Eine Ode an das Erinnern und Bewahren
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sindInhalt:
Bei der Lektüre dieses Buches wird bewusst, wie wichtig Erinnerungen, Fotos, Erzählungen und gemeinsame Erlebnisse für eine Familie sind und dass Menschen und ihre Leben tatsächlich nicht nur in ...
Inhalt:
Bei der Lektüre dieses Buches wird bewusst, wie wichtig Erinnerungen, Fotos, Erzählungen und gemeinsame Erlebnisse für eine Familie sind und dass Menschen und ihre Leben tatsächlich nicht nur in Vergessenheit geraten, sondern komplett ausgelöscht werden, wenn man ihre Namen nicht mehr kennt und wenn es niemanden mehr gibt, der ihre Geschichte erzählen kann. Gerade für viele Überlebendes des Holocaust - unter anderem für die Autorin Esther Safran Foer - ist es von zentraler Bedeutung, die Namen ihrer teilweise unbekannten Angehörigen zu erfahren, die Geschichte ihrer Vorfahren kennenzulernen und weiterzuerzählen, egal, welches Grauen ihr innewohnt. Esther Safran Foer unternimmt mit ihrem Sohn Frank eine Reise in die heutige Ukraine und zugleich in das Leben ihres Vaters und dessen ersten Frau. Sie lernt die Menschen kennen, die gemeinsam mit ihren Angehörigen geflüchtet sind oder die geholfen haben, ihre Familie zu verstecken und indem sie Licht in diese sehr persönliche Dunkelheit bringt, gelingt es ihr auch, sich zu verabschieden und die Andenken ihrer verstorbenen Familie in Würde zu wahren.
Meine Meinung:
Ich kann schwer in Worte fassen, was dieses Buch in mir ausgelöst hat und eigentlich wollte ich es auch schon pünktlich zum Erscheinungstermin beenden. Dies war mir allerdings nicht möglich, weil die Geschichten, welche Esther Safran Foer erzählt, definitiv keine leichte Kost sind. Ich stelle es mir unendlich schmerzvoll vor, nicht annähernd alle Mitglieder der engen Familie zu kennen und zu wissen, dass einige von ihnen ein so schreckliches Schicksal erlitten haben. Obwohl die Autorin es schafft, die schlimmsten Gräuel eher nüchtern zu schildern, musste ich beim Lesen doch einige Male pausieren. Auch gelang mir vor allem der Einstieg in "Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind", nicht so leicht. Sehr viele Namen und Jahreszahlen, sowie Verwandtschaftsbeziehungen werden oft einige Male wiederholt und wild durcheinandergewirbelt. Der Stammbaum im Anhang hilft nur bedingt, da im Laufe der Erzählung noch zahlreiche weitere Personen, unter anderem Menschen, welche der Familie Foer an irgendeinem Punkt ihres Weges geholfen haben, erwähnt werden.
Erst im letzten Drittel des Buches, der den entscheidenen Durchbruch bei der Suche nach Verwandten und guten Geistern thematisiert, beginnt die Erzählung zu fliessen und dies passt eigentlich hervorragend zur erzählten Geschichte, weil man spürt, dass die Autorin an diesem Punkt der Erzählung zum ersten Mal ein wenig zur Ruhe kommt, aufatmet, die Luft ausströmen lässt und beginnt, die einzelnen losen Enden ihrer Familiengeschichte, die am Anfang des Buches noch für Verwirrung gesorgt haben, in Gedanken zu verknüpfen. Ist dieser Aufbau Zufall oder ein absoluter Geniestreich der Autorin? Letztendlich spielt das gar keine Rolle mehr, denn mit jeder weiteren Seite spürt man beim Lesen förmlich, wie Erleichterung, Dankbarkeit aber auch tiefe Trauer sie durchströmen und wie eine Art Frieden mit dem Schicksal geschlossen wird. Gerade diese letzten paar Seiten haben mich tief berührt und lassen mich voller Achtung für Esther Safran Foer und ihre mutige Reise, ihre positive Lebenshaltung und ihr tiefes Vertrauen in ihre Familie zurück.
Meine Empfehlung:
In "Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind", schreibt Esther Safran Foer nicht gegen das Vergessen an, wie ich jetzt schon einige Male gelesen haben, sondern rettet vielmehr das Erinnern, Erzählen und Bewahren. Obwohl sich vor allem der Anfang des Buches nicht ganz einfach liest, weil die zahlreichen Namen und Daten, die losen Ende in der Familiengeschichte, für Verwirrung sorgen und obwohl die Autorin keine leichte, sondern eine äusserst tragische, bewegende Geschichte erzählt, hat dieses Buch etwas enorm Versöhnliches an sich und strahlt eine grosse Ruhe und Kraft aus. Von mir gibt es eine herzliche Leseempfehlung für dieses wichtige Werk.