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Nilchen

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Veröffentlicht am 07.09.2022

Aufgearbeitete ukrainische Familiengeschichte

Denk ich an Kiew
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Fast schon grotesk, dass sich die Enkelin eines Flüchtlings aus der Ukraine, die es in die USA schaffte, nun einen Roman schreibt und ihrer Familiengeschichte auf den Grund geht und der Roman fertig ist ...


Fast schon grotesk, dass sich die Enkelin eines Flüchtlings aus der Ukraine, die es in die USA schaffte, nun einen Roman schreibt und ihrer Familiengeschichte auf den Grund geht und der Roman fertig ist kurz bevor der Krieg ausbrach und nun im Grunde brandaktuell ist und uns die Vergangenheit der Ukraine im UdSSR Kontext näherbringt. Erin Litteken begann sogar zu schreiben noch bevor der Konflikt auf der Krim entflammte 2014.
Der Roman hat zwei Erzählstränge und verbindet sich dann. Der erste spielt 2004 und wir lernen Cassie kennen, die mit ihrer Tochter in Illinois lebt und kürzlich ihren Mann bei einem Autounfall verlor. Ihre Großmutter Bobby emigrierte aus der Ukraine in die USA und begann dort ein neues Leben. Da Cassie nicht so recht auf die Beine kommt nach ihrem tragischen Verlust schlägt ihre Mutter vor, dass sie bei Bobby einzieht, dort nach dem Rechten sieht und ihre Großmutter unterstützt, die so langsam alt wird und selbst von sich sagt bald zu sterben. Eine Win-Win-Situation.
Der zweite Handlungsstrang beginnt 1929 in der Ukraine und erzählt die Lebensgeschichte von Katja. Es beginnt idyllisch auf dem Bauernhof ihrer Eltern bis Stalins Idee der Kolchosen und der Verstaatlichung mit aller erdenklichen Macht durchgedrückt wird, viele ihr Leben lassen und das Leben einfach nur noch unbarmherzig ist. Dieser Teil hat mich besonders erschüttert und zeigt eindrücklich wie die Verstaatlichung und Stalins harte Hand damals führte. Kein Entkommen und viel Elend.
Mich hat der Roman aus zwei Gründen überzeugt. Er ist super leicht zu lesen und man taucht richtig schnell ein in die Geschichte. Erin Litteken hat hier einen guten Ton gefunden und auch beiden Strängen einen eigenen Ton gegeben. Auch die Übersetzung ist gelungen durch Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt. Der zweite ist noch offensichtlicher, denn es bringt einem Nahe wie das Verhältnis der ukrainischen Bevölkerung zur UdSSR entstanden ist und wie das ukrainische Volk schon damals enorm unter der harten Hand der UdSSR und Stalin litt. Der Strang in 2004 lockert den heftigen Teil zu Beginn der 30er Jahre in der Ukraine auf und es passt es super gut zusammen.
In der Summe ein gutes Buch, dass auch noch historisch bereichert.

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Veröffentlicht am 06.09.2022

Ein Zeitungsartikel gab den Anstoß zu diesem Bilderbuch…

Pinguine in der Sushi-Bar
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Das Bilderbuch „Pinguine in der Sushi-Bar“ ist ein herrlich gelungenes Gesamtkunstwerk aus einem kleinen feinen Verlag: Edition Pastorplatz. Ich finde es immer großartig tolle Bücher aus kleineren Verlagen ...

Das Bilderbuch „Pinguine in der Sushi-Bar“ ist ein herrlich gelungenes Gesamtkunstwerk aus einem kleinen feinen Verlag: Edition Pastorplatz. Ich finde es immer großartig tolle Bücher aus kleineren Verlagen zu entdecken wie dies hier. Es ist geschrieben von Anna Schindler und illustriert von Katrin Dageför. Und die Idee kam ohne Witz durch eine Zeitungsrandnotiz, die auch im Buch abgedruckt ist!
Dieses Bilderbuch ab 5 Jahren überzeugt vor allem mit der kreativen Idee der Geschichte und der tollen bildlichen Umsetzung. Es geht um ein Pinguinpaar, dass Nachwuchs erwartet und glaubt in der Stadt wäre ein sicherer Ort als die raue Natur. Sie landen in einer Sushi-Bar, der leider das leuchtende S fehlt und nur „Ushi-Bar“ genannt wird. Die Pinguine hauen rein und haben aber leider kein Geld, es eskaliert und just in diesem Moment schlüpft das Pinguinbaby und es wendet sich natürlich alles zum Guten. Der langjährige Koch möchte in Rente gehen und überlässt den Pinguinen die Bar und es gibt noch mehr Nachwuchs und die Suhsi-Bar verändert sich.
Dies oberflächlich einfache Bilderbuch ist in der Tat vielschichtiger und komplexer als man erwarten würde. Aber keine Sorge, ich meine es hat viele Themen zu bieten, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Das Bilderbuch ist ab 5 Jahren, kann aber auch schon mit pfiffigen 3-4 jährigen erkundet werden, auch wenn sie die unterschwelligen Themen noch nicht greifen können, die sie aber mit den Jahren auch erfassen werden. Was sind diese Themen aus meiner Sicht? Abwanderung, Migration in städtische Regionen oder andere Länder mit der naiven Ansicht, dass das Leben dort einfacher ist. Ohne Moss ist nix los! Adoption und jeder kann sein wie er will und wo er sich geborgen fühlt. Außerdem und sehr wichtig: Mit Kreativität kann man viele Situationen lösen.
Uns hat das Bilderbuch überzeugt und meine Kinder, die schon in die Grundschule gehen, fanden es auch immer noch total niedlich und haben es sich sehr gerne vorlesen lassen. Wir haben natürlich mehr über die impliziten Themen gesprochen, was zu einem guten Austausch geführt hat.
Am Ende ist und bleibt es ein gelungenes nettes Bilderbuch!

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Veröffentlicht am 12.08.2022

Haltet den Dieb!

Die Schattensammlerin - Dichter und Dämonen
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Wir schreiben Februar das Jahr 1830 in Frankfurt am Main, die junge Frau Millicent Wohl arbeitet im ersten Naturkundeinstitut des Landes: Das Senckenberg Museum. Es ist unwirtlich draußen, aber das hält ...

Wir schreiben Februar das Jahr 1830 in Frankfurt am Main, die junge Frau Millicent Wohl arbeitet im ersten Naturkundeinstitut des Landes: Das Senckenberg Museum. Es ist unwirtlich draußen, aber das hält die Frankfurter Bürgerschicht nicht ab ausgelassen auf einem Maskenball im Museum zu feiern. Milli wird während dieser Feier Zeugin eines Schädelraubes, Schädel des berühmten Schillers! Der Direktor des Hauses schenkt dem Vorfall keine große Beachtung, also macht Milli sich auf den Täter zu suchen und bekommt Hilfe vom Geheimrat Goethe, der den Schädel zurück möchte.
Dies ist das Buch zum Hörspiel und nicht andersherum! „Die Schattensammlerin“ entstand zuerst als eine reine Hörspielproduktion und ist nun auch als Buch zu haben. Ich habe es zunächst nicht gewusst, da mein persönlicher Anreiz für diesen Roman darin lag, dass es im historischen Frankfurt spielt.
Geschrieben haben ihn die Brüder Tom und Stephan Orgel, daher die Abkürzung T.S. Orgel. Diese beiden sind wohl unter den Fantasy-Kennern ein Begriff, da ich sonst sehr wenig in diesem Genre lese, sind sie für mich ein unbeschriebenes Blatt. Dieses Buch wird als historischer Mystery-Krimi bezeichnet und trifft den Nagel auf den Kopf. Diese Geschichte hat für meinen Geschmack genau die richtige Menge an allem, sprich der historische Kontext ist gut getroffen und bildet die Grundlage. Es gibt Fantasyelemente, ohne dass es aus meiner Sicht zu viel ist und spannend ist es auch noch!
Hinzu kommt ein herrliches Figurenkabinett. Es sind die unterschiedlichsten Charaktere, die hier aufeinanderprallen. Wirklich sehr gelungen. Natürlich habe ich die anfänglich ruhigere, aber resoluter werdende Milli ins Herz geschlossen. Sie kämpft für ein anderes Rollenverständnis und das ist sympathisch. Dann gibt es Figuren, die ich nicht so recht einzuordnen wusste: Abaris und natürlich unseren hochverehrten Goethe.
Alles in allem eine runde Sache dieses Buch – obwohl Fantasy sonst nicht meines ist, kann ich es empfehlen!

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Veröffentlicht am 09.08.2022

Mist - die hippe Wohnung ist weg!

Der Hausmann
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Nach ‚Fliegende Hunde‘ hat Wlada Kolosowa einen neuen Roman geschrieben: Der Hausmann. Spannend an diesem Roman ist nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Hippster-Dasein der Berliner Bubble-Crowd und ...

Nach ‚Fliegende Hunde‘ hat Wlada Kolosowa einen neuen Roman geschrieben: Der Hausmann. Spannend an diesem Roman ist nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Hippster-Dasein der Berliner Bubble-Crowd und deren Probleme mit der Gentrifizierung, sondern auch die Art der Erzählung. Das ist wie ein All-in-One Produkt, denn hier bekommt man nicht nur klassischen Text zu lesen, nein, auch SMS/WhatsApp/Signal oder was auch immer für einen Messangeraustausch bricht den Text auf genauso wie Graphic Novel Anteile und Blogeinträge. Kunterbunt in das transportierende Medium, was uns dann doch ein rundes Bild der Geschehnisse liefert.
Berlin, hippes Maybachufer in Neukölln. Thea und Tim wurde die Wohnung gekündigt und sind gezwungen sich eine neue Bleibe außerhalb der Ringbahn zu suchen. Die Gentrifizierung hat voll zugeschlagen. Wo doch die beiden selbst in die Hipster-Klassifizierung passen, aber nur leider ohne Moneten. Thea war Langzeitstudentin, kommt aus gut betuchtem Elternhaus, beginnt nun einen Job in einem Start-up für veganes Hundefutter. Dadurch wird der weniger erfolgreiche Illustrator Tim in die Rolle des Hausmanns geworfen. Im neuen Haus spielen noch zwei weitere Personen eine große Rolle. Ein Ukrainer, Maxim, der schon 2018 floh und Tim sich nun verpflichtet fühlt ihm Deutsch beizubringen, da der 19jährige arbeitslos ist. Und natürlich die gute Frau Birkenberg, die das Internet für sich entdeckt hat und dort auf ihrem Blog ‚sparenmitdagmar‘ zwielichte Tipps verbreitet. Was es mit der Faust in Tims Gesicht auf sich hat, dass findet ihr am besten beim Lesen heraus!
Die Kombination aus verschiedenen Erzählarten ist auch einfach zu folgen, denn der Text bildet die Grundmauer, die Messanger-Unterhaltungen führt Thea, die Graphic Novel Teile – die hervorragend von Raúl Sorina illustriert wurden !!!– sind Arbeiten von Tim und die Blogeinträge gehören zu Frau Birkenbach. Das braucht in keinster Weise abschrecken!
Die Kombination aus Berlin und der momentanen Gemengelage um Wohnungsmangel, Gentrifizierung, Reibung von Menschen die nur Zufällig aneinander und zueinander geraten sind, Hipster und Normalos, Gestrandete und Alte, dieses bunte Potpourri macht diesen Roman sehr sehr lesenswert!
Ich kann ich wärmsten empfehlen, auch wenn man nicht in Berlin wohnt oder Berliner:in ist!

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Veröffentlicht am 08.08.2022

DIE Schülerin des Bauhauses und ihr Lebensweg

Friedl
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Wer sich ein wenig mit der Geschichte des Bauhauses auseinandersetzt, stolpert unweigerlich über einen Namen: Friedl Dicker-Brandeis. Die in Wien geborene Jüdin war eine der bedeutendsten Schülerin in ...

Wer sich ein wenig mit der Geschichte des Bauhauses auseinandersetzt, stolpert unweigerlich über einen Namen: Friedl Dicker-Brandeis. Die in Wien geborene Jüdin war eine der bedeutendsten Schülerin in Weimar und war als Malerin Teil der damaligen geistigen Avantgarde um Paul Klee, Oskar Schlemmer und auch Walter Gropius kannte sie gut. Wie kann es sein, dass ihr Name nur Wenigen ein Begriff ist? War sie doch einer DER Frauen der schaffenden Künste bevor die Nazis alles zunichte machten.
Elena Makarova, eine in Israel lebende vielfach ausgezeichnete russische Schriftstellerin und unter anderem auch Historikerin und Dokumentarfilmregisseurin, hat das Leben der Friedl Dicker-Brandeis nun in einen biografischen Roman gebracht. Das gute Werk ist über 600 Seiten lang, braucht also ein wenig Muse. Aber es liest sich äußerst gut, was sicherlich auch der Verdienst der sehr guten Übersetzung aus dem Russischen von Christine Hengevoß ist.
Was ich sehr gelungen finde ist der Einstieg den Elena Makarova gefunden hat, denn es Beginn mit einem Vorwort, mit einem Annähern der Schriftstellerin an ihre Hauptfigur und das nicht zu knapp, aber dieses „setting the scene“ gelingt ihr hervorragend und hilft einen Zugang zu finden.
Dann wird in fünf großen Blöcken die Lebensgeschichte von Friedl erzählt aus ihrer eigenen Perspektive. Immer durchsetzt von Briefen und Gedanken. Diese sehr persönliche Aufarbeitung ihrer Lieben und Leiden, ihre Schaffenskunst, ihr intellektuellen Auseinandersetzung, ihre Politisierung (sie tritt 1931 der KP bei) und ihr unermüdlicher Wille ihr Schaffen fortzuführen, ist beeindruckend zu lesen. Erst emigriert sie nach Prag, leider nicht weit weg genug, bis es in Ausschwitz 1944 zu ihrer Vergasung kommt. Und die Welt wurde wieder einer großartigen Person beraubt. Beschämend.
Das Buch enthält auch ein paar Seiten mit Fotografien und Werken der Künstlerin. So wird das beschriebene und erzählte noch viel realer und lebendiger.
Danke Romanen wie diesen bleiben Frauen wie Friedl Dicker-Brandeis in unserer aller Gedächtnis und ehrt ihr leider sehr kurzes Lebenswerk.

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