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Veröffentlicht am 07.07.2019

Nach den Novemberpogromen ist für die jüdische Familie Meyer nichts wie zuvor

Zeit aus Glas
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Im November 1938 hat die jüdische Familie Meyer in Krefeld die Pogromnacht unverletzt überstanden, während viele andere verletzt, verhaftet oder gar getötet wurden. Doch ihr Haus wurde von den Nationalsozialisten ...

Im November 1938 hat die jüdische Familie Meyer in Krefeld die Pogromnacht unverletzt überstanden, während viele andere verletzt, verhaftet oder gar getötet wurden. Doch ihr Haus wurde von den Nationalsozialisten völlig verwüstet und jetzt müssen sie die Schäden selbst schnellstmöglich beheben. Ruth und ihre Schwester Ilse konnten vorübergehend bei den Aretz’, Freunden der Familie, unterkommen. Sie helfen ihrem Vater bei den Aufräumarbeiten, während ihre Mutter Symptome eines Nervenzusammenbruchs zeigt. Die Familie hat Ausreisegenehmigungen für die USA erhalten, doch aufgrund der begrenzten Aufnahmequoten müssen sie noch rund drei Jahre warten. Kann man diese Zeit in einem Land überstehen, in dem die Repressalien immer schlimmer werden und ein Krieg zunehmend wahrscheinlich wird?

Der erste Teil der Seidenstadt-Saga endete mit den Novemberpogromen des Jahres 1938. Die Familie Meyer hat ihr Haus rechtzeitig verlassen und konnte so eine Begegnung mit den Nationalsozialisten vermeiden. Der zweite Teil beschäftigt sich intensiv mit den Tagen danach. Man packt an und beginnt, Schäden zu beseitigen. Doch nichts fühlt sich mehr so an wie zuvor.

Einfühlsam und eindrücklich schildert die Autorin die Gefühle von Ruth beim Anblick der Verwüstung. Die Siebzehnjährige will stark sein, vor allem für ihre kleine Schwester. Doch Angst, Verzweiflung und Ungewissheit nehmen stetig zu. Ihre Mutter Martha geht es psychisch immer schlechter und die Familie versucht, ihr schrittweise das ganze Ausmaß der Katastrophe zu erklären.

Als die Trilogie angekündigt wurde war das zweite Buch mit dem Hinweis versehen, dass es um Ruths Ausreise geht. Im Klappentext wird das jetzt nur ganz am Ende erwähnt. Hier wurde scheinbar noch einmal umgeplant. Die ersten 350 von insgesamt 470 Seiten spielen in den Wochen nach den Pogromen. So intensiv und wichtig gegen das Vergessen diese Schilderungen sind, für mich wiederholte sich der Gesprächsinhalt zu oft: Eine Ausreise in die USA ist erst in drei Jahren möglich, das einst von Mutter Martha schön eingerichtete Haus ist verloren, man wagt den gefährlichen Schmuggel von Wertgegenständen außer Landes und Ruth hadert mit der Frage, ob sie das Land im ersten Schritt allein verlassen soll.

Mit einem Sprung in den April 1939 kommen schließlich viele Dinge in Bewegung und konnten mich so packen, dass ich diesen letzten Teil des Buches in einem Rutsch gelesen habe. Hier gab es viele spannende und hoffnungsvoll stimmende Momente sowie überraschende Hilfsbereitschaft (fast) Fremder. Dennoch bleibt die Gesamtlage höchst angespannt und ich werde den dritten und letzten Teil auf jeden Fall lesen, um zu erfahren, was aus Ruth und ihrer Familie geworden ist. Auch wenn dieser zweite Teil Längen hatte ist die Reihe für mich eine lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Schicksal einer jüdischen Familie aus Krefeld zur Zeit des Nationalsozialismus, die auf wahren Begebenheiten beruht.

Veröffentlicht am 23.06.2019

Eine gelungene Mischung aus Spannung, Humor und Fantasy

Der Freund der Toten
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In „Der Freund der Toten“ kommt 1976 der sechsundzwanzigjährige Mahony, der in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, ins kleine irische Dorf Mulderrig. Dort hat einst seine Mutter gewohnt, die das Dorf und ...

In „Der Freund der Toten“ kommt 1976 der sechsundzwanzigjährige Mahony, der in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, ins kleine irische Dorf Mulderrig. Dort hat einst seine Mutter gewohnt, die das Dorf und ihn angeblich verlassen hat. Doch ein Brief, der Mahony erst jetzt ausgehändigt wurde, legt einen Mord nahe. Gemeinsam mit der exzentrischen ehemaligen Schauspielerin Mrs Cauley beginnt er mit Nachforschungen und stößt größtenteils auf Ablehnung bis hin zu offener Feindseligkeit. Auch die Toten, die Mahony sehen kann, haben etwas zu sagen - wenn sie sich doch nur konkreter ausdrücken würden! Und das ist bald nicht mehr das einzige, was in Mulderrig nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint.

Gleich auf den ersten Buchseiten wird der Leser Zeuge eines Verbrechens, sodass die Vermutung nahe liegt, dass es sich hier um einen Krimi handelt. Tatsächlich kommt Mahony mit dem konkreten Ziel ins Dorf, den Tod seiner Mutter aufzuklären. Doch das Buch entwickelt sich schnell zu mehr. In Mulderrig lernt man zahlreiche Charaktere kennen, die auf ihre Weise skurril sind, ganz zu schweigen von den Toten, die Mahony sieht und mit denen er manchmal auch sprechen kann. Die Ermittlungen schreiten voran, doch nebenher werden Kleinkriege angezettelt, ein Theaterstück wird geplant und auch die Liebe kommt nicht zu kurz. Die Schilderungen der Autorin sind phantasievoll und spätestens als Wirbelstürme als Orakel eingesetzt werden und Frösche Wohnzimmer bevölkern weiß man, dass hier auch die Natur verrückt spielt. Realität und Fiktion fließen immer stärker ineinander, während sich die Situation zuspitzt und es immer spannender wird. In der Folge muss man immer mehr zwischen den Zeilen lesen und ich hätte mich rund um die Aufklärung der Verbrechen noch einige klarere Antworten gewünscht. Insgesamt ist die Geschichte eine tolle und ungewöhnliche Mischung aus Spannung, Humor und Fantasy, die mir Lust auf weitere Bücher der Autorin macht!

Veröffentlicht am 20.06.2019

Ein beruflicher Neustart, der anders läuft als gedacht

Meistens kommt es anders, wenn man denkt
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Voller Elan beginnt Nele ihren neuen Job in der Hamburger PR-Agentur M&T. Sie ist fest entschlossen, dort Karriere zu machen, nachdem sie ihre alte Agentur nach der Trennung von ihren Freund und Kollegen ...

Voller Elan beginnt Nele ihren neuen Job in der Hamburger PR-Agentur M&T. Sie ist fest entschlossen, dort Karriere zu machen, nachdem sie ihre alte Agentur nach der Trennung von ihren Freund und Kollegen Tobi freiwillig verlassen hat. Der Start verläuft reibungslos - bis der zweite Agenturinhaber Claas Maurien aus dem Urlaub kommt. Gemeinsam mit ihm soll sie an einer Imagekampagne für einen Politiker arbeiten, der Bürgermeister werden will. Dabei bringt er ihren Entschluss, den Männern abgeschworen zu haben, ganz schön ins Wanken. Und das als ihr Chef! Auch privat ist bei Nele einiges los, denn ihre Eltern wollten nach dreißig Jahren als Paar heiraten und ihr Bruder Lenny, der das Down-Syndrom hat, will ausziehen und sich einen neuen Job suchen.

Die Protagonistin Nele habe ich in Petra Hülsmanns vorherigem Buch „Wenn’s einfach wär, würd’s jeder machen“ schon kennengelernt. Deshalb freute ich mich darauf, mehr über sie zu erfahren. Die Trennung von ihrem Freund Tobi hat sie inzwischen halbwegs verdaut und ist bereit für einen beruflichen Neustart, während sie in Liebessachen eine Pause einlegen will.

Schnell war ich mittendrin in der Geschichte und in Neles trubeligem Leben. Langeweile kennt sie nicht. In der neuen Agentur ist viel zu tun und bei die Imagekampagne für einen Politiker ist ihre Chance, sich zu beweisen. Als ihr Kollege, der mit ihr an der Kampagne arbeitet, um Hilfe fragt, sagt sie natürlich zu. Auch als Trauzeugin ihrer Mutter übernimmt sie zahlreiche Aufgaben rund um die Vorbereitung. Und ihren Bruder Lenny, der ausziehen und Tierpfleger werden will, unterstützt sie bei der Recherche.

Nele ist jemand, der gern gebraucht wird und aufpassen muss, dass sie dabei nicht ausgenutzt wird. Ich war neugierig, ob sie im Laufe des Buches lernt, sich besser abzugrenzen und auch mal Nein zu sagen. Da es rund um ihre tausend ToDos viel zu erzählen gibt, verfliegen die Seiten nur so. Besonders gut gefallen hat mir Neles Bruder Lenny. Die Autorin thematisiert einfühlsam das Thema Down-Syndrom mit allem, was dazugehört. Das fügt sich gelungen in die Geschichte ein und bringt ins Nachdenken, ohne dass es belehrend wirkt.

Von Beginn an fühlt sich Nele zu ihrem Chef Claas hingezogen, will die Gefühle aber um keinen Preis zulassen. Die beiden verbringen aufgrund der Kampagne, an der sie gemeinsam arbeiten, viel Zeit miteinander und lernen sich besser kennen. Das ist für Neles Entschluss genauso wenig hilfreich wie Claas‘ süße Hündin Sally, die ihr sofort ans Herz wächst. Das Buch liest sich leicht und schafft ein warmes, fluffiges Gefühl, das durchweg anhält. Für meinen Geschmack lief alles ein bisschen zu glatt und nur mit wenigen ganz kurzen Krisen ab. Eine Feelgood-Lektüre, in der die Liebe nicht zu kurz kommt, aber auch Familie und das Thema Down-Syndrom eine wichtige Rolle spielen!

Veröffentlicht am 15.06.2019

David Hunters 6. Fall

Die ewigen Toten
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In „Die ewigen Toten“ von Simon Beckett wird der forensische Anthropologe David Hunter zu einem Leichenfund gerufen, und das ausgerechnet am letzten Abend mit seiner Freundin Rachel, die am nächsten Tag ...

In „Die ewigen Toten“ von Simon Beckett wird der forensische Anthropologe David Hunter zu einem Leichenfund gerufen, und das ausgerechnet am letzten Abend mit seiner Freundin Rachel, die am nächsten Tag aus Forschungsgründen für drei Monate nach Griechenland fliegt. Auf dem Dachboden eines stillgelegten Krankenhauses, das kurz vor dem Abriss steht, wurde eine mumifizierte Frauenleiche gefunden, die schwanger war. Während der ersten Begutachtung kommt es zu einem großen Schockmoment, denn die Decke bricht an einer Stelle ein und offenbart zwei weitere Tote, die an Betten gefesselt gestorben sind.

Was als ruhige Ermittlung begann wird im Handumdrehen zu einem Fall, der große Aufmerksamkeit erregt. Vorkenntnisse aus den letzten Bänden werden nicht benötigt, da alle relevanten Ereignisse der Vergangenheit kurz erklärt werden. Zunächst laufen die Ermittlungen trotz des wachsenden Drucks der Öffentlichkeit in gemäßigtem Tempo ab und es gibt keine Ansatzpunkte, wer der Mörder sein könnte. Schließlich gibt es einige neue Erkenntnisse, die Schwung ins Geschehen bringen. Zum Ende hin scheint der Autor dann den ruhigen Start kompensieren zu wollen, denn es ist vollgepackt mit Drama in Kombination mit einem ziemlich naiv agierenden David Hunter. Der Autor will dem Genre Thriller gerecht werden, doch das war für meinen Geschmack zu viel des Guten in zu kurzer Zeit. Nachdem ich die Handlung über weite Teile spannend und interessant fand, habe ich das Buch deshalb mit gemischten Gefühlen beendet.

Veröffentlicht am 02.06.2019

Ein Android unter meinem Dach

Maschinen wie ich
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Charlie Friend ist Anfang 30 und kommt mit Börsenspekulationen am heimischen Computer über die Runden. Als seine Mutter stirbt, nutzt er das gesamte Erbe, um einen der ersten Androiden zu kaufen. Die Eves ...

Charlie Friend ist Anfang 30 und kommt mit Börsenspekulationen am heimischen Computer über die Runden. Als seine Mutter stirbt, nutzt er das gesamte Erbe, um einen der ersten Androiden zu kaufen. Die Eves waren schon ausverkauft, darum lebt nun ein Adam bei ihm. Gemeinsam mit seiner Nachbarin Miranda, in die er heimlich verliebt ist, weckt er die Maschine auf und versucht, dessen Persönlichkeit zu formen. Doch Adam verhält sich schnell menschlicher als erwartet, und er hat durchaus einen eigenen Willen.

Der Roman nimmt den Leser mit in eine alternative Version der 1980er Jahre. Großbritannien hat den Falkland-Krieg verloren und diskutiert über den Austritt aus der EU. Gleichzeitig hat die Forschung vor allem dank Alan Turing große Fortschritte gemacht, sodass es das Internet schon lange gibt und man nun die ersten Androiden erwerben kann. Dadurch fühlt sich das Umfeld dieses Romans vertraut und fremd zugleich an.

Den Protagonisten Charlie lernt man kennen, kurz nachdem dieser Adam erworben und in seine Wohnung getragen hat. Als studierter Anthropologe und Technik-Begeisterter ist seine Neugier auf dieses neue Wunderwerk groß, sodass er es kaum erwarten kann, dass Adam fertig geladen ist. Auch seine Nachbarin Miranda zeigt sich interessiert. In der Hoffnung, ihr näher zu kommen, macht Charlie Adam zu ihrem gemeinsamen Projekt. Jeder soll die Hälfte der Persönlichkeitsmerkmale bestimmen. Der Autor baut die Spannung gelungen auf, sodass auch ich auf den Moment hinfieberte, in dem Adam zum Leben erwacht.

Wie würden Androiden in unsere Gesellschaft passen? Ist ein Zusammenleben möglich? Welche Entwicklung löst die Umwelt bei ihnen aus, und wie würden Menschen auf sie reagieren? Fragen wie diese werden im Roman gestellt und mögliche Antworten darauf gesucht. Der Leser begleitet Adam von seinen ersten Minuten an über mehrere Monate, in denen er dank seiner künstlichen Intelligenz rasante Lernfortschritte macht und erstaunliche Entscheidungen trifft. Dabei taucht man häufig ins Charlies Gedanken ein, der sich ausführlich mit Adams Verhalten beschäftigt. Diese Episoden waren für meinen Geschmack an mancher Stelle zu lang, vor allem in Kombination mit den Beschreibungen der fiktiven Gesellschaftssituation.

Bald kommen Adam und Miranda in so manche heikle Situation. Denn statt zu Charlies Vertrautem zu werden, gesteht Adam, selbst in Miranda verliebt zu sein. Können Maschinen wirklich Gefühle entwickelt, und wie geht man damit um? Wie reagieren sie, wenn sie die Ungerechtigkeit der Welt realisieren? Und was passiert, wenn man von ihnen verlangt, zu lügen? Die Art und Weise, wie der Autor seine Charaktere in Situationen wie diese schickt, fand ich gelungen. Die Situation spitzt sich immer weiter zu und ich war gespannt, wie Charlie, Miranda und Adam sich verhalten werden.

„Maschinen wie ich“ stellt wesentliche Fragen im Hinblick auf Menschlichkeit, Mensch sein und der Abgrenzung von Maschinen. Dabei werden dem Leser sowohl philosophische Überlegungen als auch heikle Situationen im Umgang miteinander präsentiert. Ein intelligentes Gedankenspiel!