Profilbild von Naraya

Naraya

Lesejury Star
offline

Naraya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Naraya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2022

Margarine und Feministinnen

Butter
0

Rika ist Journalistin und recherchiert gerade über die Serienmörderin Manako Kajii, die mit ihrer Kochkunst Männer erst verführt und dann getötet haben soll. Manako ist dabei alles, was Rika ...

Rika ist Journalistin und recherchiert gerade über die Serienmörderin Manako Kajii, die mit ihrer Kochkunst Männer erst verführt und dann getötet haben soll. Manako ist dabei alles, was Rika nicht ist: laut, selbstbewusst, dick. Nach eigener Aussage verabscheut sie nichts mehr als „Margarine und Feministinnen“ und liebt es stattdessen, Männer kulinarisch zu verwöhnen. Über dieses Thema gelingt es Rika schließlich, sie zu einem Interview zu überreden, in dem es jedoch explizit nicht um die Morde gehen soll. In den Gesprächen wird Rika immer mehr in Manakos Bann gezogen – doch ist diese Frau tatsächlich eine Serienmörderin?

Asako Yuzukis Roman „Butter“ erschien in Japan bereits im Jahr 2017 und war dort ein Bestseller. Die Handlung wird hauptsächlich aus Rikas Perspektive in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt. Die Sprache ist klar und simpel, lebt aber auf jeden Fall von ihren Beschreibungen der einzelnen Gerichte. Von Manako lernt Rika vor allem eines: gutes Essen und hochwertige Lebensmittel zu schätzen. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sie sich zu einer wahren Feinschmeckerin und auch wir Leser*innen dürfen an dieser Reise teilhaben.

Das Buch spricht neben dem Essen natürlich auch noch andere Themen an. Rikas Beispiel – und auch das ihrer Freundin Reiko – zeigt deutlich, welche Erwartungen an japanische Frauen gestellt werden. Sie sollen möglichst schlank sein und eine gute Köchin, sonst gelten sie als faul. Rikas Beschäftigung mit gutem Essen führt zwangsläufig dazu, dass sie zunimmt. Für ihren Freund Makoto ist das ein Ärgernis, schließlich soll sie sich nicht „gehen lassen“. (Dabei war Rika bisher eher untergewichtig.) Umso unverständlicher und schockierender ist für die Öffentlichkeit der Umstand, dass Manako Kajii mit ihrer Figur überhaupt so viele Männer um den Finger wickeln konnte. Es geht in „Butter“ jedoch auch um Kinderwunsch, Geschlechterrollen und Frauen im Berufsleben.

Fazit: Nach der Lektüre möchten man am liebsten selbst sofort zum Kochlöffel greifen, aber der Roman ist auch ein klug konstruiertes Psychogramm einer Frau, die eigentlich nur lieben und geliebt werden wollte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2022

Erstes Jahreshighlight 2022

Dschinns
0

Hüseyin steht kurz vor dem Renteneintritt und hat sich endlich den Traum von einer Wohnung in Istanbul erfüllt. Hier will er mit seiner Ehefrau die arbeitsfreie Zeit genießen und Besuch von seinen Kindern ...

Hüseyin steht kurz vor dem Renteneintritt und hat sich endlich den Traum von einer Wohnung in Istanbul erfüllt. Hier will er mit seiner Ehefrau die arbeitsfreie Zeit genießen und Besuch von seinen Kindern aus Deutschland bekommen. Doch dann kommt es anders: Hüseyin stirbt kurz nach der Ankunft in der neuen Wohnung, seine Familie steht unter Schock. In der Trauer um Vater und Ehemann kommen immer mehr Verletzungen, Distanziertheit und Geheimnisse ans Licht.

In „Dschinns“ erzählt Fatma Aydemir die Geschichte einer Familie in all ihren Facetten. Eingerahmt wird die Handlung von den Kapiteln der Eltern. Zuerst Hüseyin, der Vater und zum Schluss Emine, die Mutter. In beiden Fällen ist auch die Perspektive eine andere, denn es wird in der Du-Form erzählt, wie in einem Gespräch. Allein mit der Auflösung, wer hier eigentlich spricht, ist Aydemir ein echter Kunstgriff gelungen. Dazwischen eingebettet finden wir die Blickwinkel der vier Geschwister Ümit, Peri, Sevda und Hakan in personaler Erzählform, mal in der Gegenwart, mal in der Vergangenheit.

Die vier Geschwister sind in ihrem Wesen recht unterschiedlich. Ümit, der jüngste, eher zart und empfindsam, Peri eine Feministin mit starkem Willen, Sevda eine alleinerziehende Mutter, immer im Konflikt mit ihrer eigenen und Hakan, der schon als Kind Ärger gemacht hat und sich nicht ganz legal durchs Leben schlägt. Gemeinsam haben sie aber ihren Kampf mit der eigenen Identität, die Abgrenzung von ihren Eltern und ganz im Allgemeinen den Wunsch, ihren Platz in der Welt zu finden. Emine sticht dabei heraus, ist aber auch der große Reibungspunkt der Familie – umso bedeutsamer ist ihre Perspektive am Ende.

„Dschinns“ ist nicht nur ein sprachliches und erzählerisches Meisterwerk, es spricht auch eine Menge wichtige Themen an: die Auswanderung der Familie nach Deutschland und wie ihnen dort begegnet wird, die kurdische Herkunft, die sie verleugnen (müssen), die Traumata, die jedes einzelne Familienmitglied mit sich herumschleppt. Ich wünschte, ich könnte sie alle noch ein Stück auf ihrem Weg begleiten, so sehr sind sie mir ans Herz gewachsen. Definitiv mein erstes Highlight des Jahres!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.01.2022

Grandioses Debüt

Milch Blut Hitze
0

Zwei befreundete Teenager werden zu Blutsschwestern und teilen dieselben Träume und Sehnsüchte, doch bald darauf geschieht eine Tragödie. Ein Mann muss tatenlos dabei zusehen, wie seine Frau an einer Krebserkrankung ...

Zwei befreundete Teenager werden zu Blutsschwestern und teilen dieselben Träume und Sehnsüchte, doch bald darauf geschieht eine Tragödie. Ein Mann muss tatenlos dabei zusehen, wie seine Frau an einer Krebserkrankung stirbt; sie hat sich gegen die rettende Chemotherapie entschieden. In einem Dinnerclub lässt sich die reiche Elite mit immer neuen Delikatessen verwöhnen. Doch welches Tabu bleibt noch übrig, wenn alles Luxuriöse und Rare bereits ausgeschöpft ist?

Das sind nur drei von insgesamt elf Erzählungen aus Dantiel W. Monizs grandiosem Debüt „Milch Blut Hitze“. In einer klaren Sprache, die nichts verschleiert, beschreibt sie Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten im „Sunshine State“ Florida in den verschiedensten Lebenslagen. Egal ob Männer oder Frauen, Jungen oder Mädchen, Erwachsene, Jugendliche oder Kinder – sie alle sind auf ihre Art Außenseiter und extremen Bedingungen ausgesetzt. Das Leben meint es nicht gut mit ihnen, aber Hilfe ist nirgendwo in Sicht.

Die in den Geschichten behandelten Themen sind so vielfältig wie die Figuren selbst. Es geht um Beziehungen in Familien und zwischen Liebenden, um unerfüllten Kinderwunsch, aber auch darum, wie groß der Druck auf junge Frauen ist, unbedingt Mutter werden zu müssen. Die Autorin erzählt von Rassismus und Misogynie, von Suizidgedanken, sexuellem Missbrauch, tödlicher Krankheit, Verlust und Trauer. Ihre Geschichten sind daher vielleicht mit einer gewissen Vorsicht zu lesen und keine unschuldige Wohlfühllektüre. Im Gegenteil: sie fordern uns heraus.

Oft enden die Erzählungen mit einer gekonnten Pointe oder einem großen Knall, manchmal blendet Moniz aber auch – mal abrupt, mal sanft – aus und überlässt ihren Leser*innen die Entscheidung, wie es mit ihren Charakteren weitergehen soll. Allen Geschichten ist jedoch gemeinsam, dass sie von unglaublicher Kraft und sozialkritischer Bedeutung sind; so müssen moderne Kurzgeschichten sein. Mein persönlicher Liebling ist „Die Herzen unsere Feinde“ - was für eine fulminante, wenn auch recht boshafte Pointe, fabelhaft! Von dieser Autorin möchte ich definitiv noch so viel mehr lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.11.2021

Emotionales Buch über Verlust und eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Tränen im Asia-Markt
0

Michelle Zauner ist 25 Jahre alt, als sie ihre Mutter Chongmi an den Krebs verliert. Die Tochter eines weißen Amerikaners und einer Koreanerin ist in zwei Welten aufgewachsen und irgendwie auch dazwischen. ...

Michelle Zauner ist 25 Jahre alt, als sie ihre Mutter Chongmi an den Krebs verliert. Die Tochter eines weißen Amerikaners und einer Koreanerin ist in zwei Welten aufgewachsen und irgendwie auch dazwischen. Als sie von der Erkrankung ihrer Mutter erfährt, schlägt sie sich gerade mit drei Teilzeitjobs durch und spielt mäßig erfolgreich in einer Rockband. Die Nachricht wirft sie aus der Bahn, aber ihr ist sofort klar, dass sie ihre Umma (koreanisch für „Mutter“) in dieser Situation unmöglich alleinlassen kann. Und so zieht sie wieder bei den Eltern ein und ein unfassbar schwerer Weg beginnt.

Erzählt wird „Tränen im Asia-Markt“ aus der Sicht der Autorin in der Ich-Perspektive, ausgehend von der Gegenwart, in der ihre Mutter bereits verstorben ist. Es finden jedoch auch immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit statt, zum Beispiel um den Krankheitsverlauf und das Sterben Chongmis zu beschreiben, teilweise aber noch weiter zurück in Michelles Kindheit. Die Perspektive und das Wissen, dass es sich um eine Autobiografie handelt, machen den Text ungemein emotional und eindrücklich – Michelle Zauner lässt uns unmittelbar an ihrem Schmerz teilhaben, aber auch an den schönen Momenten.

Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter war nicht immer einfach. Chongmi ist eine strenge Mutter, die in Haushalt und Kindererziehung aufgeht, aber nicht unbedingt liebevoll. Michelle versucht stets, die Bewunderung ihrer Mutter zu erreichen, zum Beispiel in dem sie die gesamte Wohnung putzt. Doch immer wieder fühlt sie sich auch ausgeschlossen aus einer Welt, die sich ihr zumindest in Teilen verschließt. Denn Michelle spricht kaum Koreanisch, was besonders dann auffällt, wenn Familie oder Freundinnen der Mutter zu Besuch sind.

Was die beiden Frauen jedoch verbindet, ist die Liebe zu koreanischem Essen. Wenn Michelle als Kind die seltsamsten Dinge probiert oder mit ihrer Mutter nachts den Kühlschrank der Tante plündert, dann weiß diese, dass eben doch eine Koreanerin in ihr steckt. Darum muss Michelle beim Besuch des koreanischen Supermarkts H-Mart auch immer weinen, denn jeder Einkauf ist auch die Suche nach Erinnerungen an ihre Mutter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.11.2021

Ein Frühling voller Hoffnung

Die Sonnenwächterin
0

Lilja wächst in einer Welt auf, in der die Sonne verschwunden ist und es Tag für Tag nur regnet. Mit seinem Gewächshaus, das sie nie betreten darf, versorgt ihr Großvater die Nachbarn mit Obst und Gemüse. ...

Lilja wächst in einer Welt auf, in der die Sonne verschwunden ist und es Tag für Tag nur regnet. Mit seinem Gewächshaus, das sie nie betreten darf, versorgt ihr Großvater die Nachbarn mit Obst und Gemüse. Doch eines Tages schleicht Lilja hinein und kommt dabei einem großen Geheimnis auf die Spur, das sie in den düsteren Wald hinter dem Dorf führt. Dort findet sie Schreckliches heraus, aber auch neue Hoffnung und Freundschaft.

„Die Sonnenwächterin“ ist der zweite Band des Jahreszeitenquartetts, welches die Autorin Maja Lunde 2018 mit dem ersten Band „Die Schneeschwester“ begann. Wie man unschwer bereits am Untertitel erkennen kann, widmet sich dieser Band dem Frühling. Unterstützt und getragen wird die emotionale Geschichte durch die Illustrationen von Lisa Aisato – ihre Bilder sind so voller Zartheit, Kraft und Detailverliebtheit, dass man sich die Handlung ohne ihre Kunst gar nicht vorstellen kann. Im gleichen Maße wie Lilja im Verlauf der Geschichte an Zuversicht und Stärke gewinnt, werden auch die Illustrationen nach und nach immer bunter.

Während sich Band eins mit den Themen Trauer und Verlust auseinandersetzt, geht es dieses Mal um Rache und Vergebung, Freundschaft und Liebe und vermutlich ist auch das Umweltthema nicht ganz zufällig gewählt. (Zumal die Autorin in ihrem Romanquartett für Erwachsene Themen wie das Artensterben oder Wasserknappheit anspricht.) Protagonistin Lilja ist der beste Beweis dafür, dass man für eine bessere Zukunft auch kämpfen muss.

Eine tolle Geschichte für Jung und Alt, die mich jedoch nicht ganz so begeistern konnte, wie der Vorgänger „Die Schneeschwester“. Dennoch vergebe ich die Höchstwertung und freue mich schon auf die restlichen beiden Jahreszeiten. Wer die Reihe bisher noch nicht kennt, sollte dringend zugreifen! Ein kleiner Tipp: Band eins eignet sich mit seinen 24 Kapiteln perfekt als Adventskalender.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere