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Sidny

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Veröffentlicht am 18.02.2018

"Verzweiflung ist ein Detective,..

Zu nah
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...der das Gefühl hat, ein Mörder ist ihm durchs Netz gegangen." (Kapitel 13)

Dublin, 2011: Als die Leiche von Eleanor Costello erhängt in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wird, stellt sich als erstes die ...

...der das Gefühl hat, ein Mörder ist ihm durchs Netz gegangen." (Kapitel 13)

Dublin, 2011: Als die Leiche von Eleanor Costello erhängt in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wird, stellt sich als erstes die Frage: Mord oder Selbstmord? Ein kleines Detail, das bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung entdeckt wird, lässt keinen anderen Schluss zu als Mord. Eleanors Ehemann Peter ist wie vom Erdboden verschluckt, was ihn höchst verdächtig wirken lässt. Die Ermittlungen werden von Frankie Sheehan geleitet, die allerdings bei ihrem letzten Fall fast getötet wurde, danach längere Zeit beurlaubt war, und auch jetzt noch mit dem erlittenen Trauma zu kämpfen hat. Hat sie den Blick wirklich frei für diesen neuen Fall?

Für einen richtig spannenden Thriller bin ich immer zu haben, und der Klappentext dieses Debütromans klingt sehr vielversprechend. Die Leseprobe fand ich dagegen ungewöhnlich: Zum einen ist das Buch im Präsens geschrieben, eine Zeitform, mit der ich mich in Romanen schwertue, was dann auch oft meinen Lesefluss stört. Hier war es allerdings richtig stimmig statt irritierend, weil ich dadurch noch näher am Geschehen war.
Zum anderen ist Polizistin Frankie zugleich die Ich-Erzählerin, und ich war gespannt, ob der Leser tatsächlich die komplette Handlung ausschließlich durch ihre Augen erleben wird, denn in Thrillern werden ja oft Kapitel aus der Sicht des Killers eingestreut, was einen fast automatisch eigene Theorien zu seiner Person entwickeln lässt. Doch es gibt tatsächlich im ganzen Buch nur eine einzige andere Perspektive: der kurze Prolog ist aus der Sicht des ersten Opfers Eleanor verfasst.

Leider empfand ich gerade dies aber als Schwäche des Thrillers, denn durch den Prolog hatte der Leser gegenüber Frankie einen enormen Wissensvorsprung, und musste dann etwa die Hälfte des Buches, beziehungsweise die ersten beiden Monate Ermittlungsarbeit, dabei zusehen, wie das Team permanent in die falsche Richtung rannte. Das mag zwar sehr realitätsnah sein, sorgte bei mir aber für eine gewisse Frustration. Zudem gab es dann auch gerade im ersten Teil ein paar unrunde Passagen, wie zum Beispiel, dass Einblutungen an zwei Fingern Selbstmord unmöglich machten - allerdings war auch am Tatort schon klar, dass die an einem Dachbalken erhängte Eleanor im Falle eines Selbstmords auf einem Stuhl, einer Leiter oder einem sonstigen Hilfsmittel hätte stehen müssen - das aber einfach nicht da war, weswegen man Selbstmord als Todesursache schon lange vor der Obduktion hätte ausschließen können.

Warum gebe ich also vier Sterne, wenn ich doch einiges zu meckern habe? Dafür gibt es mehrere Gründe. Ich mag Protagonistin Frankie. Sie ist die Sorte "angeschlagener Ermittler", die mir nicht auf die Nerven geht, weil sie nicht an einer zerrüttenden Ehe oder Alkoholproblemen herumkaut, sondern während eines Einsatzes schwer verletzt wurde, und es daher nicht verwunderlich ist, dass sie mit einigen Problemen kämpft, die sich negativ auf ihre Arbeit auswirken. Da kann ich ihr dann schon mal nachsehen, wenn sie eine Zeugenaussage nicht richtig einordnet oder etwas Offensichtliches übersieht, weil ich verstehen kann, warum sie nicht richtig bei der Sache ist. Außerdem war das Buch schlicht unheimlich spannend, und ich habe es an einem einzigen Tag gelesen. Der Fall war wirklich raffiniert, nicht nur was den Täter anging, tappte ich im Dunkeln, auch die Hintergründe waren mir lange nicht klar.

Von einem Thriller erwarte ich spannende Lesestunden, und die hat mir Olivia Kiernan ohne Zweifel geboten. Zu nah fühlte sich wie ein Reihenauftakt an, obwohl der Fall natürlich abgeschlossen wurde. Ich könnte mir vorstellen, dass Frankie noch einige Fälle lösen wird - und da wäre ich auf jeden Fall gerne wieder dabei.

Veröffentlicht am 03.02.2018

Sex, Drugs & ... Stummfilm!

Der Mann, der nicht mitspielt
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Hollywood, 1921: Hardy Engel, derzeit arbeitsloser Schauspieler und Ex-Polizist, braucht dringend Geld, da bietet sich ein Detektivbüro als zweites Standbein förmlich an. Pepper Murphy, seine erste Klientin ...

Hollywood, 1921: Hardy Engel, derzeit arbeitsloser Schauspieler und Ex-Polizist, braucht dringend Geld, da bietet sich ein Detektivbüro als zweites Standbein förmlich an. Pepper Murphy, seine erste Klientin und ein fleischgewordener Männertraum, beauftragt ihn, die verschwundene Schauspielerin Virginia Rappe aufzuspüren. Sie hatte ein Casting bei "Famous Players", doch danach verliert sich ihre Spur. Hardy braucht nicht lange, um im Studio in Erfahrung zu bringen, dass Virginia direkt im Anschluss an ihre Probeaufnahmen mit einer Freundin nach San Francisco aufgebrochen ist. Das Glück beschert ihm einen zweiten Auftrag, er soll dem "Famous-Players"-Star Roscoe "Fatty" Arbuckle ein brisantes Päckchen liefern. Der weilt zur Zeit ebenfalls in San Francisco und feiert anlässlich des Labor Days ein rauschendes Fest mit reichlich Alkohol und anderen illegalen Substanzen - nicht weiter verwunderlich, dass Hardy auf ebendieser Party auch auf das verschollene Starlet stößt - und damit in einen Strudel von Ereignissen gerät, die sich innerhalb kürzester Zeit zum größten Skandal der noch jungen Traumfabrik entwickeln werden...

Ehrlich, was für ein grandioses Buch! Schon der Prolog, der gerade mal eine Buchseite einnimmt, hat in mir die Erwartung auf ein besonderes Leseerlebnis geweckt, und Christof Weigold hat dieses Versprechen auch eingelöst. Obwohl dort im Grunde schon weit vorgegriffen wird, wird unheimlich viel Spannung aufgebaut, die über die für einen Krimi unglaubliche Länge von über 600 Seiten auch nie nachgelassen hat.
Die tatsächlichen Ereignisse des Arbuckle-Skandals werden geschickt mit der fiktiven Handlung um den abgehalfterten Schauspieler, aber durchaus versierten Ermittler Hardy Engel verknüpft. Eine ganze Reihe realer Personen, wie beispielsweise die Leinwandlegenden Gloria Swanson und Wallace Reid, die Studiobosse Laemmle, Zukor, Goldwyn, Meyer und noch einige mehr, bis hin zu den unglücklichen Hauptakteuren Virginia Rappe und Roscoe Arbuckle, ist in die Handlung eingebunden.

Hardy Engel ist eine Figur nach meinem Geschmack: Zum einen ist er absolut ein Kind seiner Zeit, nach vier Jahren im Schützengraben, die er wie durch ein Wunder unversehrt überstanden hat, kehrt er der Heimat den Rücken, und erfindet sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten völlig neu. Früher Polizist, heute Schauspieler, ein Unding in der alten Welt, aber in Amerika ein normaler Lebenslauf. Er will das Leben genießen, schert sich nicht das Geringste um die Prohibition, und obwohl er ein Freund der neuen lockeren Sitten ist, kann er mit einem allzu ausschweifenden Lebensstil der Damenwelt trotzdem nicht ganz so gut umgehen. Zum anderen ist er ein wirklich fähiger Detektiv, der mich von seinen Schlussfolgerungen und seiner Vorgehensweise immer überzeugen konnte, obwohl dieser verworrene und absolut undurchsichtige Fall ihn an die Grenzen seines Könnens und vor allem seiner Belastbarkeit bringt.

Neben der Figurenzeichnung hat mich begeistert, wie gut die Atmosphäre und der Lebensstil der beginnenden Roaring Twenties in der noch blutjungen Filmindustrie transportiert wurde, ohne dass die Spannung dabei auf der Strecke geblieben wäre - das ist ganz großes Kino, noch dazu in einem Debütroman ;) Das gelungene Spiel mit Klischees über deutsche Auswanderer, Privatdetektive und erfolglose Schauspieler, sowie der völlige Verzicht auf die heute übliche Political Correctness schaffen einen passenden Hintergrund, lockern aber auch die dramatischen Geschehnisse, die letztendlich zwei Menschen in den Abgrund rissen, auf.

Ich kann es jetzt schon kaum noch erwarten, bis Hardy im Frühjahr 2019 (so verspricht es zumindest die Homepage des Autors) seine Ermittlungen (endlich!) wieder aufnehmen wird, damit ich mich von Neuem in dieses schillernde und verruchte Haifischbecken, in dem nichts ist, wie es scheint, entführen lassen kann.

Veröffentlicht am 26.01.2018

Glas, so klar wie fest gewordenes Gebirgswasser

Das Geheimnis des Glasbläsers
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Anno Domini 1452: König Friedrich, der in Kürze zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt werden wird, feiert in Rom seine Hochzeit mit Eleonore. Gesandte aus allen Teilen der christlichen Welt ...

Anno Domini 1452: König Friedrich, der in Kürze zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt werden wird, feiert in Rom seine Hochzeit mit Eleonore. Gesandte aus allen Teilen der christlichen Welt wurden ausgesandt, um den Frischvermählten Geschenke und Glückwünsche überbringen. Das aufsehenerregendste Präsent überreicht Emilio Nani, Mitglied des Großen Rats von Venedig: zwei Trinkpokale aus kristallklarem Glas, genannt "Cristallo". Dieses Geschenk ist eine Sensation, denn in Friedrichs Herrschaftsgebiet kennt man nur grünes Waldglas. Friedrich ist so fasziniert, dass er seinem Kanzler aufträgt, den Venezianern das Geheimnis dieses Wunders zu entreißen.
Etwas später in Hauenstein: Simon, ein talentierter Glasbläser mit dem Hang, sich selbst in die Bredouille zu bringen, ist beim Waldvogt in Ungnade gefallen. Da der Reichskanzler Riederer gerade nach dem besten Glasbläser des Reiches sucht, um ihn als Spion nach Venedig zu schicken, wird kurzerhand Simon diese "Ehre" zuteil. Nur mit Ulf, einem recht einfach gestrickten Handlanger aus der Glashütte, und Lilli, einer Eselin, macht er sich auf, das Geheimnis der Cristallo-Herstellung zu lüften.

Derzeit sind historische Romane, die im Mittelalter angesiedelt sind, gar nicht so leicht zu finden, und noch schwerer wird es dann, einen richtig guten zu erwischen. Umso glücklicher bin ich, dass mir dieses Buch aufgefallen ist, was natürlich zuallererst am stimmigen Cover liegt, das sofort mein Interesse geweckt hat. Aber auch der Inhalt überzeugt: Von der ersten Zeile an war ich gefesselt von dieser prallen und farbenfrohen Geschichte über die lange Reise, die Simon und Ulf vom tiefsten Schwarzwald über die Alpen ins ferne Venedig und sogar bis ins von den Türken belagerte Konstantinopel führt.

Die liebevoll gezeichneten Figuren habe ich gerne begleitet, und mir gefiel besonders, dass es sich eben nicht um Adlige und Ritter handelte, sondern um einfache Menschen, die zum Spielball der Reichen und Mächtigen werden. Simon, der zwar außerordentlich talentiert, aber dennoch nur ein junger Handwerker ist, und Ulf, der von den meisten als zurückgeblieben und dumm wahrgenommen wird, obwohl er manchmal überraschend kluge Äußerungen macht, werden vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Schon die weite Reise bis nach Venedig ist voller Gefahren, und die Betreiber der Glashütten auf der Insel Murano teilen ihre Geheimnisse natürlich nicht mit jedem dahergelaufenen Waldglasbläser, sondern hüten sie im Gegenteil wie ihren Augapfel. In Venedig macht Serena, die ein Freudenhaus ihr Eigen nennt, das Trio dann komplett. Obwohl alle drei sehr sympathisch sind, haben sie dennoch auch ihre Schwächen, was sie aber eben gerade authentisch wirken lässt.

Der einzige kleine Schwachpunkt des Buches ist die Krimihandlung um einen Serienmörder, der in Venedig sein Unwesen treibt. Leider kann ich das nicht vertiefen, ohne inhaltlich zu weit vorzugreifen, aber meiner Meinung nach hätte dieser Handlungsstrang noch Potential gehabt, das nicht ganz genutzt wurde.
Aber das Buch ist ja auch ein historischer Roman und kein historischer Krimi, und bringt als solcher auch alles mit, was ich als Leser erwarte: zum einen ein am Ende angehängtes "Dramatis personae", in dem die realen historischen Personen gekennzeichnet sind, und eine ausführliche Danksagung des Autors, die einen Einblick in die fundierte Recherche zu diesem Roman lieferte.

Insgesamt hat mich Ralf Dorweiler auf Anhieb überzeugt, denn Das Geheimnis des Glasbläsers ist ein richtig guter, fesselnder und vor allem unterhaltsamer Roman, der faszinierende Einblicke in die Glasherstellung gewährt, und den ich jedem Mittelalter-Fan ans Herz legen möchte.

Veröffentlicht am 19.01.2018

Gelungener Häkelkrimi in bezaubernder kornischer Atmosphäre

Je tiefer man gräbt
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Mags Blake hat ihr Hobby zum Beruf gemacht, sie gestaltet und pflegt Gärten in ihrer Heimatstadt Rosehaven. Das Anwesen der Familie Williams, Shelter Gardens, öffnet einmal jährlich seine Pforten für die ...

Mags Blake hat ihr Hobby zum Beruf gemacht, sie gestaltet und pflegt Gärten in ihrer Heimatstadt Rosehaven. Das Anwesen der Familie Williams, Shelter Gardens, öffnet einmal jährlich seine Pforten für die Öffentlichkeit, und da Mags die Anlage sehr gut kennt, wird sie gebeten, die Besucher durch die Gärten zu führen. Dabei fällt ihr im Hortensiengarten auf, dass einige Blüten rosa statt blau blühen - das lässt Mags keine Ruhe und sie gräbt an der Stelle, nachdem sich die letzten Besucher verabschiedet haben. Sie findet dort die Überreste von Thomas Williams Verlobter, die vor einigen Jahren zeitgleich mit dem Familienschmuck verschwunden ist.

Für mich muss ein spannender Mordfall nicht zwangsläufig vor Blut triefen, und detailliert beschriebenes Gemetzel muss auch nicht immer sein. Für Häkelkrimis bin ich also jederzeit zu haben, und den Begriff meine ich keinesfalls abwertend, sondern einfach nur als Abgrenzung von Krimis, bei denen es deutlich härter zur Sache geht.

Mary Ann Fox ist hier ein ausgewogener Mix gelungen: ein geheimnisvoller "Cold Case" in stimmungsvollem Setting, bevölkert von schrullig-sympathischen Figuren, die man als Leser sehr gerne begleitet.

Die Gärtnerei ist für mich persönlich nicht gerade ein Steckenpferd, mangels Talent kann ich auch die robustesten Pflanzen in die Knie zwingen, und ich habe auch keine große Freude an der Gartenarbeit selbst. Aber wenn man Mags, die auch ohne Ausbildung eine passionierte Gärtnerin ist, so über die Schulter schaut, kann sogar ich verstehen, wie erfüllend dieses Hobby (oder in Mags' Fall: dieser Beruf) sein kann.

Der Mordfall selbst steht trotzdem an erster Stelle, Mags wird eigentlich wider Willen viel tiefer in die Ermittlungen verstrickt, als es ihr recht ist. Ich tappte selbst lange im Dunkeln, und konnte mich nicht recht entscheiden, welcher Kandidat der wahrscheinlichste Täter ist, es blieb also bis zum Schluss spannend.

Leider konnte ich keine Informationen dazu finden, ob Mary Ann Fox eine Reihe plant, aber das Potenzial dazu wäre meiner Meinung nach auf jeden Fall vorhanden - ich würde sehr gerne für einen neuen Mord wieder in das beschauliche Dörfchen Rosehaven zurückkehren.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Mörder ist nicht immer der Gärtner, denn manchmal ist die Gärtnerin auch der Hobby-Detektiv!

Veröffentlicht am 15.01.2018

Die dunkle Legende der Borgia

Die letzte Borgia
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Italien, 1501: Während Papst Alexander und sein Sohn Cesare von Piombino aus nach Rom segeln, ist Lucrezia, die Tochter des Papstes, auf dem Landweg nach Ferrara unterwegs um ihren dritten Ehemann, den ...

Italien, 1501: Während Papst Alexander und sein Sohn Cesare von Piombino aus nach Rom segeln, ist Lucrezia, die Tochter des Papstes, auf dem Landweg nach Ferrara unterwegs um ihren dritten Ehemann, den Erben des Hauses d'Este, zu heiraten. Ihre Reise soll ein Triumphzug für die Borgia sein, die in den vergangenen Jahren immer mehr Städte in Italien unterworfen haben, denn Cesare ist wie sein antiker Namensvetter ein begnadeter Feldherr und träumt von einem geeinten Italien unter der Führung seiner Familie. Lucrezia erfüllt ihre Mission vorbildlich, trotz der üblen Gerüchte, die sich um sie ranken, liegt ganz Italien der charismatischen, jungen Frau zu Füssen. Ganz Italien? Ja, ganz Italien, abgesehen von den d'Este, der Familie ihres zukünftigen Ehemanns, die eine Verbindung mit der Bastardtochter des ausländischen Papstes als weit unter der Würde ihrer alten Adelsfamilie ansehen.

In Der Palast der Borgia begann Sarah Dunant, den kometenhaften Aufstieg des Rodrigo Borgia, Protegé und Neffe des Papstes Calixtus III., und damit auch seiner Schar unehelicher Kinder, zu schildern. Mit Die letzte Borgia wird der Faden nun weitergesponnen, und die letzten Jahre von Alexanders / Rodrigos Pontifikat stehen im Mittelpunkt, ebenso wie der Versuch, Macht und Einfluss seiner Familie über seinen Tod hinaus für die nächste Generation zu erhalten.

Hätte sich ein Schriftsteller die Geschichte der Familie Borgia ausgedacht, käme man als Leser wahrscheinlich nicht umhin, sie für eine richtige Räuberpistole zu halten, in der so viel Unglaubliches zusammentrifft, dass es eben einfach nicht mehr glaubwürdig wirkt. Ein Papst, der Orgien veranstaltet, offen mit seiner Geliebten zusammenlebt und seine zahlreichen Nachkommen stolz der ganzen Welt präsentiert, statt sie angemessen verschämt als Neffen und Nichten auszugeben. Und ein Papst, dem das Wohl seiner unehelichen Kinder mehr am Herzen zu liegen scheint, als das der Kirche, und der über Leichen geht, um sich für seine dynastischen Pläne die Taschen aus den Truhen des Vatikan zu füllen.

Doch das Leben dieses Papstes ist in zahlreichen Quellen gut dokumentiert, sein Zeremonienmeister Burchard beispielsweise führte akribisch Tagebuch, und hat damit der Nachwelt einen detailreichen Zeitzeugenbericht aus dem engsten Umfeld des Papstes hinterlassen. Das Literaturverzeichnis am Ende des Buches verdeutlicht, dass Sarah Dunant es mit der Recherche für ihre historischen Romane sehr genau nimmt, und nah an den tatsächlich dokumentierten Meilensteinen der Borgia bleibt (ebenfalls am Schluss in einer Zeittafel nachzulesen).
Trotzdem hält man hier kein trocken-langweiliges Geschichtsbuch in Händen, sondern einen fesselnden, historischen Roman, der einen in diese aufregende Epoche der beginnenden Renaissance, voller Intrigen und Machtspielchen zwischen zahlreichen Königreichen und dem Heiligen Stuhl, abtauchen lässt. Die Lücken der Geschichtsschreibung werden schlüssig gefüllt und man bekommt hier ein ausgewogeneres Bild über die Borgia als es die Chronisten nach Papst Alexanders Tod zeichneten. Alexander wird nicht nur als machtgieriger Kirchenfürst, sondern auch als liebender Familienvater, Cesare nicht nur als vom Größenwahn zerfressener Emporkömmling, sondern als weitsichtiger Feldherr, und Lucrezia nicht als skrupellose Giftmörderin, sondern als die geachtete, geliebte und kunstinteressierte Fürstin, die sie wohl auch gewesen ist, gezeichnet.

Obwohl man diesen Roman auch sehr gut für sich alleine lesen kann, weil auf wichtige Geschehnisse der frühen Jahre immer wieder Bezug genommen wird, würde ich trotzdem empfehlen, zuerst zu Der Palast der Borgia zu greifen. Diese beiden Bücher zusammen decken die komplette Amtszeit Alexanders ab, und erzählen eine spektakuläre Familiengeschichte, von der man eigentlich keine Zeile verpassen sollte.