mitleiden, wenn es nicht Antagonisten gäbe? Und in diesem Buch finden sich schon einige, die dem Barrington-Clifton-Clan ordentlich zusetzen wollen. Und mit Verlaub, Archer schafft es auch hier wieder, jegliche Empathie für diese Charaktere auszumerzen. So viel Bosheit und Missgunst liegt in diesen Personen. Das ist wunderbar umgesetzt. Da leidet man als Leser mit. Man regt sich tierisch auf, da man durch die bekannten Perspektivwechsel auch in deren Rollen schlüpft. Find ich fies und super zugleich!

Ich fand es zwar schade, dass Sebastian, der Sohn von Emma und Harry, in diesem Buch zwar schon eine gewisse Präsenz darstellt, diese aber sehr kurz und oberflächlich abgehandelt wurde. Erst im letzten Drittel bekommt man als Leser ein besseres Bild von seinem Charakter und der Person. Und der Cliffhanger, ein nun schon traditionelles Element in dieser Reihe, setzt Sebastian in den Fokus. Hier kitzelt der Autor auch wieder die Spannung heraus, die ich bis dahin vermisst hatte und die ich aus den ersten beiden Bänden gewohnt war. Ich bin aber davon überzeugt, dass man im nächsten Band noch etwas mehr über Sebastian erfahren wird und freu mich schon sehr drauf.


Fazit
Ich liebe diese Reihe. Da kann ich es gut verschmerzen, wenn es mal kleine Einbrüche gibt. Dass es dieses Mal einige Längen gab, die sich etwas gezogen haben und dass die Spannung erst wieder gegen Ende an die Vorgänger anknüpfen konnte. Ja, damit kann ich leben. Letztendlich habe ich trotzdem genau das bekommen, was ich erwartet habe: Ein buntes Potpourri aus Intrigen, Liebe, Erzählungen und schicksalhaften Wendungen. Ich warte sehnsüchtig auf Teil 4 „Im Schatten unserer Wünsche“, der erst im September 2016 bei Heyne erscheinen wird.