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Veröffentlicht am 09.03.2022

Schöner Reihenstart

Violet und Bones Band 1 - Der lebende Tote von Seven Gates
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Violet Veil ist 13 Jahre alt und streift am liebsten mit ihrem Hund Bones über den Friedhof. Als Tochter eines Bestatters hat sie gelernt, mit dem Tod umzugehen und eigentlich würde sie gerne viel mehr ...

Violet Veil ist 13 Jahre alt und streift am liebsten mit ihrem Hund Bones über den Friedhof. Als Tochter eines Bestatters hat sie gelernt, mit dem Tod umzugehen und eigentlich würde sie gerne viel mehr Verantwortung im Unternehmen ihres Vaters übernehmen. Das gehört sich aber in dieser Zeit - wir befinden uns im viktorianischen London - nun einmal nicht für Mädchen, was Violet ungemein ärgert. Doch als dann eine Mordserie geschieht und eines der Opfer vor ihren Augen wieder lebendig wird, benötigt Violets Vater auf einmal ihre Hilfe – denn er wird verdächtigt, der Täter zu sein.

„Der lebende Tote von Seven Gates“ ist der erste Band der neuen Kinderbuchreihe von Autorin Sophie Cleverly, aus deren Feder auch schon die Bücher rund um die Schwestern Scarlet und Ivy und die Eliteschule Rookwood stammen. Da das Internat auch in der vorliegenden Geschichte kurz erwähnt wird, gehe ich davon aus aus, dass beide Reihen im selben Universum angesiedelt sind. Der Schreibstil ist erfrischend; mal lustig, mal ernst und lässt Violets Welt vor unserem Augen zum Leben erwachen. Auch die Hauptcharaktere Violet und Oliver (das ist der eigentlich tote Junge) sind durch und durch sympathisch, auch wenn sie ihre kleinen Macken und Schwächen haben.

Neben einer soliden Krimihandlung, die für geübte Leser*innen natürlich leicht aufzulösen ist, bietet die Geschichte jedoch auch andere wichtige Themen, zum Beispiel die Kluft zwischen arm und reich sowie die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Für Violet als Mädchen sind nur Aufgaben wie Sticken und vielleicht noch das Polieren der Särge vorgesehen. Da frustriert es sie sehr, dass Oliver, der so plötzlich in ihr aller Leben tritt, ganz selbstverständlich dem Vater zur Hand gehen darf.

Im Verlauf der Handlung beginnen die Machtverhältnisse sich jedoch zu verschieben und auf einmal ist Violet die einzige, die ihren Vater noch retten kann. Interessant fand ich zudem, dass auch ihre Mutter mit der Zeit die eigene Stellung in der Familie überdenkt und sich wünscht, an mancher Stelle anders reagiert zu haben. Diese Reihe muss ich unbedingt weiter verfolgen!

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Veröffentlicht am 24.02.2022

Großartiger Bildband

Banksy
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Wie kein anderer hat Banksy dafür gesorgt, dass etwas, das ursprünglich als Vandalismus angesehen wurde, als Kunstform akzeptiert wird. Über diesen Umstand schreibt Banksy-Sammler und Experte John Brandler ...

Wie kein anderer hat Banksy dafür gesorgt, dass etwas, das ursprünglich als Vandalismus angesehen wurde, als Kunstform akzeptiert wird. Über diesen Umstand schreibt Banksy-Sammler und Experte John Brandler im Vorwort zum vorliegenden Bildband. Die Person Banksy tritt von Beginn an hinter dem Werk zurück, doch wem gehört eigentlich diese Kunst? Fragt man den Künstler selbst, so ist seine Antwort: Jedem/r auf der Straße! Was dann jedoch mit seinen auf Fassaden hinterlassenen Kunstwerken tatsächlich geschieht, steht auf einem anderen Blatt.

Im Hauptteil ihres Buches widmet sich die Schriftstellerin und Fotografin Alessandra Mattanza dem Weg und der Vision Banksys. Stets verewigt der Künstler in seinen Werken Themen, die ihn umtreiben, sei es Krieg oder Umweltverschmutzung, Kapitalismus, Imperialismus oder Faschismus und reagiert damit oft auf konkrete Ereignisse. Seine Grundhaltung ist schon immer anarchistisch, seine Streetart illegal, weshalb er auch die Verwendung von Schablonen zu seinem Markenzeichen machte, um seine Werke noch schneller erschaffen zu können.

Nach einer allgemeinen Einführung geht es zunächst um Banksys außergewöhnliche Kreaturen, die unkonventionelle Haltungen einnehmen und so das System demontieren. Im Fokus stehen hier vor allem die Ratten, die in unserer westlich geprägten Gesellschaft mit Schmutz und Krankheit verbunden werden, in Wahrheit aber ungemein intelligent und sozial sind. Im darauffolgenden Kapitel wird das politische und soziale Engagement des Künstlers zum Thema. Streetart, so Banksy, ist die Waffe der Rache des Volkes, denn Kunst ist schon lange nicht mehr der Elite vorbehalten.

Im vierten Abschnitt geht es um die Themen Liebe und Frieden, Hoffnung und Träume (oft verkörpert in der Darstellung von Kindern), Engel und Dämonen – in all ihrer Ambivalenz, während das fünfte Kapitel sich mit Banksys besonderen Projekten beschäftigt: verunstalteten Gemälden, Ausstellungen wie Dismaland, Dokumentarfilmen oder dem Walled Off-Hotel. Der wahre Fokus des Buches liegt aber natürlich auf den Fotos. Diese sind beeindruckend und nehmen oft eine ganze Doppelseite ein – ein großartiger Band!

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Veröffentlicht am 10.02.2022

Margarine und Feministinnen

Butter
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Rika ist Journalistin und recherchiert gerade über die Serienmörderin Manako Kajii, die mit ihrer Kochkunst Männer erst verführt und dann getötet haben soll. Manako ist dabei alles, was Rika ...

Rika ist Journalistin und recherchiert gerade über die Serienmörderin Manako Kajii, die mit ihrer Kochkunst Männer erst verführt und dann getötet haben soll. Manako ist dabei alles, was Rika nicht ist: laut, selbstbewusst, dick. Nach eigener Aussage verabscheut sie nichts mehr als „Margarine und Feministinnen“ und liebt es stattdessen, Männer kulinarisch zu verwöhnen. Über dieses Thema gelingt es Rika schließlich, sie zu einem Interview zu überreden, in dem es jedoch explizit nicht um die Morde gehen soll. In den Gesprächen wird Rika immer mehr in Manakos Bann gezogen – doch ist diese Frau tatsächlich eine Serienmörderin?

Asako Yuzukis Roman „Butter“ erschien in Japan bereits im Jahr 2017 und war dort ein Bestseller. Die Handlung wird hauptsächlich aus Rikas Perspektive in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt. Die Sprache ist klar und simpel, lebt aber auf jeden Fall von ihren Beschreibungen der einzelnen Gerichte. Von Manako lernt Rika vor allem eines: gutes Essen und hochwertige Lebensmittel zu schätzen. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sie sich zu einer wahren Feinschmeckerin und auch wir Leser*innen dürfen an dieser Reise teilhaben.

Das Buch spricht neben dem Essen natürlich auch noch andere Themen an. Rikas Beispiel – und auch das ihrer Freundin Reiko – zeigt deutlich, welche Erwartungen an japanische Frauen gestellt werden. Sie sollen möglichst schlank sein und eine gute Köchin, sonst gelten sie als faul. Rikas Beschäftigung mit gutem Essen führt zwangsläufig dazu, dass sie zunimmt. Für ihren Freund Makoto ist das ein Ärgernis, schließlich soll sie sich nicht „gehen lassen“. (Dabei war Rika bisher eher untergewichtig.) Umso unverständlicher und schockierender ist für die Öffentlichkeit der Umstand, dass Manako Kajii mit ihrer Figur überhaupt so viele Männer um den Finger wickeln konnte. Es geht in „Butter“ jedoch auch um Kinderwunsch, Geschlechterrollen und Frauen im Berufsleben.

Fazit: Nach der Lektüre möchten man am liebsten selbst sofort zum Kochlöffel greifen, aber der Roman ist auch ein klug konstruiertes Psychogramm einer Frau, die eigentlich nur lieben und geliebt werden wollte.

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Veröffentlicht am 22.01.2022

Erstes Jahreshighlight 2022

Dschinns
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Hüseyin steht kurz vor dem Renteneintritt und hat sich endlich den Traum von einer Wohnung in Istanbul erfüllt. Hier will er mit seiner Ehefrau die arbeitsfreie Zeit genießen und Besuch von seinen Kindern ...

Hüseyin steht kurz vor dem Renteneintritt und hat sich endlich den Traum von einer Wohnung in Istanbul erfüllt. Hier will er mit seiner Ehefrau die arbeitsfreie Zeit genießen und Besuch von seinen Kindern aus Deutschland bekommen. Doch dann kommt es anders: Hüseyin stirbt kurz nach der Ankunft in der neuen Wohnung, seine Familie steht unter Schock. In der Trauer um Vater und Ehemann kommen immer mehr Verletzungen, Distanziertheit und Geheimnisse ans Licht.

In „Dschinns“ erzählt Fatma Aydemir die Geschichte einer Familie in all ihren Facetten. Eingerahmt wird die Handlung von den Kapiteln der Eltern. Zuerst Hüseyin, der Vater und zum Schluss Emine, die Mutter. In beiden Fällen ist auch die Perspektive eine andere, denn es wird in der Du-Form erzählt, wie in einem Gespräch. Allein mit der Auflösung, wer hier eigentlich spricht, ist Aydemir ein echter Kunstgriff gelungen. Dazwischen eingebettet finden wir die Blickwinkel der vier Geschwister Ümit, Peri, Sevda und Hakan in personaler Erzählform, mal in der Gegenwart, mal in der Vergangenheit.

Die vier Geschwister sind in ihrem Wesen recht unterschiedlich. Ümit, der jüngste, eher zart und empfindsam, Peri eine Feministin mit starkem Willen, Sevda eine alleinerziehende Mutter, immer im Konflikt mit ihrer eigenen und Hakan, der schon als Kind Ärger gemacht hat und sich nicht ganz legal durchs Leben schlägt. Gemeinsam haben sie aber ihren Kampf mit der eigenen Identität, die Abgrenzung von ihren Eltern und ganz im Allgemeinen den Wunsch, ihren Platz in der Welt zu finden. Emine sticht dabei heraus, ist aber auch der große Reibungspunkt der Familie – umso bedeutsamer ist ihre Perspektive am Ende.

„Dschinns“ ist nicht nur ein sprachliches und erzählerisches Meisterwerk, es spricht auch eine Menge wichtige Themen an: die Auswanderung der Familie nach Deutschland und wie ihnen dort begegnet wird, die kurdische Herkunft, die sie verleugnen (müssen), die Traumata, die jedes einzelne Familienmitglied mit sich herumschleppt. Ich wünschte, ich könnte sie alle noch ein Stück auf ihrem Weg begleiten, so sehr sind sie mir ans Herz gewachsen. Definitiv mein erstes Highlight des Jahres!

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Veröffentlicht am 17.01.2022

Grandioses Debüt

Milch Blut Hitze
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Zwei befreundete Teenager werden zu Blutsschwestern und teilen dieselben Träume und Sehnsüchte, doch bald darauf geschieht eine Tragödie. Ein Mann muss tatenlos dabei zusehen, wie seine Frau an einer Krebserkrankung ...

Zwei befreundete Teenager werden zu Blutsschwestern und teilen dieselben Träume und Sehnsüchte, doch bald darauf geschieht eine Tragödie. Ein Mann muss tatenlos dabei zusehen, wie seine Frau an einer Krebserkrankung stirbt; sie hat sich gegen die rettende Chemotherapie entschieden. In einem Dinnerclub lässt sich die reiche Elite mit immer neuen Delikatessen verwöhnen. Doch welches Tabu bleibt noch übrig, wenn alles Luxuriöse und Rare bereits ausgeschöpft ist?

Das sind nur drei von insgesamt elf Erzählungen aus Dantiel W. Monizs grandiosem Debüt „Milch Blut Hitze“. In einer klaren Sprache, die nichts verschleiert, beschreibt sie Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten im „Sunshine State“ Florida in den verschiedensten Lebenslagen. Egal ob Männer oder Frauen, Jungen oder Mädchen, Erwachsene, Jugendliche oder Kinder – sie alle sind auf ihre Art Außenseiter und extremen Bedingungen ausgesetzt. Das Leben meint es nicht gut mit ihnen, aber Hilfe ist nirgendwo in Sicht.

Die in den Geschichten behandelten Themen sind so vielfältig wie die Figuren selbst. Es geht um Beziehungen in Familien und zwischen Liebenden, um unerfüllten Kinderwunsch, aber auch darum, wie groß der Druck auf junge Frauen ist, unbedingt Mutter werden zu müssen. Die Autorin erzählt von Rassismus und Misogynie, von Suizidgedanken, sexuellem Missbrauch, tödlicher Krankheit, Verlust und Trauer. Ihre Geschichten sind daher vielleicht mit einer gewissen Vorsicht zu lesen und keine unschuldige Wohlfühllektüre. Im Gegenteil: sie fordern uns heraus.

Oft enden die Erzählungen mit einer gekonnten Pointe oder einem großen Knall, manchmal blendet Moniz aber auch – mal abrupt, mal sanft – aus und überlässt ihren Leser*innen die Entscheidung, wie es mit ihren Charakteren weitergehen soll. Allen Geschichten ist jedoch gemeinsam, dass sie von unglaublicher Kraft und sozialkritischer Bedeutung sind; so müssen moderne Kurzgeschichten sein. Mein persönlicher Liebling ist „Die Herzen unsere Feinde“ - was für eine fulminante, wenn auch recht boshafte Pointe, fabelhaft! Von dieser Autorin möchte ich definitiv noch so viel mehr lesen.

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