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Veröffentlicht am 06.02.2022

Die Heimat des Herzens

Die Heimat des Herzens
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"Die Heimat des Herzens" von Felicity Whitmore ist der 3. und letzte Band der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hall" und wurde im dtv-Verlag (Jan. 2022, TB) verlegt. Es ist ein stimmiger Abschluss einer ...

"Die Heimat des Herzens" von Felicity Whitmore ist der 3. und letzte Band der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hall" und wurde im dtv-Verlag (Jan. 2022, TB) verlegt. Es ist ein stimmiger Abschluss einer lesenswerten Reihe um Frauen, die um ihre Rechte kämpfen müssen; die mutig und unbeirrbar ihren Weg verfolgen und Familiengeheimnisse zu entwirren süchen. In diesem Abschlussband steht Abigail (Lady von Mahony) im Vordergrund, deren Geschicke der Leser nach ihrer Flucht nach Amerika mit Spannung mitverfolgen können.


Oregon, 1848:


Abigail gelingt es endlich, ihrem Peiniger Sir Lancaster zu entkommen. Sie schifft sich als blinder Passagier nach New York ein und sollte in Captain John Maroon in der Folge einen wertvollen Verbündeten finden. Doch wohin sie auch kommt, Lancaster scheint bereits dort gewesen zu sein und stellt ihr weiterhin nach. Abigail hat nur ein Ziel: Sie will zurück nach England, nach Hampton Hall zu ihren Söhnen Ebenezer und Hugh und da sie nicht mit leeren Händen zurückkommen möchte, sucht sie in New York nach dem Käufer ihrer Statue, in die sie einst allen Familienschmuck gießen ließ und die von ungeheurem Wert ist. Die "Arbeitermadonna", die die Zukunft ihrer Fabrikarbeiter in England sichern soll, soll ihrer wahren Bestimmung zukommen. Wird Abigail dieses unbeirrbare und auch waghalsige Vorhaben in die Tat umsetzen können?

Und wie wird es um das Schicksal ihrer Söhne währenddessen bestellt sein? Wird Ebenezer weiterhin um sein großes Glück bangen müssen?

Wie wird sich Melody entscheiden: Wird sie das baugleiche "Abigail's Place" Herrenhaus in Oregon, das sie erbte, wieder herrichten oder es verkaufen? Was wird sie wohl in den Tagebüchern von Cyrus Lancaster-Riley enthüllen, die sie dort, angereist mit Dan und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter Abi, lesen möchte, um das Geheimnis um Abigail und ihren Vorfahren endgültig lösen zu können?


Meine Meinung:


Felicity Whitmore versteht es auch in diesem Abschlussband, ihre Leser emotional zu fesseln: Der Spannungsbogen setzt früh ein und reißt auch bis zum Ende der Trilogie nicht ab. Man ist beim Lesen über manches entsetzt, was sich in der Familie Lancaster-Riley anno 1848 und auch 1927 ereignete: Abigail ist der Schwerpunkt in diesem Roman; sie ist von Beginn an eine der - wenn nicht die - Hauptprotagonistin. Melody in der Gegenwart entdeckt durch alte Aufzeichnungen ihrer Ahnin immer mehr Geheimnisse und die Beziehung zu Dan wird auch hier nicht selten in Frage gestellt. Cyrus, dessen Leben (und das seiner beiden Kinder) durch Tagebucheinträge Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ersichtlich werden, trägt teils die Gene seines Vorfahren Sir Laurence in sich, deren auch er sich nicht erwehrt. Die Themen, um die diese Trilogie kreist, sind u.a. Familiengeheimnisse um die "Reinheit der Blutlinie", daraus folgend Inzest, Gewalt und Missbrauch, Homosexualität; aber auch Mut und Stärke der Frauen von Hampton Hall, die unbeirrbar ihrem Weg folgen. Die Figuren; viele davon sympathisch wie die Hauptprotagonistin selbst, andere abscheulich, sind genau gezeichnet und die Handlungsabfolgen in sich stets stimmig.


Fazit:


In diesem lesenswerten und oftmals spannungsvollen letzten Teil der Trilogie um die "Frauen von Hampton Hall" schließt sich der Kreis der Romanreihe: Man begleitet Abigails auf ihrer schicksalhaften Reise, die sie von Oregon nach New York und zurück nach England führt; im Familienwohnsitz in Wales endet, nachdem sie einen langen und unbeirrbaren, mutigen Kampf um Gerechtigkeit und ihre eigenen Rechte focht; man hat gelitten, geliebt, gehofft und gekämpft sowie getrauert mit dieser mutigen und selbstlosen Frau. Die Intention der Autorin kommt in dieser Trilogie durchaus zum Tragen: Man sollte stets seinem Herzen folgen und durch verantwortungsvolles Handeln diese Welt ein wenig besser machen: Darin schließe ich mich gerne Felicity Whitmore an. Ich empfehle, die Trilogie chronologisch zu lesen - aber es gibt auch Rückblicke in die vorigen Bände, was mir ebenfalls positiv auffiel. Gerne vergebe ich 4,5 * und empfehle diese schön zu lesende, atmosphärische und spannende Trilogie gerne weiter!

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Veröffentlicht am 19.01.2022

Eine mörderische "Auszeit"

Das Chalet
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Dieser fulminante Winter-Thriller, "Das Chalet" (UT: Mit dem Schnee kommt der Tod) von Ruth Ware ist nicht der erste Thriller, den ich von dieser englischen Autorin gelesen habe - und wird auch nicht der ...

Dieser fulminante Winter-Thriller, "Das Chalet" (UT: Mit dem Schnee kommt der Tod) von Ruth Ware ist nicht der erste Thriller, den ich von dieser englischen Autorin gelesen habe - und wird auch nicht der Letzte sein: Spannende Unterhaltung auf hohem Thriller-Niveau scheint Ruth Ware zu eigen zu sein, was sie zurecht zu einer international anerkannten und erfolgreichen Bestseller-Autorin dieses Genres machte.


Französische Alpen, ein Luxus-Chalet:


Erin und Danny, Angestellte im Chalet, die sich ausser um das Haus selbst auch um die Gäste kümmern, erwarten eine neue Gruppe, die aus England anreist: Snoop, ein hippes Start-up-IT-Unternehmen, deren Gründer und Angestellte hier eine Auszeit verbringen wollen und das Chalet buchten. Nach der Ankunft der Gäste wird relativ schnell deutlich, dass es Spannungen zwischen den Gruppenmitgliedern gibt, was Erin und Danny nicht verborgen bleibt: Es scheint zwei Lager zu geben, wenn es um die Zukunftsfrage und Entscheidung der gemeinsamen Firma gehen wird: Manche sind für eine Übernahme und manche für den status quo. Im Gegensatz der versnobten, attraktiven und äußerst selbstbewussten, erfolgsgewohnten beiden "Chefs" und deren Mitgründer namens Topher, Eva, Rik und Elliot scheint sich als einziger Gast die unscheinbare Liz, die zwar bei Snoop kündigte, jedoch Anteilseignerin ist, hier sehr fehl am Platze zu finden und unwohl zu fühlen, was anfangs bei Erin und auch beim Leser ein gewisses Mitleid erzeugt.


Der Thriller beginnt mit einem Ski-Ausflug und ist anfangs sehr ruhig, jedoch spätestens als klar wird, dass eine Person der Gruppe unauffindbar und verschollen ist, macht sich Unbehagen in der Gruppe - wie auch bei den Angestellten - breit. Die unterschwelligen Spannungen kommen bei weiteren Todesfällen mit Außeneinwirkung - also Mord - immer mehr zum Vorschein und es ist die Frage, wer hier noch wem vertrauen kann. Als wäre dies noch nicht genug, verschlechtert sich zusehends die Wetterlage und eine Lawine geht ab, die das ohnehin schwer erreichbare Chalet komplett von der Außenwelt abtrennt: Nun beginnen die Verdächtigungen und bevor ein weiterer Mord geschieht, versuchen einzelne Gruppen, Hilfe von außen herbeizuholen; trotz widriger und gefährlicher Schneesituation (das Chalet befindet sich auf 2000 Höhenmetern; alles Notwenige wurde vor dem Lawinenabgang mit einer Standseilbahn "hochgeschafft".


Wird es jemandem rechtzeitig gelingen, den Mörder zu entlarven - oder wird es weitere Opfer geben?


Der Stil von Ruth Ware ist sehr durchdacht und psychologisch raffiniert: Die Spannung entwickelt sich konstant und die Story wird in kurzen Kapiteln immer abwechselnd aus der Perspektive von Erin (Hausangestellte) und Liz (Snoop-Gruppenmitglied) in der Ich-Form erzählt. Motive und Gedanken der ProtagonistInnen sind sehr nachvollziehbar und nach und nach erfährt man mehr von den Hintergründen, die zu den immensen Spannungen führten. Besonders gut gefällt mir am Stil der Autorin, dass sie sehr stark die Umgebung - hier also die französischen Alpen, das fiktive St. Antoine au Lac, in die Handlung einbindet und so eine große atmosphärische Dichte schafft.


"Das Chalet" dürfte nicht nur mich, sondern auch alle skifahrenden Thriller-LeserInnen in ihren Bann schlagen: Ich hatte zu diesem sehr fulminanten und gut geplotteten Thriller einen persönlichen Bezug, da ich mehrmals im 'Massif Central', dem Département Haute-Savoie, selbst Ski gefahren bin und diese Region als märchenhaftes Naturerlebnis und wahres Schneeparadies in Erinnerung habe. In meinem Falle war es zwar kein Luxus-Chalet mit Angestellten und Pool, jedoch die Außenwelt und die Schneehöhe stimmten!

Der fulminante Showdown findet am Ende wiederum im Schnee statt und ist atemberaubend spannend, da man Jäger und Gejagten über die Schulter sehen - und seine Gedanken lesen kann.

Auch die Auflösung und das Ende des Thrillers empfand ich als sehr stimmig. Erin und Danny waren mir ganz besonders sympathisch; die Snoop-Firmenmitglieder hingegen weniger: Hier würde ich auch eine gewisse Kritik herauslesen, wie sehr es gerade in der IT-Branche um's Geld verdienen geht (um den Datenschutz der UserInnen geht es weniger) - wie heißbegehrt Firmen sind, die sich im Marktwert weit "oben" befinden - und wie schnell diese auch in den Keller abstürzen können. Und auch darüber, wie weit manche Menschen gehen, um auf jeden Fall beruflichen Erfolg zu haben.


Fazit:


Ein sehr empfehlenswerter, spannungsgeladener Winter-Psychothriller par excellence. Psychologisch raffiniert aufgebaut mit zahlreichen unvorhersehbaren Wendungen um die Auszeit eines Start-up-IT-Unternehmens, das vermutlich nicht alle Mitarbeiter richtig einschätzen konnte; ein Blick auch in menschliche Abgründe, in denen sich zuvor so einiges "zusammenbraute". Rasante Spannung, die sich stetig steigert. Chalet- und Skiurlaubfeeling incl. "Gänsehautfaktor". Von mir gibt es eine überzeugte Empfehlung und 4,5 * und 95° auf der Krimi-Couch.

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Veröffentlicht am 05.11.2021

Gelungener Irland-Krimi

Greed Castle
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Ohne den ersten Band um Fin(bar) O'Malley zu kennen, kann der Leser schnell in die flüssig geschriebene und mit Humor versetzte Handlung einsteigen:
Der Expolizist O'Malley lässt sich in Foley nieder, ...

Ohne den ersten Band um Fin(bar) O'Malley zu kennen, kann der Leser schnell in die flüssig geschriebene und mit Humor versetzte Handlung einsteigen:
Der Expolizist O'Malley lässt sich in Foley nieder, einem kauzigen Dorf in Donegal mit ebenso kauzigen Bewohnern, mit denen er sich nach und nach anfreundet (ausser mit einem, mit dem er seine persönlichen Schwierigkeiten hat und Antipathie von Anfang an besteht).
Es geht um die weitere "Verwendung" eines alten Herrenhauses in der Nähe des Dorfes Foley - um Cruit Castle oder Greed Castle, um das sich ein vermeintlicher Erbe aus Amerika sowie reiche Investoren streiten. Nicht zu kurz kommt ein gewisses Lokalkolorit von Irland, auch wird die leidvolle Geschichte des Kampfes zwischen Protestanten und Katholiken angesprochen, die sich auch in der Familie des Ex-Polizisten O'Malleys und dessen Kindheitserinnerungen spiegeln.
Fazit:
Der Spannungsaufbau ist gelungen, einige Wendungen sind recht interessant, der Plot jetzt nicht unbedingt sensationell, aber stimmig. Was mir besonders gefallen hat, war die Beschreibung der kauzigen Dorfbewohner und der Humor (schön trocken, wie irischer Whiskey der Autorin. Ich hoffe, dass noch weitere Fälle in Donegal oder sonstwo auf der grünen Insel für Fin O'Malley zu lösen sein werden und das Augenzwinkern auf vielen Seiten dann wiederum zu finden sein werden; ich fühlte mich gut unterhalten und vergebe daher 92 Punkte auf der Werteskala.

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Veröffentlicht am 25.10.2021

"Immer mit der Ruhe"!

Herren der Lage
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"Herren der Lage" von Castle Freeman erschien im Hanser-Verlag (HC; gebunden, 2021) und der relativ schmale Roman hat es wirklich in sich: Ich kannte den Autor noch nicht, werde jedoch nach dem Genuss ...

"Herren der Lage" von Castle Freeman erschien im Hanser-Verlag (HC; gebunden, 2021) und der relativ schmale Roman hat es wirklich in sich: Ich kannte den Autor noch nicht, werde jedoch nach dem Genuss von "Herren der Lage" (im Original 'Children of the Valley') und übersetzt von Dirk van Gunsteren) nach weiteren Werken des Autors Ausschau halten...


Lucian Wing, der "Abreger" und Meister der Deeskalation, ist der Sheriff von Cardiff im amerikanischen Vermont und hat es in seinem Job eher mit "Dämlichkeiten" namens Mr. Bud Weiser oder Mr. Jim Beam zu tun als mit groben kriminellen Machenschaften. Sein Credo ist "Immer mit der Ruhe!", bis eines Tages ein halbseidener Anwalt namens Armentrout auftaucht, der im Motel, in dem Clemmie, Lucian's Ehefrau, als stellvertretende Geschäftsführerin arbeitet, unter ganz anderem Namen abgestiegen ist: Er "beauftragt" Wing, die Stieftochter Pamela seines Arbeitgebers Mr. Lord im Tal zu finden, die ausgerissen ist. Die Belohnung durch den reichen Mr. Lord soll stattlich ausfallen: Wing mag allerdings keine Aufträge von Menschen, die verschiedene Namen haben und auch von Leuten, die ihn finden wollen....


So macht sich Lucian selbst ein Bild und fährt nach dem Alarm von Mrs. Truax in deren Waldgebiet, wo er zwei Teenager vorfindet, die dort campieren: Pamela und Duncan verstecken sich vor den Schergen des Mr. Lord, und dies aus gutem Grund. Der weitere Verlauf dieses köstlich zu lesenden Romans mit Krimielementen wird nun von weiteren Verstecken für Pammy und Duncan bestimmt, wobei Wing dem halbseidenen Anwalt und dessen Kumpanen, die auch gerne mal zerstörerisch zu Werke gehen, immer einen Schritt voraus sein muss. Diese Situation soll so lange anhalten, bis die Mutter von Pamela auftaucht, die sich gerne in der Welt herumtreibt und im Jet Set lebt, sich mit reichen Gönnern (und Ehemännern wie Lord) umgibt, die Provinz und das Hinterwäldlerische jedoch verabscheut (weshalb sie die Verlobung mit Addison, dem Schwiegerpapa von Lucian Wing, damals löste)...


Der Schreibstil von Freeman ist einfach nur köstlich: In wenigen Worten und fast slapstickhaft sowie mit bissigem, schrägem und schwarzem Humor lässt er Wing im Stile eines Western noir zu Höchstform auflaufen: Erteilt Seitenhiebe in die amerikanische Gesellschaft, die in den 60ern gerne mit der Familienkutsche am Wochenende von einem (schäbigen) Motel zum nächsten fuhr, um dann späer lieber zu Hause zu bleiben und fernzusehen...

Die Dialoge sind allesamt zum Schmunzeln und besonders köstlich fand ich jene zwischen Lucian und seiner Ehefrau Clemmie, die gewisse "Dinge" und Zusammenhänge voraussehen kann.


Man lernt Wingate kennen, den früheren Chef und Sheriff, der nun im Altenheim sitzt, sich redlich fithält und nicht davon lassen kann, überall dort aufzutauchen, wo er Arbeit wittert; Big John, einen wilden Keiler, der später Lucian aus einer brenzligen Situation retten sollte und Tierschützer, die trotz gegensätzlicher Ansichten (in Person von Cola, dem Schrottplatzhändler) und Millie, der Aktivistin, sich doch menschlich annähern sollten. Auch Addison, der Schwiegervater von Wing, fand ich absolut köstlich. Ob es die "hinterwäldlerische" Kleinstadtgemeinschaft schaffte, Pamela vor ihren Widersachern zu verstecken und was tatsächlich hinter dieser Geschichte steckt, muss jeder selbst herausfinden:


Ich hatte jedenfalls ebenso wie Addison viel Spaß an der Geschichte, deren letzten Seiten ich nur noch schmunzelnd las.


Fazit:


Ein sympathischer Sheriff mit dem Herz am rechten Fleck löst einen "haarigen" Fall im "Hinterland" der USA: Schräg, bissig, witzig, komisch und auch kritisch, in die (gesellschaftliche) Tiefe gehend! Von mir eine ganz klare Leseempfehlung und 4,5 Sterne!

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Veröffentlicht am 02.09.2021

3 Frauen verschiedener Generationen auf 1 Hof - Selbstverwirklichung vs. Erwartungshaltungen

Wildtriebe
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"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, ...

"Wildtriebe" von Ute Mank erschien (HC, geb.,2021) im dtv-Verlag und entführt den Leser auf den "Bethches-Hof" in Hessen, den die im Roman alt gewordene Großbäuerin Lisbeth Ende des 2. Weltkrieges erbte, da ihre Brüder gefallen waren. In die Rolle der Bauersfrau hineingewachsen, arbeitet sie an der Seite ihres Mannes Karl zeitlebens auf dem Milchbauernhof und übernimmt alle traditionellen Rollen klaglos, die auf einem Hof für sie anfallen.

Als Sohn Konrad Marlies heiratet, kommt damit eine neue Frau auf den Hof, die von nun an "Bethches-Marlies" ist. Beide Frauen spüren, dass es nicht leicht sein wird, miteinander auszukommen: Während Lisbeth so aufgewachsen ist, sich alles von den älteren Frauen (und der Mutter) abzugucken, macht Marlies trotz aller Bemühungen vieles anders, was zuweilen für Zündstoff sorgt. Marlies möchte mehr vom Leben als eine Bäuerin sein; diese Rolle liegt ihr nicht wirklich: Während Lisbeth ganz selbstverständlich in diese Rolle und ihre Aufgaben hineinwuchs, hat Marlies das Bedürfnis, einen Ausgleich zu haben: So macht sie den Jagdschein und später lernt sie, Traktor zu fahren. Sie hilft mit, wo sie kann, unterstützt ihren Mann Konrad, aber möchte auch ins Modehaus zurückkehren, wo sie vor ihrer Heirat gearbeitet hat.

Nach einigen Jahren (auch wann sich Nachwuchs einstellt, mochte Marlies nicht dem Zufall überlassen, sondern dann, wann sie es für richtig hielt) kommt Tochter Joanna auf die Welt: Einige Zeit ist das Verhältnis von Marlies und Lisbeth ein wenig entspannter, doch Freundinnen werden sie nie. Joanna wächst heran und macht nach dem Abitur erst einmal ein soziales Jahr; sie fliegt nach Afrika und sollte später innerlich und äußerlich verändert zurückkommen: Sie wollte mit ihren Freunden die Realschule besuchen, während ihre Mutter sie zum Besuch des Gymnasiums drängte, da sie "ja immer nur ihr Bestes" wollte...

In diesem Roman, der die HauptprotagonistInnen sehr sensibel ausleuchtet und für so manches Kopfschütteln beim Lesen sorgt, geht es um Traditionen, die von der älteren Lisbeth aufrecht erhalten werden wollen; um Selbstbestimmtheit und sich anpassen; um Erwartungshaltungen und tradierte Rollenvorstellungen, die sich nicht nur auf dem Land - aber eben auch dort - in den letzten 70 Jahren für Frauen sehr gewandelt haben:

Während Lisbeth niemals eine andere Wahl hatte, als Bäuerin zu werden, den Hof weiterzuführen "so wie es immer war" und nach Jahren der Kinderlosigkeit doch noch hofft, Mutter zu werden, bestimmt Marlies diesen Zeitpunkt selbst: Setzt sich über die unausgesprochene Erwartungshaltung der Großeltern hinweg, um ihnen dann doch noch Joanna als Enkelkind zu präsentieren: Diese geht jedoch ihren ganz eigenen Weg, auf den Marlies schon längst keinen Einfluss mehr hat. Hier tat mir die Mutter etwas leid, da sich zwischen Joanna und ihrer Großmutter Lisbeth eine engere Bindung offenbarte als dies zwischen Marlies und Joanna der Fall war: Ihre Beziehung empfand ich als eher unterkühlt mit wenig Nähe und Offenheit. Gegen Ende des Romans stimmen diese "emotionalen Proportionen" jedoch wieder und vielleicht hat Joanna ihrer Mutter unbewusst geholfen, "den Weg frei zu machen, um sich selbst zu entfalten"?

Die Dialoge fand ich sehr interessant wie auch den geradlinigen, schnörkellosen Schreibstil von Ute Mank, der mir gut gefallen hat: Ich bin sicher, dass sich hier viele Frauen in Lisbeth, in Marlies oder auch in Joanna wiederfinden, da auch ein Stück Zeitgeschichte transparent gemacht wird: Was für unsere Großmütter undenkbar schien, ist heute absolut möglich; z.B. ein Kind auch ohne einen Vater aufzuziehen.

Etwas bedauert habe ich, dass die männlichen Protagonisten Karl, Konrad und auch der Knecht Alfred, der zeitlebens auf dem Hof gearbeitet hat, im Dunkeln blieben: Hier ging es mehr um die Sicht der Frauen, auch die Beziehungen betreffend: So wird z.B. klar, wie sehr sich Marlies und Konrad bereits auseinanderlebten, als sie zusammen den leeren Kuhstall ausfegen; es ist eher ein sich-aus-dem-Weg-gehen als ein "aufeinander zugehen". Hier litt ich eher mit Konrad, dessen Lebensinhalt der Bethches-Hof eben auch war und der fortan in der Fabrik arbeitete als die - dennoch verständliche - Reaktion von Marlies teilen zu können: Das Fehlen der Kühe bedeutete für sie auch eine Erleichterung, eine positive Veränderung...

Das Leben auf einem Hof (damals ohnehin und heute sicher ebenso) unterliegt ganz eigenen Gesetzen, die naturbedingt von den Tieren und den Arbeiten "diktiert" werden. Nicht jeder ist für solch' ein Leben geschaffen, dem ich (als Enkelin eines Landwirts) sehr großen Respekt entgegenbringe und dessen "Aura" ich durch eine Freundin, deren Eltern einen 400 Jahre alten Hof in der Pfalz hatten, ich selbst kennenlernen durfte. Die Autorin hat auch Sozialkritik anklingen lassen: Viele Milchhöfe wurden durch die EU-Gesetze sanktioniert, wenn sie zu viel Milch produzierten und viele haben aufgrund der schlechten Bezahlung der Landwirte ihren Betrieb aufgeben müssen, da es sich einfach nicht mehr rentierte. Sehr traurig, wie ich finde.

Ich fand besonders Lisbeth sehr authentisch und mochte sie; ebenso wie Marlies, die meiner Generation angehört und deren analytische Gedanken ich oft sehr klug und richtig fand

"Aussuchen können musste man es sich, was man werden wollte. Frei darüber entscheiden" (S. 110)

Ein schönes Abschlussbild "krönt" diesen sehr lesenswerten Roman um drei Frauen, die ihre typischen Generationskonflikte hier auf dem Bethches-Hof austragen: Großmutter und Enkelin sitzen einträchtig auf der Bank und Lisbeth sieht den Bethches-Hof, auf dem es nun keine Kühe mehr gibt, mit ganz anderen Augen, "so, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen".
Gerne empfehle ich "Wildtriebe" weiter; viele Frauen aller Generationen werden sich in ihm teilweise wiederfinden - und sich angesprochen fühlen. (Und ausser Generationskonflikten trägt der Roman eine Menge Potential in sich, aufzuzeigen, wo die verschiedenen Generationen auch durchaus voneinander lernen können - und es auch tun!).
4,5 * von mir und Leseempfehlung

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