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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.11.2020

Horizonterweiternd

Der Koffer der tausend Zauber
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Es gibt leider noch sehr viele Länder, die kein soziales Auffangnetz für Kinder haben, geschweige den Kindern eigene Rechte einräumen wie es die UN Kinderrechtskonvention vorsieht. Viele Kinder, die durch ...

Es gibt leider noch sehr viele Länder, die kein soziales Auffangnetz für Kinder haben, geschweige den Kindern eigene Rechte einräumen wie es die UN Kinderrechtskonvention vorsieht. Viele Kinder, die durch Schwierigkeiten ihrer Eltern in prekäre Situationen rutschen, werden nicht durch den Staat aufgefangen, sondern landen leider oft auf der Straße - alleine. Diesen sehr bittere Zustand, der in vielen Entwicklungsländern die Norm ist, wird in diesem Kinderroman „Der Koffer der tausend Zauber“ aufgegriffen. Aber keine Sorge! Antonia Michaelis hat es sehr kindgerecht in eine spannende Geschichte eingearbeitet und vermengt Spannung mit Horizonterweiterung.
Der Roman spielt auf Madagaskar und spiegelt die eigenen Erfahrungen der Autorin wider, da sie dort länger mit ihrer Familie lebte und sich für Straßenkinder unermüdlich einsetzt. Nicht nur Ortskenntnis, Flora und Fauna werden detailreich beschrieben, es wurde auch Malagasy eingeflochten (Sprache der Malagassen) und machen den Roman aus meiner Sicht besonders authentisch. Es ist im Text immer schnell klar was es bedeutet, sonst gibt es am Ende ein Glossar.
Ohnehin ist das Buch in kurzen verständlichen Sätzen geschrieben und ist textuell leicht zu erfassen. Was am Ende der Grundschulzeit bei der eigenen Lektüre hilfreich ist. Im Gegensatz dazu stehen die vielen handelnden Personen und die diversen Ebenen auf denen hier mitgedacht werden muss. Manches Mal ergibt sich erst nach ein paar Seiten, dass hier ein Traum beschrieben wurde oder es müssen längere inhaltliche Bögen wahrgenommen werden um der Geschichte folgen zu können. Daher erscheint mir die Altersangabe für Selbstleser ab 10 Jahren gut gewählt. Wir haben es unseren Zwillingen, 7 Jahre alt, abends vorgelesen und es somit gemeinsam erlesen und konnten uns auch mit den Kindern über das gelesene austauschen. Auch gibt es Stellen die beim Lesen erst hart erscheinen sich aber dann wieder relativieren (ohne zu viel zu verraten!). Daher zum Selbstlesen ab 9/10 Jahren, zum Vorlesen ab 7/8 Jahren.
Daher eigentlich das unschlagbare Argument warum wir es neben den pädagogisch wertvollen Hinweisen sehr sehr gerne empfehlen: Es ist MEGA spannend!!!! Eines der Bücher wo man böse Blicke der Kinder bekommt, wenn man nach 30 Seiten nicht mehr weiter liest….
Und besonders schön ist auch die Freundschaft der beiden Protagonisten. Der eine reich, der andere arm – das Oberflächliche ist irrelevant und sie sind füreinander da, klar gibt es Streit, aber im Kern verbindet die beiden schnell eine tiefe Zuneigung. Wunderbar erzählt.
Fazit: Dieses Buch war für uns alle in der Familie eine Bereicherung und eine Entdeckung in diesem Jahr.
Wer sich vor, während oder nach der Lektüre noch weiter mit den bedürftigen Kindern auseinandersetzen will, dem leg ich sehr gerne das Hilfsprojekt der Autorin ans Herz: https://www.les-pigeons.net/

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Veröffentlicht am 30.10.2020

Geschichte um Geschichte wird ein Epos erzählt

Der Halbbart
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Es war einmal ein junger Mann namens Eusebius in einer fernen Zeit. Er lebte unweit des Benediktinerklosters Einsiedeln in der Schweiz und erzählte Geschichten.
So könnte man den Roman ‚Der Halbbart‘ ...

Es war einmal ein junger Mann namens Eusebius in einer fernen Zeit. Er lebte unweit des Benediktinerklosters Einsiedeln in der Schweiz und erzählte Geschichten.
So könnte man den Roman ‚Der Halbbart‘ von Charles Lewinsky sehr grob zusammenfassen, der es bis auf die Longliste des deutschen Buchpreises 2020 geschafft hat.
Das Werk von stolzen 677 Seiten, dass gedruckt wie Bibelpapier anmutet, umfasst 83 Kapitel. Man könnte sagen der Roman besteht aus 83 einzelnen Geschichten, die für sich fast alleine existieren könnten, aber als Summe aller Teile zu einem großen Gesamtmeisterwerk verschmelzen.
Sebi, so nennen Eusebius alle aus dem Dorf, ist der Ich-Erzähler des Romans und nimmt uns mit auf eine Reise durch seine Lebenswelt. Er erzählt Geschichte um Geschichte, wo natürlich der titelgebende Halbbart eine tragende Rolle spielt. Aber nicht nur von ihm erfahren wir viel, auch viele andere Personen tauchen auf, da sind die beiden Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, es folgen Priester, ein Schmied mit Tochter, das Teufels-Anneli und viele andere. Das Ganze spielt um 1300 und wird auch dialektisch mit Helvetismen durchmengt um ein zeitgetreues Kolorit zu gewinnen. In der Tat schafft Charles Lewinsky mit diesem Roman ein brillantes Werk, in dem er den Zeitgeist durch die erzählten Taten lebendig werden lässt sowie deren damalige Bewertung. Wenn eine Vergewaltigung die Schuld des Opfers ist und der Raub von Kirchenmobiliar als schlimmste aller Greultaten empfunden wird, ist die Moral und die Ehrfurcht eine andere als die heutige.
Charles Lewinsky ist ein großer Erzähler, der es nonchalant schafft uns auf eine fiktive Reise in die Vergangenheit mitzunehmen, die ich fast als echt empfunden habe. Da klappte ich das Buch zu und dachte: Ja, so muss es sich zugetragen haben. Wie der Roman auch endet: „Das war eine sehr schöne Geschichte, Eusebius. Man wird sie bestimmt noch lange erzählen, und irgendwann wird sie die Wahrheit sein.“ (S. 677)
Spannend ist auch die Art der Erzählung, zwar ist Sebi der Haupterzähler, aber im Grunde genommen sind in diesem Roman die Figuren das Beiwerk und die Geschichten der rote Faden.
Lasst euch darauf ein – euer Geist wird es euch danken!

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Veröffentlicht am 23.10.2020

Wissenschafts-Ethik für Leihen

Die Erfindung des Countdowns
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Es ist schier atemberaubend, was die NASA seit ihrer Gründung 1958 auf die Beine gestellt hat! Und wer begann mit der tollkühnen Idee ins Weltall, auf den Mond zu fliegen? Den vielen Nicht-Wissenschaftlern ...

Es ist schier atemberaubend, was die NASA seit ihrer Gründung 1958 auf die Beine gestellt hat! Und wer begann mit der tollkühnen Idee ins Weltall, auf den Mond zu fliegen? Den vielen Nicht-Wissenschaftlern fällt sicher gleich ein großer Name ein: Wernher von Braun, DER Raketenwissenschaftler. Aber da gab es noch einen vor ihm, der die Idee in die Welt trug, bei dem auch Wernher von Braun einst lernte, der deutsche Physiker Hermann Oberth. Eine moralisch und ethnisch sehr streitbare Person und somit der perfekte Stoff für einen Roman!
Daniel Mellem, der selbst Physiker und nun auch Literat ist, schrieb die Geschichte des Wissenschaftlers auf mit dem wunderbaren Titel: „Die Erfindung des Countdown“. Wohlbemerkt sein Debüt und schon mit dem Retzhof-Preis für junge Literatur und dem Hamburger Literaturförderpreis ausgezeichnet. Daniel Mellems Roman basiert auf der real existierenden Person Hermann Oberth, baut alle Details seines Lebens akribisch ein, aber es bleibt ein Roman! Auch merkt man, dass der Autor weiß wovon er schreibt und bringt auch die Physik mit in den Roman, aber keine Sorge es nimmt keine Überhand. Im Gegenteil, der Roman beleuchtet mehr die Person Oberth. Er lebte in unruhigen Zeiten und erlebte beide Weltkriege. Es ist fast mehr eine Fragestellung nach der Ethik der Wissenschaft. Wie weit darf man gehen als Wissenschaftler und sich noch als unpolitisch verstehen. Ein äußerst spanender Blickwinkel! Daher sollte dieser Roman in der breiten Masse gelesen werden und nicht (nur) von Naturwissenschaftlern, die ohnehin das Dilemma kennen und zu bewerten wissen.
Der Roman gliedert sich in 10 Kapitel und ist der Countdown seines Lebens. Zum Teil werden große Zeitsprünge gemacht, was ich sehr begrüßt habe, so bleibt der Roman spannend, intensiv in einzelnen Episoden und doch bekommt man ein gutes Gesamtbild.
Fazit: Für mich eine absolute Entdeckung und mit Sicherheit landet dieser Roman unter meinen persönlichen Top 10 im Jahr 2020!

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Veröffentlicht am 26.09.2020

Fußball & Freundschaft - unschlagbar

Leselöwen 2. Klasse - Die besten Kicker der Welt
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Wer kenn das nicht mit den Kindern, dass das Lesen geübt werden muss um besser zu werden, aber so recht mag man die Erstleser-Bücher nicht….!? Zum Glück hat sich in den letzten Jahren einiges auf dem Markt ...

Wer kenn das nicht mit den Kindern, dass das Lesen geübt werden muss um besser zu werden, aber so recht mag man die Erstleser-Bücher nicht….!? Zum Glück hat sich in den letzten Jahren einiges auf dem Markt getan und Neuerscheinungen gibt es auch reichlich.
Mein Sohn ist momentan in der 2. Klasse und wir haben uns „Die besten Kicker der Welt“ herausgepickt, dass genau für sein Leseniveau konzipiert ist aus der altbekannten Reihe „Leselöwen“.
Er fand das Thema cool und die tollen Illustrationen und ich fand Sätze pro Seite und insgesamte Textfülle gut. Na dann mal los! Anja Kiel hat es wunderbar geschafft ein Lese-Lernbuch zu schreiben, dass die Leser, zumindest meinen Sohn, genau da abholt wo er mit seinen Lesekenntnissen ist. Die Wortwahl war insgesamt gut und das ein und andere Wort eine Herausforderung wie Training oder Foul. Aber so soll es ja sein. Vertiefen und dazulernen!
Die Geschichte ist niedlich, sehr sozial und was mich begeistert hat auf so neutrale Art ausgewogen ohne Bemüht zu wirken. Da gibt es Jungs wie Mädchen beim Fußball und einen Luca genauso wie einen Serkan. Das hat uns sehr gut gefallen. Genderfrei sowieso und daher ein Leselernbuch für alle – nicht nur für Jungs! Bunt gemischt und alle füreinander da - es braucht keine Ausgrenzung!
Einen besonderen Anreiz bilden die Sticker die ganz hinten im Buch kleben! Da war meiner scharf drauf und las dann den letzten Rest besonders schnell. Auch ist zum Schluss noch mal ein Abschnitt mit Fragen und Antworten für das Textverständnis und auch einige Begriffserklärungen. Super, aber wir finden, diese beiden Sektionen sollten lieber zwischen die Kapitel gebaut werden. Ist das Buch einmal gelesen, ist es „erledigt“.
Besonders lobend muss ich auch die Illustrationen von Elli Bruder erwähnen. Die haben uns beide sehr gut gefallen und unterstützen das Textverständnis ohne abzulenken und die Seiten zu überfrachten.

Ein rundum gelungenes Lesebuch für die 2. Klasse mit Spannung, Pfiff und Freundschaft!

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Veröffentlicht am 22.09.2020

Nicht nur für Vogelfreunde!

Zugvögel
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„je stärker man ist, desto gefährlicher wird die Welt.“ (S. 284)

Ich bin kein Vogelfreund und trotzdem schockverliebt in dieses Buch! Ich bin nicht mal ein besonders großer Tierfreund… Darf man das überhaupt ...

„je stärker man ist, desto gefährlicher wird die Welt.“ (S. 284)

Ich bin kein Vogelfreund und trotzdem schockverliebt in dieses Buch! Ich bin nicht mal ein besonders großer Tierfreund… Darf man das überhaupt heutzutage noch sagen? Egal! Dieses Buch trägt den Titel „Zugvögel“(O-Ton: Migrations) und handelt in der Tat auch von Vögeln, aber das ist bei weitem nicht alles. Fast eine Nebensächlichkeit und doch ein zentrales Element.
Im Fokus dieser Geschichte steht Franny, eine Frau Mitte 30 die uns als Ich-Erzählerin mitnimmt auf ein großes Abenteuer und eine Reise durch ihr Leben. Kurios und sehr speziell ist Franny und verfolgt fanatisch ihr Ziel. „Im „Was wäre, wenn“ kann nur Reue gedeihen, und davon habe ich schon ein ganzes Meer voll.“ (S. 281) Während des Lesens entwickeln sich viele Fragezeichen, die sich dann wiederum auflösen und den Leser verstehend verabschiedet und versöhnt.
Charlotte McConaghy merkt man die Sorge um unsere Natur und ihren Tieren an und verarbeitet dieses anprangernde Element in dieser Geschichte geschickt um literarisch wachzuschütteln. Innerlich spürte ich regelrecht, dass wir alle jetzt aktiv werden müssen um den Zustand der hier futuristisch skizziert wird nicht eintrifft. Die Sprache ist schnörkellos und doch durchdringt sie mit ihrem Text Tiefen!
„ er antwortete, unser Leben habe gar keinen Sinn, es sei nur ein Kreislauf ständige Erneuerung, und wir sein unfassbar kleine Funken, sowie die Tiere, wir seien kein bisschen wichtiger als sie, des Lebens nicht würdiger als jedes andere Geschöpf.“ (S. 306)

Wunderbar an diesem Roman ist, dass es einerseits eine fassbare Zukunft zeigt und zugleich surreal in der Handlung wirkt. Ein Abenteuer, ein andersartige Geschichte und eine irritierende Protagonistin! Ich mochte es sehr!

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