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Veröffentlicht am 12.10.2023

Spannendes und verstörendes Szenario

Schwachstellen
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Der 24jährige Siv lebt mit seinen Eltern sehr beengt in einer kleinen Wohnung. Er ist ein Einzelgänger ohne Freunde. Am Ende seiner Militärzeit, während der er in der Nachrichtenabteilung tätig war, wird ...

Der 24jährige Siv lebt mit seinen Eltern sehr beengt in einer kleinen Wohnung. Er ist ein Einzelgänger ohne Freunde. Am Ende seiner Militärzeit, während der er in der Nachrichtenabteilung tätig war, wird er von einer IT-Firma angeworben, die von seinen erstaunlichen Hacker-Kenntnissen erfahren hat. Sein erster Auftrag führt ihn in nach Mittelamerika. Er reist in Begleitung seines Vorgesetzten Bulka, der für ihn wie ein großer Bruder ist. Dort hackt er erfolgreich das Handy einer Zielperson, für die sich das dortige Militär interessiert. Von da an geht es mit Sivs Karriere steil bergauf. Er macht sich keine Gedanken darüber, wer die Leute sind, die er ausspäht, die Aussage seiner Arbeitgeber, es handle sich um Terroristen und Pädophile, genügt ihm vollkommen. Moralische Bedenken schiebt er beiseite, es wird schon einen Grund geben, weshalb sich seine Auftraggeber für diese Leute interessieren, er tut schließlich nur seine Arbeit. Selbst als ihm bewusst wird, dass seine Spionagetätigkeit das Todesurteil für einige der Zielpersonen bedeutet, macht er weiter. Er versteht sich alles schönzureden und bezieht sein Selbstwertgefühl ausschließlich über seine beruflichen Erfolge. Mit der Zeit beginnt er damit, sein Wissen für private Zwecke zu nutzen. Beispielsweise findet er heraus, dass seine Mutter ein Verhältnis hat und die drogensüchtige Schwester von einem älteren Mann wie eine Gefangene festgehalten wird. Erst als sein älterer Nachbar Noah ihn um Hilfe bittet, weil er von Unbekannten erpresst wird, begreift Siv, dass nicht jeder Ausspionierte tatsächlich ein Verbrecher ist, der es verdient hat, überwacht zu werden, und er versucht mithilfe seiner Kenntnisse Unheil von Noah abzuwenden, mit drastischen Konsequenzen für sein eigenes Leben.
„Schwachstellen“ ist ein packender und verstörender Roman über eine Welt, in der nichts geheim ist und die Sicherheit, in der Menschen sich hinter verschlossenen Türen wähnen, trügerisch ist. Gleichzeitig zeigt er, wie weit manche Menschen bereit sind zu gehen, um persönliche Vorteile zu erlangen. Ein dystopischer Roman, bei dem man sich fragt, wie viel davon schon heute Realität ist.

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Veröffentlicht am 12.10.2023

Ein großes Lesevergnügen

Bournville
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Bournville ist ein britischer Generationenroman, der in den Midlands angesiedelt ist. Der Roman beginnt zu der Zeit, als den Menschen in Europa klar wird, dass ein gewisses Virus nicht auf China beschränkt ...

Bournville ist ein britischer Generationenroman, der in den Midlands angesiedelt ist. Der Roman beginnt zu der Zeit, als den Menschen in Europa klar wird, dass ein gewisses Virus nicht auf China beschränkt bleibt, sondern sich weltweit ausbreitet. Wir lernen zunächst Lorna kennen, eine junge Musikerin, die auf Tournee in Österreich und Deutschland ist und jeden Tag darum bangen muss, dass die Konzerttermine abgesagt werden.
Sie ist die Enkelin von Mary Lamb, deren Geschichte sich wie ein roter Faden durch diesen Roman zieht. Wir erleben wichtige Stationen der britischen Geschichte durch die Augen von Mary und ihren Angehörigen, angefangen bei den Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, der Thronbesteigung Elisabeths II. 1953, es folgt die Fußballweltmeisterschaft 1966, die Hochzeit von Charles und Diana 1981 und schließlich die Beisetzung von Lady Di im Jahr 1997. Den Abschluss bilden die Feierlichkeiten zum 75. Jahrestags des Kriegsendes und die Einschränkungen durch die Coronapandemie. Natürlich ist auch die Rede vom Brexit und die hinsichtlich dieses Themas gespaltene Nation. Nationalismus und Rassismus, das britische Klassen- und Schulsystem, Royalisten und Anti-Royalisten, dies alles wird in Bournville, verpackt in eine spannende generationenübergreifende Geschichte, angesprochen. Wir lernen Mary als junges Mädchen kennen, am Ende des Buchs ist sie Urgroßmutter. Der weit verzweigte Familienstammbaum ist glücklicherweise zu Beginn des Buchs abgedruckt.
Für mich war dies das erste Buch von Jonathan Coe. Sein humorvoller Schreibstil und seine Beschreibung der verschiedenen Familienmitglieder, die immer mit einem Augenzwinkern geschieht, haben mir sehr gefallen. Bournville ist eines der Bücher, bei denen ich traurig war, als ich es zu Ende gelesen hatte. Es hat mich hervorragend unterhalten und gleichzeitig interessante Meilensteine in der britischen Geschichte beleuchtet. Ein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 29.09.2023

Roman mit Sogwirkung

Die Einladung
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Die 22jährige Alex ist ständig auf der Suche nach einem Sugardaddy, der sie aushält. Momentan geht es ihr gut: sie verbringt den Sommer mit dem wesentlich älteren Simon auf dessen Luxusanwesen in den Hamptons, ...

Die 22jährige Alex ist ständig auf der Suche nach einem Sugardaddy, der sie aushält. Momentan geht es ihr gut: sie verbringt den Sommer mit dem wesentlich älteren Simon auf dessen Luxusanwesen in den Hamptons, wo die Reichen und Schönen der Ostküste ihre Sommer verbringen. Als Gegenleistung ist sie ihm stets sexuell zu Diensten, sie passt sich seinen Stimmungen und Neigungen an wie ein Chamäleon.
Tagsüber arbeitet Simon, während sie die endlosen heißen Tage am Pool oder Strand verbringt, abends gehen sie zu Partys, bei denen die Gastgeber sie oft spüren lassen, dass sie genau wissen, welche Sorte Frau sie ist und sie entsprechend herablassend behandeln. Gerne lässt sie bei diesen Gelegenheiten etwas mitgehen und durchsucht die Badezimmer der Gastgeber nach Schmerzmitteln und anderen Medikamenten. Bei einer dieser Partys leistet Alex sich einen Fauxpas und Simon hat genug von ihr. Er setzt sie vor die Tür, doch wo soll sie hin? Zurück in die Stadt ist keine Option, denn auch aus ihrer WG ist sie geflogen, da sie monatelang keine Miete bezahlt hat. Ihr letzter Sugardaddy, Dom, ist sauer auf sie, da sie ihn um eine große Summe Geld und Drogen erleichtert hat. Er bombardiert sie mit Anrufen, die sie jedoch ignoriert. Allerdings lebt sie in ständiger Angst, er könnte sie ausfindig machen.
So streunert sie obdachlos und auf der Suche nach einem neuen Opfer durch die Gegend. Sie ist eine Meisterin der Manipulation und weiß genau, wie sie am besten zu ihrem Ziel kommt. Dabei geht sie äußerst skrupellos vor. Empathie ist ihr fremd. Es ist ihr egal, wenn sie andere in Schwierigkeiten bringt. Man erfährt nichts über Alex‘ früheres Leben, wieso sie so wurde, wie sie ist. Irgendwann hatte sie einen Job, was ist passiert? Wann und warum hat sie beschlossen, sich zu prostituieren? Obwohl Alex, die permanent zugedröhnte und kleptomanisch veranlagte Schmarotzerin alles andere als eine sympathische Protagonistin ist, hat ihre Geschichte eine Sogwirkung auf mich ausgeübt, die sich wie ein Thriller liest. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, zu Simon zurückzukehren. Eine Woche nach ihrem Rauswurf gibt er eine große Labor Day Party, jetzt gilt es nur, die Zeit bis dahin zu überbrücken, dann wird er sie schon wieder aufnehmen.
Das Ende des Romans ist offen, was mich nach all der Spannung und der Erwartung einer Auflösung ziemlich unbefriedigt zurückgelassen hat. Emma Clines Vorgängerwerk „The Girls“ konnte mich nicht ganz überzeugen, „Die Einladung“ hat mich gefesselt. Allerdings hätte ich eine wörtliche Übersetzung des Originaltitels „The Guest“ sehr viel passender gefunden. Ein äußerst spannender Roman über eine überaus unsympathische Protagonistin.

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Veröffentlicht am 04.06.2023

Eine Wette und ihre Folgen

Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen
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Der Student Tom Horsmith trifft im Pub seines Heimatortes St. Piran auf den Politiker Monty Causley, den er als Lügner bezeichnet, weil er keines seiner Wahlversprechen eingelöst hat. Sie diskutieren über ...

Der Student Tom Horsmith trifft im Pub seines Heimatortes St. Piran auf den Politiker Monty Causley, den er als Lügner bezeichnet, weil er keines seiner Wahlversprechen eingelöst hat. Sie diskutieren über den Klimawandel, den Causley leugnet, und schließen eine Wette ab, die weitreichende Auswirkungen auf ihrer beider Zukunft hat.
Im Laufe ihres Lebens treffen sie immer wieder aufeinander und bestimmen das Schicksal des jeweils anderen.
John Ironmonger ist es mit diesem Roman gelungen, dem Leser wichtige Fakten über den Klimawandel und die damit zusammenhängenden Probleme wie Artenschwund auf informative und gleichzeitig unterhaltende Weise nahezubringen. Wir begleiten die Hauptpersonen durch ihr Leben, von Cornwall nach Grönland. In welcher Zeit die Geschichte spielt, wird nicht explizit genannt, doch offenbar in der nicht allzu fernen Zukunft. Ich war mir nicht sicher, ob mir dieser Roman gefallen wird, denn ich habe befürchtet, mit erhobenem Zeigefinger belehrt zu werden, doch das war ganz und gar nicht der Fall.
Ironmonger schafft es immer wieder, den Leser durch unerwartete Ereignisse zu überraschen. Ein äußerst lesenswertes Buch, dessen ausschweifende Naturbeschreibungen manchen als Längen erscheinen mögen, mir haben sie gefallen.

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Veröffentlicht am 06.05.2023

Erschreckende Vorstellung

Der Verdacht
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Gibt es Kinder, die böse auf die Welt kommen? Und Mütter, die keine Liebe für ihre Kinder empfinden? Diese beiden Fragen haben sich mir bei der Lektüre von „Der Verdacht“ gestellt.
Als Blythe und ihr ...

Gibt es Kinder, die böse auf die Welt kommen? Und Mütter, die keine Liebe für ihre Kinder empfinden? Diese beiden Fragen haben sich mir bei der Lektüre von „Der Verdacht“ gestellt.
Als Blythe und ihr Mann ihr Baby Violet bekommen, hätten sie eigentlich glücklich sein müssen, doch Blythe spürt von Anfang an, dass das Kind sie ablehnt. Im Lauf der Jahre wird es immer schlimmer. Außerdem hat Violet bösartige Charakterzüge, die für ein kleines Kind sehr schockierend sind. Blythes Ehemann Fox findet, Blythe übertreibt maßlos, denn zu ihm ist Violet ein liebes kleines Mädchen.
Blythe selbst hat eine Mutter, die nie etwas von ihr wissen wollte, und auch die Großmutter war keine liebevolle Frau. Liegt es also an ihr, benimmt sich Violet ihr gegenüber so ablehnend, weil sie selbst nie geliebt wurde?
Als es zu einem schrecklichen Unglück kommt, fängt Blythe an, an sich selbst zu zweifeln. Was ist Realität, was hat sie sich womöglich eingebildet?
„Der Verdacht“ ist ein äußerst spannendes Psychodrama, das mich einerseits abgestoßen hat, andererseits war ich so fasziniert, dass ich es kaum aus der Hand legen konnte, da man ständig eine unterschwellige Gefahr und Bedrohung spürt. Was mich an diesem Buch allerdings sehr gestört hat, war die gewählte Zeitform in der Übersetzung. Blythe berichtet als Ich-Erzählerin größtenteils im Imperfekt und man findet Sätze wie „du lasest die Zeitung“, was sehr gestelzt klingt und den Lesefluss hemmte. Das jedoch nur am Rande, das Buch ist auf jeden Fall lesenswert.

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