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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.08.2018

Solide!

Ehemänner
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“New York ist wie ein Dämon mit vielen Köpfen: Wenn man einen abschlägt, wächst sofort ein neuer nach.” Ein Zitat von Seite 81 und eine so treffende Bemerkung über New York im Jahr 2017! Jami Attenberg ...

“New York ist wie ein Dämon mit vielen Köpfen: Wenn man einen abschlägt, wächst sofort ein neuer nach.” Ein Zitat von Seite 81 und eine so treffende Bemerkung über New York im Jahr 2017! Jami Attenberg porträtiert New York auf eine ganz besondere Art und Weise und von einer Aktualität die unübertrefflich ist.
Ihr neuster Roman ‚Ehemänner‘ ist klassisch in 3 Teile gegliedert mit einem vorangesetzten Prolog.
Um was geht es in diesem Roman? Um eine Frau, die wieder ins Leben zurück finden will und am Ende eines Lebensabschnitts steht. Diese Frau, Jarvis, eine New Yorkerin par excellence, ist mit einem Künstler verheiratet, der leider seit 6 Jahren im Koma liegt in einem Pflegeheim. Sie hält an der Liebe zu ihm fest und an dem Leben mit ihm und wollte bisher die Hoffnung nicht aufgeben. Das Endergebnis war leider eine Depression und ein Rückzug aus dem Leben. Und an diesem Punkt setzt dieser Roman ein. Im Waschsalon trifft sie auf 3 Männer, auf 3 verheiratete Männer, die sie sich aktiv als Freunde aussucht (“Vielleicht sind das nicht die Freunde, die ich mir zulegen sollte, aber es sind die Freunde, die ich haben will.”)
Es mag in meiner profanen Beschreibung wie ein Frauenroman der übelsten Sorte klingen, aber der Roman ist frisch, bissig und mit keiner Seite langweilig. Was man lieben sollte, wenn man zu diesem Buch greift sind schrullige Protagonisten, New York und gute Literatur.
Jami Attenberg schafft es es mit wenigen Worten große Bilder in meinem Kopf zu zaubern und ohne alles auszuschreiben Emotionen und Verständnis für absurde Verhalten zu produzieren.
Und übrigens find ich die Übersetzung sehr gelungen mit aktuellem Sprachgebrauch (zB Seite 51 ...versprengte Verwandte...) was zu flüssigem Lesen führt.

Ein gutes solides literarisches Werk, auch wenn mir das Erstlingswerk der Autorin besser gefallen hat.

Für mich ist es auf jeden Fall ein Buch der Freundschaft und des Abschiednehmens.

Veröffentlicht am 12.07.2018

Eine Feministin der ersten Stunde!

Ida
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Kennt ihr den „hysterischen Fall Dora“ der bei Dr. Siegmund Freud in seinen Notizen auftaucht? Eine Dame, die in jungen Jahren die „Kur“ bei ihm abbrach?
Nein – mir ging es auch so. Wer googelt wird schlauer, ...

Kennt ihr den „hysterischen Fall Dora“ der bei Dr. Siegmund Freud in seinen Notizen auftaucht? Eine Dame, die in jungen Jahren die „Kur“ bei ihm abbrach?
Nein – mir ging es auch so. Wer googelt wird schlauer, es gibt alle Fakten schnell und übersichtlich, aber ein Lesevergnügen ist es nicht.
Da empfehle ich eher zu dem Roman der Enkelin, der Autorin Katharina Adler, zu greifen und sich die Geschichte erzählen zu lassen aus Idas Sicht!
Katharina Adler hat in 5jähriger (!) Aufarbeitung das turbulente und berühmte Leben der Großmutter, Ida Adler, geborene Bauer, zu Papier gebracht.
Hier lernen wir eine Frau kennen, geboren 1882, die sich im Zeitalter der Industrialisierung von Traditionen lossagt und erste Schritte der Emanzipation macht. Eine Feministin der ersten Stunde!

Besonders charmant ist die Art wie die Geschichte erzählt wird. Zeitlich nicht chronologisch bekommen wir, aus Idas Ich-Perspektive, ihr Leben präsentiert.
Zum Ende ihres Lebens in den USA merkt man dem Text die schwere des Lebens an, das Erlebte, das Gebrochene der alten Dame durch Krieg und erlebtes Leid. Ida, im Alter eine resolute Frau, die sich nicht so recht mit der Schwiegertochter arrangieren kann.
Als Teenager im Meran, ist die Sprache viel leichter und naiver. Ihre Beobachtungen werden uns wiedergegeben ohne Bewertungen. Da zeigt sie Symptome und weiß nicht so recht warum. Angenehm, wenn man bei der Lektüre auch selbst denken darf.
So verändert sich der Tonfall altersangepasst. Und sprachlich auch nicht außer Acht zu lassen, für mich als Hochdeutsch-Sprechende, der Roman ist im Österreichischen Klang geschrieben, soll meinen ich hatte beim Lesen durch vielerlei Wörter und Beschreibungen, die im hochdeutschen ungebräuchlich sind, einen österreichischen Akzent im Ohr ohne das es anstrengend wurde. Herrlich!

Mein Fazit: Das Buch und die Geschichte der Großmutter faszinierte mich, doch bleibt ein Restgefühl das mich der Roman nicht 100% überzeugt hat.
Ich würde die Lektüre nicht missen wollen, aber in meine Top 10 des Jahres 2018 wird es wohl nicht auftauchen.

Veröffentlicht am 28.05.2018

Guter Stil mit überzeugendem Plot!

Krokodilwächter
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Meine Meinung zu diesem Thriller, den ich anfänglich für einen Krimi hielt, schwankte während des Lesens enorm. Die ersten 100 Seiten waren gut mit dem Gedanken: Ist wohl eher ein Krimi? Dann kamen 150 ...

Meine Meinung zu diesem Thriller, den ich anfänglich für einen Krimi hielt, schwankte während des Lesens enorm. Die ersten 100 Seiten waren gut mit dem Gedanken: Ist wohl eher ein Krimi? Dann kamen 150 Seiten die ich als etwas lahm und schleppend empfand.
Und dann nach 250 Seiten war irgendwie klar warum das Label Thriller doch irgendwie besser passt und die Spannung nahm Fahrt auf. Es hatte mich dann doch gepackt!
Das reizvolle an „Krokodilwächter“ ist neben dem finalen Plot, vor allem der niveauvolle Schreibstil. Die dänische Schauspielerin Katrine Engberg mit der eigenen persönlichen Vorliebe für Krimis, hat keinen reißerischen Schreibstil, eher eine sehr frische und offene Art zu berichten. Die Figuren werden mit viel Tiefe beschrieben. Katrine Engberg schafft es mit einer Art „Zoom in“ und „Zoom out“ das Bild auf Details zu fokussieren. Beispielsweise findet ein Krümel auf der Bluse der Kommissarin Anette Werner, den sie während des Sprechens wegwischt Erwähnung. Inhaltlich bietet das Detail keinen Mehrwert, aber es bringt die menschliche Seite zur Geltung. Diese „zoom in & zoom out-Technik zieht sich durch den gesamten Roman.
Zum Inhalt nur wenig, damit nichts vorweg genommen wird: Julie, eine junge Frau neu in Kopenhagen wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden und zunächst sind die beiden ermittelten Jeppe Koerner und Anette Werner ratlos wer dahinter steckt.
Thriller aus Skandinavien könnte den ein oder andere Leser abschrecken durch Erfahrungen mit anderen Autoren, aber es ist verhältnismäßig unblutig, trotzdem spannend und packend: eine gelungene Gradwanderung!
Kopenhagen kommt übrigens auch sehr detailliert vor mit Straßen- sowie Parkangaben. Wer die Stadt kennt, wird sich freuen!
Ich behalte die Autorin mit ihrem Ermittlerduo im Auge und werde definitiv den nächsten Fall auch lesen.

Fazit: Für alle die gerne Krimis lesen und ein Schlag obendrauf vertragen und, natürlich, Kopenhagen-Fans bzw -Reisende!

Veröffentlicht am 21.10.2016

Wie kann die Liebe die Politik überwinden?

Wir sehen uns am Meer
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„Gegenwärtig und vorrübergehend wie das Leben, vergänglich wie das alles hier.“(S. 184)

Der neue Roman von Dorit Rabinyan „Wir sehen uns am Meer“ ist eine melancholische Liebesgeschichte, die einem langwierigen ...

„Gegenwärtig und vorrübergehend wie das Leben, vergänglich wie das alles hier.“(S. 184)

Der neue Roman von Dorit Rabinyan „Wir sehen uns am Meer“ ist eine melancholische Liebesgeschichte, die einem langwierigen politischen Konflikt zum Opfer fällt. Wir befinden uns im Jahr 2003 in New York City. Die Israelin Liat lebt vorrübergehend in der Stadt und hütet die Wohnung von Freunden so lange diese durch Asien tingeln. Durch einen Zufall lernt sie den palästinensischen Künstler Chilmi kenne und beide verlieben sich ineinander.

Der erste Teil des Romans „Herbst“ ist die Kennenlerngeschichte der beiden, wie sie sich verlieben und wie die beiden sich nahe kommen.

Im zweiten Teil lebt man praktisch mit ihnen und erlebt einen sehr kalten Winter in New York und ist hautnahe bei allen Konflikten dabei die ihre Identitäten mit sich bringen. Diese innere Zerrissenheit, vor allem der Israelin, ist sehr gut beschrieben. Sie liebt Chilmi und andererseits ist sie ihrem Volk stärker verbunden als sie annahm. Man merkt wie die Prägung sich, auch so weit weg von der Heimat, nicht verleugnen lassen kann. Bei Chilmi spürt man förmlich den Starrsinn seiner Ideen.
„Warum mussten ausgerechnet wir beide, die wir uns doch so nahe waren und uns liebten, immer wieder dort scheitern, wo die ganze Welt seit Jahren ebenfalls scheitert?“ (S.213)Der dritte und abschließende Teil „Sommer“ erläutert den Beginn der Rückkehr von Liat nach Israel und wie die Geschichte zwischen den beiden weiter geht.
Sehr gut an dem Roman finde ich die Diskussionen zur Lösungen des Nahostkonflikts aus solch persönlichen Perspektiven. Eine gute Ergänzung zum sonst so sachlich Thema aus unserer mitteleuropäischen Sicht.

Dorit Rabinyan beschreibt sehr detailliert was vor sich geht. Der Roman ist eher prosaisch mit weniger wörtlicher Rede. Für mich persönlich ergeben sich dadurch an der ein und anderen Stellen zu lange beschreibende Passagen, die ich als langwierig empfand. Es ist aber zugleich sehr poetisch zum eintauchen und entschleunigen. Wie in diesem Beispiel deutlich wird: „…ich [empfinde] den gleichen seltsamen Widerspruch von Vertrautheit und Fremdheit, von Schuld und Betrug, von leicht anrüchiger Heimlichkeit“ S. 209

Fazit: Es ist eine Liebesgeschichte, aber bei weitem keine romantische Frauengeschichte. Der Roman spricht sicherlich eher Frauen an, aber es ist weder kitschig, noch romantisch noch sonst irgendwie gefühlsduselig. Der Roman ist ein gutes Stück Literatur! Es ist eher wie ein Unfall den man beobachtet und man weiß von Anfang an da kracht gleich was gegen die Wand, aber leise, fast unhörbar knackt es und bricht.

Veröffentlicht am 16.03.2024

Ein weiter Bogen wie Kunst im geschichtlichen Kontext neu zu denken ist

Tremor
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Der ursprünglich aus Lagos (Nigeria) stammende Autor hat schon einige hochkarätige Auszeichnungen in der englischsprachigen Welt eingesammelt, lehrt momentan Creative Writing in Harvard und legt nun seinen ...

Der ursprünglich aus Lagos (Nigeria) stammende Autor hat schon einige hochkarätige Auszeichnungen in der englischsprachigen Welt eingesammelt, lehrt momentan Creative Writing in Harvard und legt nun seinen dritten Roman vor. Wer sich ein wenig mit der Biografie des Autors Teju Cole beschäftig hat, merkt schnell beim Lesen, dass sich hier viele Elemente seiner eigenen Biografie eingebracht haben.
Tunde ist der Protagonist dieser Geschichte und wie der Autor aus Lagos in die USA gekommen, er unterrichtet in Harvard. Einziger Unterschied die Kunstform: Denn Tunde lehrt Fotografie. Er ist unterwegs mit Sadoko, seiner Frau, und sie stoßen in einem Antiquitätengeschäft an der Ostküste der USA auf eine Antilopenmaske. Diese Maske ist der Ausgangspunkt vieler Gedankengänge und Erinnerungen an Nigeria.
Teju Cole hat ein ästhetisch schön geschriebenes Buch vorgelegt und macht die Frage auf wie wir Kunst neu betrachten genauso wie wir eine neue Bewertung der Geschichte vornehmen und passiertes im Kontext von heutigem Bewusstsein betrachten. Kolonialismus, Rassismus, Raubkunst und Musikgeschichte wird verwoben in einem Text der komplex konstruiert und anspruchsvoll ist, aber zugleich bereichernd und erhellend.
Teju Cole erzählt beobachtend, nicht bewertend und bringt mich als Leserin dazu Kunstbetrachtungen im Kontext seiner Entstehung und der Weltgeschichte neu zu denken. Das Narrativ der Kunst in jeglicher Form neu zu denken. Natürlich enthält das Buch auch Kritik am überheblichen Westen.
Mir haben besonders die Schlaglichter der Erinnerungen auf Lagos gefallen. Eintauchen in etwas das mir fern ist und aufsaugen was diese Millionenstadt mit ihren Bewohnern antreibt. Wohingegen einige der Passagen über Musik mir nicht viel gaben, da ich kein profunder Kenner bin auf diesem Gebiet. Das mag anderen, die hier tiefer verankert sind, anders ergehen.
Fazit: Ein fiktiver Roman, aber einer der uns mit Fragen zurücklässt unsere Betrachtungsweise der künstlerischen Welt auch neu zu adjustieren.

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