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Veröffentlicht am 09.08.2020

Humorvoll und bewegend zugleich

Und dann noch die Liebe
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Brüssel, 2015. François ist Mitte Dreißig und als deutsch-französischer Journalist gerade bei den Verhandlungen um die Schuldenlast Griechenlands. Da lernt er durch Zufall Agapi kennen, die im Stab des ...

Brüssel, 2015. François ist Mitte Dreißig und als deutsch-französischer Journalist gerade bei den Verhandlungen um die Schuldenlast Griechenlands. Da lernt er durch Zufall Agapi kennen, die im Stab des griechischen Finanzministers tätig ist. Die beiden kommen sich schnell näher, doch dann beginnen Leben und Karriere sich zwischen die beiden zu drängen. Denn 2015 ist auch das Jahr zahlreicher terroristischer Anschläge und riesiger Flüchtlingsströme, die vor allem in das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos strömen. Und wie, das fragt sich der Protagonist, kann die Liebe in solchen Zeiten noch funktionieren?

Alexander Oetker war bisher hauptsächlich für seine Kriminalromane bekannt. Mit "Und dann noch die Liebe" beweist er, dass er auch anders kann. Den Journalisten merkt man ihm definitiv an, eindrucksvoll schreiben, das kann er. Mal unglaublich witzig und ironisch über die Abläufe in solchen politischen Verhandlungen, mal mitreißend, wenn er beschreibt, wie das Dorf Mytilini auf Lesbos unter der Menge an Flüchtenden zu ersticken droht, die Bevölkerung dennoch aber nicht ihre Menschlichkeit verliert. Dem gegenüber stellt der Autor gekonnt die wachsende Angst vor dem Terrorismus. Er erklärt nicht und natürlich entschuldigt er nicht, dennoch gelingt es ihm, Ängste und Widersprüchlichkeiten aufzudecken.

Und dann wird dieser grandiose Roman noch um eine weitere Perspektive ergänzt, die einzige übrigens, so sagt Oetker selbst, die nicht erfunden ist. Parallel zum Geschehen in den Jahren 2015 und 2016 schildert er die Flucht seiner Großmutter Ilse in den Wirren des zweiten Weltkriegs. Dabei erzählt er von Hunger, von Übergriffen auf Frauen und von einer Liebe, die zur falschen Zeit am falschen Ort entsteht. So wird nicht nur die Verbindung zu François gezogen, dessen Liebe zu Agapi in der Gegenwart zu scheitern droht. Nein, Alexander Oetker macht auch noch einmal klar, dass viele unserer Vorfahren auch einmal Geflüchtete waren und wie wichtig es ist, diesen Gedanken im Hinterkopf zu behalten. Und das ganz ohne moralischen Zeigefinger. Bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 12.07.2020

Liebe ist Liebe

Queer Heroes (dt.)
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Auch wenn die Themen sexuelle Orientierung und Gender in den letzten Jahren Einzug in gesellschaftspolitische Debatten sowie Kunst, Literatur, Film und Sport gefunden haben, sind sie immer noch weit von ...

Auch wenn die Themen sexuelle Orientierung und Gender in den letzten Jahren Einzug in gesellschaftspolitische Debatten sowie Kunst, Literatur, Film und Sport gefunden haben, sind sie immer noch weit von einer Enttabuisierung entfernt. Umso wichtiger erscheint ein Buch wie "Queer Heroes. 53 LGBTG-Heldinnen von Sappho bis Freddie Mercury und Ellen DeGeneres", das sich mit seinem bunten Layout und einer ansprechenden textlichen Gestaltung klar an Jugendliche wendet.

In Kurzporträts werden hier Menschen unterschiedlichster Herkunft vorgestellt, die aufgrund ihrer Sexualität diskrimiert wurden, beginnend in der Antike über die Renaissance bis in die Gegenwart. Darunter befinden sich Sportler
innen und Künstlerinnen, Unternehmerinnen, Politikerinnen und Aktivistinnen. Neben Prominenten wie Freddie Mercury, Marlene Dietrich oder Frida Kahlo. die wohl jedem bekannt sein dürften, befinden sich auch unbekanntere Held*innen darunter, die seit Jahrzehnten für die Rechte der LGBTQ-Community in ihrem Land kämpfen. So zum Beispiel Manvendra Singh Gohil, der erste offen schwule Prinz, der von seinen Eltern verstoßen wurde und heute in seinem pinken Palast eine Zufluchtsstätte für Schutzbedürftige eingerichtet hat. Oder die knapp 20-jährige bisexuelle Emma González, die nach einem Amoklauf an ihrer Schule 2018 verkündete "Genug ist genug" und seitdem für schärfere Waffengesetze in den USA kämpft.

Die Texte umfassen jeweils eine knappe Seite und sind somit genau richtig für jugendliche Leser, nicht zu anspruchslos, nicht zu überfrachtet. In klaren Sätzen wird der Lebenslauf der jeweiligen Person umrissen, die wunderbaren, farbenkräftigen Ilustrationen von Sarah Tanat-Jones unterstreichen dabei die Botschaft des Buches: "Liebe ist Liebe". Eingefasst wird der zentrale Inhalt des Buches noch von einem ergänzenden Vorwort sowie einem Stichwortverzeichnis am Ende, welches die wichtigsten Begriffe aufgreift und erklärt. Ein absolut wichtiges Buch für Jugendliche ab 12 Jahren, aus dem auch Erwachsene noch vieles lernen können

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Veröffentlicht am 05.06.2020

Für die Enttabuisierung der Menstruation

Periode ist politisch
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Eigentlich wollte Franka Frei nur ihre Bachelorarbeit verfassen. Doch als sich zunehmend Professoren und auch Professorinnen weigerten, das Thema Menstruation zu genehmigen und zu begleiten und sie außerdem ...

Eigentlich wollte Franka Frei nur ihre Bachelorarbeit verfassen. Doch als sich zunehmend Professoren und auch Professorinnen weigerten, das Thema Menstruation zu genehmigen und zu begleiten und sie außerdem darauf hinwiesen, es habe keinerlei aktuelle Relevanz, begann die Autorin nachzuforschen. Aus einer rein wissenschaftlichen Recherche wurde ein weit größeres Anliegen, aus der Studentin Franka Frei eine Aktivistin für das Thema Menstruation - eine Tätigkeit, die sie rund um den Globus zu vielen spannenden Frauen schicken sollte. Von diesen Erlebnissen berichtet sie nun in "Periode ist politisch", nimmt sich aber auch wissenswerten Fakten und Zahlen an. Ihr Schreibstil ist zuweilen sehr flapsig, das erleichtert aber den Zugang zu einer Materie, die mit unglaublich vielen Tabus und Vorurteilen belegt ist.

Das Thema Menstruation betrifft etwa die Hälfte der Weltbevölkerung. Dennoch wird dazu kaum geforscht und wenig darüber gesprochen. Frauen verbergen ihre Monatsblutung so gut es geht, schmuggeln Binden und Tampons heimlich auf die Toilette im Büro oder Restaurant. Auch die Werbung für Periodenartikel suggeriert Dinge, die nicht der Wahrheit entsprechen. Menstruationsblut wird als klare bläuliche Flüssigkeit dargestellt und die gezeigten vornehmlich jungen hübschen Frauen sprühen während ihrer Periode geradzu vor Energie, um Reiten, Wandern oder Tennis spielen zu gehen. Die Realität sieht da ganz anders aus. Viele Frauen leiden an (teilweise undiagnostizierten) Leiden wie Zysten oder Endometriose. Ihre Periode ist so schmerzhaft, dass sie sich nur mit Mühe zur Arbeit schleppen können. An Freizeitaktivitäten ist nicht zu denken. Zusätzlich müssen sie noch neunmalkluge Bemerkungen über sich ergehen lassen: "Die Periode ist doch keine Krankheit!" oder "Ach, bist Du heute wieder schwierig, Du hast wohl Deine Tage" - mal ehrlich, welche Frau hat das noch nicht gehört? Dabei sind die Ausprägungen von Frau zu Frau unterschiedlich und, wie Franka Frei richtig bemerkt, es menstruieren nicht nur Frauen; eine Feststellung, die sie durch Verwendung des Gendersternchens im gesamten Text noch unterstreicht.

Auch der Blick in andere Länder darf in diesem Buch nicht fehlen. So trifft die Autorin Frauen aus Indien, Pakistan oder Bangladesh, die es sich zum Ziel gesetzt haben, mit dem Tabu der Menstruation aufzuräumen. Während für deutsche Frauen die Periode zwar lästig und schmerzhaft sein kann, bedeutet sie in anderswo auf der Welt den Verlust der Arbeitskraft und damit des dringend benötigten Einkommens. Oft gilt die Frau während ihrer Tage als unrein und darf entsprechend nicht mit anderen in Berührung kommen. Dies führt sogar dazu, dass Mädchen ab der ersten Blutung häufig nicht mehr zur Schule gehen können, weil Periodenartikel zu teuer für die Familie sind. Zudem müssen sie für die Dauer ihrer Menstruation isoliert von ihrer Familie im Freien oder extra dafür gebauten Menstuationshütten verbringen. Was es für diese jungen Mädchen bedeutet, ohne den Schutz ihrer Familie ständig Angst vor Vergewaltigungen haben zu müssen und welche Chancen ihnen ohne Schulbildung bleiben, das kann man sich gut ausrechnen. Ein Thema ohne aktuelle Relevanz? Wohl kaum.

Doch Franka Frei leistet in ihrem Buch noch mehr. Sie nimmt Trumps Wahlkampf ebenso unter die Lupe wie die verschiedensten historischen Theorien zum Wesen der Frau. Sie räumt mit Mythen rund um das Thema auf und erklärt noch einmal die biologischen Grundlagen. Ein wichtiges und spannendes Buch über einen ganz natürlichen Vorgang, dem wir alle unsere Existenz verdanken und der daher dringend enttabuisiert werden muss. Denn Periode, das beweist die Autorin, ist mehr als nur eklig und unbequem, sie ist politisch.

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Gestalterisch und inhaltlich sehr ansprechend

Kochen wie in Japan
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Im Jahr 2013 wurde Japans traditionelle Küche zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt - zu recht, denn sie ist sowohl schmackhaft als auch gesund. Mit "Kochen wie in Japan" legt Kaoru Iriyama nun ein ansprechendes ...

Im Jahr 2013 wurde Japans traditionelle Küche zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt - zu recht, denn sie ist sowohl schmackhaft als auch gesund. Mit "Kochen wie in Japan" legt Kaoru Iriyama nun ein ansprechendes und informatives Kochbuch zu diesem Thema vor. Beim ersten Durchblättern fallen zunächst die vielen qualititativ hochwertigen und ästethisch aufgenommenen Fotos auf, die die Gerichte, aber auch Japan als Gesamtthema illustrieren.

Das Buch beginnt zunächst mit einer kleinen Einleitung zum Thema und stellt eine Bucketlist auf, welche Dinge ein Japanreisender unbedingt unternehmen sollte. Danach folgen Fakten zur japanischen Küche sowie die Top 5-Grundbausteine: Reis, Meeresalgen, Sojasauce, Miso und Ingwer. Kleine Exkurse zur japanischen Esskultur oder bestimmten Traditionen runden das Ganze mit Fachwissen ab.

Im anschließenden Rezepteil sind dann die folgenden Kapitel zu finden: Suppen und Nudeln, Reisgerichte, Hauptspeisen, Beilagen und Salate, Bento, Hotpot und Streetfood sowie Süßes. Dabei darf natürlich keiner der Klassiker fehlen - Ramen, Misosuppe, Sushi, Okonomiyaki, Yakitori und Mochi, das alles ist enthalten. Es werden aber auch neue kreative Rezeptideen präsentiert. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei sehr angenehm - wer möchte, darf sich aber auch an der Herstellung von Nudeln versuchen.

Fazit: Ein gestalterisch und inhaltlich sehr ansprechendes Buch - einzig ein kleiner Exkurs zu passenden traditionellen Getränken wäre noch interessant gewesen.

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Veröffentlicht am 12.05.2020

Niemand gewinnt einen Krieg wirklich

Offene See
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Frühjahr 1946. Dem sechzehnjährigen Robert ist seine Welt in einer kleinen Bergarbeiterstadt im Norden Englands zu eng geworden. Die Erwartung, wie all seine männlichen Vorfahren unter Tage zu arbeiten, ...

Frühjahr 1946. Dem sechzehnjährigen Robert ist seine Welt in einer kleinen Bergarbeiterstadt im Norden Englands zu eng geworden. Die Erwartung, wie all seine männlichen Vorfahren unter Tage zu arbeiten, kann er noch nicht erfüllen. Um endlich einmal Freiheit zu spüren, begibt er sich auf Wanderschaft durch seine vom Krieg noch stark mitgenommene Heimat. Sein Weg führt ihn schließlich zum kleinen Cottage von Dulcie Piper - eine ältere Dame, die sein Leben für immer verändern soll.

Mit "Offene See" ist Benjamin Myers ein großartiger Coming of Age-Roman gelungen, der so viel mehr als dieses eine Label zu bieten an. Die Sprache ist von unglaublicher Poesie und fängt die Küstenlandschaft und ihre Bewohner perfekt ein. Robert ist ein stiller Junge, der seinen Weg im Leben erst noch finden muss. Der Krieg hat auch ihn geprägt und seine Wut auf die Deutschen geschürt. Das Aufeinandertreffen mit Dulcie verändert jedoch etwas in ihm. Im Gegensatz zum klassischen Frauenbild der Zeit nimmt sie kein Blatt vor den Mund, lebt, wie sie es für richtig hält und hat auch zum Kriegsgeschehen eine klare Meinung: Niemand gewinnt einen Krieg wirklich, im Grund gibt es nur Verlierer und auf beiden Seiten stehen menschliche Wesen. Eine wichtige Botschaft, auch und gerade in der heutigen Zeit.

Nach und nach begreift Robert, dass Dulcies Leben ein Geheimnis birgt, eine Wunde, die immerzu schmerzt und nicht heilen will. Bei gemeinsamen Essen und langen Gesprächen kommen die beiden sich näher und öffnen sich einander. Dabei ist es schön zu spüren, dass Dulcie als die Ältere sich nie überlegen gibt, sondern auch die Chance nutzt, etwas von Robert zu lernen. Der hingegen erhält durch Dulcie einen völlig neuen Blickwinkel auf sein Leben und was er damit anzufangen gedenkt. Ein fabelhafter Roman, der auf jeden Fall zu meinen Highlights in 2020 gehört!

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